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Dienstag, 31. Mai 2011

Eine Welt für sich

Was für ein Aufwand! Historische Filme sind enorm schwierig zu machen. An sich aber ist jeder Film "historisch" - als abgeschlossene Welt einer Vergangenheit, und sei sie erst gestern gewesen. Jede Vergangenheit ist eine abgeschlossene Welt, und jedes Ding - und ein Ding wird durch Benennung, durch Willen, durch Schöpfung, erst dadurch erhält es seine Grenze als eigentliches Selbstsein - hat seine eigene Seele, die jedes Heute stören würde.



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Diese Biester

Crane Brinton erzählt eine Anekdote aus der Zeit der russischen Revolution: Der Anarchist Alexander Berkman, unter dem Zaren zum Tode verurteilt und deshalb ins Exil geflohen, kehrte in der Zeit der Verstaatlichung allen Besitzes unter Lenin (1922) begeistert nach Rußland zurück, um der edlen Idee endgültig zum Sieg zu verhelfen. Er landete per Schiff in Leningrad (St. Petersburg), wurde dort von einem Sekretär von Lenin empfangen, und reiste mit diesem per Eisenbahn durchs Land, wo alles nun allen gehörte. In Moskau angekommen, wollte er in die Straßenbahn - die damals noch von Pferden gezogen wurde - umsteigen. Aber zu seiner Überraschung verlangte der Kondukteur Fahrgeld. Berkman traute seinen Ohren nicht. Er wandte sich empört an seinen russischen Begleiter, was denn das solle! Ob er Mann nicht wisse, daß jeder Bürger das Recht habe, ...

Moskau 1920 - Puschkinplatz
Der zuckte mit den Achseln: die Straßenbahn sei privat geblieben, er müsse wohl oder übel zahlen.

Berkman war konsterniert. Aber warum?! Noch dazu ein so wichtiger Betrieb, der die Güterverteilung in der Hauptstadt sicherstelle (die Straßenbahn hatte damals auch Güterwaggons; Anm.)?

Der Sekretär kaufte die Tickets, setze sich zu ihm, und raunte: "Wissen Sie, wenn die Menschen von uns nichts zu essen bekommen, dann kommen sie trotzdem irgendwie durch, das haben wir gesehen. Aber wenn man die Pferde nicht füttert, dann krepieren diese Biester! Also konnten wir sie nicht verstaatlichen. Naja, was soll ich sagen ... wir brauchen die Straßenbahn!"

Deshalb, so Brinton, sollte man gut überlegen, wenn man eine Revolution plant, ob man zu den Menschen gehört, oder zu den Pferden. Wenn man genauso verrückt ist - oder so empfindlich - wie Pferde, sollte man es eher lassen. Nur Menschen können auch ohne Nahrung überleben.

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Montag, 30. Mai 2011

Tod durch Technik

Ich liebe diese Metaphern auf die Präsenz nur geistiger, gedachter, vorgestellter Vorgänge. Und ich liebe sie noch mehr, wenn sie das Element der Mitschöpfung des Betrachters zeigen.

Ist das jedoch - und leider tendiert das Kino wie auch das Heimkino in diese Richtung - zu vollkommen, ahmt es also zu vollkommen die rein technisch-sinnlichen Vorgänge nach, nimmt es also den Sinneseindruck als "Bild, das (vermeinten*) Vorstellungen entspricht" vorweg, nimmt es dem Betrachter nicht nur diese Mitschöpfung aus der Hand, sondern das Vergnügen, das bei Kunst immer aus dieser Mittätigkeit des Betrachters kommt, fehlt. Kunst wird endgültig banalisiert.

Die heutige Technik, die ja oft schon nur noch aus wirtschaftlichen Gründen weiter entwickelt wird, zeigt die beängstigende Tendenz, sich zu verselbständigen, und verspielt (!) nur um ihrer Selbstfeier willen ganze Medienwelten. Gibt "den Film" auf, um einer technischen Funktion willen, die auch "möglich" ist.

Es entspricht aber sehr rasch nicht mehr dem, wie ein Mensch etwas "erleben kann", erlebend nachvollziehen (und das ist erleben) kann. Es bricht sich um auf bloße Information.





*Somit wird vor allem darin das digitale Bild zu einem Vorgriff auf das, wie der Programmierer meint, daß der Zuschauer es rezipiert. Also zur "treffenden Vorstellung von Vorstellung". Wir leben somit im digitalen Raum in einem Raum der "Programmierer", nicht der sinnlichen Rezeption. Man muß deshalb vom "Tod" sprechen, weil wir uns daran gewöhnen, daß Rezeption von Gesehenem nicht mehr zur aktiven Leistung wird, sondern zum passiven Zugestoßenen. Wir erwarten mittlerweile von einem Film, von Audio-Visuellem deshalb - träge gemacht, durch die Gewohnheit - daß es "uns bewegt". Damit aber können wir es nicht mehr genießen. Denn genießen ist ein schöpferischer, eigener Akt! Wir empfinden das Schöne nur deshalb als schön, weil es uns anwegt, selbst das Schöne (als Idee, als Haltegriff eines Absoluten) zu ergreifen. Wir konsumieren also nur noch. Und das wird ganz rasch schal. Der Sinn schreit deshalb nach "Neuem". Aber das Schöne ist nie einfach "neu", es ist einfach da. Und zwar dann, wenn wir es "wollen", anstreben, wachrufen wollen. Und an den Ort der Schönheit begeben wollen.





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Kurzeinstieg in islamische Welten

Nun ist das mit "Ehemaligen" und "Ausgetretenen" natürlich so eine Sache. Aber um die soll es ja nicht gehen. Wir picken uns aus dem Interview der Kronen Zeitung mit dem Obmann des Zentralrats der Ex-Muslime, Cahid Kaya, der übrigens auch ein Blog führt, nur einige Aussagen heraus, die uns aufgefallen sind. Denn an sich wirkt der Mann, als hätte er einen klaren Kopf.

So die, daß Muslime in Österreich, schon gar, wenn sie aus der Türkei, von den offiziellen Stellen zum einen überhaupt nicht, zum anderen nur als "Opfer" angesprochen werden - und genau so, meint Kaya, würden sie sich auch fühlen. Also fühlen sie sich auch in Deutschland und Österreich nicht zugehörig, sondern umso mehr als Türken, die auch ihr Land als Schutzmacht brauchen. Wenn somit der türkische Premier Erdogan seine aggressiven Reden gegen die EU schwingt, sehen sie sich vertreten, und distanzieren sich noch mehr von Österreich und Europa.

Der türkische Einfluß würde ohnehin steigen, zumal der Vorsitz der Islamischen Religion in türkische Hände gewandert ist.

Er selbst sei wegen seines Austritts aus der islamischen Gemeinde angesprochen worden, daß er eben nie ein echter Muslim gewesen sei. Wenn das allerdings wirklich so sei, meint Kaya, wenn die Maßstäbe so eng angelegt würden, dann würden von den rund 500.000 Muslimen in Österreich, auf die sich die offiziellen Vertretungen berufen, nur wenige übrigbleiben.

Kaya weist darauf hin, daß über den Islam klarer Antisemitismus verbreitet wird. Denn die Juden sind für den Islam der wirkliche Feind, der sich seit 6000 Jahren um Weltherrschaft mühe.

Das erinnert auch an die unseligen Allianzen, die Hitler-Deutschland mit den islamischen Bewegungen bildete, und auf die sogar das Regime im Irak unter Saddam Hussein (Baath-Partei) zurückgeht. Und nicht nur die: Auch der jüngst gestürzte Mubarak aus Ägypten war als Offizier bekennendes Mitglied islamistischer Bewegungen (die immer noch starken Einfluß in Ägypten haben), die mit Hitler paktierten und seinerzeit auf einen Sieg Deutschlands hofften, um in ihren (vor allem von England kontrollierten) Ländern die Macht ergreifen zu können.

Im selben Interviewfilmchen spricht dann Klaus Pándi auch mit Omar Al-Rawi, dem Integrationsbeauftragten der islamischen Glaubensgemeinschaft in Wien. Der meint interessanterweise auch - hier habe ich diese These längst vertreten - daß die zugewanderten Türken (als Muslime) vor allem das Problem hätten, es nicht geschafft zu haben, sich sozial zur "Mittelschichte" (lassen wir die Begriffskritik, das Wort ist auch hier falsch verwendet) "aufzusteigen". Der Großteil aller Debatten würde gar nicht stattfinden, wenn das der Fall wäre. (Ich vertrete hier die These, daß die Integrationsprobleme mit den Türken de facto soziale Probleme einer "geächteten", "unterkulturellen" Unterschichte sind.)

Und siehe da: Als Pándi das islamische Zentrum in Wien besucht, wird er von einem der Verantwortlichen empfangen. Angesprochen auf dessen Sicht der Dinge, meint der, daß die "islamkritische Sicht" der österreichischen Öffentlichkeit von "mächtiger Seite" gesteuert werde - Pándi hakt nach: den Juden? Der Mann schweigt. Warum er es nicht ausspreche? Weil er sonst in den Medien als Antisemit dastehe. Was immer er sage, das Spiel sei so vorbereitet, daß letztlich genau die von den Medien gewünschte Aussage von ihm käme. Im übrigen sollten die Österreicher endlich die nötigen Schritte zur Integration machen. Die Muslime seien dazu bereit, denn im Islam gelte das Gebot, dem anderen als Mensch zu begegnen, nicht als Muslim oder Christ.


*300511*


Es wäre plausibel

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum China daran interessiert sein könnte (und längst ist auch Rußland auf diesem Pfad unterwegs), an Staaten der EU - wie Griechenland - Milliarden zu verleihen, wo doch auch den Chinesen klar sein muß, wie wackelig diese Kredite sind.

Bis ich eine Geschichte der englischen Wirtschaft las, und zwar in der Entwicklung ihrer Auslandsinvestitionen. England hat ab dem 18. Jhd. weit vor allen übrigen europäischen Ländern Kapital angesammelt, mit dem nun Anlagen auf dem Kontinent und in der ganzen Welt finanziert wurden. Noch zur Jahrhundertwende um 1900 waren die Gasnetze in Berlin, Wien, Paris, Brüssel usw. in englischer Hand! Damit hat England zudem enormes Know-How exportiert, von Paris bis nach Hongkong, von Indien bis in die USA.

Vor allem in den USA hat England im Grunde die gesamte und beispiellos rasante Entwicklung der Industrie finanziert. Für das eingesetzte Kapital gab es natürlich Unternehmensanteile. Bis der 1. Weltkrieg kam, und die USA von einem Kapitalimporteur zu einem Land mit riesigen Kapitalien und gigantischen Auslandsforderungen - auch an England - wurden. Nun geschah es, in einem eigenen auch staatlich geförderten Programm der "Repatriierung", daß englische Unternehmensanteile (auch) GEGEN STAATSSCHULDEN zurückgekauft wurden. (Der Kapitalgeber wird so zum Gläubiger seines Staates, es wird also nur der Schuldner ausgetauscht.)

Die EU ist eine Solidargemeinschaft, wie sie gerade bei Griechenland auf alle Fälle beweisen will, und wegen des Euro vielleicht gar nicht anders kann. China's Entwicklung ist maßgeblich durch Kapital aus dem EU-Raum finanziert. China müßte es also gar nicht so machen, wie Indien in den 1950er Jahren (unter Nehru), das schlichtweg britische Investitionen enteignete, als das Land in Schwierigkeiten kam.

