Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 30. Juni 2010

Hoffnungslos (1)

Das einzige, das den Menschen ein Anliegen ist, ist, wie sie den Status quo - auch mit Mitteln der Massendemokratur - verlängern können, und Verantwortungslosigkeit, die nie ausstirbt, stärkt die Illusion, daß es so weiterginge, wenn nur ...

Dasitzen, und das Glück von anderen erwarten. Diese Tugend war eben die erschütternde Lehre der letzten Jahrzehnte.

Sie nämlich hat uns dorthin gebracht, wo wir heute sind. Doch weiterhin hindert politisches Kalkül die Menschen, wenigstens daraus zu lernen. Auf die Frage, was zu tun sei, um die Krise zu bewältigen, heißt es also stereotyp: Nehmt es von den Reichen! Wir (!) sind ja reich, es ist nur falsch verteilt!

Ach so?



*300610*

Wo eins fürs andere steht

Es sind schöne, poetische Allegorien, die Schopenhauer zur Illustration von deren Wesen anführt.

  • Ein Jüngling, der sich, als einziger Sproß einer alten und hoch aufragenden Familie, dazu entschließt, keusch zu leben - und dessen Vater auf dem Grabstein ein Bildnis anbringen läßt, wo eine Schere die Krone eines Baumes abschneidet.

  • Ein Grabstein, auf dem eine ausgelöschte Kerze zu sehen ist, mit dem Spruch darunter:

Wann's aus ist wird es offenbar
ob's Talglicht, oder Wachslicht war.


*300610*

Ästhetik der Architektur

Die einzige wirkliche ästhetische Möglichkeit der Architektur liegt, meint Schopenhauer, in einer Darstellung der Idee des Materials - der Schwere, der Starrheit. Und diese sind nur darstellbar durch eine "Darstellen ihrer Idee - Schwere, Starre ... - in der Zeit", also durch ein Verzögern ihres allerersten Bestrebens.

Die Idee der Architektur sind also die Grundkräfte der Natur. An sich würde nämlich ein Gebäude dazu tendieren, ein Klumpen oder Würfel Material zu sein.

Das Gewölbe aber, das sich trägt, ehe es sich auf schmale Säulen abgeleitet stützt ... der Balken, der zu schweben scheint ... Jedes Teil sollte so eingefügt sein, daß es wegzunehmen den Einsturz des Ganzen nach sich zöge. Diese Eingefügtheit - als tragend, als erklärend, als Übersicht verschaffend ... - macht die Harmonie eines Gebäudeganzen aus, das sich als Gesetzmäßigkeit offenbart. Wenngleich letzteres von nachrangigem Werte ist - auch Ruinen werden noch als schön empfunden ...

Darüber hinaus bleibt dem Gebäude nur noch Zweckhaftes, und insofern Zeitgebundenes. In dieser Erfüllung von Zwecken also liegt seine Aufgabe.

Schopenhauer geht deshalb so weit, als er wirkliche Architektur nur mit schweren Materialien - Stein - möglich sieht. Ein Gebäude als Balsaholz würde als Trug empfunden, ja er bezweifelt, ob es überhaupt schöne Architektur aus Holz geben könne: die Kenntnis des Baustoffs ist für den ästhetischen Genuß eines Bauwerkes wesentlich, weil sie sich in die Vorstellung des Gebäudes einmischt.



*300610*

Ein Fürst der Schule

Der seinerzeit berühmte Schulleiter der Goldberger Schule, der aus Troitschendorf bei Görlitz, dem Grenzgebiet zwischen Schlesien und Lausitz, stammende Valentin Friedland, genannt Trozendorf (1490-1556), hatte seine Schüler, als er die Schule übernahm, mit folgenden Worten begrüßt:

"Seid gegrüßt, ihr Edelleute, Bürgermeister, Ratsherrn; ihr Kaiser, Könige, Fürsten, Räte; ihr Werkleute, und Handwerker, Kaufleute; Henker, Schergen und Schelmen."

Ihm, den man einen "Fürsten der Schule" nannte, war stets bewußt, daß er das ganze Leben der kommenden Geschlechter in bildsamer Hand zu gestalten hatte.



*300610*

Dienstag, 29. Juni 2010

Erkenntnistrübung

Jedes Ding ist als Objekt die Objektivation einer Idee. Gute Kunst reduziert nun die faktische Wirklichkeit, und schält aus dem Bündel der Realitäten diese eine Idee heraus, macht sie somit dem Betrachter klarer wahrnehmbar.

Damit ist auch klar, daß jedes Ding seine Schönheit hat - sonst gäbe es das Ding nicht, weil es nicht da wäre: Wo keine Idee, da kein Ding.

Schlechte Artefakte der Kunst (Schopenhauer erwähnt ausdrücklich die Architektur) sind daran erkennbar, daß zwar die objektive Idee noch erkennbar ist, doch sind die künstlichen gegebenen Formen kein Erleichterungsmittel zur Erkenntnis der Idee, sondern vielmehr ein Hindernis, was eine ästhetische Betrachtung erschwert. Es siegt die Idee des Materials, nicht die Idee des Artefaktes, die aus dem geschaffenen Ding sprechen sollte.

Insofern gibt es keine "dargestellte Häßlichkeit" an sich. Häßlichkeit ist ind er Darstellung wahrhaft häßlich, und wird als solche rezipierbar. Es gibt nur eine der Erkenntnis schlecht - oder, zum Beispiel im Ekel, durch Hereinziehen eines Willens des Betrachters, durch Provokation einer aktuellen Reaktion und Stellungnahme getrübten ästhetischen Betrachtung - dargebotene Idee.



*290610*

Widerspruch 3299

Daß mittlerweile sechstausend türkische Kinder in Wien Sprachunterricht in "ihrer Muttersprache" - türkisch - erhalten, ist (so wird es nicht nur vom Bürgermeister der Stadt begründet) Ausdruck einer Erkenntnis der Pädagogik, daß ehe ein Kind eine Fremdsprache zu erlernen in der Lage ist, es notwendig sei, daß es seine Muttersprache perfekt beherrsche. Es gehe um das Zur-Sprache-Kommen generell, und von dort aus sei es dann möglich, auch das Deutsche zu erlernen.

Ein kognitiver Umsetzungsprozeß, wie es auch übrigens Leo Frobenius beschreibt, der den Sprachaufbau vom intuitiven Erfassen ausgehend über eine Verquickung über Laute in der Überleitung zu den Begriffen sieht. Fremdsprache, so Frobenius, ist dann die erlernte Adäquatheit. Und in der Tat kann man die Frage stellen, ob ein Menschenleben überhaupt ausreichen kann, eine einzige, die Muttersprache, zu erlernen. Denn die Anwendung einer Sprache ist letztlich eine Frage der Erkenntnis, des Geistes, der das Anschauliche ins Begriffliche zu führen vermag - eine lebenslange Aufgabe, und von Tugend nicht zu trennen.

