In der ersten Phase einer Revolution geht es darum, das bestehende System zu kippen. In der zweiten kommen die maßvollen Idealisten zum Zug, die konsequent den eigentlichen Revolutionsidealen zum Durchbruch verhelfen wollen, dabei sich's aber mit allen verscherzen. Den Konservativen, weil sie das Alte konsequent ausschalten und mit Umsicht von der Macht entfernen, den Heißspornen in der eigenen Partei, den Revolutionären, denen alles zu langsam geht, die jede Mäßigung mehr und mehr zum Verrat an der Idee abstempeln.
Und sie scheinen recht zu bekommen - die Konservativen sammeln sich, und es beginnen gewaltvolle Auseinandersetzungen. Denen die Gemäßigten aber zu wenig energisch begegnen. Mit linken Ideen läßt sich kein Heer organisieren. Dazu braucht es "reaktionärere" Mechanismen. Deren sich die radikalen Elemente der Revolution bestens bedienen können. Und sie putschen auch, reißen angesichts der Bedrohung die Macht an sich, getragen vom Feuer der Notlage. Alles wird nun dem bloßen Überleben untergeordnet.
Einmal aber in diese Randlage alles Existierenden gebracht, wird alles über Bord geworfen, wo noch gesunder Menschenverstand, ausgewogenes Urteil zur Anwendung kam, ja: mäßiger Sinn wird zur Bedrohung. Die Diskurse verlagern sich gleichzeitig von öffentlichen Foren in die Intimität der Gerichtssäle. Die Revolutionswächter sind am Zug.
Die aber unweigerlich in Splittergruppen zerfallen, ja die Parteiung der Splittergruppen und Sonderlinge sind. Diese werden nun nach und nach ausgeschaltet, parteiinterne Machtkämpfe, auch brutalster Art, kennzeichnen die Szenerie. Ein Regime des Terrors wird nach und nach installiert.
Ihnen allen hilft eine sonderbare, aber erklärbare Erscheinung, die Revolutionen in dieser dritten Phase kennzeichnen. Denn die Bevölkerung wird revolutionsmüde, und die Gemäßigten verlieren das Feuer, ständig an der Front zu stehen. Die großen Revolutionen betrachtet, sind Revolutionen ohnehin nur eine Angelegenheit einer Minderheit. Wieweit diese aber als "Essenz" der Volksmasse betrachtet werden kann - darüber geht der Streit. Denn diese Minderheit betrachtet sich immer als Elite, als Haupt des Volkes, das es zu führen habe.
Man überläßt ihnen das Feld - das ist die Logik, das ist aber eigentlich auch die Schwäche jeder Revolution. Sind in der zweiten Phase die Philosophen am Ruder, kommen nun die "philosophischen Mörder" nach oben, wie Crane Brinton in seiner Studie über Revolutionen sie nennt. Je länger die eigentliche Revolution zurückliegt, desto abstrakter werden nun auch die Theorien. Teilerfolge zählen nicht mehr, alles spitzt sich nur noch aufs Ganze zu.
Gleichzeitig konzentriert sich die Macht mehr und mehr in Händen einiger, bis ein einziger Führer überbleibt. Und weil der nicht alles alleine machen kann, die Kontrolle aber gewahrt bleiben muß, werden in allen unteren Ebenen Kommitees eingerichtet - für das Volk also beginnt die Herrschaft der Kommitees. Und mit ihnen endgültig eine ineffiziente Verwaltung, und der Terror des Alltags. Alles, was bislang noch funktionierte, wird nun nach und nach ineffizient, träge, vielfach einfach absurd. Den Revolutionären - noch dazu legitimiert als Teil der allgemeinen (ersten) Revolution - steht nun endgültig das Volk gegenüber, das mit allen Mitteln zum "Besseren" geführt und erzogen werden soll.
Ermöglicht durch das "Verdunsten" jeden politischen Interesses aus der Bevölkerung. Noch nie, schreibt Trotzky, ist eine Revolution durch eine Masse bewerkstelligt worden, es ist immer eine oft verschwindende Minderheit, die ihre extreme Motivation sogar gerade aus diesem Minderheitendasein bezieht. Auch alle Theoretiker, alle wirklich philosophischen Köpfe, die zu Anfang oft noch in einer Revolution mitwirken, aber im Grunde zu den Gemäßigten, den Pragmatikern zählen, die Realitäten zur Kenntnis nehmen, verabschieden sich zunehmend aus der Politik, oft genug müssen sie froh sein, überhaupt zu überleben, wenn die dritte Phase eines Umsturzes, die Phase des Terrors, eintritt, wo endgültig mit den früheren Machthabern aufgeräumt wird, wo keine Sünde "gegen" das Überleben der Revolutionsidee mehr verziehen wird.
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