Nachsatz: Die Realität hat nach Verfassung dieser Zeilen die These weiter erhärtet - China tritt seit kurzem massiv als Käufer europäischer "Ramschanleihen" (z. B. Portugal) auf!

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Das Geheimnis des Schauspielers, das Geheimnis der Gegenwart

Es gehört zum Schönsten, was ich bislang über Schmuck, Schminke als Selbstinterpretation gesehen habe: Denn Identität heißt vor allem, sich unter ein Wort zu stellen! Es heißt sich zu entscheiden, wer man ist, wo das Ziel ist, auf das man zugeht. ABER: dieses Ziel ist die Entscheidung für die Interpretation einer der vorgegebenen Möglichkeiten, es ist nicht beliebig! UND: ALLE  zu interpretieren ist nicht (bzw. nur Gott selbst) möglich. Nicht auf einmal, sondern nur in der Zeit, und in anderem Raum, mit der Gefahr des Verlusts der Identität, die konkret sein muß. Erst im Alter, erst durch die Überwindung der Zeit (und: Zeit ist relativ zum Seienden, das "Alles" ist "unendlich"!), in der Universalität, wo vieles Einzelne zu einem Allgemeinem wurde, können alle Möglichkeiten in einem Gesicht zusammenfallen.

Der Schauspieler ist im Grunde also der, der die Zeit überwunden hat, indem er sich, sein in der Welt eine Rolle spielen, überwunden hat. An ihm können deshalb "alle" sichtbar werden. Genau das zeigt aber, daß es für den Nicht-Schauspieler schwere pathologische Folgen hat, sich NICHT für eine konkrete Maske zu entscheiden, wenn sein Leben also nicht Arbeit an EINER Maske ist, sondern der - wie der Schauspieler, der eine bestimmte innere Disposition dafür braucht, der sich selbst zum Spiel sein muß -

Die Hollywoodisierung der Menschen heute hat deshalb ganz schwere Folgen für die psychische Gesundheit der Menschen! Sie entreißt ihnen überhaupt das "etwas sein", indem es die Illusion nährt, Schauspieler zu sein (als Identitätsform!) wäre jedem möglich. Die Unfähigkeit zur Identität - auch aus Feigheit, Faulheit, Schwäche, Angst - wird zum Schauspiel verklärt. Es ist keineswegs Zufall, daß die Anzahl der Schauspielschulen fast möchte man sagen: dramatisch, steigt. Sie fassen genau diese Symptomatik.

Das ist aber nicht Schauspiel! Der Schauspieler tut zwar nichts anders, als die Menschen tun, aber die Menschen tun nur bedingt, was der Schauspieler tut. Sie spielen auch, aber nur EINE Rolle, die in Spannung zu den Anforderungen zur Welt steht. Das ist das Wesen von Persönlichkeit. Der Schauspieler hingegen arbeitet mit dem Geheimnis des Menschseins überhaupt! Er verzichtet auf EINE Rolle im realen Leben, um alle Rollen auf der Bühne spielen, leben zu können. Als Projekt, als Vorhaben, an dem er sein Leben lang arbeitet. Ist er alles, ist er am Ende angelangt. Wenn er dort je angelangt.

Umgekehrt führt natürlich genau dieses Mißverständnis dazu, daß viele als Schauspieler gelten, die nur SICH spielen, ja, so wird auch erklärlich, daß um diese Schauspieler meist eine Art "Kult" entsteht, der nichts mehr hinterfragt, sondern aus dem Akteur eine Art "Gott" macht. Soll ich andeuten ... einen "Heilgen"? Noch deutlicher: einen "Seligen"?

Umgekehrt ist also das gesellschaftliche Leben selbst zu einer Art "Theatergardarobe" geworden: wo alles war man tut, nur noch zu einer Art Probe vor dem Spiegel geworden ist. Alle sitzen bereit, und warten darauf, daß jemand REAL klingelt. Nur: wenn alle in der Garderobe sitzen und warten, gibt es niemanden mehr, der klingelt! Und schon haben wir das Geheimnis von Facebook.

Aber wieviel auch sagt das Filmchen über das, was seitens mancher Regisseure und Theatermacher und Filmemacher an haarsträubendem Mißverständnis über das, was ein Schauspieler zu tun hätte, als Anforderung und Bewertungskriterium an den Schauspieler herangetragen wird. Weil nicht gesehen wird, daß es das Licht, die Maske, die Handlung, der Interpretationshorizont sein muß, der dann im Schauspieler aufblitzen läßt, was er IST. Daß es NICHT die Fähigkeit ist, Grimassen zu schneiden, so "zu tun wie". Sondern daß eine Rolle, ein bestimmtes "So-Sein", eine immanente und immer persönliche Qualität des Akteurs ist. Oder nicht.

Ich sage ja: das Filmchen ist eine großartige, begeisternd zentrale Gegenwartsmetapher!



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Sonntag, 29. Mai 2011

Anlaß zur Entmutigung

Umberto Eco weist in seiner "Kunst des Bücherliebens" darauf hin, daß sich für die Schriftsteller etwas Grundlegendes geändert habe. etwas, das deprimierend ist.

Und es hat zu tun mit der Einführung des Holzpapiers, das das alte Hadernpapier ablöste. Das Hadernpapier hielt nämlich wie es aussieht fast unbegrenzt: noch heute sind Bücher aus dem 16. Jhd. in einer Kondition, die überwältigt. Das Papier ist oft wie neu, und scheint für die Ewigkeit konzipiert zu sein. Während die Bücher heute schon nach fünfzig oder hundert Jahren zu verfallen beginnen, ja manchmal, wie in den Taschenbüchern, zerfällt (oder zerreißt, als zerfiele es) nach vierzig Jahren das Papier, wenn man es umblättert.

Damit aber ändert sich etwas Grundlegendes am Verhältnis des Schriftstellers zur Gesellschaft, in der er lebt. Denn es ist keineswegs ungewöhnlich, daß er seiner Zeit weit vorausgeeilt ist, und erst in hundert oder zweihundert Jahren verstanden wird. Ja, es ist nicht selten, gerade heute, daß man Schriftsteller nicht einfach wiederentdeckt, sondern überhaupt erst entdeckt, die ihre Werke vor fünfhundert Jahren verfaßt haben.

Diese Option gab dem Künstler viel Hoffnung. Nun aber wird er damit rechnen müssen, daß er unter Umständen ... niemals verstanden wird, daß sein Werk ... umsonst war. Gleichzeitig heißt es für eine Kultur, daß es möglich ist, daß sie ihre eigenen Früchte nicht mehr erntet - und: es könnten die entscheidenden Früchte sein. Denn alle maßgeblichen Kehrtwendungen einer Kultur haben in einer einzigen Person ihre erste und befruchtende Gestalt angenommen.

Eco schreibt freilich nicht was es bedeuten könnte, wenn eine Kultur überhaupt auf langfristige Speicherung verzichtet, und sogar im Gegenteil: ihre Hervorbringnisse auf Medien speichert, die nicht einmal mehr Bruchteile dieser Haltbarkeiten aufweisen - man geht davon aus, daß derzeitige magnetische Medien (Computer) nicht über 50 Jahre Haltbarkeit, im günstigsten Fall, hinauskommen. Wenn diese spezielle Technik dann nicht mehr zugängig ist, ist alles, was heute hervorgebracht wird, für immer verloren.

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Standpunktslose Erkenntnislosigkeit

Nichts sei der Unmittelbarkeit des Volksbewußtseins so fern wie "geistiger Atomismus, der die moderne Seele wie Krebs zerfrißt und abtötet. Nehmen Sie als Beispiel das uns am nächsten stehende Gebiet, die Wissenschaft. Das Ideal eines ganzheitlichen Wissens, von Plato so klar vorgezeichnet, lenkt die Wissenschaft nicht einmal mehr in Gestalt der regulativen Ideen Kants.

Die Menschheit ist nicht mit der Wissenschaft, sondern mit Wissenschaften, ja nicht einmal mit Wissenschaften, sondern mit Disziplinen befaßt. Zufallsfragen fressen sich mit suggestiver Kraft in das Bewußtsein, das, von seinen Hervorbringungen versklavt, die Verbindung zur Welt verliert. 

Spezialisierung, Monoideismus - tödliche Krankheit des Jahrhunderts - fordern mehr Oper als Cholera und Pest und alle Seuchen. Es gibt nicht einmal mehr den Spezialisten einer einzigen Wissenschaft: Einer kennt nur noch die elliptischen Integrale, ein zweiter das Ratiothorium, ein dritter die Chemie einer Unterart der Eiweiße usw. [...]

Wie viele gibt es noch, für die die Natur nicht in miteinander nicht verbundene Dinge zerfällt, in Erde, Wald, Feld, Fluß usw. Gibt es noch viele, die nicht nur Bäume, sondern Wald sehen? Ist nicht 'Wald' für viele lediglich ein Kollektivum und eine rhetorische Personifizierung, d. h. reine Fiktion und nicht eine Einheit, etwas Lebendiges? [...]

Bedenken Sie, wie erschüttert die Grundlagen des inneren Lebens sind: Das Heilige, die Schönheit, das Gute und der Nutzen bilden nicht nur kein einheitliches Ganzes mehr, sie werden jetzt schon nicht mehr zusammen gedacht." Das Heilige ist scheu und verborgen, das Schöne untätig und verträumt, das Gute nötigend, der Nutzen unverschämt und grausam. "Das Leben ist zerstäubt."

"Was für ein tiefer Sinn liegt darin, daß die wissenschaftliche Psychologie eine Psychologie ohne Seele ist: Denn die Menschen unserer Zeit haben angeblich keine Seele, sondern an ihrer Statt nur einen psychischen Strom, ein Bündel von Assoziationen, psychischen Staub."

Dabei sei doch unzweifelhaft, daß es eine funktionale Entsprechung gibt zwischen Ideen und dem inneren Leben, zwischen der Weltanschauung und dem Weltempfinden. Nur im Volksempfinden sei das noch vorhanden, bei den einfachen Menschen am Land, an der Wolga. Hier ist der Mensch ganz. Der Nutzen ist nicht nur der Nutzen, er ist auch das Gute; er ist schön, er ist heilig. Für den, der dieses ganzheitliche Leben nicht lebt und nicht leben kann, ist der Schlüssel zur Weltanschauung des Volkes für immer verloren. Das Wissen des Intellektuellen sei demgegenüber nämlich zersplittert, organisch größtenteils unnütz, etwas, das er sich von außen auflädt und dann wie ein Packesel trägt. "Mit allem ist es so, mit allem und besonders mit der Sprache."

Pawel Florenski bei seiner Antrittsrede als Dozent an der Geistlichen Akademie Moskau 1909

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Notwendige Grenzziehung

Eine Büstenhalterwerbung. Perfekt, wenn man die Leine der Phantasie nicht zu sehr schleifen läßt. Die Beschreibung "Wonderbra" ist notwendig, sie formt eigentlich erst die gewünschte Aussage, sie trifft die Wahl für den Betrachter.

Der Wonderbra-Effekt


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Vom Zueinander der Dinge

Die Welt gibt einen Rhythmus vor, der sämtliche essentiellen seelischen Bewegungen der Lebewesen anspricht, weil er sämtliche schöpferische Selbstvollzüge des Seins vollzieht. Wieder und wieder. Sich dem Rhythmus der Welt fügen lernen bedeutet, umfassend zu werden.

Das meint man wohl mit "Natur." Nur der Mensch kann aus diesem Rhythmus insofern aussteigen, als er sich ihm - zum Teil, aber nicht einmal im Selbstmord "ganz" - verweigern kann. Aber dann stellt er sich gegen das Leben selbst, wenn er in diese Entfremdung fällt, und diese Willenshaltung ist ein Entscheid gegen das Sein, das er als Seiendes verweigert, um selbst Sein zu sein.

