In Zusammenhang mit Amokläufen der letzten Wochen (in Deutschland und den USA) meinte ein amerikanischer Journalist, es sei heute eine "Privatisierung der Gewalt" zu beobachten. Die Menschen würden nicht mehr auf staatliche Regulierungen vertrauen, sondern die Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen.
So nebelhaft diese Aussage bleibt und bestenfalls als bereits weiterentwickelte Reaktion auf das längst in jeden Bereich greifende Gewaltmonopol hiesiger Staaten gesehen werden kann (wo also aus der Enttäuschung über den Staat, der zwar alles zu regeln vorgibt, aber die Ungerechtigkeiten nicht weniger, die Bedrückten aber noch wehrloser werden, weil keinem Ding mehr sein notwendiger "archaischer" Grau-/Randbereich zugestanden wird) - mir fielen bei diesen Aussagen augenblicks die typischen Produkte amerikanischer Kunst- und Unterhaltungsindustrie ein.
Denn gerade die modernen Heroen - von Rambo über Superman, Batman, Terminator, Bruce Willis-Typologien, etc. etc., ja nahezu das gesamte dramaturgisch-dramatische Inventar des amerikanischen Films von Beginn an - sind allesamt Heroen der Selbstjustiz! Bestenfalls (wie zum Beispiel in "Erin Brockovich") dient das Rechtssystem noch späterer Junktimierung, häufig nachdem es "auf Vordermann" gebracht wurde (wieder: nach den Maßstäben der Helden)
Mit dem schwindenden Einfluß europäisch-abendländischen Geistes aber (wie in der Emigrantengeneration seit den 1930er Jahren, die Hollywood regelrecht aufgebaut hat) bleibt dem amerikanischen Medienerzeugnissen kein anderes dramaturgisches Schema mehr kennzeichnend: der Kampf des Einzelnen gegen den Staat, gegen die Gesellschaft, der seinem Gewissen und seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit folgt, und vor keinem Mittel zurückschreckt.
Wen wundert da noch ein Amokläufer? Videospiele sind dabei lediglich Training für den moralischen Hintergrund - den die Dramaturgie der Welt, wie sie gelehrt wird, vorgibt.
Ein Selbstmord mancher dieser Amokläufer mag nichts sonst mehr sein als ein erschrecktes Aufwachen, daß die Gesellschaft plötzlich doch anders reagiert, als er es sich vorstellte und erwartete. Im Grunde das einzige wirkliche Drama, das sich hier abspielt: ein Drama der Zweitwirklichkeit, das mit einem Gott und Richter rechnet, der in den Drehbuchstuben Hollywoods sitzt, und "weiß, wie es wirklich war".
*280409*