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Freitag, 23. Mai 2014

Unbestimmbarkeit des Menschen

Der Mensch ist und bleibt - der Unbekannte. Was er heute ist ist, was er gewesen ist. Aber das ist nicht "streng logisch", sondern birgt sich in einer Erzählung. Und er ist auch keineswegs damit ungewisz, er ist für unser Denken nur nicht ausreichend faszbar, wir kennen ihn nur mangel- und schattenhaft.

So, wie die (streng systematische) Logik eine Erzählung ist, die gewisse - irrationale - Prämissen und Glaubensüberzeugungen in sich abschließt. Aber sie reicht nicht, um die Wirklichkeit zu erfassen, sie ist selbst ein starres Konstrukt, das sich ihr nur annähert. Wie weit, wissen wir nicht einmal, können auch das nur rückfolgern. Aus der Geschichte, die uns widerfahren ist.

Niemand weiß das besser als die Physik, an deren Substanz wir - irrational - glauben, ohne sie zu kennen. (Und: auch die Physik selbst kennt sie nicht.) 

Damit wird Erkenntnis auf das zurückgeworfen, das wir uns seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden zu ersparen suchen: auf einen personalen Akt. Und damit auf den Akt der Selbsttranszendenz, auf das leben selbst, auf einen ethischen Akt.

Heißt das nun, dasz sich Identität doch ins Unbestimmbare auflöst, ewig unbestimmbar bleibt, ein Akt der Willkür ist, die wir so gerne und fälschlich mit Freiheit gleichsetzen? Nein, genau das nicht. Weil das, was wir sind, nur in der Selbstüberschreitung sich aktualisiert, braucht es wesensnotwendig einen festen Ort, in dem erst wir überschreiten kennen - man kann nur ein "was" überschreiten, Geschichte ist immer konkret, und so ist es die Gegenwart, wo sie überhaupt Geschichte IST. Sie ist immer nur konkret, kann  nur konkret sein. Es braucht um sich zu überschreiten ein Gegenständliches, ein Begegnendes. Und das kann nur konkret sein, sonst löst sich der Mensch selbst auf.

Denn also müssen wir dem Begegnenden in einer Doppelhaltung antworten: Es ernstnehmen, als käme es nur darauf an, und das heißt wesentlich: es durchhalten, und es doch wieder loslassen, um dem Leben selbst Raum zu geben.

Das musz sich etwa in der Erziehungsverantwortung so aeuszern, dasz sie feste Gerüste und Identitäten zum Inhalt und Ziel hat, damit tradiert, übernimmt, im Ernst. Aber zu jener Selbsttranszendenz - im Opfer, im Sterben - anleitet, weil sich erst in jener Selbstlosigkeit (nur wer sich verliert, gewinnt sich), durch Raumgeben für ein Bild, dem Leben selbst der Raum gibt, das als es selbst eine Urtatsache, aber unbestimmbar ist.

Es braucht also das Konkrete, weil nur am Konkreten der Raum des Lebendigen entstehen kann. Erst dort entsteht Geschichte. Nicht durch Beseitigung, sondern genau das Gegenteil: durch Selbstüberschreitung auf dieses Konkrete hin.

Es braucht deshalb die Haltung des Spiels, des Sports, wie der VdZ in seinem Roman "Helena" bereits darzulegen versucht hat. Spiel aber funktioniert nur dort, wo die Regeln ernstgenommen werden.

Der Kardinalfehler der Gegenwart (nicht nur in der Pädagogik) besteht darin, alles in der Unbestimmtheit belassen zu wollen. In Wahrheit will man sich damit die ethische, personale Haltung ersparen, weshalb man sie in Selbsttäuschung durch Moral ersetzt. Denn Menschsein ist an sich eine ethische Haltung.

Damit aber erstarrt alles erst recht. Weil das Leben keinen Raum mehr hat. Den es nur in der Selbstüberschreitung findet, der die Form ernstnimmt, um auf sie hin zu sterben. Und DAMIT, um so erst zu leben, dieses Geschenk, das sich niemand selbst geben kann, von Geburt an, anzunehmen. 

Der heutige Relativismus setzt erst recht die Form absolut. In dem er jede Form aber ablehnt, löst er das Menschsein auf. Umso mehr musz davon geredet werden. Aber man ist nie absoluter Mensch, immer nur ohngefähr, halbwegs.

Zu leben braucht also sehr wohl eine anarchische Komponente, ja. Aber sie fungiert aber nur als Pol, festgezurrt an der tradierten Form. Als Nacht, die auf den vergangenen Tag bezogen ist, um so den kommenden neu zu gestalten.