Menschsein heißt nicht, gegen den essentiellen Rhythmus der Welt zu stehen, so sehr diese Möglichkeit des Menschen sein Menschsein selbst feiert. Sondern das Menschsein in allen seinen Dimensionen - also auch nicht ein "heruntertransformiertes", zum Tier mutiertes Menschsein - in diese Lebensrhythmik einzugliedern und damit fruchtbar zu machen.

Neues entsteht immer aus dieser konkreten Entfaltung in ein ungeheures Zueinander von Weltdingen. Wenn das Wort wirklich eines Tages Neues benennt, und so den Dingen, die alle befolgtes Wort sind, zu Tod, und neuer Gruppierung befiehlt.





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Samstag, 28. Mai 2011

Pöbelhaftigkeit der Vatermörder

"Alle reden von Pöbelhaftigkeit, ohne zu bemerken, daß Pöbelhaftigkeit nicht in persönlicher Versündigung besteht, welche es auch sei, sondern in der schamlosen Entblößung des Vaters. Und die moderne Literatur von Gogol an ist fast durchweg so etwas Pöbelhaftes, selbst wenn es die wahrste Wahrheit ist, die da verkündet wird. 

Entschuldigen Sie, aber ich will einfach all dieses ekelhafte Zeug, das man mir warnend auftischt, nicht wissen. ich will nicht darin herumwühlen und herausfinden, ob die Tatsachen exakt wiedergegeben sind oder nicht, wer recht hat und wer schuld ist."

Pawel Florenski, in einem Brief an Wassili Rosanow (1915)

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Faszination und Poesie

Ich würde lügen, wenn ich bestreiten wollte, daß solche postapokalyptischen Szenarien auf mich nicht große Faszination ausübten. Genau das macht mich ja so vorsichtig, denn Faszination überhebt jedes Urteilen, indem sie über tiefe Symbolik, die häufig sogar Anrufungen eigener Dämonen sind, auf den Willen zugreift. Auch in der Dekadenz liegt ja Faszination, und diese mischt sich in dem 5minütigen, hervorragend gemachten Filmchen "Eye of the storm" zweifellos in die Momente der Poesie.

Gefunden bei Glaserei

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Frausein als Behinderung

Was hat Frausein mit Mongolismus zu tun? Beides sind heute gesetzlich anerkannte Gründe, einen Menschen noch im Mutterleib zu töten, je nachdem, in welchem Land es geschieht. MIt so mancher amüsanten Spitze. Denn während wir in Europa keinerlei Skrupel empfinden, durch pränatale Untersuchungen feststellen zu lassen, ob denn ein Mensch für uns zur Belastung werden könnte (wir sagen dann, es sei ja für IHN kein Leben, das macht uns Mörder sogar noch zu Erlösern), während wir es also als "Errungenschaft der Frauenbewegung" feiern, empören wir uns aus eben diesen Motiven heftigst darüber, daß in China und Indien Millionen und Abermillionen Ungeborene abgetrieben werden, NUR weil sie weiblichen Geschlechts sind.

Während die Reigerungen dieser beiden Länder aber längst erkannt haben, daß das gravierende Folgen hat - das Demographieproblem in China ist bereits jetzt deutlich ablesbar - sehen es die "Betroffenen" Paare nur von ihrer Perspektive her: Eine Frau kostet mehr als sie bringt, ist das Argument. Frauen brauchen Mitgift, und wenn sie nicht heiraten, sind sie überhaupt nur eine Last. Schon heute herrscht in China ein Männerüberschuß von ca. 80 Millionen. Es ist in Peking üblich, nach Vietnam oder Thailand zu reisen, und Prostituierte zu kaufen, die als Ehefrauen eines Fließbandarbeiters in den neuen VW-Werken ein allerdings besseres Los haben werden, als ihnen sonst geblüht hätte.

Und auch in Indien, berichtet die Frankfurter Allgemeine, herrscht schon spürbarer Frauenmangel. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Geburten ist laufend deutlich ungleich, jährlich werden bei der 1,3 Milliardenbevölkerung Indiens schon rund 7 Millionen WENIGER Frauen als Männer geboren. Und die Entwicklung nimmt durch den höheren Lebensstandard weiter Fahrt auf. Fehlten 1991 noch 4,2 Mio Mädchen (bei den Geburten), sind es mittlerweile 7,1 Mio. Bisher kamen in 2011 nur noch 832 Frauen auf 1000 Männer, 1991 waren es immerhin noch 906. Man schätzt, daß 2 bis 4 Prozent der jährlichen Schwangerschaften mit Mädchen abgetrieben werden, weiter steigend. Denn die materielle Besserstellung der Inder bewirkt auch mehr Zugang zu pränatalen Diagnosen und zu Abtreibungen.

Die Geschlechterselektion ist tief in der indischen Mentalität verwurzelt, und selbst bei Indern, die in den USA leben, sehr verbreitet. Sie steht zwar heute auch im Land der erleuchteten Brahmanen unter Strafe. Doch kommt es bei ohnehin geringer Anklagezahl (800) nur zu ganz wenigen Verurteilungen (30). Warum auch? Wo doch Abtreibung legal ist? Früher hat man neugeborene Mädchen halt einfach ausgesetzt, wennn nicht gleich getötet. Da ist ja dieses Vorgehen noch "human", höre ich so manche flüstern.

Haßt der Inder seine Frauen?
Die Empörung ist von einer Seite gesehen ohnehin fehl am Platz. Wenn aber das Argument "Mein Bauch gehört mir", das offensichtlich auch die Leibeigenschaft des Ungeborenen einschließt - wobei der unpersönliche Zellklumpen in Europa flugs zu einer Frau wird, wenn es um Indien und China geht - dazu führt, daß Abtreibungen legitimiert werden, warum nicht auch anderen Vorlieben gemäß als Mongolismus? Daß es vorwiegend Frauen betrifft ist doch nur ein Treppenwitz der Geschichte - der Feminismus heutiger Prägung entspringt dem tiefen Selbsthaß der Frauen. Also: warum nicht? Warum sollten es Männer sein? Die sind eben nützlicher. Dieser Auffassung ist man ja wohl weltweit, und überwiegend.

Dieser Dammbruch fußt aber nicht in einer Minderachtung von Frauen (oder, in Europa, von möglicherweise Behinderten), solche Neigungen finden hier nur ihr Ventil. Sondern er fußt in der prinzipiellen Disponibilität, der das Leben selbst unterworfen wird. Und das beginnt bei der Verhütung. Die Pille, das Kondom, führen direkt und ohne Umweg zur Abtreibung. Plötzlich ist ein in sich geschlossener Lebensvorgang verfügbar, der keiner menschlichen Verfügungsgewalt unterliegt. Um bloßer Lust willen - denn die Technisierung des Geschlechtsakts unterbindet die Hingabe, der Akt wird somit zur bloßen Lustbefriedigung jedes der Partner "für sich" - wird ein organischer Vorgang ausgebeutet, beutet sich der Mensch selbst aus.

Über die (in Europa häufig zufällig und "ungewollt" entstandene) Leibesfrucht dann zu entscheiden, in einem höchstrichterlichen Akt, und dann abzutreiben, weil sie möglicherweise gerade nicht ins flotte Lebenskonzept paßt, in Europa wie in Indien oder China, ist da nur ein gradueller Unterschied. Die entscheidende Tat ist die Zerstörung der Ehrfurcht vor dem Leben.

Dieser Männerüberschuß wird sich aber noch in anderen Bereichen rächend auswirken, daran braucht kaum ein Zweifel zu bestehen: Es ist eine alte soziologische Tatsache, daß ein Überschuß an jungen Männern so gut wie immer in einen Krieg mündet, schon gar wenn auch noch Faktoren wie Arbeits-, noch mehr aber Sinnlosigkeit dazukommen.

Dann wird der Männerüberschuß wieder ausgeglichen. Eine nächste Wirtschaftskrise wird es auch in Indien und China geben, dessen können wir gewiß sein.

Aber steckt vielleicht etwas ganz anders hinter dieser Geschlechterselektion? Steckt vielleicht wirklich der Haß auf die Frau dahinter? Angst vor dem Leben, dem Unberechenbaren der Hingabe und Auflösung ins Allgemeine des menschlichen Geschlechts? Ist die Abtreibung vielleicht nur die perfide Vergewaltigung durch Männer, die Verfügbarkeit weiblicher Geschlechtlichkeit durchaus schätzen - sodaß der Feminismus lediglich Frauen anzeigt, die ihr eigenes Geschlecht verraten und verkaufen, indem sie es männlichen Wünschen entsprechender machen wollen?  Sind vielleicht Feminstinnen lediglich verzweifelte (oder bösartige) Suchende, die wie Vorzugsschüler aufzeigen: sieh, Mann, ich habe Deine Anforderungen erfüllt? Oder ist es Flucht vor der Verletzlichkeit des passiven Teils menschlicher Gesamtheit, die Verweigerung der Beseelung (als Besamung)?

Irgendwo dort liegt es denn wohl. Und es hat fast alle Kulturen erfaßt. In Europa, in Asien, nur je auf andere Art.


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Wer glaubte je einem Griechen?

Und während hiesige Zeitungen weiter lügen daß sich die Balken bieten, und Politiker sich nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit zeigen sondern hinter vorgezogenen Vorhängen warten, bis alles vorüber ist, nehmen sich internationale Politiker kaum ein Blatt vor den Mund:

Offen wird darüber gesprochen, daß derzeit jede weitere Milliarde an Griechenland verlorenes Geld ist oder sein könnte, weil nach wie vor nicht klar ist, mit welchen Karten Griechenland überhaupt spielt! Auch die genannten Zahlen privatisierbares Staatsvermögen betreffend dürften kaum mehr als Täschung sein, mit der das Land so ungeschoren wie möglich davon kommen möchte:

Die so genannte "Troika" aus Vertretern von IWF, EU-Kommission und EZB, die gerade in Athen den griechische Schulden- und Sparkurs prüft, kommt offenbar zum Schluss, dass Griechenland nicht fähig ist, seine Kredite in den kommenden zwölf Monaten zu bedienen. "Wir leihen nie Geld, solange wir nicht sicher sind, dass es keine Lücke geben wird", sagte eine IWF-Sprecherin am Donnerstag in Washington. "Damit schützen wir das Geld unserer Mitglieder."

Die IWF-Sprecherin nannte eine Reihe von Zusicherungen, die nötig seien, damit weitere Milliarden fließen. Es geht um die fiskalpolitischen Pläne der Athener Regierung wie auch Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Zudem gehe es um den Verkauf von Staatsvermögen und darum, welche Finanzen überhaupt vorhanden sind - "inklusive unserer Beiträge", so die Sprecherin.



Macht sie das aber nicht wieder liebenswert? SIND sie nicht so, die Griechen, und sind sie nicht immer so gewesen? Die Autoren sind nicht zu zählen die berichten, daß es dem Griechen der Antike niemals um "Wahrheit" ging, wie wir sie verstehen. Er konnte mit diesem Begriff nichts anfangen. Es ging ihm im Leben um die Ästhetik des Moments, um die schöpferische Lebensführung, wo es gleichgültig war, ob dieses oder jenes "wahr" wäre - für eine gelungene Erzählung, für eine poetische Verflechtung, für einen hohen Gedanken lohnte zu sterben. Die Wahrheit war doch nur banal.

