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Mittwoch, 18. Mai 2011

Bildwirklichkeit


Mit der Zentralperspektive, mit dem Naturalismus Giottos, wechselte nicht einfach ein technischer Malstil, sondern in diesem zeigt sich ein dramatischer Paradigmenwechsel in der Kunst: es geht im wahrsten Sinne darum, WAS dargestellt wird, wie die Welt überhaupt ist.

Seit der Renaissance hat sich die Kunst also gravierend geändert: sie ist zum Subjektivismus mutiert, und das Bild zeigt nicht mehr die Dinge, sondern sie versucht sie als Schein darzustellen: wie sie uns erscheinen. Vorher war (deshalb: die Unwichtigkeit des Namens; deshalb die Ununterscheidbarkeit von Kunst und Handwerk!) das Gemalte, in Stein Gehauene, objektiv festlegbar und festgelegt: im Allgemeinen Urteil, was das zu schaffende Ding sei war jedermanns Urteil gefragt: als Abbild, in dem die Wirklichkeit des Dings objektiv durchscheint.

Plötzlich aber zählt der Eindruck, das Bild vom Abbild. Damit wird das Ding an sich, das Abbild, verstellt. Plötzlich beginnt der Schatten (Zeichen fehlenden oder abgeschwächten Seins!) eine Rolle zu spielen, plötzlich findet sich auf der Leinwand – auch das Ausdruck dieses Wechsels vom Sein zum Schein: plötzlich der flatterhafte, leichte Untergrund – nicht mehr das Ding an sich, sondern die Erinnerung an dieses Ding. Als Vorwegnahme subjektiver Rezeption beim Betrachter!

Der Weg zur Photographie, und noch weiter, bis zur Internet-Gesellschaft, ist damit vorgezeichnet. Plötzlich lösen sich die Werke in die Technik hinein auf, die ethisch neutralisiert wird, zur reinen Anwendung wird. Für Da Vinci ist es gleichgültig, ob er eine Kriegsmaschine entwirft, oder einen Flugapparat, oder ein Bild. Übrigens: er lehnt sogar die Freskentechnik ab, sein „Schein“ (Perspektive!) braucht das Experiment der Anpassung an die Wirkung!

Darstellungsobjekt wird plötzlich die faktische Welt, in allem Gemengelage aus Sein und Schein. Das Ding an sich aber, das Bild, wird Schein, wird Gesagtes, statt Geschaffenes. Die Unterscheidung zur Ostkirche, die in der griechischen Tradition verbleibt, liegt im Mut – im Hochmut? – das Abstrakte, das einer konkreten Figur zugrundeliegt, so exakt auszudeuten, daß im Konkreten das Abstrakte, das Allgemeine liegt. Die Ostkirche stellt das Allgemeine an sich dar, aus dem sich das Konkrete hervortreibt. Dieser Weg schützt das Objekt der Darstellung vor Profanierung! Während es in der westlichen Kunst dieser Profanierung – als Sprache des „kleinen Mannes“ - fast gnadenlos ausgesetzt wird.


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