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Dienstag, 20. Mai 2014

Umverteilung ist ungerecht

Einen interessanten Bericht der Agenda Austria über eine Diskussion will der Verfasser dieser Zeilen dem Leser nicht vorenthalten, und übernimmt ihn zur Gänze. Es ist selten, dasz man die katholische Sichtweise zu dem Thema so klar vertreten findet. Die katholische Soziallehre deckt sich naemlich mit einer Form des Liberalismus, der in der heutigen Diskussion fast untergeht, weil vor allem von diversen Neoliberalismen (eine mittlerweile fünfte oder sechste Spielart des Liberalismus) übertönt wird.
Angesichts der jüngst wieder einmal dargestellten Zahlen, denen gemaesz sich die Sozialausgaben in Österreich in den letzten zehn Jahren um 44 %, die Steuerlast als Antwort um 37 % erhöht habe, kein unwesentliches Thema, das mit Gewiszheit bald kulminieren, sich auf eine andere Weise also selbst regeln wird.

Die Aussendung der Agenda Austria im Wortlaut:

Privat organisierte Sozialhilfe wäre effizienter als der Wohlfahrtsstaat", meint der Priester Martin Rhonheimer bei einer Umverteilungs-Debatte in der Agenda Austria.
"Wir hätten alle einen höheren Lebensstandard ohne Wohlfahrtsstaat." Schon dieses Statement des Schweizer Theologen Martin Rhonheimer zeigt, dass es bei der Veranstaltung "Umverteilung - verlässlicher Fluchthelfer aus der Armut oder sündteures Placebo?" am Dienstag Abend in der Agenda Austria kontrovers zuging – und das war durchaus gewollt.

Umverteilung ist laut Rhonheimer ungerecht, da sie das Privateigentum missachte, moralisch sowie politisch unklug, da sie falsche Anreize setze und den Menschen entwürdige, und nicht zuletzt unsozial, weil sie das Unternehmertum behindere und die Staatsschulden in lichte Höhen treibe. Effizienter sei es, soziale Zuwendungen an Arme privat zu organisieren. Der Professor für Ethik an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz in Rom, die unter der Leitung des Opus Dei steht, vertritt damit zweifellos nicht gerade den Mainstream der Kirche.




 
Gegen diese Ansicht wandten sich Peter Kampits, Philosophieprofessor an der Uni Wien sowie Alexander van der Bellen, grüner Politiker und Professor für Volkswirtschaft. Van der Bellen sah Rhonheimers Lösung - profitorientierte soziale Initiativen, die auf Freiwilligkeit beruhen - als "etwas, was vielleicht im Mittelalter in Dörfern funktioniert hat". Dass Österreich 30 Prozent der Wirtschaftsleistung für Sozialleistungen ausgibt und trotzdem über steigende Armut geklagt wird, ist für van der Bellen so zu erklären: Erstens gehe die Hälfte davon für Pensionen auf und zweitens sieht er die Ursache in einer seit 20 Jahren scheiternden Bildungspolitik: "Der Staat schafft tatsächlich Armut. Warum stehen der Wirtschafts- und Sozialminister nicht jeden Tag beim Bildungsminister, damit der etwas gegen die miesen PISA-Ergebnisse tut? Das ist Klassenkampf von oben."

Kampits diagnostizierte, unsere Gesellschaft befinde sich in einer Schieflage: Die weit aufgehende Schere zwischen Arm und Reich zerschneide den Mittelstand, der eine zu hohe Steuerlast tragen müsse. Es gelte, einen Mittelweg zwischen einer "neu mit Sinn erfüllten Solidargemeinschaft" und der Freiheit des Einzelnen zu finden - und wem dies gelinge, der sei nobelpreisverdächtig. Der Schwerpunkt müsse jedenfalls auf Chancengleichheit liegen und nicht so sehr auf Geld. In diesem Sinne kam aus dem Publikum dann auch der Vorschlag, Umverteilung zum Beispiel über Bildungsschecks zu organisieren.

In einigen wenigen Punkten stimmten die Diskutanten überein: Etwa darin, dass die Steuern und Abgaben auf Arbeit - konkret etwa die Sozialversicherungsbeiträge bei geringen Einkommen - zu hoch seien und im Sinne der Chancengleichheit Bildung viel stärker als wirtschaftspolitisches Instrument genutzt werden müsse. Immerhin können 25 Prozent der 15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen – diese jungen Menschen werden vom staatlichen Bildungssystem im Stich gelassen.

Auf Widerspruch hingegen stieß Alexander van der Bellens Statement, wir näherten uns einer "viktorianischen Vermögensverteilung", in der Vermögen vor allem durch Erbschaft geschaffen werde ("selbst erarbeiteter Reichtum ist nicht das Problem") und sozialer Aufstieg nicht mehr möglich sei. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, so wurde aus dem Publikum eingewendet, sei der Lebensstandard der breiten Masse heute ungleich höher, weshalb dieser Vergleich überzogen sei.

Van der Bellen betonte, Arbeit müsse sich lohnen - eine Ansicht, der dann aber Martin Rhonheimer wieder zustimmte. Für ihn ist das Recht auf Arbeit essenziell, welches die Gewerkschaften auch nur so wenig wie irgend möglich einschränken dürften. Man solle dieses Recht wahren und weniger über das - laut dem Theologen unmoralische - Recht reden, auf Kosten anderer zu leben. Zudem sollten soziale Zuwendungen nicht staatlich organisiert werden. Dabei kritisiert Rhonheimer auch die Caritas, die längst zu einer teilstaatlichen Organisation mutiert sei.  (...)