Die Griechen, schreibt Karl Kerenyi - gewiß einer der größten Kenner der antiken griechischen Seele - haben einfach immer gelogen! Sie haben damit die Sprache auf den Platz verwiesen, auf den sie gehört: Symbol des Numinosen.

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Herr über den Dämon

Eine hervorragende Metapher, um eine bestimmte Art von Dämonie zu beschreiben.




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Freitag, 27. Mai 2011

Im Geld erstickt

Wenn der IWF (die Presse berichtet) nun ankündigt, daß der arabische Block - Naher Osten, Nordafrika - in den nächsten Jahren über 100 Milliarden Euro benötigen wird, um seine ärgsten Probleme zu bewältigen, so muß man einesteils schmunzeln.

Denn all die Ölmililiarden haben offenbar nichts genützt, sondern nur die Augen verklebt, die nicht sehen wollten, daß es keine substantielle Wirtschaft in diesen Ländern gibt und gab, die solche Kapitalien tragen hätte können. Also floß ein riesiger Teil in den Konsum, verdarb jedes natürliche Preis- und Leistungsgefüge, und half lediglich westlichen Firmen und Konzernen, die die Aufträge aus diesen Ländern mit Handkuß genommen haben.

Nun stellt sich heraus, daß gemäß dem starken Bevölkerungswachstum (Jemen wird den Prognosen nach in 30 Jahren mehr Einwohner haben als Rußland!) in den nächsten Jahren 55-70 Millionen Arbeitsplätze fehlen.

Die weiteren Fakten wollen wir aber unter den zweiten Teil dieser Ergießungen setzen, das "andernteils". Denn hier offenbart sich auch unsere Blickesverdüsterung, in der wir mit Begriffen herumwerfen, die wir zwar schon lange falsch verwenden, was sie aber noch immer nicht besser macht.


Da heißt es im Artikel der Presse, daß "aufgrund der hohen Lebensmittelpreise" Inflation zu erwarten sei.

Zwar stimmt daran, daß es das überflüssige Geld (weltweit) war, das die Lebensmittelpreise so steigen ließ - die sogenannten Mißernten, auf die sich vor allem Klimaneurotiker eifrigst stürzen, sind nicht so eindeutig, wie vielen Berichten zu entnehmen ist: vielmehr soll einmal alleine berücksichtigt werden, wieviel an Anbauflächen in den letzten Jahren für "Biosprit" verwendet wurde ... von Lebensmittelknappheit zu sprechen ist immer noch weit verfehlt - weil das weltweite Versicherungs- und Bankenkapital neue Gewinnfelder suchte, und die fand es in der Spekulation auf Lebensmittel (es wird mit rund viermal so viel Geld auf Lebensmittel spekuliert, als überhaupt existieren) 

Aber das sind Ausreden der Regierungen, alles und allesamt, die das Versagen ihrer Politik vertuschen sollen. Denn es ist eben auch in diesen Ländern die staatliche Interventionspolitik, die die lokalen Wirtschaftssysteme ausgehebelt hat, sodaß nichts mehr auf diesen Märkten "frei" funktioniert, sich nichts mehr aus dem Tätigsein der Menschen selbst regulieren könnte. Es ist das zusätzliche Geld, die Geldvermehrung, die auch hier über kurz oder lang Inflation auslösen mußte. Weil staatliche Gelder die Lebensader einer Wirtschaft, die Kalkulation, aushebelt, weil es zu keinerlei Preisbildungsmechanismen mehr kommt, sondern lediglich zu Anpassungsszenarien an diese festen Bezugsgrößen, wie sie der Staat - durch Löhne, Aufträge, direkte Währungsinterventionen etc. - schafft.

Geld ist wertlos, wenn ihm keine menschliche Leistung entspricht, und sein "Wert" bemißt sich an realen Tauschverhältnissen. Die Araber mögen viel Geld weltweit investiert haben, sie mögen weltweit Kreditgeber sein. Aber ihre Hauswirtschaften sind in desaströsem Zustand, wie schon im Vorjahr die Dubai-Krise bewies: das Fürstentum war bereits zahlungsunfähig! Und die Scheichs haben wohl zuwenig genau in Oxford zugehört, wohin sie den einen oder anderen ihrer Landessöhne geschickt haben: denn ihr Land konnte nicht, wie ehrgeizige Männer es wohl hoffte, mit enorm viel Geld nach oben katapultiert werden. Es wird nach wie vor wenig in diesen Ländern produziert, es gibt keine hochgradige Arbeitsteilung, wie sie in Europa entstand, es gibt keine dynamische Wirtschaft, wie sie die westliche Welt hat. Oder kennen Sie auch nur ein einziges Produkt aus diesen Ländern? (Sagen Sie jetzt nicht "handgeknüpfte Teppiche" ...)

Geld alleine macht keine Wirtschaft. Geld ruiniert sie eher. Ja, Geld alleine macht nicht einmal Wohlstand, wenn ihm keine Werte gegenüberstehen, die damit erworben werden könnten. Und den Fürsten und Scheichs dürfte es auch recht gleichgültig gewesen sein, was aus ihren Untertanen wird. Solange sie im Rolls Royce zum Pferderennen in Ascot fahren konnten. Denn Produkte? Die gab es dort, im Westen.


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Bonmots zum Sterben

"Experimente der Hirnforschung auf der Suche nach Gott sind ungefähr so sinnvoll wie das Zerlegen eines Fernsehgerätes auf der Suche nach Ulrich Wickert. Die mentalen Erlebnisse sind nicht ohne die neuronalen Ereignisse zu haben, aber sie sind mit ihnen ganz offenbar nicht identisch."

Ulrich Lüke
"Wie Goethes Faust ausschließlich aus der wiederholten Verwendung der 26 Buchstaben unseres Alphabets besteht, besteht das Hirngeschehen aus den elektrochemisch präzise beschreibbaren neuronalen Vorgängen. Nur indem ich immer wieder 26 Buchstaben identifiziere, habe ich noch nichts vom Inhalt des Faust verstanden.

"Wasserdampf, also H2O, ist von Außen betrachtet eine Wolke und von Innen betrachtet Nebel. Der Versuch, ein umfassendes Verständnis von diesem Phänomen zu gewinnen, sollte nicht vorschnell eine Perspektive wegerklären (zum Beispiel die manchmal ungeliebte mentale), um die eigene (zum Beispiel die neuronale) als einzig zutreffende präsentieren zu können. Wir brauchen den Mut zu einem Multiperspektivismus."

"Ich wäre sehr vorsichtig damit, den Nahtoderlebnissen einen theologischen Erkenntniswert zuzuschreiben und in den positiven oder negativen Erfahrungen eine Bestätigung für die Existenz von Hölle und Himmel sehen zu wollen. Das Glücks- oder Horrorerlebnis kann auch mit der Medikamentierung des Patienten in Todesnähe zusammenhängen. Dann sagt das eher etwas aus über den Inhalt des Apothekenschranks im diesseitigen Krankenhaus als über himmlische oder höllische Erfahrungen im Jenseits.
Aber wenn die Todesnähe-Erlebnisse auch nichts Sicheres über das Jenseits sagen können, so sagen sie doch etwas über das Sterben und vermitteln eine Ahnung von dem, das uns allen bevorsteht. Wenn die reanimierten Herz- oder Hirntoten mir sagen können, es sei eine "himmlische" Erfahrung gewesen, die sie da gemacht hätten, kann das vielleicht meine animalische Angst davor, dass Sterben auf jeden Fall ein Horrortrip und der größte anzunehmende Unfall sei, relativieren.

derStandard.at: Modelle von Himmel und Hölle stehen Gläubigen unterschiedlicher Religionen als Verheißung oder Schreckensvision zur Verfügung. Warum brauchen wir Menschen solche Projektionsflächen? Können wir uns nicht einfach vom Tag unseres in die Welt-Kommens unserer Endlichkeit bewusst sein, ein verantwortungsvolles Leben führen und am Ende ohne Verheißungen auf ein Jenseits loslassen?
Lüke: Schon mit dem Stichwort "verantwortungsvolles Leben" schleusen Sie das Trojanische Pferd der Transzendenz in die Stadt ausschließlicher Immanenz, die sich so verzweifelt um eine rein innerweltliche Selbstabschließung bemüht. Vor wem sollte ich mein ganzes Leben vom ersten bis zum letzten Tag verantworten? Woher kommt mein Verantwortlichkeitsgefühl? Wem schulde ich eine letztliche Antwort? 

Gerade das klare Bewusstsein von meiner eigenen Endlichkeit und Begrenztheit nötigt mir wie im Rückstoß je neu den Gedanken einer Unbegrenztheit und Unendlichkeit auf. Es ist höchst merkwürdig, dass wir die von uns zum Beispiel in der Wissenschaft permanent versuchte und realisierte Entgrenzung unserer Begrenztheit, die permanente Verunendlichung des Endlichen nicht als Indiz für die Unendlichkeit und Unbegrenztheit sehen, sondern als Täuschung und Trugbild denunzieren. Ohne die Idee von Unendlichkeit, nur eingekeilt von der für absolut erklärten Endlichkeit, werden wir uns selbst und diese ganze Weltgeschichte nicht verstehen können.


Der Theologe, Philosoph und Biologe Prof. Ulrich Lüke in einem Interview im Standard

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Was verbreiten Missionare?

In einem Interview erzählte Bischof Erwin Kräutler aus Brasilien, daß er als das größte Problem sehe, daß die Menschen in den so weit auseinanderliegenden Gemeinden meist ohne Priester auskommen müßten. Ihnen bliebe fast nur der Wortgottesdienst. Die wirkliche Gegenwart Gottes in der Eucharistie sei eine seltene Ausnahme. (Weshalb er für die Weihe Verheirateter plädiere; Anm.)

Zuvor war zu erfahren, wie Kräutler die Eingeborenen im Regenwald besucht. Er sei ein Kumpel der Menschen, nehme sofort an ihren realen Sorgen teil, spreche auch mit dem Bürgermeister, wenn das Schuldach zu reparieren sei, und schnappe sich - flugsflugs - eine der Trommeln, um mit den Indianern zu musizieren.

Bischof E. Kräutler (2.v.r.) mit einer (+) kath. Ordensschwester
Eine menschliche Gesellschaft, der es an kulturellen Institutionen fehlt, hat nur ihre aktuelle Verfaßtheit, hat aber vor allem nur die Phantasie, um das Transzendente zu "erfahren". Es ist also folgerichtig, daß solche "Christianisierung" - die nicht auf Liturgie, nicht auf Sakrament aufbaut, und die vor allem nicht auf die Errichtung gute Kirchen etc. Wert legt - lediglich Überzeugungsreligion hervorrufen kann. Wo eben genau das Transzendente nicht inkarniert ist, sondern lediglich indirekt als nie erfüllte Hoffnung existiert.

Das Transzendente kann nur erfahren werden, wenn der Rezipient sittlich dazu in der Lage ist - nur der Reine kann zu Gott.

Daß in Südamerika die Freikirchen so enorme Erfolge feiern findet hier seine Begründung. Sie haben zum Mittelpunkt das, was Gottes Gegenwart "bewirken" kann, bis sie nicht mehr unterscheiden (können), was reale Gegenwart, und was "verpflichtend (weil moralisch-sittlich konnotiert) gefühlte" Wirkung dieser Gegenwart ist.