Es gibt dabei nur wenig das die Erkenntnis mehr hindert, als eine Sprachbeherrschung, die das Sprechen selbst zu einem automatischen Prozeß macht, der Mund also dem eigentlichen Erkennen davonläuft. Hier kann Sprache Schienen legen, die in die Irre führen, zugleich aber diese Irrwege fast unabänderlich machen - Sprache wird dann zum Gefängnis, und Irrationalität (oder, im Extremfall, Wahnsinn) ist die Reaktion.

Ganz andere Erkenntnis scheint aber offenbar die Pädagogik dann zu haben, wenn es um das Erlernen von Fremdsprachen bei österreichischen Kindern geht. Hier gilt seit Jahren die Maxime, daß es nicht früh genug sein kann, wenn Kinder mit Fremdsprachen konfrontiert werden, ja hier hat sich sogar der gesamte Fremdsprachenunterricht auf den Schulen umgesetellt, und folgt einem Konzept, wo es nicht mehr eine Muttersprache, und ein, zwei, fünf Fremdsprachen gibt, sondern nur noch Muttersprachen.

Fremdsprachenunterricht für Österreicher setzt heute bereits im Kindergarten an, und jedes Volksschulkind, das kaum einen geraden deutschen Satz zu verfassen in der Lage ist, vermag denselben Kauderwelsch noch in Englisch zu transportieren.



*290610*

Montag, 28. Juni 2010

Schwaches Geschlecht

Woltereck weist auf die bahnbrechenden Arbeiten von Goldschmidt hin, wenn er - vereinfacht - darstellt, daß sich aus der Stärke des Samen ergibt, ob die Entwicklung einer (sexuelle normalen) Eizelle auch ein sexuell eindeutiges und klar ausgeprägtes Individuum ergibt. Zahllose Beobachtungen im Tierreich belegen, daß Störungen aus jeweils sexuell "abnormalen" Bedingungen, bei Ei wie Samenzelle, entsprechend mangelhaft ausgebildete Tiere nach sich zogen. Gerade die Entwicklung des Geschlechts ist ja bei sämtlichen Lebewesen ein sehr komplexer, und auch leicht zu störender, Prozeß. Genannte "Schwäche" oder "Stärke" bezieht sich unter anderem übrigens auf ein Geschehen, wo die Rhythmen jeweiliger Selbstinduktionen von Entwicklungen differieren (sind deshalb bei Kreuzungen häufiger zu beobachten) - wo also Entwicklungsimpulse bereits ablaufender Entwicklungen des Eis (als Beispiel) durch die Gesamtinformation der induzierenden Samenzelle zu früh oder zu spät erfolgen.

Ein Beitrag, wie mir scheint, zum Verständnis der Transsexualität. Die auf Probleme der Physis zurückzuführen ist, die auf die entelechialen Prozesse der Seele, des Willens, auf inadäquate Weise reagiert. So sind ja auch die vielen Hermaphroditen-Formen zu verstehen, die es ganz real gibt.

So, wie zum Beispiel die Implantation von Zellen eines Lurchs in die Mundregion der Zellen eines Frosches - beim Frosch ein Lurchmaul ergibt.

Der Transsexuelle nun ist mit einer körperlich fast oder wirklich vollständigen Inadäquanz konfrontiert. Transsexualität - und den Betroffenen wird von den (homosexuellen) Transvestiten ein wahrer Bärendienst erwiesen - hat mit Homosexualität (einem rein psychischen Geschehen, mit besonderen Applikationen des Willens) nicht das geringste zu tun. Sie ist ein mühsamer Prozeß eines Erwachens der Seele zu einer ihr adäquaten Leibform. Der Transsexuelle möchte genau das Gegenteil des Transvestiten: er möchte eine - und zwar: seine! - klare, eindeutige geschlechtliche Identität darstellen, nicht nur als unerfüllte Entelechie (unter enormem Leidensdruck) fühlen, und keineswegs das Spiel damit, als Zwitter.



*280610*

Sonntag, 27. Juni 2010

Erneuerung der Welt

Ein König war trostlos über den Zustand seines Reiches. Endlich holte er vier Weise, um sie zu befragen, warum denn das so sei, und was er tun könne.

Die vier Männer trieben sich einen ganzen Monat im Lande herum, schließlich kamen sie zum König zurück. Der war schon ungeduldig geworden, und drang nun in sie, was sie denn herausgefunden hätten!

Da ging der erste der vier Weltweisen an das Tor im Osten, und er schrieb darauf:
Macht ist Recht - daher ist das Land ohne Gesetz
Tag ist Nacht - daher ist das Land ohne Weg
Flucht ist in der Schlacht - darum ist das Land ohne Ehre.


Ihm folgte der Zweite, und er schrieb auf das Tor im Westen:
Eins ist zwei - darum ist das Reich ohne Wahrheit
Freund ist Feind - darum ist das Reich ohne Treue
Schlecht ist gut - daher ist das Reich ohne Frömmigkeit.


Nun ging der dritte Weise, und ans Tor im Süden schrieb er mit flammender Schrift:
Die Redlichkeit hat Urlaub - daher ist das Reich ohne Namen
Der Beamte ist ein Dieb - daher ist das Reich ohne Geld
Der Mistkäfer will Adler sein - daher ist kein Unterschied im Reich.


Schließlich kam die Reihe an den vierten Alten, und er ließ am Tor im Norden anschreiben:
Der Wille ist Ratgeber - daher wird das Land schlecht geführt.
Der Pfennig spricht das Urteil - daher wird das Land schlecht verwaltet.
Gott ist tot - daher ist das Land voller Missetäter.



*270610*

Liturgie IST Sprache

Der Äthiope, erzählt Leo Frobenius 1930 in "Paideuma", sieht den alten Mann als reife Frucht, die in die Erde geht und stirbt, so daß aus ihr neue Frucht wiedergeboren wird - er wird in seinen Nachkommen wiedergeboren. Der junge Mensch hingegen kann nicht wiederkommen.

Das so auszudrücken wäre aber der wirkliche Äthiope nicht in der Lage. Denn sie sind unfähig, ihre Sitten auch nur zu schildern, so selbstverständlich sind sie ihnen. Geschweige denn, sie zu erklären, also ihre Anschauung in Worte zu kleiden - ihre Empfindung anders als in unbewußten Sitten und Gebräuchen zum Ausdruck zu bringen. Die Sitten und Gebräuche sind bei ihnen gewissermaßen Ausdrucksformen dessen, was bei uns die Sprache, das Denken, das Bewußtsein wiedergeben; sie stellen eine Stufe dar, die (lokal, nicht wertend, Anm.) unter der liegt, auf der wir uns bewegen. Das "Wissen" der Äthiopen ist gleichsam unbewußt; es bewegt sich auf der Fläche des Gemütes.

