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Freitag, 13. Mai 2011

Kunst ist verdichteter Traum

Der Künstler irrt sich, schreibt Pawel Florenskij in "Die Ikonostase", wenn er glaubt, daß er alle Bilder geben muß, die in ihm entstehen. Die Menschheit braucht aber nicht seine Bilder, die in der Mischzone entstehen, wenn er von dieser Welt in die höhere aufsteigt, ehe sie ins Geheimnis verdampfen. Die Menschheit braucht die Bilder, die entstehen, wenn er von dort zurückkehrt, und die Bilder der Welt in ihrer Daseinsart als Symbol mit den Inhalten des Höheren füllt, von dem seine Lungen noch erfüllt sind. "Wir brauchen seine Morgenträume, die Träume vor dem Aufwachen bzw. im Aufwachen!" Die Träume aus der Mischzone unmittelbar nach dem Einschlafen - als Übertritt in die geistige Welt - sind unbrauchbar, bestenfalls Material, weil Psyologismus, so stark und raffiniert sie auch wirken.

In seinem Werk sind dieselben Gegenstände, die im Tagbewußtsein auftreten, aber sie sind Telos, Ziel eines höheren Sinns, sie sind reiner Sinn geworden, weil von der anderen Seite her betrachtet, dem Reich der Idee: einem anderen Bewußtseinszustand als dem Wachbewußtsein. Jeder Traum ist teleologisch, geht also vom Ziel aus, auf das er zugeht. Er geht aber, am Morgen, von den Bildern aus zurück in der Zeit, in der Kunst zum verdichteten Traum.

Deshalb liegt die wesentliche Frage der Darstellung in der Richtung, in die der Künstler geht, an seiner "Seelentechnik", weil am Zeitpunkt, von welchem aus er kündet: berichtet er vom ABSTIEG, also vom Traum am Beginn, wo er sich von dieser Welt zu trennen beginnt, ist sein Bild NATURALISMUS. Berichtet er vom AUFSTIEG, umweht von der kühlen Luft der reinen Idee, ist sein Bild SYMBOLISTISCH, in umgekehrter Weise (nicht posthoc gedeutet) gefüllt mit Sinn: sein Bild wird ein Bild höherer Wirklichkeit.

Wie auch immer, steht das Bild aber an der Grenze dieser Welt, sowohl verbindend, wie trennend. Das Kunstwerk bzw. die Welt der Kunst wird zur Ikonostase.

Die Frage für den Künstler ist, ob er beim Hinabsteigen in die reine Welt gereinigt (=gestorben) genug ist, sich von dieser Welt wirklich zu befreien! Oder ob er - das häufigste Problem - in Leidenschaft und Hochmut die Bilder die er mitnimmt beim Auftauchen im Grunde noch dabei hat. Leidenschaft, schreibt Florenskij, ist Abwesenheit objektiven Seins in der Seele. Aber es ist zuwenig, sie in "Askese" besiegen zu wollen. Die Askese hat unweigerlich auch die Zufriedenheit im Gefolge, sie schließt in sich ab. 

Zwar verliert die Seele beim Abstieg alle Bilder, aber weil sie in sich haftet. In diese Leere strömen augenblicks, zumal bei Aufstieg, Bilder nach - aber es sind Masken der Realität. Die Bilder die so geschaffen werden sind konstruiert, nicht geschaffen. Denn die Seele ist nicht rein genug hinabgestiegen, sie hat sich nicht beschenken lassen von der Idee selbst - denn sie kann sich diese andere Welt nicht "holen", diese muß als Gnade kommen.

Das entspricht übrigens dem Gleichnis von der gekehrten Stube, in die neue, und noch mehr, Dämonen zurückkehren. Denn die seelischen Kräfte suchen "ihresgleichen", suchen Entsprechungen, auch in den Bildern. Es gibt also die Vision aus Mangel, und es gibt die aus Fülle.

Der Besuch des reinen Geistes selbst (Gott) kommt in ein Bewußtsein, das seine Reinheit nicht glaubt, nur seine Bedürftigkeit kennt. Er kommt unverhofft, er kommt geheimnisvoll. Und inspiriert zur "Vision", aus der heraus bzw. in die hinein die von dieser Ideenkraft gesättigte Seele wieder ans Tageslicht steigt, wo sich Himmelskraft und Erdenbild im aufdämmernden Tagesbewußtsein zur Konkretion eines Symbols verschmilzt. Das Werk wird also nicht Maske, sondern Antlitz!

Und Antlitz bedeutet im Griechischen - Idee. Das Werk wird zum Strahl vom Qell aller Bilder.

(Während die Maske, die Larve, sich nur für ein Gesicht, ein Antlitz ausgibt, innen aber leer ist. Sie zeigt also etwas, das nicht da ist, sie betrügt deshalb. Das Böse ist hohl, galt immer als unrein, leer, ohne Rückgrat, ohne Substantialität. Es möge der geneigte Leser die Gedanken zum Bandscheibenvorfall usw. usf. selbst fortsetzen.)

Das Sichtbare, das Gesicht, das seinen Sinn aus dem "für mich" bezieht (außerhalb hat es keinen), vermittelt also zwischen der Seele des Betrachters - der in seinem Maß erkennt, was er sinnlich übernimmt - und der Idee.


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