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Sonntag, 22. Mai 2011

Grundlagen der Gegenwart

In Hobbes' "Leviathan" (1651) findet sich eine ausgezeichnete Zusammenfassung dessen, was Aufklärung überhaupt ist. Und von da her läßt sich unsere Zeit als Ausläufer dieser Aufklärung hervorragend begreifen: unsere Anschauungen sind noch dieselben.

Ausgehend von der Descartes'schen Selbstdefinition dessen, was ein Mensch denn sei, finden sich die Grundlagen dieser Selbstdefinition (im Denken) direkt auf das bezogen, was Wissen - und Wissenschaft als ihr Generator - ausmacht, was gewußt wird. Besitzt der Mensch ausreichend Wissen, ist er in der Lage, sein Leben völlig individuell zu entwerfen, und zum Glück (das zur rationalen, utilitaristischen "Zufriedeheit" wird) zu führen.

Damit fällt die Funktion des Staates in seiner ethischen Dimension weg: er wird zu einer Hilfskonstruktion, wird überhaupt zu einer Maschine (dem Leviathan) selbst, der möglichst gut funktionieren, das Zusammenleben der Menschen (in obiger Zielsetzung) regeln soll, aber ansonsten keinen Sinn und keinen Wert hat.

Wertgebende Instanzen wie Kirche oder Religion überhaupt sind nur solange toleriert, als das Wissen derjenigen noch nicht ausreicht, diese irrationalen Hilfskonstrukte über Bord zu werfen. Solange gibt es auch noch Moral, sie wird dem aufgeklärten Menschen aber bedeutungslos - er hat ja eine Ethik.

Freilich, die Wissenschaft selbst sagt auch dem Einzelnen dann, was er ist, und sie sagt ihm auch, was seine Interessen sein sollen. Der Staat macht sich dieses Wissen zu eigen, und nimmt sich auch das Recht, danach zu handeln: Was wir wirklich wissen und was wir sind müssen wir uns also von der Wissenschaft sagen lassen. Wir werden es dann wissen, wenn Mathematik und Naturwissenschaft weit genug ist. Weil nunmehr Religion und Überzeugungen kein Objekt einer objektiven Wissenschaft sind, sind sie für einen Staat irrelevant, ja Unruhestifter: Überzeugungen, Wahrheit darf keine Rolle für die Macht spielen. Oberstes Prinzip ist das des "Friedens", endgültige und allgemeine Wahrheiten gibt es ohnehin nicht. Entscheidend ist der Wille zum Zusammenlebensd, das ist die wirkliche Maxime des Staates. "Auctoritas, non veritas, fecit legem!" - Autorität, nicht die Wahrheit, schaffen das Gesetz. Der Staat ist die Antithese zur menschlichen Natur. Öffentliche Gewalt kann nicht auf Ethik gestützt werden, weil Ethik auf subjektiven Überzeugungen ruht, und damit als Meinung irrelevant ist.

"Aufklärung" bedeutet zuerst einmal Aufklärung über uns selbst, durch eine nicht von uns selbst, sondern von einer kollektiven Denkbemühung der gesamten Menschheit  getragenen Durchdringung der Gesetze der Natur.

Weil der Mensch ein Wesen ist, das nach immer mehr strebt, nie zufriedenzustellen ist, das Gute also dynamischer Natur ist, hat der Staat seine Legitimation genau daraus, und hat diese Egoismen zu ordnen, den Einzelnen nur vor dem Schlechten des anderen zu schützen. Wer in den Gesellschaftsvertrag einsteigt, verzichtet auf alle Rechte und verpflichtet sich zum Gehorsam dem Leviathan gegenüber. Der Staat hat also die absolute Macht. Denn in der Natur herrscht nur das blanke Recht des Stärkeren: "Homo homini lupus" - Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Mensch ist von Natur aus asozial, ein Wolf, er wird erst durch den Vertrag zum Menschen, den die Menschen schließen, im Namen der Vernunft, um zusammenleben zu können. Das zeigt sich, sobald der Staat zusammenbricht: wo alle aufeinander losgehen.

Moral ist nun aber Angelegenheit des Privatlebens. Die Ethik des Staates ist nämlich die des absoluten Exaktheitsanspruches durch Wissenschaft. Der Staat muß deshalb das Wissen der Bürger kontrollieren, um einen Bürgerkrieg durch "Gewissensdifferenzen" zu vermeiden, und er muß jede Gewaltanwendung der Bürger untereinander strikt überwachen. Jede Berufung aber auf die Natur des Menschen als Korrektiv dem Staat gegenüber muß unterbunden werden. Es gibt keine Instanz mehr über dem Staat, aber auch keine über dem Recht. Solange der Staat seine Bürger (voreinander) zu schützen vermag.

Klingt das nicht sehr aktuell? Auch Hobbes kann ja nicht begründen, warum um alles in der Welt sich Menschen zu einem Staat zusammenschließen sollten - wenn doch ihr Naturzustand, wo einer des anderen Wolf ist, ihnen diesen Impuls schwerlich geben könnte.


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