Mit dem Abbau der Liturgie in unseren Breitengraden erfolgte dasselbe: die Menschen in den heutigen "Messen" rufen an und in sich hervor, was Liturgie, was reale Präsenz hervorrufen "sollte" bzw. dogmatisch könnte. Aller Zugang bleibt sohin mental, verstandesmäßig, die Glaubenswelt wird zu einem bloßen Vorstellungsbild, mit der unausbleiblichen Tendenz zum Fanatischen.

Während des Berichts wurde in mir die Frage immer drängender, WAS denn Kräutler hier im Urwald vermittle und verbreite. Denn ihm bleibt nur noch seine "Menschlichkeit", die sich als nur zufällig in einer Verbindung zum Katholischen zeigt.

Aus dieser Erfahrung des Fehlens aller Mittel steigt fast zwangsläufig politischer Aktivismus, er wird von wirklicher christlicher Sorge nicht mehr unterscheidbar. Aber das eine kommt aus der Hingabe der Liebe, das andere aus einer subtilen Form egomanischer Selbstreaktion. Ob einer Ordensschwester, die sich so für ein politisches Projekt engagierte, daß sie von mafiösen Gruppierungen im Auftrag ermordert wurde, das Prädikat "Martyrium" gebührt?



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Selbstsein nur als Frau

Es hat etwas sehr Berührendes, und ist exemplarisch genug, um davon zu berichten: Alexandra Meissnitzer, die langjährige und sehr erfolgreiche Schirennläuferin, gab dem Kurier gegenüber ein Interview. Und die Zeitung betitelt es mit einer ihrer Aussagen: "Nun kann ich endlich ich selbst sein."

Alexandra Meissnitzer - leicht wie eine Feder
Was war passiert? Die für den Rennsport hochtrainierte Leistungssportlerin ist eine der Teilnehmerinnen der Fernsehshow "Dancing Stars", wo Prominente ihre Tanzkünste versuchen. Dabei entdeckte sie so sehr ihre weibliche Seite, mutierte von der muskelbepackten Athlethin zur bezaubernden Frau, daß man ihr nicht nur deswegen längst Komplimente macht, ihre Erotik umwerfend findet, sondern auch Chancen einräumt, den Bewerb zu gewinnen. Immerhin befindet er sich in der Endphase, sie hat also bereits den größten Teil des Weges hinter sich.

Sie berichtet, daß sie (mit ihren Kolleginnen) als Rennsportlerinnen stets darunter litten, daß sie lediglich als Athletinnen wahrgenommen wurden, nie aber als Frauen. Auch wenn sie sich abends, nach Rennen, nach dem Training, schminkten und entsprechend adjustierten, so blieb dies unbemerkt. In der Öffentlichkeit tauchten sie nur auf, wenn sie am Podest standen oder ausgepumpt im Zielraum keuchten.
Nun endlich könne sie einfach Frau sein. Es habe eine Zeit gedauert, bis sie gelernt habe, sich im Tanzen wieder ganz diesen Seiten hinzugeben, sich neu zu entdecken. Auch in einer Gefühligkeit, die ihr unbekannt gewesen war. Über keinen ihrer Rennsiege habe sie sich so emotional gefreut, wie über das simple Weiterkommen in den jeweiligen Ausscheidungsrunden beim Tanzwettbewerb.

Sie, die früher körperliche Distanz gewohnt war, ist heute zu sehen, wie sie sich an ihren Tanzpartner lehnt - sie müsse nun nicht mehr alleine sein - und längst seien die vielen Berührungen beim Tanz keine Belastung mehr für sie. Der Rumba in einer der letzten Runden sei ohnehin der Durchbruch eines neuen Selbstgefühls als Frau gewesen, gerade in seiner Erotik, die diesen Tanz ausmache.



*270511*

Donnerstag, 26. Mai 2011

Religionspornographie

Wie wäre es mit den Thesen Ardar von Arginstons:

"Das Internet entspricht in allen Zügen der Schizoidität, wie sie R. D. Laing definiert. Es gibt vor, alles mögliche zu tun, indem es den Verstand fesselt - durch Behauptung. In Wahrheit ist seine Bewegung als Phänomen, also seine wirkliche Wirklichkeit, völlig anders, ja konträr! Unsere Gegenwart, ein Resultat der Heimtücke, hat sich regelrecht darauf spezialisiert, die Dinge nur noch zu behaupten, anstatt sie zu SEIN. Das Internet ist ihr perfektes Instrument. Deshalb ist es lebensgefährlich, seine Wirkmechanismen aufzudecken. 

Das Internet erzeugt die Überhellung des täglichen Bewußtseins, das in seine reine Gedankenlogik geworfen wird, ohne selbst Wirklichkeit mitzuführen. Es erzeugt Weltanschauungspornographie, es reduziert alles, auch Religion, deshalb auf die Ebene von Weltanschauungen, und banalisiert damit alles. Das Internet ist aus seinem Wesen her pornographisch. 

Es täuscht umso mehr, als es vorgibt, es würde über seine Inhalte - moralisch - differenzieren, als würde es eine moralistische Gutheit geben. Dabei ist ja der Moralismus selbst die schizoide Vortäuschung des Guten - Gutheit als möglich, selbst in einer unsittlichen Haltung. Es bindet das Wort, und entzieht es über die Logik der Wahrnehmung. Seine Eloquenz ist also leerer, bösartiger Sophismus, Gewandtheit, nicht aber Logos im eigentlichen Sinn."

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Weil alles zum Tod neigt

Was für eine hervorragende Aussage: Voltaren, weil wir Dinge tun, für die wir nicht gemacht wurden. Es reizt hinzuzufügen: MÜSSEN, und MÜSSEN WOLLEN. So ist das Leben.




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Hören, und doch nicht hören

Im analogen Schallaufnahmeverfahren wird die Tonschwingung der menschlichen Stimme aufgefangen, und auf ein Speichermedium mechanisch so übertragen, daß dieses diese Schwingung beim Abspielen wiederholt. Der Hörer hört also nicht einfach "Musik", sondern ihn erreichen die Schallwellen des Sängers (Instruments/Spielers etc.), sie sind nur durch Raum und Zeit "real" getrennt, und doch verschmilzt die Zeit zu einer.

In der digitalen Aufzeichnung wird ein Schallellen-Insgesamt in elektronische Impulse umgewandelt, die in einem ebenso elektronischen Gerät, über elektrische Ströme, in den Wiedergabeboxen eine Klangwolke hervorrufen, die für den Hörer "so klingen wie" die Musik, die hervorgebracht wurde. Es steht also nicht einfach nur ein Mittlermedium zwischen Hörer und Sänger, sondern eine nicht-musikalische Prozedur, die niemals "Musik" wiedergibt, sondern Geräusch, das wie Musik "klingt."

Der Empfänger letzterer Wiedergabe "hört, wie es sich anhört" - die Musik entsteht nicht mehr in seinem Kopf als Schöpfung, sondern er übernimmt ein Interpretationsbild. Das ist wohl auch das entscheidende Kriterium in der Unterscheidung von "Technik":

Hier eine Technik, die eine physikalische Auswirkung übernimmt, verarbeitet, überträgt, speichert, effizienter macht, rascher oder langsamer, etc. etc. - und letztlich bei dieser Erscheinung "Halt macht", sie als das beläßt, was sie ist. Wie der Tonschall. Die analoge Technik wendet sich also dem Interpreten zu.

Dort eine Technik, die in ihrem Ziel Maß nimmt an vormaligen "technischen" Vorgängen, die zu einer Verarbeitung zu Interpretaten führten,die und diese Interpretation erzeugt. Wir hören dann also nicht mehr die "Stimme", sondern wir hören "wie man eine Stimme hört". So, wie man in der Perspektive "sieht, wie man (ein Ding) sieht." Der digitale Mechanismus wendet sich dem Rezipienten zu.



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Form und Darstellung

Aus dem Skizzenbuch von Van Gogh
"Die Linie ist [die wir oben gesehen haben] ein Ding, welches ebenso einen praktisch-zweckmäßigen Sinn hat wie ein Stuhl, ein Brunnen, ein Messer, ein Buch undsoweiter. Und dieses Ding wird in dem letzten Beispiel als ein reines malerisches Mittel gebraucht ohne die anderen Seiten, die es sonst besitzen kann - also in seinem reinen inneren Klang.

Wenn also im Bild eine Linie von dem Ziel, ein Ding zu bezeichnen, befreit wird und selbst als ein Ding fungiert, wird ihr innerer Klang durch keine Nebenrollen abgeschwächt und sie bekommt ihre volle innere Kraft.

So kommen wir zur Folge, daß die reine Abstraktion sich auch der Dinge bedient, die ihr materielles Dasein führen, gerade so, wie die reine Realistik. Die Größte Verneinung  des Gegenständlichen und ihre größte Behauptung bekommen wider das Zeichen des Gleichnisses. Und dieses Zeichen wird wieder durch das gleiche Ziel in beiden Fällen berechtigt: durch das Verkörpern desselben inneren Klanges."


Wassily Kandinsky, in "Über die Formfrage"

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Alles ist ganz ganz anders - (Revolutionen II)

2. Teil) Revolutionen sind aber vielleicht eine notwendige Kraftabfuhr


Wichtig für Europa, und Österreich, ist es vor allem zu begreifen, daß wir uns nicht NACH einer Revolution befinden, sondern in einander überlappenden Phasen einer immer noch nicht abgeschlossenen Revolution. Ja man muß gerade vor dem Hintergrund der Brinton'schen Analyse der amerikanischen Revolution von 1776 (UND 1865, dem Bürgerkrieg, der eine Revolution war) die Rolle Amerikas in der Welt, und in Europa nach 1945, neu betrachten: als Exporteure (siehe auch Toynbee!) ihrer eigenen Revolution! Und diese Revolution ist wieder eine Nachfolgerevolution der englischen von 1640ff. unter Cromwell, bzw. der protestantischen Revolution!

Denn die Amerikaner glauben wirklich an ihre Form von Demokratie und subjektiver Freiheit, die sie der ganzen Welt überstülpen wollen. Die Pflege der Erinnerung an diese Revolution - sicherstes Zeichen! - macht deutlich, welchen Stellenwert ihre Auffassung von glücklichem Leben und glücklicher Gesellschaft für ihr Handeln hat. Nur: die Vorstellung von ihrer eigenen Revolution - die Gründe sollen hier nicht das Thema sein - sind völlig verdreht, überromantisiert und unwahr bis verklärt. Doch tradiert genau das der Kult, der für postrevolutionäre Gesellschaften so tyisch ist und wachhalten soll, wofür alle sich erhoben. Brinton sah sich deshalb die Aufgabe, diesen Mythos einmal aufzuhellen. Denn auch in Amerika war die Revolution nicht die Erhebung der armen unterdrückten Menschenmassen, nur edle Ziele verfolgten und nichts als ein Stück Brot und Freiheit wollten. Und eine ähnliche Lüge umflort den amerikansichen Bürgerkrieg.

Postrevolutionäre Wertetradierung: die Heroisierung der Erinnung
Aber so sehen die Amerikaner ihre Revolution als Gründungsmythos, und daraus motiviert sehen sie sich eine weltweite Mission. Wenn man die gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorgänge und Bewegungen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, beginnen sich plötzlich sehr viele Dinge zu erhellen, sodaß man sieht, daß vieles völlig falsch eingeschätzt wird. Eine Gesellschaft wie die unsere ist nämlich schon bis in die tiefste Wurzel und offensichtlich ein Gemengelage aus bestimmten prärevolutionären und revolutionären Vorgängen.  