Sitte als Sprache ... muß man da nicht schmunzeln, wenn man die Verbalisierungsorgie hiesiger Liturgie vor Augen hat? Als wäre Liturgie und Handlung nicht Sprache selbst.

Das Wissen der Äthiopen, so Frobenius, ist ident mit ihrem Erleben. Das macht sie zu kaum faßbar aufrechten, geradlinigen, klaren und sittlichen Menschen.




*270610*

Samstag, 26. Juni 2010

Historischer Ausgleich

Es ist historisch bemerkenswert, wie Zeitalter, in denen die Vernunft, die Ratio große Bedeutung erlangte - nur als Beispiele: das 13. Jahrhundert mit der Scholastik, das späte 17., frühe 18. Jahrhundert mit der Aufklärung - zugleich irrationale Schwärmerbewegungen regelrecht aufkochte.

Die sämtlich auf die Urteilskraft abzielen, die die Vernunft der Verstandeskoppelung entheben und auf rein subjektivistische Gefühle neu abstellen. Die sich aus der (unmeßbaren) "Liebe" und nicht mehr aus der "Wahrheit" ableiten. Die sich aus der Funktion, nicht mehr aus dem Sein ableiten, und damit aus allen Hierarchien ausbrechen, diese beseitigen, neue schaffen. Und damit neue Zeiten mit neuen Regeln schaffen.

So, wie es heute die Erneuerungsbewegungen und die etwas weniger versteckt protestantischen evangelikalen Bewegungen weltweit machen. So wie es die Esoterischen Bewegungen machen, als metaphysiklose (verstandeslose) Metaphysik.

Zur Epoche von 1685-1715, einer Zeit in der sich Europas Geistesleben völlig umdrehte, schreibt Paul Hazard, indem er Pierre Abraham zitiert, und es ist mit diesem Zitat, als beschreibe er, was auch bei uns in den 1950er/60ern passiert ist:

"Als nach langwieriger und entsagungsvoller Arbeit das 18. Jahrhundert die Gestalt des Gottes mit weißem Bart, der jeden Sterblichen mit seinem Blick bewacht und mit seiner Rechten beschirmt, auslöschte - oder auszulöschen glaubte, was auf eins hinauskommt - hat es nicht gleichzeitig auch das religiöse Problem beseitigt. Denn das mystische Sehnen und das Sinnbild, das man diesem Sehnen zu seiner Befriedigung bietet, sind zweierlei. Nachdem das Sinnbild verschwunden ist, bleibt das Sehnen bestehen."

Und dafür, so Hazard, sucht er sich eben dann neue Ausdrucksformen. Denn das Erste ist das Sehnen.

Wenn der Verstand das Herz bedrängt, ihm widerspricht, wird er an sich außer Kraft gesetzt, holt sich das Herz gegen jede noch so übermächtige Außenwelt der Autoritäten seine Hoheit wieder zurück, zerstört das Herz die Außenwelt genau so weit, wie sie ihm entgegensteht.

Zerfällt die Autorität, zerfällt die Gliederung einer Gesellschaft, wie im Demokratismus des 20. Jahrhunderts geschehen, wird der einzelne sohin in all seinen Lebensfragen auf seinen Verstand zurückgeworfen. Weil aber die Fragestellungen des Lebens seinen Verstand bei weitem (!) übersteigen, was angesichts der explodierenden Rolle der (logikbasierten) Technik unausweichlich ist, so treibt diese Entmachtung der Vernunft immer groteskere Umstände, in dem Maß, als der oberste Wert nämlich nominell "Verstand" heißt ...

Der Irrationalismus heute ist unfaßbar groß, und unfaßbar verborgen.



*260610*

Zivilisiertheit

Der englische Spectator berichtet in einer Ausgabe von 1705 folgende Geschichte:

Der Engländer Thomas Inkle war der dritte Sohn eines reichen Londoner Bürgers, und schiffte sich eines Tages, gut mit Geldern ausgestattet von seinem Vater, nach Ostindien ein, um dort wie so viele Handel zu treiben. Während einer Expedition ins Binnenland wurde ein Teil der Abteilung, zu der er gehörte, von feindseligen Indern niedergemetzelt; er alleine entkam, und versteckte sich im Dschungel.

Eine Inderin entdeckte ihn. Sie war schön und jung, und hieß Yarico. Und prompt verliebte sie sich in diesen Fremden, diesen Unglücklichen, und gab sich ihm mit Leib und Seele hin, ernährte ihn, behielt ihn bei sich. Er versprach ihr, sie nach England mitzunehmen, wenn sich je die Gelegenheit dazu bieten würde, und er erzählte ihr vom Leben in London und auf den Gütern seiner Familie, und sie malten sich aus, wie sie dort gemeinsam leben würden. Tagtäglich hielten sie sehnsüchtig Ausschau, blickten von den Hügeln aufs Meer hinab.

Nach einem Jahr vergeblichen Wartens, aber gemeinsamen verborgenen Glücks, stürzte Yarico aufgeregt in die Hütte - ein Segel war am Horizont zu sehen. Sie entzündeten das vorbereitete Feuer, gaben Zeichen, und wirklich: das Schiff kehrte um, kam näher, und Matrosen setzten an Land. Die beiden stürzten ans Ufer, gaben sich zu erkennen, und die Engländer, denn solche waren die Seeleute, brachten sie an Bord.

Die Freude schien grenzenlos, und der Kapitän des Schiffes machte ihnen in der Segelkammer Platz, wo sie die Heimfahrt zubringen konnten. Doch je länger die Reise dauerte, je näher sie englischen Gewässern kamen, schon umsegelten sie das südafrikanische Kap, desto nachdenklicher wurde Thomas Inkle. Was sollte er wirklich mit dieser Frau anfangen? Er hatte aber seine Zeit, sein Geld verloren ...

Als sie sich der Küste des Togo näherten, bat er den Kapitän, den dortigen Hafen anzusteuern. Dort brachte er seine Frau an Land. Er ging mit ihr auf den berühmten Sklavenmarkt, und ... bot sie dort zum Verkauf an.

Weil sie schwanger war, erzielte er einen weit besseren Preis, als ihre Schönheit alleine versprochen hatte. Ehe er das Schiff wieder bestieg, erstand er noch einige Tonwaren, die Einheimische anboten, Geschenke für seine Freunde und Verwandten.



*260610*

Prinzipielles Erbe

Jede Anlage, die sich in einem Lebewesen wirklicht, schreibt Richard Woltereck einmal, ist nicht darauf abgezielt, genau jenes Rot oder jene Länge oder jene Breite hervorzurufen.

