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Montag, 7. November 2016

Weil der Markt eben nicht "alles regelt"

Man sagt gerne, daß die Hungersnot im Irland des Jahres 1879, die eine Million Tote forderte und weitere 2 Millionen Iren zur Auswanderung (meist in die USA) zwang, dem kalten Klima der damaligen Zeit zuzuschreiben gewesen war, das (meist durch einen über die geschwächten Pflanzen sich rasch ausbreitenden Pilz) das Hauptnahrungsmittel der irischen Bevölkerung, die Kartoffel, im Boden verfaulen ließ. Aber das ist nur der eine Teil der Wahrheit. Denn es hätte immer noch genug Nahrungsmittel für alle Iren gegeben. Hätte nicht die Regierung in London (Irland war damals offiziell besetzt und Teil Englands) anders als in der Vergangenheit erstmals dem Kapitalismus Vorrang gegeben. Was das heißt?

Irland war gekennzeichnet von englischem Großgrundbesitz, während der Großteil der Bevölkerung mit sehr kleinen Ackerflächen (bei gleichzeitigem hohem Bevölkerungswachstum) sein Auskommen fristen mußte. Die meisten waren mehr oder weniger Selbstversorger und hatten wenig oder überhaupt Geld. Damit traf die Kartoffelfäule besonders hart. 

Dennoch verabschiedete die Regierung in London ein Gesetz, das die Individualinteressen der Großgrundbesitzer schützte, sodaß diese Kartoffeln unter Militärschutz weiter zu Schnaps verdestilliert oder exportiert werden konnten. Was angesichts der Hungersnot der Jahre 1846 und 1847 20 Jahre zuvor noch verboten worden war, womit man die Krise auch bewältigt hatte. Nun mußten die Iren aber verhungern. (Ähnliches ist übrigens auch in Indien passiert.) 

Das ging so weit, daß die Regierung Maislieferungen, die der Bevölkerung zu niedrigen Preisen zur Verfügung gestellt werden sollten, auf Geheiß derselben "marktschützenden" Gesetze zu Marktpreisen angeboten werden mußten. Die meisten Iren konnten sich also auch dadurch nicht helfen.

Der Grund ist denkbar einfach: Die Großgrundbesitzer waren am Finanzplatz London verschuldet, und hatten ihre Ernten verpfändet. Für die sie nun (wiewohl allgemein kärglicher als üblich), nach dem Zusammenbruch des Inlandsmarktes, nur noch im Ausland Geld erhielten. Die Financiers, die um ihr Geld fürchteten, machten Druck auf die Regierung, die sich sowieso in deren Hand befand weil bei ihnen verschuldet war, und schon haben wir die Geschichte vervollständigt: Wirkliche Ursache für diese unfaßbare Katastrophe war ... die Finanzwelt, der Wucher.

E. Michael Jones argumentiert, daß es eine Lüge ist, wenn der Kapitalismus - der sich als Liberalismus versteht, der Begriff "Freier Markt" hat damit also nur bedingt zu tun - behauptet, er sein ein Verfechter der Freiheit! Vielmehr braucht gerade er einen starken Staat. Denn es geht im Kapitalismus nicht um allgemeine Freiheit, sondern um den Schutz der Freiheit Einzelner, sich von ihren sozialen Verpflichtungen zu absentieren. 

Es geht also gar nicht um Freiheit, sondern um die staatlich geschützte Möglichkeit für individuelle Willkür. Und hier kommt der Begriff des Wuchers ins Spiel: Im liberalen Kapitalismus schützt der Staat den Wucherer vor dem Betrogenen.* Das ist eigentlich alles! Ja, Jones spitzt es auf die Aussage zu, daß Kapitalismus (noch einmal: er ist nicht identisch mit "freier Markt", der als Grundbedingung des menschlichen Lebensvollzugs - den der Staat in Krisenzeiten durch kurzzeitige Intervention wiederherzustellen hat - unbestritten ist!) überhaupt "staatlich finanzierter Wucher" ist.*