Man könnte es auf einen Punkt bringen indem man formuliert: Eine Gesellschaft tendiert aus ihrer ruhigen, normalen Lebensbewegung heraus immer - nach rechts, dem Bewahrenden, dem Überkommenen,dem Traditionellen. Die Bewegung nach links ist immer revolutionär, und sie ist nie dauerhaft (auch wenn sie lange andauert), sondern verlangt immer den Nachdruck von Gewalt und Kraft. Keine einzige revolutionäre Bewegung der Weltgeschichte hat je einen tragfähigen Gegenentwurf einer gesellschaftlichen Ordnung und Lebenswirklichkeit implementieren, ja auch nur entwerfen können, es blieb bestenfalls bei heißen Gedankenblasen, alles aber scheiterte an der Realität des Lebens der Menschen. Revolutionen, hat es ein englischer Lord einmal formuliert, reißen und brennen die Gesellschaftsgebäude zwar nieder, aber es gelingt ihnen nicht, etwas Neues aufzubauen. Übrig bleiben dann die Menschen, die nackt in den Himmel geschossen wurden. Gesellschaften lassen sich nie als ganzes ändern, denn sie sind ein ungemein komplexes, fein verwobenes Geflecht, wo alles mit allem, direkt oder indirekt, kommuniziert. Wer viele dieser Schaltstellen eliminiert, ändert nicht das System, sondern zerstört es einfach.

Dennoch zieht Crane Brinton eine Art "versönliches Fazit" aus seiner Befassung mit Revolutionen in "The Anatomy of Revolution": bei allen untersuchten Revolutionen war nach Abschluß aller Stadien, als also im großen Ganzen wieder alles war, wie es ehedem gewesen ist, ein deutlicher kultureller, künstlerischer Aufbruch zu bemerken. (Mir fällt da die völlig unterschätzte, großartige Zeit Österreichs in der Zwischenkriegszeit ein - wo sich in diesem kleinen Restland, an das keiner glaubte, weltverändernde Kulturimpulse regelrecht konzentrierten.)

Und wenn man überhaupt alles aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, könnte man für weitere Studien sogar die Arbeitshypothese formulieren, daß Revolutionen keineswegs Anzeichen von Dekadenz und Verfall sind, also nicht in "alten, müden" Gesellschaften stattfinden (das betrifft nur, und zwar eben wirklich nur die alte Führungsschichte), sondern daß sie Zeichen einer jungen, kräftigen Gesellschaft sind.


Nachsatz: Crane Brinton schrieb seine Studie bis ca. 1965. Die kommunistische Revolution in Rußland blieb ihm immer ein wenig ausnahmenhaft, und er konnte manches nicht deuten, ging aber davon aus, daß sie etwas aus der Reihe fiel. Er wußte damals nicht, wie allgemein gültig seine Analysen waren, und wie sehr sie auch auch in diesem Fall zutrafen.

Schluß

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Mittwoch, 25. Mai 2011

Alles ist ganz ganz anders - (Revolutionen I)

1. Teil) All das, was Revolutionen sein sollen, sind sie mit größter Sicherheit NICHT


Immer wieder wird man überrascht, welche schlichte Fakten Crane Brinton in seiner Untersuchung über historsiche Revolutionen ans Tageslicht bringt, wieviele Standardsätze unseres Alltag schlicht und ergreifend nicht stimmen, sondern lediglich aus politischer Nützlichkeit in die Welt gesetzt wurden und tradiert werden.

Dazu gehört die Mär, daß große soziale Gegensätze große soziale Spannungen hervorbrächten. Mitnichten, denn zum Gegenteil: die größten sozialen Spannungen, schreibt Brinton, die größten Haßgefühle, die dann auch zu Revolutionen führten, finden sich nachweislich dort, wo die sozialen Unterschiede gering, die soziale Stellung weitgehend angeglichen und eigentlich allen alles möglich ist.

Der Kaufmann, dessen Tochter auch einen Adeligen heiraten kann, weil es niemanden mehr stört, der entwickelt oft krankhaften Haß auf den Adel, bis er ihn als unter sich stehend ansieht, weil die Einschätzung seiner praktischen Tüchtigkeit im Rahmen eines gegliederten Gesellschaftsganzen zu verfehlten Parametern führte.

Die Ärmsten revoltieren? Nie, so gut wie nie in der Geschichte kam es jemals zu wirklichen Revolten der Ärmsten, mit wenigen Ausnahmen, wie Haiti (wobei das Land selbst ja nie zur Ruhe kam; genau weil ihm eine organische gesellschaftliche Gliederung fehlte, freilich aus problematischen Gründen).

Unterdrückerische Regime, die perfekt organisiert sind, sind Ursache von Revolutionen? Nein, nie. Eine der historisch feststellbaren Vorbedingungen für eine Revolution ist eine inkompetente, ineffiziente, erstarrte Verwaltung, und vor allem: eine Verwaltung, die den Expansions- und Neuerungswünschen der mittelständischen Wirtschaftstreibenden entgegenläuft! In dieselbe Kategorie fällt die falsche Vorstellung, Diktatoren würden gestürzt, weil sie selbstbewußte Tyrannen seien.

Im Gegenteil - Vorboten einer Revolution sind die Selbstzweifel einer ihre eigene Stellung als Elite selbst aufweichenden Führungsschichte, häufig schon in verzweifelter Dekadenz sittlich abgestiegen. Gerade der Verzicht auf die eigene, traditionelle Vorrangstellung, das Heruntersteigen auf das Niveau der "gemeinen Bürger" provoziert einen Aufstand - weil diese vermeintliche "Großmütigkeit" nämlich die gesellschaftliche Organisation auflöst, und umstürzlerische Gedanken weckt. Ja oft sind gerade ihrer Stellung unsichere Eliten maßgeblich Träger und Impulsgeber revolutionärer Umtriebe. Auslöser von Revolutionen sind auffällig oft aber einfach die finanziellen Probleme der Regierungen, die Zerrüttung der Staatsfinanzen. Mit einem Wort: die Selbstschwäche der Führenden.

Der nächste Irrtum betrifft die Menge der Revolutionäre - immer sind es nur kleine Minderheiten, und zwar überwiegend aus den mittleren bis gehobenen Schichten, die eine Revolution beginnen und führen. Die zwar für kurze Fristen auch die Massen bewegen können. Doch ausnahmslos immer verlangt die Masse nach relativ kurzer Zeit wieder ihre Ruhe, und will einfach ihr normales Leben von früher fortsetzen.

Und schließlich ist es frappierend (wenn auch nicht immer sofort) zu sehen, daß ausnahmslos jede Revolution nach Ablauf all ihrer Phasen zwar eine gewisse Durcheinanderwirbelung der Personengruppen brachte, manche Dinge v. a. der Staatsverwaltung auch wirklich nachhaltig geändert sind, aber nach gewissen Jahren sich weitgehend die Stände und Klassen und Institutionen unangetastet dort wiederfinden, wo sie vor Beginn der Revolution waren. NICHTS wurde durch eine Revolution jemals wirklich geändert: es blieben die Pferde, die Ställe, die Wege, nur die Reiter wechselten.



Morgen 2. Teil) Revolutionen sind aber vielleicht eine notwendige Kraftabfuhr


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Ein reines Vergnügen

Eine entzückende Geschichte, großartig inszeniert, überragend gespielt, und hochkarätig besetzt! Man freut sich immer, wenn Werbemachern der Spieltrieb durchging.



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Zugang zur Welt

Die Grundschemata des Weltzugangs prägen sich in der Kindheit. Und vielen fällt es nicht leicht, die Mittel ihrem Lebensalter anzupassen. Das ist dann entweder besonders charmant, oder besonders peinlich.



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Erkenntnisresistenz als Kulturerscheinung

Natürlich sind viele Fragestellungen im Zusammenhang mti dem Internet sehr allgemeiner kultureller Art - man nehme nur das Problem der Verfügbarkeit. Es war die Rede davon, an dieser Stelle, und kurz zusammengefaßt wurde die Ansicht vertreten, daß die Form, in welcher sich "Information", Botschaft anbietet, über seine Rezeption maßgeblich, nicht nebensächlich, mitentscheidet.

Erkenntnis braucht nämlich die Autorität des zu erkennenden Objekts. Andernfalls läßt sich ein fremdes Objekt gar nicht erkennen, wenn ich ihm nicht gehorsam bin, mich ihm (innerlich) nicht füge. Nur so kann ich die entstandene Qualität in mir erfassen, nur so ein Urteil fällen, und nur so auch weiter werden, an Erkenntnis also wachsen, auch, um immer mehr "zu kennen" und mit immer mehr gestalterisch umgehen zu können.

Fällt aber diese Autorität, bleibt das fremde Objekt unerkannt. Wird also Inhalt einfach verfügbar - gleich, ob es sich um tiefe philosophische Gedanken handelt, oder um Reiseangebote eines Internetdienstes - so zeigt er damit "Billigkeit" an: er behauptet, sich nicht über dem Niveau des Erkennenden zu befinden, und damit: unter seinem.

Das finale Urteil lautet dann nicht: ich verstehe das nicht, es übersteigt mich, sondern: es IST unverständlich. Während die unserer Kultur zugrundeliegende Haltung ganz anderer Art war und sein müßte, nämlich: Etwas ist mir unverständlich, also muß ich mich mühen, so zu wachsen, daß ich es verstehen KANN, damit das nun Fremde - das Unverstandene - allmählich zum Vertrauten und mir eigen (mich ihm nachformend also) mache.

Ein schweres gesamtkulturelles Problem also, das über das Internet auf uns zukommt, weil es durchs Internet zur Allgemeinerscheinung wird: es liegt als ein wesentlicher Faktor dem beobachtbaren Umstand zugrunde, die man bereits jetzt als zunehmende "Erkentnnisresistenz" bezeichnen könnte. So umfassend seine Gesamtproblematik auch gesehen werden muß - das Internet ist (als Massenmedium) eine sehr gefährliche Zuspitzung, weil es das Erkenntnisverhalten aller kommenden Generationen prägt.



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Dienstag, 24. Mai 2011

Gestaltete Erinnerung

Man muß die These von Barthes bestreiten, daß eine Photographie dokumentiert, was gewesen ist, eine Rückversicherung in die Wirklichkeit. Die meisten Photos, behaupte ich, werden geschossen, um eine Scheinwirklichkeit zu behaupten, sind also Gestaltung einer Erinnerung zum theatralen Erlebnis, anstatt die nüchterne Erinnerung an Gewesenes. Die technischen Entwicklungen bei Kameras gehen genau dort hin. Es ist ja bemerkenswert, daß man dem Schnappschuß, der mit dem geringsten technischen Aufwand gemachten Photo, am meisten dokumentarischen Wert, am meisten "Echtheit", beimißt. Einer technisch so ausgefeilten Photographie kann man nicht trauen. Meine Mutter bewahrte die alten S/W-Photos in einer Schuhschachtel, und in ihnen begegnete mir jedes mal, wo ich sie hervorholte, eine wirkliche, vergangene Welt, die ich ins Heute wehen spürte.

Was wird man empfinden, wenn man in zwanzig Jahren Festplatten mit Photoshop- und Nikon-Dateien durchstöbert? Die Gefühle, die man hatte, um die Wirklichkeit SO zur Illusion zu gestalten? Denn das Eigentliche - und ich weiß schon: auf diese (an sich schöne) Aussage wollte Nikon hinweisen, man sollte doch vergessen, wie ein Bild entstehe, das sehe man nicht, dank Nikon - zu sehen und aufs Bild zu bannen ist eine Frage der persönlichen Reifung. Es ist nicht technischer Art. Es ist die Fähigkeit, im Speziellen das Bleibende zu sehen.