Abgesehen davon, daß jede Entfaltung ohne Umgebung und dem Wechselspiel der Reize undenkbar ist, und Formenvielfalt in einem breiten "Wenn-dann" hervorbringt, werden immer Prinzipien vererbt - keine Details: es geht darum, daß Reaktionsweisen und Reaktionsnormen bestimmten Konstantenkomplexen zugeordnet sind, und daß diese Konstanten in wirksamer Geltung bleibe, solange und so oft diese Artsubstanzen durch Zellteilung und Keimbildung weitergegeben werden.

In seine Richtung argumentiert auch Gurwitsch: für ihn ist Vererbung ein prinzipieller Verwirklichungsvorgang, der sich Spannungsfelder schafft, die das Zellwachstum der aufgabenbedingten Organismusform eingliedert.



*260610*

Freitag, 25. Juni 2010

Zwei Seelenhaltungen

Frobenius unterschiedet, mit zahllosen Beispielen aus der Geschichte Afrikas belegt, zwei Typen von Weltanschauungen, eigentlich: Welthaltungen. Und er nennt sie "Höhlenhaltung" und "Weitenhaltung". Diese seelischen Grundstimmungen und -haltungen drücken sich vollkommen in den Mythen und überkommenen Märchen aus - an deren Beginn sich niemand erinnern kann, sie schienen immer "da" gewesen zu sein, und entstehen (wenn sie entstehen, am Beginn von Kulturen, auch das gibt es ...) auch "spontan", ihr Beginn ist nicht zu erhaschen.

Nie konnten Menschen mit Höhlenhaltung jemals anders herrschen und leben als durch Unterdrückung und Angst. Sie schmücken ihre Höhlen aus, machen sie - wie im Orient - zu Palästen und mit Zierrat überfrachteten Paradiesen, um über alle Enge hinwegzutäuschen, aber ihr Schicksal ist Kismet, Zufall, Glück, Fügung und Schickung. Sie neigen zu Fanatismus und Gewaltexzessen.

Anders der Mensch der Weite. Er hat wirkliche Helden, die in die Weite der Welt hinausgehen oder gesendet werden, und so erzählen es auch die Gründungsmythen - in alle Welt zogen sie hinaus (zum Beispiel die Ghanesen), und regierten in Freiheit und Gerechtigkeit die Welt. Ihre Haltung ist gelassen, sie vermögen auch unterworfene Völker in Ruhe und Sicherheit leben zu lassen, ja diese blühen gar unter ihnen häufig auf, weil nicht selten das "Siegervolk" ihnen zum Gegensatz eine überlegene staatliche Organisation ausweisen. Sie leben in fruchtbarer seelischer Spannung - und brauchen keine Sensation.




*250610*

Nur schöne Menschen

Dem Blog credo ut intelligam entnahm ich den Hinweis auf diese Seite, und es ist in der Tat bemerkenswert, welche Idee hinter www.beautyfulpeople.com steht.

Denn dieses "social network" hat sich darauf spezialisiert, weltweit "schöne" Menschen nicht nur als herkömmliche Partnerbörse zusammenzubringen, sondern will - als Spermabank verstanden - in ihrem Geschäftskonzept für eine "schönere Menschheit" insgesamt tätig sein.

Zwar hat man mittlerweile die Richtlinien ein wenig gelockert - denn auch häßliche Menschen können schöne Babys bekommen, so die Begründung - aber noch vor einem Jahr hat die Seite Aufsehen dadurch erregt, als sie fünftausend Mitgliedern kündigte, die nach Meinung der Seitenmacher - nach "demokratischen Abstimmungen" auch unter normalen Mitgliedern - ihren Kriterien von Schönheit nicht entsprachen. Sie erhielten nach den Kündigungsschreiben (man ist ja kein Unmensch) allerdings ermunternde Mails mit dem Hinweis, daß sie doch abspecken sollten, dann könne man über eine Wiederaufnahme diskutieren ...



*250610*

Donnerstag, 24. Juni 2010

Gegenwärtige Substanz

Es fehlen schon seit (mittlerweile, Anm.) hundert Jahren bald die "Olschen", die alten Frauen, die hinter dem Spinnrad saßen, und abends den Kindern die alten Märchen und Geschichten und Balladen vortrugen.

Das war weit mehr als "eine Geschichte vorlesen", oder Information weitergeben, es war auch mehr als einfach "vortragen"! Es war das Gegenwärtigwerden der Inhalte selbst, die somit in den Zuhörern weiterlebten, weil wirklich empfunden und durchlebt wurden. In diesem Gegenwärtigwerden wurden sie zeitlos und ewig, weil sie aus aller Zeit fielen.

So blieb das Kulturschöpferische erhalten, wurden die Seeleninhalte wachgerufen, und zum Tanz geladen.

In dem Moment, wo diese Geschichten aber sterben, oder zur Inhaltstechnik oder Pädagogik werden, schließt eine Kultur ihre Türen und legt sich zum Sterben.

Ganz hat er freilich nicht recht. Denn noch in den 1960er Jahren gab es sie, die dunkelen Frühabende, wo die Mutter mit den Töchtern beim Strümpfestopfen saß, die Arme von Zeit zu Zeit durchschüttelte, als wollte sie sie abtropfen, weil sie Probleme mit der Durchblutung hatte, und - auch - erzählte. Von der alten Heimat, von Kindheiten in früheren Zeiten, aber auch von Schicksalen, darunter nicht wenige Seltsamkeiten, die die Rätselhaftigkeit des Lebens erfahren ließen. Während ich am Boden saß und mit Bauklötzen spielte oder wirklich auf der Eckbank saß, die Hände vor mir auf den Tisch gelegt, in die ich das Kinn stützte, und zuhörte.



*240610*

Mittwoch, 23. Juni 2010

Schweige, höre.

69 - Man verhüte, daß sich einer im Kloster aus irgendeinem Anlaß herausnimmt, einen andern zu verteidigen oder gleichsam dessen Vormund zu sein, auch wenn beide noch so eng durch Blutsverwandtschaft verbunden sind. Das nehme sich kein Mönch irgendwie heraus, weil daraus schwere Streitigkeiten entstehen können. Übertritt einer diese Vorschrift, werde er besonders streng bestraft.