Damit verstößt der Staat aber gegen sein allererstes Prinzip - das des Gemeinwohls. Das heißt nicht, wie manche meinen als Gegenargument ins Treffen führen zu müssen, daß der Staat immer und überall seine Finger im Spiel haben muß. Im Gegenteil, wir haben hier schon oft darüber gehandelt. Es heißt aber, daß er darüber wachen muß, ob die Bedingungen, unter denen seine Bevölkerung lebt und arbeitet und wirtschaftet eine gewisse Ausgeglichenheit der Interessen gewährleisten. Ist das nicht der Fall - wie es im Fall ungewöhnlicher Umstände ist, wie es aber auch sein kann, wenn ein im Verhältnis zur gewachsenen Struktur der heimischen Volkswirtschaft zu starker Spieler am Markt auftritt (oder einer sich zu stark entwickelt), der die gesamten Bedingungen zu seinen Gunsten verschiebt und den Markt diktiert, sodaß der Rest sich nicht mehr adäquat entwickeln kann, muß er eingreifen.

E. Michael Jones weist aber noch auf etwas hin, das in der Selbsterzählung des Liberalismus der Gegenwart praktisch nie rezipiert wird: Dieser liberalistische Kapitalismus heißt auch immer, daß er sich AUF KOSTEN der Allgemeinheit entfaltet. Aber er "funktioniert" für eine Volkswirtschaft immer nur kurzfristig. Denn er ist eine Form der Überleitung von Volksgut auf Individualgut, die auf einen Punkt zusteuert, wo er krisenhaft zusammenbricht - sein Zahltat ist ... seine regelmäßig auftretende Krise.

Die Vorgänge 2008ff haben erst jüngst ganz augenfällig gezeigt, wie die Allgemeinheit die Profite von wenigen (die sich der Allgemeinheit aber nicht verpflichtet fühlen, und das hat auch mit dem Zerreißen von Solidaritäten durch Internationalität) geschützt und direkt (und sogar auf Kredit!) ausbezahlt hat. Solche Krisen treten in der gesamten Kapitalismusgeschichte mit absoluter Sicherheit in gewissen Zeitabständen auf, und sie haben immer dieselben Konsequenzen: Die Allgemeinheit zahlt den Wucherern jene fiktiven "erworbenen" Gewinne aus, denen die Allgemeinheit den Zusammenbruch verdankt.

Ein Staat darf sich deshalb niemals durch eine völkerrechtlich relevante, internationale Vereinbarung binden, die es ihm gar nicht mehr möglich macht, das Gemeinwohl jenes Volkes zu garantieren, für das er ja überhaupt da ist. Und hier ist "Staat" auch die höchste mögliche Grenze. Keine internationale Organisation vermag das auszugleichen, hier weichen die Interessen ausnahmslos und prinzipiell viel zu weit ab: Volkswirtschaft ist immer auf einen Staat und damit auf ein Volk bezogen. Sie sind die Subjekte des Völkerrechts und damit jeder Form von Internationalität. Der Staat ist die höchstmögliche Organisationsform des Menschen. (Wer den Staat auflöst liefert die Menschen in jedem Fall der Unmenschlichkeit aus.)

Vielmehr muß er also dafür sorgen, daß sich sämtliche seiner Bürger zumindest theoretisch entfalten und ihr Leben ihrem Streben, ihrem Arbeiten nach gestalten können. Dies ist keineswegs eine so unbewältigbare Aufgabe, wie es für manche aussehen mag. Denn jeder Staat hat es mit einem Staatsvolk zu tun, das eine historisch gewachsene, traditionelle Struktur seiner Bevölkerung hat, der auch eine entsprechende Begabungsharmonie entspricht. Deshalb muß sich der Staat an seine "Landkarte der Orte" halten, die vor ihm ausgebreitet ist. Und dies hat er zu schützen. Im Wandel der Zeiten und momentanen Probleme mal mehr, mal weniger restriktiv. Gerade diese Instrumente müssen also flexibel anwendbar bleiben, eingesetzt und wieder zurückgenommen werden können, je nach Anlaß. Diese Aufgabe darf er niemals substantiell und nachhaltig abgeben, denn sonst löst er sich auf.**