Nikon - Es bleibt nur das Eigentliche



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Pars pro toto

Das ganze hat sich in Amstetten abgespielt, die NÖN berichtet darüber. Dort hat nun ein Unternehmen, das Gas aus der Verrottung und Kompostierung gewinnen wollte, endgültig den Konkurs angemeldet. Die Gasgewinnung sei technisch nicht ausgereift gewesen, das Unternehmen habe sich nie  gerechnet. Hauptgesellschafter waren im wesentlichen Gemeinden, die Biogasanlage hätte zentral den gesamten Biomüll der Umgebung - rund 7.000 Tonnen im Jahr - verwerten sollen.

Warum ist dieses Beispiel hier angeführt? Weil in den Stellungnahmen dazu allgemein richtige Aussagen auftauchen, die als Menetekel genommen werden sollten - denn die Folgen noch weitergehender, ja totaler Zentralisierung, wie sie gerade die "Ökologieprojekte" (v. a. im Energiesektor) erfordern, werden gravierender sein, als man jetzt zugestehen mag. (Hätte man sich das jemals überlegt, denn das ist ja - wie im gegenständlichen Fall - zu bezweifeln.)

Zum einen: daß auch solche edlen Vorhaben auf für sich gesehen vernünftigen wirtschaftlichen, autarken Füßen stehen müssen. Solche Projekte funktionieren nie, wenn sie mit öffentlichen Geldern spekulieren. Dann fehlt zum einen der existentielle Ernst, zum anderen Kostenwahrheit. Vor allem aber wird (sogar rein technisch) die Gefahr virulent, die darin liegt, zentrale Strukturen aufzubauen, die quasi öffentliche Funktionen übernehmen. Unausweichlich verkommt dadurch die Selbstbewältigungsfähigkeit der Teile. Fällt eine solche Zentrale aber einmal aus, fällt augenblicklich eine ganze Funktion eines gesellschaftlichen Bereichs (oder lokalen Raumes) aus, der sich nicht mehr selbst helfen kann.

Knackpunkt in Amstetten war der politisch motivierte, unnatürlich niedrige Preis, den die Betreiber der Zentralanlage für angelieferten Biomüll verlangten. Man habe damit, so auch der Obmann des Bauernbundes, mit Dumpingpreisen - das wirtschaftliche Desaster war für Leute mit Hausverstand also absehbar - die Landwirte ausgeschaltet, die diese Aufgabe früher erfüllten, und damit funktionierende Strukturen zerstört. Nun entstehen gewaltige Kosten aus ca. 1,7 Millionen Euro Schulden, die direkt wie indirekt die Allgemeinheit zu tragen hat.

Was passiert nun? Die klügeren (und warnenden) Köpfe haben unter der Hand längst vorgedacht, weil alles kommen gesehen, und binnen kürzester Zeit eine vorläufige Ersatzstruktur eingesetzt.

Der Fall ist deshalb so prototypisch. Denn genau das wird auf die europäischen Gesellschaften in hohem Ausmaß zukommen. Die Staaten werden die Aufgaben, die sie sich aus politischen Gründen angemaßt haben, über kurz oder lang nicht mehr erfüllen können. Der Schaden wird immens sein. Und wer wird alles letztlich ausbaden? Die, die sich den Verstand bewahrt haben und immer wußten, daß es so nicht geht. Die, die gegen alle öffentliche Meinung widerständig und ungehorsam waren und es geschafft haben, sich vom Massenwahn fernzuhalten. Die die dem Aberglauben der Gegenwart, die Dinge der Welt seien durch Technik und Automatismen zu ersetzen, weil nämlich als solche durchschaut, nicht auf den Leim gegangen sind.

Jede Maschine (und auch ein erdachter Ablauf ist eine Maschine) ist ein Ding für sich, und verändert die Weltvorgänge. Sie braucht damit aber immer "Energie". Sie ersetzt also niemals, was sie in ihrer Konzentration auf den Effekt  hervorzubringen scheint, sondern sie verlagert. Und weil es ein zusätzliches Ding ist - machen wir es einfach - braucht es auch zusätzliche Energie.

Deshalb wird der Energiebedarf des Ganzen immer weiter steigen und steigen. Und zwar genau deshalb, weil wir immer mehr Einrichtungen schaffen, die die Effizienz steigern sollen. Wir erreichen keine Einsparung, wir erreichen nur eine Veränderung durch weitere Ausfaltung des Lebens. Es wird nur schwer erkennbar sein, weil der Satz "aber es KÖNNTE oder HÄTTE KÖNNEN" einer der meistausgesprochenen der nächsten Jahre werden wird.


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Optimistisch in den Untergang

Bildunterschrift hinzufügen
"Kein Kongress der Vereinigten Staaten, der sich je versammelte, um die Lage der Union zu prüfen, hat je günstigere Verhältnisse gefunden als die, die sich uns gegenwärtig bieten. Im Inland herrscht Ruhe und Zufriedenheit. Wir blicken auf ein Rekordjahr des Wohlstandes zurück.

In den Ländern ringsum herrscht Frieden und uns gegenüber ein Wohlwollen, das aus gegenseitigem Verständnis entstanden ist. Werte Herren, ich wende mich an das ganze Land: wir können die Gegenwart mit Genugtuung betrachten und der Zukunft mit Optimismus entgegensehen."

Wer das gesagt hat? Der amerikanische Präsident Calvin Coolidge in seiner Ansprache zur Jahreswende 1928/29. Man hat ihm das oft vorgeworfen. Dabei aber übersehen, daß Coolidge nichts sagte, schreibt Kurt Richebächer in "Im Teufelskreis der Wirtschaftspolitik", was nicht Ansicht der damals tonangebenden Wirtschaftswissenschafter und -fachleute in den USA, und damit öffentliche Meinung  gewesen ist. "Noch nie", schreibt er weiter, "waren es sogenannte Stimmungen, die ein reales Wirtschaftsgeschehen geschaffen haben. Es waren immer sehr reale Fakten. Aber  es gab oft Stimmungen, die die reale Lage verkennen und ganze Länder ins Unglück rennen ließen."


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Wie es gedacht ist

Gut gemacht, weil es eine Kaskade an Vorgestelltem auslöst, indem es auf das Explizite verzichtet. Und genau dadurch amüsant wird: weil die explizierte Welt im Widerspruch mit der wirklichen Welt steht, und der Zuschauer erkennt es. Selbst.

Das ist auch bei solch einem Blog immer die Gefahr: wo muß die Hand des Lesers losgelassen werden, und wieweit muß man ihn noch führen. Oder soll man ihn überhaupt entlassen? So manche Blogs sind doch oft nur noch Anlaufstellen einer Kette von Selbstbestätigungen einer künstlichen, behaupteten Identität oder manchen gewollten, vermeint gesollten Identitätsmerkmalen, zu denen sich das Netz, so meine immer drängendere Erkenntnis, mehr und mehr ausbaut. Sodaß ich mich zunehmend frage, ob man dem überhaupt entkommen kann - sobald man sich im Netz mit mehr bewegt, als mit "reinen Daten".

So, wie ja das Netz eigentlich gedacht war: So gut das überhaupt geht im Rahmen bewußter Interpretation bereitgestellte Fakten, die der Empfänger zu Daten, zu Information erst formt, um sie seinen eigenen VORHANDENEN Thesen (sonst würde er nicht suchen) zur Verifizierung oder Falsifizierung zu unterlegen.

Ist das nicht genau die Art, wie das Netz - und sei es in sensibelsten Themen! - funktioniert? Lassen wir uns doch nicht von den vorgespiegelten Inhalten (als "Berichte von Inhalten") täuschen! Im Netz "Glauben" oder "Kunst" zu suche ist doch - um ein bekanntes Wort Lükes zu traktieren - als würde man den Fernseher zerlegen, um Thomas Gottschalk zu suchen.



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Montag, 23. Mai 2011

Pure Energie

Zeitungswerbung des Herstellers von Lion-Energy-Drink.



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Warum das Reden um Inflation hinkt

Was in öffentlichen Diskussionen über Währung, Inflation und Geld meist übersehen wird, ja gar nie vorkommt, ist der Umstand, daß zwar in den letzten Jahren und Jahrzehnten der Warenkorb im Preis nur weniger stieg, daß sich aber das Angebot darin verändert, und daß es sich vielfach verschlechtert hat. Warenverschlechterung und Veränderungen im Angebot werden, weil sie meist schwer meßbar sind, so gut wie nie berücksichtigt. Dabei wird übersehen, daß es in den letzten Jahrzehnten, durch die "Produktivitätssteigerungen" in allen Bereichen, zu einer Verengung des Begriffs "Ware" auf immer reduziertere "Funktion" auf Konsumentenseite wie auf Seiten der Erzeuger kam.

Preise sind ja nur die eine Seite der Inflation. Die andere ist: die Ware. Wenn man heute auf der Bank nicht mehr von einem Bankbeamten bedient wird, sondern alles mit Automaten abgewickelt wird, so ist das zumindest eine Veränderung des Angebots, in Wahrheit eine massive Verschlechterung, weil das Leben auf Funktionalität ausgedünnt wurde. Das Übel dabei ist, daß diese Verschlechterung vielfach als Verbesserung argumentiert wird. Aber wenn ich als "Radio" werte, was Samsung in Billigstfertigung  ins Regal stellt, und was Grundig vor fünfzig Jahren mit Röhrentechnik "für die Ewigkeit" baute, vergleiche ich Äpfel mit Birnen. Dasselbe gilt für Brot, das zunehmend mit Chemie versetzt wird, um es "billig" zu halten, während dem früheren vergleichbares Brot zur Delikatesse aufgewertet und massiv teurer wird. Damit müßte untersucht werden, ob nicht vieles, was heute als "Luxusgüter" im normalen Warenkorb gar nicht mehr vorkommt - Maßanzug, wirklich gute Schuhe, etc. - vor fünfzig Jahren alltäglicher Lebensstandard, wir in Wahrheit also eine Senkung unseres Lebensstandards durch stillschweigende "Produktentwertung" (Stichwort: Wegwerfgesellschaft) zu tragen haben.

Der Kult um die "Inflation" ist also vielfach ein reines Scheingefecht! Denn die Waren haben sich sehr verändert. Heute müssen sie in der Bewertung des allgemeinen Lebensstandards meist nur noch so aussehen wie das, was sie einmal waren, sind Platzhalter - aus reinen Geldvergnügungsgründen, übrigens! - für die wirklichen Waren, die von früher, die man sich aber nicht mehr leisten kann. Das übersieht man meist, wenn man von Inflation spricht. Ein "Wohlstand", der sich auf die Menge von Gütern bezieht, über die wir verfügen, könnte eine einzige Illusion sein!


*230511*

Humor, sonst nix

Die Komödie baut auf übersteigerten Realitäten auf, ist ein Spiel absurder Abstraktionen. Köstlich.



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Warum diesen Staat?

Das scheinbare Teilproblem ist das Grundproblem der heutigen Staaten, und es ist fast amüsant, wie sich seit der Aufklärung sämtliche Staatsphilosopien um das ungelöste Problem herumwinden wie grüner Wein: wenn ein Staat eine mehr oder weniger durch Vertrag übereingekommene menschliche Gesellschaft ist, um so der Vernunft zur Herrschaft zu helfen - mit Abschattierungen, Nuancen, wie und was Vernunft denn sei etc. - weil der Staat diese Vernunft garantiere, zu der sich die Menschen ohne ihn nicht bereitfänden, sodaß dies also die Legitimation des Staates ist, so stellt sich die Frage, WAS im vorstaatlichen Zustand die Menschen dazu brachte, sich überhaupt für die Vernunft zu entscheiden, und einen Staat zu vereinbaren. Denn dann scheint es ja auch eine außerstaatliche, nichtkünstliche Ordnung zu geben, auf der Grundlage einer (natürlichen) Vernunft?

