"Experimente der Hirnforschung auf der Suche nach Gott sind ungefähr so 
sinnvoll wie das Zerlegen eines Fernsehgerätes auf der Suche nach Ulrich
 Wickert. Die mentalen Erlebnisse sind nicht ohne die neuronalen 
Ereignisse zu haben, aber sie sind mit ihnen ganz offenbar nicht 
identisch."
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| Ulrich Lüke | 
"Wie Goethes Faust ausschließlich aus der wiederholten Verwendung der 26 
Buchstaben unseres Alphabets besteht, besteht das Hirngeschehen aus den 
elektrochemisch präzise beschreibbaren neuronalen Vorgängen. Nur indem ich immer wieder 26 Buchstaben identifiziere, habe ich noch nichts vom Inhalt des Faust verstanden." 
"Wasserdampf, also H2O, ist von Außen betrachtet eine Wolke und von Innen
 betrachtet Nebel. Der Versuch, ein umfassendes Verständnis  von diesem 
Phänomen zu gewinnen, sollte nicht vorschnell eine Perspektive 
wegerklären (zum Beispiel die manchmal ungeliebte mentale), um die 
eigene (zum Beispiel die neuronale) als einzig zutreffende präsentieren 
zu können. Wir brauchen den Mut zu einem Multiperspektivismus."
Aber wenn die Todesnähe-Erlebnisse auch nichts Sicheres über das 
Jenseits sagen können, so sagen sie doch etwas über das Sterben und 
vermitteln eine Ahnung von dem, das uns allen bevorsteht. Wenn die 
reanimierten Herz- oder Hirntoten mir sagen können, es sei eine 
"himmlische" Erfahrung gewesen, die sie da gemacht hätten, kann das 
vielleicht meine animalische Angst davor, dass Sterben auf jeden Fall 
ein Horrortrip und der größte anzunehmende Unfall sei, relativieren.
derStandard.at: Modelle von Himmel und Hölle stehen 
Gläubigen unterschiedlicher Religionen als Verheißung oder 
Schreckensvision zur Verfügung. Warum brauchen wir Menschen solche 
Projektionsflächen? Können wir uns nicht einfach vom Tag unseres in die 
Welt-Kommens unserer Endlichkeit bewusst sein, ein verantwortungsvolles 
Leben führen und am Ende ohne Verheißungen auf ein Jenseits loslassen?
Lüke: Schon mit dem Stichwort "verantwortungsvolles 
Leben" schleusen Sie das Trojanische Pferd der Transzendenz in die Stadt
 ausschließlicher Immanenz, die sich so verzweifelt um eine rein 
innerweltliche Selbstabschließung bemüht. Vor wem sollte ich mein ganzes
 Leben vom ersten bis zum letzten Tag verantworten? Woher kommt mein 
Verantwortlichkeitsgefühl? Wem schulde ich eine letztliche Antwort? 
Gerade das klare Bewusstsein von meiner eigenen Endlichkeit und 
Begrenztheit nötigt mir wie im Rückstoß je neu den Gedanken einer 
Unbegrenztheit und Unendlichkeit auf. Es ist höchst merkwürdig, dass wir
 die von uns zum Beispiel in der Wissenschaft permanent versuchte und 
realisierte Entgrenzung unserer Begrenztheit, die permanente 
Verunendlichung des Endlichen nicht als Indiz für die Unendlichkeit und 
Unbegrenztheit sehen, sondern als Täuschung und Trugbild denunzieren. Ohne die Idee von Unendlichkeit, nur eingekeilt von der für absolut 
erklärten Endlichkeit, werden wir uns selbst und diese ganze 
Weltgeschichte nicht verstehen können. 
Der Theologe, Philosoph und Biologe Prof. Ulrich Lüke in einem Interview im Standard 
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