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Freitag, 16. Mai 2014

Was die Erde ist

Die echte Wirklichkeit der Erde hat keine Gestalt, keine Lebensform, ist ein reines Rätsel. In ihrer ursprünglichen und nackten Konsistenz begriffen, ist sie der Boden, der uns im Augenblick traegt, ohne dasz er uns die geringste Sicherheit dafür böte, dass er sich nicht im nächsten Augenblick versagen wird. Er ist es, der uns die Flucht vor einer Gefahr erleichtert hat? er ist es auch, der uns in der Form der Distanz von der geliebten Frau und unsren Kindern trennt? er ist es, der manchmal den Charakter des mühsamen Bergauf und manchmal die angenehme Beschaffenheit des Bergab aufweist.

Die Erde an sich und losgelöst von den Ideen, die der Mensch sich von ihr gebildet hat, ist also kein "Ding", sondern ein unsicheres Repertoire an Erleichterungen und Erschwerungen des Lebens.

Die älteste Interpretation von dem, was die Erde ist, schimmert durch die Etymologie des Wortes hindurch. Tierra, terra, so scheint es, kommt von tersa, was soviel wie das Trockene, d. h. das Feste, wo man Fusz fassen kann, besagt. Im Rahmen dieser primitiven Interpretation der Erde ist diese - wie man sieht - mehr dadurch definiert, was uns mit ihr - im Gegensatz zu einem flüssigen Element - widerfährt.

In diesem Sinne sage ich, dass die echte und ursprüngliche Wirklichkeit keine Gestalt besitzt. Daher ist es nicht zutreffend, sie Welt zu nennen. Sie ist unserer Existenz als Rätsel vorausgesetzt. Sich lebend zu fühlen, heiszt, sich unwiderruflich ins Rätselhafte eingetaucht zu fühlen.

Auf dieses ursprüngliche Raetsel, das seinem intellektuellen Leben vorhergeht, reagiert der Mensch, indem er seinen intellektuellen Apparat spielen lässt, der vor allem anderen Einbildungskraft ist. Er erschafft die mathematische Welt, die physikalische Welt, die religiöse, moralische, politische und poetische Welt, die tatsächlich "Welten" sind, weil sie eine Gestalt besitzen und eine Ordnung, einen Plan darstellen.

Diese imaginären Welten werden dem Rätsel der echten Wirklichkeit gegenübergestellt und werden als wahr angenommen, wenn sie sich dieser in größter Annäherung anzugleichen scheinen. Aber, wohlverstanden, niemals verschmelzen sie mit der Wirklichkeit selbst.


Ortega Y Gasset, Vorlesungen zur "Historischen Vernunft"



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Dienstag, 6. Mai 2014

Getragen von dem, womit man rechnet

Ortega Y Gasset vergleicht einmal den Menschen mit einem Pfeil, der abgeschossen ist, aber unterwegs vergessen hat, wo er hinfliegen soll. Dazu musz der Mensch aus dem Zeitlichen heraustreten, und sich das Ziel überlegen. Denn erst dann handelt er seiner Konstitution gemaesz, die da Freiheit heiszt. Die ihm auch niemand, keine Masse, keine öffentliche Meinung, kein Zeitgeist abnehmen kann. Er musz sich dazu stellen.

Dabei wird er von zwei Polen getragen - dem Denken (das aus dem aufsteigt, was fehlt) hier, noch mehr und grundlegend aber von dem, womit er rechnet: es ist das, was er glaubt. Dieses ist vor allem, was ihn bestimmt. Waehrend das Denken genau das ist, woran er (noch) nicht glaubt. Aus dieser Ideenwelt heraus aber setzt er sich jene Wege, die forthin praegen, was zu einem Geglaubten werden kann.

Dazu aber musz das Denken frei von Leidenschaft bleiben. Der Mensch musz aus dem Getriebe der Notwendigkeiten heraustreten, um sein Denken frei, wie in einem ernsten Spiel (weshalb Y Gasset Denken mit dem Sport vergleicht, dieselbe Haltung verlangt), zu manifestieren.

Als der VdZ vor Jahren sein Stück "Paradas" aufführte, wurde er von einem Zuseher gefragt, warum er darin so "moralisch" waere. Das ist natürlich Unsinn. Und doch steckt ein Funken Wahrheit in dieser Frage. Denn im dramaturgischen (dramatischen) Akt der Katharsis, der Reinigung, findet die Figur zu dieser Wirklichkeit - dem Geglaubten - zurück, befreit sich, getragen vom Leid der mangelnden Kongruenz seines Denkens mit dem Wirklichen, zum aus der Wahrnehmung heraus Geglaubten, aber nicht Gedachten. Insofern also das Gedachte zum Handeln wird, ist es tatsaechlich moralisch.

Als Descartes, auf den im Grunde die gesamte heutige Technik zurückgeht, das erkannte, zog er sich völlig aus der Welt zurück. Denn inmitten der Betriebsamkeiten, so Descartes, könne sein Denken nicht klar werden, bleibe nur Instrument.




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