Aus der Regel des Hl. Benedikt



*230610*

Wider den Akademismus der Künstler

Die Presse bringt eine sehr hellhörige Kritik am Bachmann-Preis, der in diesen Tagen in Klagenfurt abgeführt wird. Sie berichtet von Erscheinungen, die bemerkenswert sind: Mehr und mehr Teilnehmer an diesem Wettlesen, das ja noch immer als Maßstab aktueller, zukunftsträchtiger Literatur gesehen wird, sind Absolventen von "Schreibakademien" (allen voran: Leipzig), diesmal bereits über fünfzig Prozent. Oder sind speziell damit befaßt, mit ihrer "Literatur" den Kriterien des Wettbewerbs zu entsprechen. Damit wird es auch den Juroren "leichter", zu bewerten, denn sie müssen nicht riskieren, sich mit einem originären, eigenständigen Urteil unter Umständen zu blamieren. Ihr Zuhören wird damit bereits zu einer deperzeptiven Übung, ihr Urteilen wird bedingungsweise und orientiert sich natürlich am bestehenden damit perpetuierten Literaturbetrieb und -geschmack. Jeder Preisträger wird somit zu einem Garanten kommerziellen Erfolgs, und sei es, daß er die Sparte "Avantgarde" abdeckt, deren Kriterien die Juroren ja gleich mitliefern.

Literatur wird in Klagenfurt zu einem Possenwerfen, einem Figurenstellen, das selbst die "Ausreißer" einkalkuliert und in die Gesamtdramaturgie eingegliedert hat.

Somit wird der Bachmannpreis mehr und mehr zu einem eigentümlich hermetischen Geschehen, das sich seine Bedingungen wie deren Erfüller selbst schafft. Die Ursprünglichkeit, die Kunst und Literatur haben muß, um überraschend sein zu können - und das muß sie ja sein, denn eine Antwort in die Zeit hinein muß überraschend, unter Umständen auch unangenehm sein.

Diese Entwicklung hat sich in der ganzen Kunst abgespielt, und der Zug rast bereits unaufhaltsam dahin - die "Akademisierung" der Kunst.

Nicht, daß sie damit besser würde - aber die Rezeption konzentriert sich nur noch auf einen hermetischen Betrieb, in dem sich solche bewegen, die in Akademien lernen, sich betriebskonform zu bewegen.

Aus Künstlern werden so Absolventen dieser oder jener Akademien, samt mitgelieferter Identität.

Und genau das ist aber das Kriterium: Identität. Zum Wesen der Kunst gehört die Archetyplosigkeit, das heißt, daß der Tätige seine eigene Archetype schaffen muß, somit steht er am Anfang "nackt" da, als "nichts."

Auseinandersetzung in der Kunst muß aber identitärer Prozeß SELBST sein!

Die Akademieabsolventen weichen dem aus, und beginnen nun genau dort - mit einer Identität. Die Auswirkungen auf das Kunstwerk und auf die Kunst selbst sind dramatisch! Denn als Folge verliert der nun zum irrelevanten Dilettanten Gestempelte, der Nicht-Akademiker, sogar seine Chance auf gebührende Autorität und Rezeption ... denn auch deren Wahrnehmung entspricht demselben Akademismus, in Verlagen, in Zeitungsstuben.

"Know-how" ersetzt wirkliche Bildung - auch die sollte ja ein Persönlichkeitsprozeß sein.

So trifft sich dieselbe Motivation, bei Tätigen, bei Kritikern: man will sich das Schmerzhafte ersparen, das Nichts, die Todesangst, die Blamage ...

Der Kunstbetrieb wird zu einem Club. Das war zwar nie anders - doch heute scheint er so total wie nie hermetisch zu sein.



*230610*

Umfassendere Wirklichkeit

Leo Frobenius, der große, deutsche Afrikaforscher der zerfallenden Welt des 20. Jahrhunderts, sah seine Lebensaufgabe in der Bewahrung der Erinnerung an die Kulturen dieses Kontinents. Denn er meinte, daß Kulturen Organismen seien, die geboren würden, die aufblühten, reiften, aber auch: die starben. So war die Photokamera, neben seinem Notizbuch, sein wichtigstes Utensil.

Frobenius aber hatte ein Prinzip: Auf all seinen zwölf Reisen durch den schwarzen Kontinent nahm er stets Maler mit. "Die Feder,´" war seine Meinung, "gibt unendlich präziser unendlich mehr Details wieder, als es die Kamera vermag." Der Realismus der Kamera ließ oft das Eigentliche eines Festzuhaltenden durch den Rost einer reduzierten Wirklichkeit fallen.

Das Archiv seiner Photos wie der Bilder, als heute unschätzbares Archiv von Kulturzeichen, die längst vergessen und damit oft verloren gegangen wären, ist seit kurzem online zu finden.




*230610*

Dienstag, 22. Juni 2010

Unvereinbare Welten

Am gelungensten, schönsten empfinden wir eine dramatische Handlung im Kunstwerk dann, wenn sie uns am natürlichsten erscheint. Das macht zum Beispiel einen Shakespeare so unübertrefflich, auch noch heute.

Demnach hat die Beurteilung der Geglücktheit eines Dramas, also hat der Zustand des Dramas als Wort in eine Zeit hinein, direkt mit der Auffassungs- und Wahrnehmungswelt des Betrachters zu tun.

Fehlt es an innerer Lauterkeit, um Poesie wahrzunehmen, so kann das poetischste Stück durchfallen. Genauso wie jene, die nach Auffassungen ablaufen, die denen des Publikums zuwiderlaufen, also deren Erwartungen nicht entsprechen, und deshalb als nicht natürlich beurteilt werden.

Letztere beide Fälle sind genau die Ursachen des Niedergangs heutigen Theaters als Volksanstalt. Das war keineswegs immer so. Denn noch vor hundert Jahren waren die Auffassungen über die Natur der Welt und der Dinge weitgehend gleich, oder ähnlich. Man konnte noch mehr von einer Einheit der Weltauffassung bei den Menschen sprechen. Man erkennt nur, was in einem ist, und man erkennt nur, wenn die Freiheit besteht, die Begriffswelt ständig der Anschauungswelt zu öffnen - und nach Wahrheit als Weg zu suchen, diese Anschauungsbilder auch in Begriffe ordnen zu können.

(Übrigens ist ja einer der häufigsten Züge am Theater und in der Kunst, auch im zur Groteske aufgeweichten "Trash", auf jede Ordnung zu verzichten - das Warum liegt auf der Hand.)

Heute ist die Disparatheit enorm, und sie ist es gerade in einer Form, wo die herrschende Denkweise, die Doktrine, um nicht zu sagen: Massenpsychologie und -psychose, von der Poesie so weit entfernt ist, daß wirkliche Poesie kaum noch eine Chance hat, erkannt zu werden.

Schon gar von Lektoren und Dramaturgen an etablierten Stellen, die mit entsprechender Indoktrination von den Universitäten - den zeitgemäßen Indoktrinierungsstellen - kommen.

Deshalb haben strukturelle Aussagen, wie sie zum Beispiel die Sozialwissenschaften liefern: "Theater muß in der Erfahrungswelt der Menschen ansetzen" - keinerlei Relevanz mehr. Denn die Definition dessen, WAS denn da in der Erfahrungswelt der Menschen überhaupt vorhanden sei, liefert den Schlüssel. Und weil sie der Kern des Relevanzverlusts der Kunst für die Menschen ist, steht sie sich - als Lösungsansatz der Herrschenden gefaßt - selbst im Weg.