Niemals hat der Staat auch das Recht, Veränderungen zu diktieren, die etwa eine volkswirtschaftliche Struktur einfach umbrechen. Denn sein Interesse kann niemals woanders liegen, als - in seinem Volk angezeigt ist. Er mag anregen, er mag beistehen, er kann klug weiterführen, aber er kann nicht diktieren, wie seine Bevölkerung zu leben hat weil er meint, es wäre so und so idealer. Wohingegen er in dem Fall sogar eingreifen kann, wenn sich seine Bevölkerung nicht an die ihr eigene Struktur halten will, sich also selbst verfehlen möchte. 

Sollten sich umgekehrt internationale Bedingungen so ändern, daß eine Staatsbevölkerung davon überrollt würde, so hat er die Pflicht, durch entsprechende Regelungen (Zölle, Grenzen etc.) sein Volk zu schützen. Auch dieser Möglichkeit darf sich ein Staat nicht begeben,. sondern er muß sie immer noch irgendwie erfüllen können. Womit wir uns auch von dieser Seite her einem CETA oder TTIP genähert hätten, die wesensgemäß auf große Individualitäten abzielen und mit absoluter Sicherheit eine Wirtschaft der Entwurzelung - wie im Irland des Beispiels - fördern. Noch dazu, wo diese immer dem Staat überlegen sein werden, weil sie prinzipiell weit mehr Information haben (Mises u.a.)

Denn eine Regierung hat die Pflicht, die Menschen vor dem Wucher dort zu schützen, wo er seiner Bevölkerung ein normales, herkömmmliches Leben nicht mehr möglich macht und die Ausgewogenheit (die keineswegs "Gleichheit" heißt, wie der Sozialismus behauptet, die aber auch nicht "Sozialstaat" wie in der Gegenwart bedeutet) und Harmonie seiner Volkswirtschaft zerstören würde, die immer Eigenarten hat, die nicht mit "freiem internationalem Markt" kompatibel sind. Auf die eine oder andere Art immer Folge individuellen Entziehens vor sozialer Verantwortung aus Auflösung sozialer Bindungen also, die immer wechselseitige Abhängigkeiten bedeuten. (Die englischen Großgrundbesitzer waren ja nie in Irland verwurzelt; ihr Auftreten war immer und überall bereits eine Entartung der gewachsenen feudal-paternalen Strukturen, wie sie sich in der Geschichte jedes Volkes zeigen und bedeutet, daß persönliche Angewiesenheiten einseitig werden.)




*Wucher definiert E. Michael Jones so, daß er bedeutet, FÜR NICHTS ETWAS ZU BEKOMMEN. Das bedeutet entweder Diebstahl oder Illusion. Der meist aber jene zum Opfer fallen, die dazu nicht fähig oder willens sind. Das ist die wesentliche Logik des Kapitalismus. Der heute vor allem dadurch abgesichert ist, daß sämtliche Wirtschaftstheorien im 19. Jhd. begonnen haben, die Wirtschaft von ihrer menschlichen Basis loszulösen. Eine Selbsttäuschung! Denn Wirtschaften ist immer ZUERST und vor allem eine Angelegenheit der Ethik, NICHT eines abstrakten "Wirtschafts"-Geschehens. Das es ohne Ethik, ohne persönliche Sittlichkeit gar nicht gibt. Deshalb ist Wirtschaft primär und ausnahmslos zuerst eine Angelegenheit der Ethik als Teil der Philosophie.

**Hier zeigt sich die eigentliche Natur der "Weltuntergangsszenarien" wie Klimaerwärmung etc. - sie sind Hebel, um den Staat aufzubrechen.




*220916*