Also werden Gründe gesucht, und sie sind - weil das Naturgesetz vermieden werden soll - immer utilitaristischer Art. Locke, zum Beispiel, meint, daß das, was die Menschen dazu bringt, sich zum Staat zusammenzuschließen, wirtschaftliche Interessen sind: die Arbeit, und die durch sie mögliche Eigentumskumulierung. Es gibt also keine naturrechtlichen, aber auch keine bloß positivistischen Gründe, einen Staat zu gründen, sondern: ökonomische.
Der Staat hat nichts zu tun als die wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen und zu verwalten! Mit dem kleinen theoretischen Problem, daß die wesentlichsten Wirtschaftsmittel - Geldschaffung, Warenproduktion - ebenfalls vorstaatliche Einrichtungen sind.

Aber damit hat Locke kein Problem, er sagt, daß es in der Natur des Menschen läge, Eigentum zu schaffen, sich (immer mehr) Wohlstand und Wohlsein zu verschaffen. Das was einen Menschen zum Staatsbürger macht, ist sogar noch enger zu fassen: im Landbesitz. Denn aller Wohlstand geht letztlich von dort aus. Wer Land erwirbt, muß also auf jeden Fall Bürger werden und sich binden.

Der Staat hat die wichtige Aufgabe, Verteilungskonflikte zu vermeiden, und zu lösen, indem er das Verteilbare (durch Landerschließung) und die Annehmlichkeiten seiner Bürger (in Kunst und Wissenschaft) steigert.

Souverän selbst ist also das Volk, in aller historischen Relativität seines Willens (als "volonté générale", als Gemeinwille zur öffentlichen Person abstrahiert), und es setzt die Regenten ein. Diese sind lediglich Beamte des Volkes, das sich seine Gesetze damit selber gibt - Ausdruck höchsten Selbstbesitzes und Freiheit. Wer sich weigert, indem der den Staat - der zum Willensausdruck, dem Genralwillen wird - ablehnt, wird zu dieser Freiheit auch gezwungen. Denn der Staat wird sich sogar zum eigenen Richter: er gibt sich die Gesetze, die er vollzieht, und auf die hin er sich kontrolliert.

Die Strafe, so schreibt Hegel einmal, wird damit sogar zur "Ehrung" des Bestraften: denn er hat sich dafür entschieden, indem er die Tat beging. Die Strafe wird so als sein eigenes Recht enthaltend angesehen.

Aber auch Locke kann das Dilemma nicht lösen: daß der Staat zu seiner Entstehung jene Harmonie und jenen Gemeinsinn voraussetzt, die zu errichten er als seine Legitimation behauptet.

Es bleibt eine  nicht begründbare Vorentscheidung, die man im Grunde aus schlichten praktischen Gründen, Gründen eigener Vorlieben (in Wahrheit: Weltanschauungen, Welthaltungen!), einfach zu treffen hat. Er muß bei der heutigen Ausformung von Staat auf eine metaphysische Begründung verzichten. Der Staat legitimiert sich ausschließlich aus seinem Gemeinwillen, nein: aus seinem Gesamtwillen, wie Rousseau differenziert: jenem Wirkvektor, der entsteht, wenn jeder - Vereinigungen müssen deshalb ausgeschlossen bleiben - wirklich seine Meinung vertritt. Daß dieser Wille geeint bleibt, darauf muß eine Regierung achten. Diese Situation wird gesprengt, wenn jeder Bürger aber nur noch seine Sonderinteressen durchsetzen will. Dann zerreißt das Gemeinsame.

Ein demokratischer Staat muß also jede systemgefährdende Partei verbieten oder gar vernichten. Umgekehrt kann auch eine Minderheit den Gemeinwillen vertreten, gegen die offizielle Regierung. (Als Beispiel: die Exilregierungen im 2 Weltkrieg, in Ländern wie Frankreich, die offizielle Regierungen installiert hatten.) Hier kann nur die Geschichte Recht oder Unrecht sprechen. Geschickte Regierung ahnt, was "an der Zeit" ist. Sie braucht deshalb Menschenkenntnis, und Geschichtskenntnis. Und ... Vertrauen, daß alle sich nach den Prinzipien richten, und das Gemeinsame im Blick haben, keine Eigeninteressen. Denn es gibt sonst keine Basis der Legitimität, als den Staat. Ein solcherart zusammengefaßtes Volks wird also immer und in exponentieller Entwicklung zum Mißtrauen tendieren.

Also auch hier!

Es bleibt Mißtrauen, es bleibt gegenseitiges Belauern, ob jemand den Gemeinwillen doch vergißt, und nur noch seinen Eigenwillen durchsetzen will: Angst und Anspruchskonkurrenz beschreibt es Rousseau, sie sind das, was den Staat gefährdet, der diesen jämmerlichen Zustand regeln soll - denn dem harmonischen Naturzustand des Menschen ist er sonst nicht nötig. Er ist also ein Notlösung, die den Egoismus der Menschen halbwegs erträglich halten soll.

Der Grund, der unseren Staat rechtfertigt, ergibt sich erst durch das, was sich aus ihm durch unser faktisches Leben ergibt, wo die Regierenden versuchen, aus den realen Bedingungen das Vernünftigste herauszuholen und den Staat zu steuern. Wohin? Fragen Sie etwas Leichteres.


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 "Verteilung von Gewichten"





aus: Wassily Kandinsky, "Essays über Kunst und Künstler"

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Sonntag, 22. Mai 2011

Nicht gemacht, sondern machend

Leider wurde vielleicht die Liturgie – auch unter uns Hirten und Experten – als ein Objekt gesehen, das es zu reformieren gilt, und nicht als ein Subjekt, das fähig ist, das christliche Leben zu erneuern, da es ein sehr enges und organisches Band zwischen der Erneuerung der Liturgie und der Erneuerung des ganzen Lebens der Kirche gibt: Die Kirche schöpft aus der Liturgie die Kraft zum Leben.“

Die Liturgie sei der Höhepunkt, zu dem das Handeln der Kirche hinstrebe, gleichzeitig aber auch die Quelle, aus der ihre Tugend hervorgehe. Sie sei die große Erzieherin zum Primat des Glaubens und der Gnade.


Papst Benedikt XVI. beim Empfang der Teilnehmer einer Tagung zum 50-jährigen Bestehen des von Papst Johannes XXIII. gegründeten Päpstlichen Liturgischen Institutes Sant‘ Anselmo in Rom

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Grundlagen der Gegenwart

In Hobbes' "Leviathan" (1651) findet sich eine ausgezeichnete Zusammenfassung dessen, was Aufklärung überhaupt ist. Und von da her läßt sich unsere Zeit als Ausläufer dieser Aufklärung hervorragend begreifen: unsere Anschauungen sind noch dieselben.

Ausgehend von der Descartes'schen Selbstdefinition dessen, was ein Mensch denn sei, finden sich die Grundlagen dieser Selbstdefinition (im Denken) direkt auf das bezogen, was Wissen - und Wissenschaft als ihr Generator - ausmacht, was gewußt wird. Besitzt der Mensch ausreichend Wissen, ist er in der Lage, sein Leben völlig individuell zu entwerfen, und zum Glück (das zur rationalen, utilitaristischen "Zufriedeheit" wird) zu führen.

Damit fällt die Funktion des Staates in seiner ethischen Dimension weg: er wird zu einer Hilfskonstruktion, wird überhaupt zu einer Maschine (dem Leviathan) selbst, der möglichst gut funktionieren, das Zusammenleben der Menschen (in obiger Zielsetzung) regeln soll, aber ansonsten keinen Sinn und keinen Wert hat.

Wertgebende Instanzen wie Kirche oder Religion überhaupt sind nur solange toleriert, als das Wissen derjenigen noch nicht ausreicht, diese irrationalen Hilfskonstrukte über Bord zu werfen. Solange gibt es auch noch Moral, sie wird dem aufgeklärten Menschen aber bedeutungslos - er hat ja eine Ethik.

Freilich, die Wissenschaft selbst sagt auch dem Einzelnen dann, was er ist, und sie sagt ihm auch, was seine Interessen sein sollen. Der Staat macht sich dieses Wissen zu eigen, und nimmt sich auch das Recht, danach zu handeln: Was wir wirklich wissen und was wir sind müssen wir uns also von der Wissenschaft sagen lassen. Wir werden es dann wissen, wenn Mathematik und Naturwissenschaft weit genug ist. Weil nunmehr Religion und Überzeugungen kein Objekt einer objektiven Wissenschaft sind, sind sie für einen Staat irrelevant, ja Unruhestifter: Überzeugungen, Wahrheit darf keine Rolle für die Macht spielen. Oberstes Prinzip ist das des "Friedens", endgültige und allgemeine Wahrheiten gibt es ohnehin nicht. Entscheidend ist der Wille zum Zusammenlebensd, das ist die wirkliche Maxime des Staates. "Auctoritas, non veritas, fecit legem!" - Autorität, nicht die Wahrheit, schaffen das Gesetz. Der Staat ist die Antithese zur menschlichen Natur. Öffentliche Gewalt kann nicht auf Ethik gestützt werden, weil Ethik auf subjektiven Überzeugungen ruht, und damit als Meinung irrelevant ist.

"Aufklärung" bedeutet zuerst einmal Aufklärung über uns selbst, durch eine nicht von uns selbst, sondern von einer kollektiven Denkbemühung der gesamten Menschheit  getragenen Durchdringung der Gesetze der Natur.

Weil der Mensch ein Wesen ist, das nach immer mehr strebt, nie zufriedenzustellen ist, das Gute also dynamischer Natur ist, hat der Staat seine Legitimation genau daraus, und hat diese Egoismen zu ordnen, den Einzelnen nur vor dem Schlechten des anderen zu schützen. Wer in den Gesellschaftsvertrag einsteigt, verzichtet auf alle Rechte und verpflichtet sich zum Gehorsam dem Leviathan gegenüber. Der Staat hat also die absolute Macht. Denn in der Natur herrscht nur das blanke Recht des Stärkeren: "Homo homini lupus" - Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Mensch ist von Natur aus asozial, ein Wolf, er wird erst durch den Vertrag zum Menschen, den die Menschen schließen, im Namen der Vernunft, um zusammenleben zu können. Das zeigt sich, sobald der Staat zusammenbricht: wo alle aufeinander losgehen.

Moral ist nun aber Angelegenheit des Privatlebens. Die Ethik des Staates ist nämlich die des absoluten Exaktheitsanspruches durch Wissenschaft. Der Staat muß deshalb das Wissen der Bürger kontrollieren, um einen Bürgerkrieg durch "Gewissensdifferenzen" zu vermeiden, und er muß jede Gewaltanwendung der Bürger untereinander strikt überwachen. Jede Berufung aber auf die Natur des Menschen als Korrektiv dem Staat gegenüber muß unterbunden werden. Es gibt keine Instanz mehr über dem Staat, aber auch keine über dem Recht. Solange der Staat seine Bürger (voreinander) zu schützen vermag.

Klingt das nicht sehr aktuell? Auch Hobbes kann ja nicht begründen, warum um alles in der Welt sich Menschen zu einem Staat zusammenschließen sollten - wenn doch ihr Naturzustand, wo einer des anderen Wolf ist, ihnen diesen Impuls schwerlich geben könnte.


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