*220610*

Und sie schämeten sich nicht

In der Pflanze, so Schopenhauer, offenbart sich der Wille zur Existenz am naivsten. Sie trägt ihre Genitalien nicht verborgen - bereits bei den Tieren haben die Fortpflanzungsorgane den verstecktesten Platz! - sondern auf ihrem Gipfel zur Schau. "Diese Unschuld der Pflanze beruht auf ihrer Erkenntnislosigkeit: nicht im Wollen, sondern im Wollen mit Erkenntniß liegt die Schuld."

Eine Pflanze erzählt sich nur aus ihrem Dasein, aus ihrem Bau, und es offenbart sich ein bloßer, blinder Drang zum Dasein, ohne Zweck und ohne Ziel. Ihr ganzer Charakter liegt vor dem Betrachter, der Wille hinter ihrer Erscheinung liegt blank vor einem. Bereits beim Tier, noch mehr beim Menschen mit Verstand und Planung, braucht es Handlung, damit das Leben sich aussagen und sein empirischer Charakter, als Wille, erkennbar werden kann. Auch wenn das Tier noch naiver, sein Wille zum Leben noch nackter gleichsam vor einem liegt, als im Menschen.

Bei allen Lebewesen aber braucht es eine Entwicklung, um zur Vollgestalt seiner selbst zu gelangen. Während in der anorganischen Welt alles sich unmittelbar mit dem Dasein aussagt. Das Leben aber braucht seine Geschichte, um ganz zu werden.



*220610*

Eine neue Sprache

Es war fast "Zufall", daß sich das Mitteldeutsche - und zwar genauer: jenes Deutsch, das sich in Böhmen damals seit knapp hundert Jahren mehr und mehr durchgesetzt hatte - zu einer ersten allgemeinen deutschen Hochsprache herausbildete. Denn es war logisch, daß der Luxemburger Kaiser Karl IV. nach Prag, wo er amtete, nicht nur als böhmischer König, sondern als Kaiser des Deutsch-Römischen Reichs, nicht nur seine Baumeister und italienische Humanisten nach Prag holte, die diese Stadt und von ihr aus den ganzen geographischen Raum so prägten, sondern auch die Kanzlisten und Beamten aus der Umgebung rekrutierte.

Die die bereits modifizierte Sprache der Ostfranken und Bayern und Thüringer sprachen, denn von dort stammten sie. Aus Gewohnheit schon, einerseits, bleiben die Beamten bei ihrer Sprache, beginnen auch alles an Dokumenten, dann aus der Literatur, aus dem Lateinischen in ihr Deutsch zu übertragen. Und tragen so auch den Grundgedanken der Renaissance - die eine Erneuerung aus den tiefsten Quellen eigenen Volkstums ist, und deshalb in Italien so weit in die Antike zurückgreift, in Deutschland erstmals nationales Selbstbewußtsein weckt - ins Land. Karl IV. sieht diese Schriftsprache schließlich als kulturschaffenden, weil zum Volk einigenden Akt, einem großen Vorwurf in die Zukunft, getragen von eben diesem Selbstbewußtsein der Renaissance.

Und er löst (auch in seinem Handeln "gegen" die schon lange staatlich gefaßten Tschechen/Slawen) unabsichtlich dramatische Folgen aus - in der Hussitenbewegung, die auch auf die Neusiedler im Osten schwerwiegende Auswirkungen hat, auch diese ergreift, und die Kulturkontinuität dieses Raumes, gerade als er beginnt sich im Deutschen zu einen, auf sich zurückwirft, damit eigentümlich formen, weil das Deutsche kulturell entzwei brechen wird - in lateinisch und in reformatorisch. Oder, anders, und um nichts weniger wahr, ja wenn nicht vor allem geistig wahrer gesehen: in römisch-deutsch und slawisch-deutsch.

Zugleich vollzog außerdem diese Zentralisierung den Übergang vom germanischen Recht zum römischen.

Und so setzte sich aus der Kanzleisprache heraus mehr und mehr im ganzen Reich, insbesonders auch in den Ostgebieten - Meißen (und von hier, 250 Jahre später, Luther!), Lausitz, Schlesien, Mähren - das Mitteldeutsche als alle verbindende, speziell im Osten überhaupt erst so etwas wie ein geeintes Volksbewußtsein schaffende Sprache durch. In diesem Jahrhundert also, von 1350 bis 1450, vollzog sich ein zweiter dramatischer und ungemein tiefgreifender Wandel in unserem geistigen Raum: war unter Karl dem Großen das germanische Frankenreich romanisiert und latinisiert worden, so wurde es nun neuerlich von einer Kunstsprache als Trägerin einer neuen Kultur, die in sich das Bildungsgut der Renaissance, des Abendlandes bereits verarbeitet hatte, durchdrungen.

Dazu kam die Bedeutung Prags als deutsch-humanistische Universität, die den gesamten europäischen Zentralraum als Forschungsstätte dominieren sollte, so wie Paris es im Westen tat.

Es ist diese Kunstsprache - im wesentlichen: unser heutiges Deutsch, das dann die Druckereien aufnahmen. Und erstmals wurde auch die Bibel verdeutscht. Und schon entstehen die ersten Dichtwerke, Spiele, auch nach italienischen und englischen (Karl IV. hatte enge Verbindungen nach England) Vorbildern, und verbreiten diese Sprache, bis in die letzten Winkel.



 *220610*

Montag, 21. Juni 2010

Lediglich auf andere Art

Man kann Schopenhauer folgen, wenn er schreibt, daß es eine Spaltung des Willens nicht geben kann, es gibt nur diese eine Identität der Substanz des Menschen. Es gibt aber die Spaltung des Zeitlichen, vor allem die Abspaltung des Rationalen - um auf andere Weise dasselbe (erste) Ziel zu erlangen.

Interessante Rückschlüsse auf die Schizophrenie, die sich daraus ergeben. Ronald D. Laing, jener amerikanische Psychiater, der von vielen in seiner Bedeutung mit Freud gleichgesetzt wird, aber einen sehr anderen Zugang zu vielem pflegt, hat aus diesem Grund stets bezweifelt, ob man überhaupt von "Schizophrenie" als Krankheit an sich sprechen könne. Ob es sich nicht um ein gar nie genau eingrenzbares Syndrom einer Lebensstrategie handelt.



*210610*

Ein Geist - eine Literatur

Es ist etwas Bemerkenswertes um die Entwicklung des Schrifttums eines Volkes, und es läßt sich sehr gut rund um die parallel sich entwickelnden Bünde der Hansa - und der Schweizer Eidgenossenschaft ablesen.

