Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 31. Mai 2011

Diese Biester

Crane Brinton erzählt eine Anekdote aus der Zeit der russischen Revolution: Der Anarchist Alexander Berkman, unter dem Zaren zum Tode verurteilt und deshalb ins Exil geflohen, kehrte in der Zeit der Verstaatlichung allen Besitzes unter Lenin (1922) begeistert nach Rußland zurück, um der edlen Idee endgültig zum Sieg zu verhelfen. Er landete per Schiff in Leningrad (St. Petersburg), wurde dort von einem Sekretär von Lenin empfangen, und reiste mit diesem per Eisenbahn durchs Land, wo alles nun allen gehörte. In Moskau angekommen, wollte er in die Straßenbahn - die damals noch von Pferden gezogen wurde - umsteigen. Aber zu seiner Überraschung verlangte der Kondukteur Fahrgeld. Berkman traute seinen Ohren nicht. Er wandte sich empört an seinen russischen Begleiter, was denn das solle! Ob er Mann nicht wisse, daß jeder Bürger das Recht habe, ...

Moskau 1920 - Puschkinplatz
Der zuckte mit den Achseln: die Straßenbahn sei privat geblieben, er müsse wohl oder übel zahlen.

Berkman war konsterniert. Aber warum?! Noch dazu ein so wichtiger Betrieb, der die Güterverteilung in der Hauptstadt sicherstelle (die Straßenbahn hatte damals auch Güterwaggons; Anm.)?

Der Sekretär kaufte die Tickets, setze sich zu ihm, und raunte: "Wissen Sie, wenn die Menschen von uns nichts zu essen bekommen, dann kommen sie trotzdem irgendwie durch, das haben wir gesehen. Aber wenn man die Pferde nicht füttert, dann krepieren diese Biester! Also konnten wir sie nicht verstaatlichen. Naja, was soll ich sagen ... wir brauchen die Straßenbahn!"

Deshalb, so Brinton, sollte man gut überlegen, wenn man eine Revolution plant, ob man zu den Menschen gehört, oder zu den Pferden. Wenn man genauso verrückt ist - oder so empfindlich - wie Pferde, sollte man es eher lassen. Nur Menschen können auch ohne Nahrung überleben.

***