Beide entstanden zur gleichen Zeit. Doch in der Schweiz begann sich sofort ein reges historisches Schrifttum abzuzeichnen, das sowohl die Entstehung des gesamten Bundes, wie die Geschichte der einzelnen Städte, bereichert durch noch zahllose weitere Geschichtswerke, darstellte. Sofort wurden die jeweiligen Legenden und Sagen gesammelt, umgeformt, und wieder umgeformt, sofort wurde alles ge- und begründet in historischer Entwicklung und Vorsehung, sofort wurden die Wurzeln der Gegenwart gesucht, gesammelt, bewahrt.

Ganz anders die Hansestädte. Ungleich reicher, ungleich mächtiger, zeichnet sich bis ins hohe 15. Jahrhundert, als die Macht der Hanse bereits verfiel, nichts ab, was man als Literatur ansehen könnte, die aus dem Volk selbst stammt. Lediglich im Auftrag der Verwaltungen verfaßte Chroniken, häufig Weltchroniken, die von Mönchen und Klerikern verfaßt wurden, sind zu bemerken, da und dort auch schon einmal in die Volkssprache übertragen. Aber sie bleiben vereinzelt, und sie zeitigen keine Nachahmung, trotz allen Wohlstands. Oder gerade: wegen?

Es hat keinen gemeinsamen Geist gegeben, wie in der Schweiz, aus dem alle geschöpft hätten.



*210610*

Sonntag, 20. Juni 2010

Neulich, in Spanien

Ein mexikanischer Stiefkämpfer soll nach dem ersten Sichtkontakt mit dem Stier in der Arena über die Absperrung gesprungen, und auf und davon gelaufen sein. Er suche sich nun, so die Presse, einen anderen Beruf. Wohl auch, um die Schadenersatzforderungen des Veranstalters befriedigen zu können.

Aber das erinnert an einen anderen Fall, der sich in Spanien abgespielt haben soll...

In der spanischen Murcia gibt es einen kleinen Ort, Lastrancia des Namens, und in eben jenem findet jährlich eine einzige derartige Veranstaltung statt, angelegentlich welcher, nach jahrtausendealtem Brauche, berühmt kampfelustige Jungstiere der Gegend dem Gotte als Opfer dargebracht werden sollen - in Form im Mittelmeerraume so beliebten Stierkämpfe. Zur besonderen Delikatesse gibt es jedes Jahr, im Anschluß an die dreitägigen Festivitäten, die Hoden des Unterlegenen, Armen, und das seit Generationen in immer demselben Restaurant, dem "Canavalle" - delikat und nach Geheimrezept zubereitet, aufregend serviert - eine Besonderheit, zu der sich Touristen aus aller Welt Jahre im Voraus anmelden, und welche die New York Times auf ihren berühmten Gastro-Seiten folgendermaßen kommentierte: Welcher Mann gelebt haben will, der muß das erlebt haben!

So sollte es also auch in diesem Jahr das berühmte "Hoden-Essen" geben. Der amerikanische Millionär Anthony Farrell, ein nicht unbedeutender Ölmagnat, der das Rennen um den betreffenden Schmaus durch etwas höhere Zahlungen gemacht hatte, als dem Anlaß nach Meinung anderer Bewerber vielleicht entsprach, war so ein Mann, der gelebt haben wollte. Und so kam er, mit seiner Angetrauten zur Zeugenschaft, nahm theatralisch Platz, und harrte heiter und frohen Mutes der kommenden Dinge. Der Koch betrat, kaum hatte der Mittfünfziger aus Chicago seinen Platz eingenommen und die obligaten Getränke geordert und erhalten, unter laut-hellem Trompetenklang den Gastraum, balancierte dabei gekonnt und elegant das schwere silberne Tablett, hielt spektakulär vor dem Gast, stellte sich in Pose, um in unendlicher Grandezza sein Werk zu präsentieren.

Der Amerikaner konnte es nicht mehr erwarten, und riß mehr als er hob die silberne Abdeckung vom Tableau,  und wollte, während er unter banausischer Verletzung jeglicher Etikette die Serviette in seinen Kragen stopfte, mit geschwungener Gabel sofort mit dem Verzehr seiner teuer erstandenen Ware beginnen - da stutzte er.

Señor, meinte er nach einer Minute schweigenden Nachdenkens: Sind die Hoden nicht ein wenig ... also ... 
Der Koch neigte sich zu ihm, spielte mit seinem Bärtchen, und nahm ihm dann das Wort aus dem Mund: ... klein?

Ja, genau, meinte nun Farrell, und lächelte seiner desinteressiert an einem Cocktail nippenden Gattin zu. Klein, das trifft es, nicht wahr Darling? Ich dachte immer, ein Stier hätte viel ... also ...
Seine Gattin kicherte nun affektiert und unanständig.
Größere Hoden? Der Koch flüsterte fast.
Ja, genau, das trifft es. Viel größere Hoden, dachte ich?

Señor, meinte nun der Koch, weiterhin mit höchster Diskretion, und dennoch richtete er sich wieder auf, und nahm nun Haltung an: Nicht immer verliert der STIER!




*200610*

Lieber verrückt - als verantwortlich

Immer ist es das Wollen, das mit dem Wesentlichen des Menschen identifiziert wird, nicht das Vermögen oder der Intellekt. Das ist schon daran zu erkennen, daß sich unsere Verantwortung in der Schuld wie im Gelingen danach bemißt, wieweit wir es gewollt haben.

Deshalb versucht der Mensch sogleich, im Versagensfall die Aufmerksamkeit der Beurteilenden vom Willen auf den Intellekt zu lenken: auf den Irrtum, auf das "nicht besser wissen".

Oder er versucht überhaupt, sich die Freiheit abzusprechen, ja lieber ist es ihm sogar noch, sich für verrückt oder krank zu erklären - als für schuldig, für verantwortlich. Also wird gerade bei schweren Vergehen auch gerne die Macht der Umstände bemüht, die den Willen unfrei, das Verhalten gezwungen machte. Und sei es, daß die "logischen Gründe" soweit ausgebaut werden, daß sie zur notwendigen Schlußfolgerung werden - das Element des verantwortlichen, freien Handelns völlig ausschließen.

Aber der Intellekt ist die Laterne, nicht der Motor, und er dient dem Willen als Instrument, aber er schafft ihn nicht. Er hilft ihm nur, und sei es durch Redlichkeit, wobei hier bereits der Wille zur Redlichkeit vorausgeschickt werden muß. Denn der Intellekt ist nur Diener des Willens: der Intellekt ist die Funktion des Gehirns, die Funktion des Willens aber ist der ganze Mensch, seinem Sein und Wesen nach.

Deshalb gibt es keinen Irrtum - außer er ist gewollt. Deshalb gibt es keinen Irrtum - der nicht einer Sünde folgt oder dient. Und deshalb sind Grundbefindlichkeiten, die als Massenpsychosen ein ganzes Volk, eine ganze Kultur befallen haben, auch dazu geeignet, diese geschlossen ins Verderben rennen, blind werden und bleiben zu lassen.

Oder im umgekehrten Fall: können sie alle zum Licht tragen.



*200610*

Der Klang des Menschen

"Pflanze und Tier sind die herabsteigende Quint und Terz des Menschen, das unorganische Reich ist die untere Oktav." So beschreibt Schopenhauer die Welt, eingefügt in einen einzigen großen, universalen Willen, der am Weg des Erkennens - der ein Objektwerden voraussetzt - sich aus sich selbst nährt.

Die nicht-menschliche Welt wird von der Idee des Menschen vorausgesetzt. Sie ergänzen sich insgesamt zur vollständigen Objektivation des Willens (zur Welt). Sie begleiten die Welt des Lichts so notwendig, wie die Welt der Halbschatten und Gradationen der Helligkeit, bis diese sich allmählich in der Welt der Finsternis verliert. Man kann sie also einen Nachhall des Menschen nennen.

Nicht zufällig bedient sich Schopenhauer der Begriffe aus der Welt der Musik. Die Gesamtidee der Welt der Erscheinungen verhält sich zu den einzelnen Erscheinungen wie die Melodie zu den einzelnen Stimmen und Klängen. Bis zum Umkehrschluß: das Zueinander von Dingen läßt sich an ihrer (musikalisch aufzulösenden) Harmonie erkennen. Insofern erscheinen sie uns auch zweckmäßig - auf die Gesamtidee bezogen, und damit als Vorstellung Zeit und Raum unterworfen, zeitlich, räumlich, mit Relativität (Bezogenheit) als Seinsmerkmal, wo sich ein und derselbe objektive Wille (Charakter) unterschiedliche Gestalt sucht, eine Idee sich im Rahmen ihrer konkreten Bezogenheiten objektiviert ...

So baut der Vogel ein Nest, obwohl er seine Jungen noch nicht kennt, der Biber einen Bau, ohne sein Zukunft zu kennen - ein Wille im Insgesamt, der seine Wirklichung in den Teilwillen sucht, der Zweckmäßigkeit dort erscheinen läßt, wo sie genau fehlt, als Erscheinung einer Gesamtharmonie eines Willens, der mit sich selbst in Übereinstimmung ist: und den Bestand der Welt will, indem er den Bestand der Ideen, nicht aber konkret aller einzelnen Individuen, will, die in all ihren Teilideen im Wettlauf um die Materie liegt, die sie zu ihrer Objektwerdung braucht, und die in der Form der Kausalität eigentlich Materie WIRD. 



*200610*

Samstag, 19. Juni 2010

Der Wille entscheidet über das Licht

Der Intellekt ist so vergänglich, wie das Gehirn, dessen Produkt, oder vielmehr Aktion er ist. Das Gehirn ist wie der gesamte Organismus, Produkt, oder Erscheinung, kurz Sekundäres, des Willens, welcher allein das Unvergängliche ist, schreibt Schopenhauer in seinen Kommentaren zu "Die Welt als Wille und Vorstellung".

Das Bewußtsein ist bedingt durch den Intellekt, und dieser ist ein bloßes Akzidens (eine beigefügte Eigenschaft) unseres Wesens. Der Organismus ist die Sichtbarkeit, Objektivität des individuellen Willens, das Bild desselben, wie es sich darstellt, in eben jenem Gehirn. Der Intellekt ist das sekundäre Phänomen, der Organismus das primäre, nämlich die unmittelbare Erscheinung des Willens. Der Wille ist metaphysisch, der Intellekt physisch. Der Intellekt ist wie sein Objekt bloße Erscheinung; Ding an sich ist allein der Wille. Damit ist der Wille die Substanz des Menschen. Der Wille IST die Materie, der Intellekt die Form. Der Wille ist die Wärme, der Intellekt das Licht.

Damit deckt sich Schopenhauer auffällig mit Augustinus! Es wird die zentrale Stellung des Gewollten deutlich, aus dem Liebe wie Haß, Lust und Unlust, Fürchten, Hoffen, Streben, Fliehen, alles was das eigene Wohl und Wehe ausmacht, entspringen.

(Weshalb sich, das nur nebenher gesagt, großer Intellekt nur bei Menschen mit großem Willen - und leidenschaftlichem Charakter - findet. Schopenhauer meint sogar, unter Bezug auf Bechat, daß deshalb auch großer Intellekt nur bei Menschen mit entsprechender Gehirndurchblutung, also mit "dickem, kurzem Hals" zu finden sei.)

Doch ist es dem Menschen genau deshalb (weil das Bewußtsein des Erkennens über das rein leibliche Begehren geht) möglich, sich in die rein betrachtende, anschauende Tätigkeit (des erkennenden Bewußtseins, das sich ja nur mit Bildern und Anschauungen befaßt und füllt) zu versetzen - wodurch er in der Lage ist, rein objektiv (im wahrsten Sinne) zu denken! So wird er zum klaren Spiegel der Welt (der Objekte in seinen Vorstellungen, Anm.) Denn entscheidend ist, WAS man will, nicht: DASS man will. Der Wille ist immer er selbst - entscheidend ist, welche Erregung welchem Ziele zugeordnet ist.

Der Wille ist erkenntnislos und unerschöpflich - die Erkenntnis des Verstandes aber willenlos und erschöpflich. Der Intellekt muß also vom Willen angetrieben werden.


*190610*

Gästepflicht?

Nun schreibe ich doch ein Wort zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. Denn es macht mich betroffen zu lesen, daß sich angeblich erste Ernüchterung breitmacht (Presse): alle haben sich so viel mehr von dieser WM erwartet! Die Geschäftsleute, die Arbeitnehmer, die Anbieter von Pizzen und T-Shirts, die Kämpfer für sozialen Fortschritt, und nicht zuletzt die Fußballfans ganz Afrikas, die nun erleben, daß ihre Mannschaften keine Chance gegen die übrige Welt haben.

Ein Turnier ist ein Fest. Das ist sein Wesen. Und ein Fest auszurichten kostet Geld. Das ist Teil dieses Wesens. Das macht auch seine Nähe zur religiösen Sphäre - der das Feiern entstammt! - so greifbar: man hört auf, zu rechnen, man begibt sich in die Hand (des) Gottes, liefert sich aus.

Natürlich dem Anlaß gemäß bemessen, werden dann keine Erbsen gezählt, und keine Koteletts und keine Faß Bier. Diese Unbedarftheit ist der wesentlichste Faktor beim Feiern, wo etwas im Mittelpunkt steht, das den alltäglichen Zwängen des Lebens nicht angehört! Hier: Spiel, Bewegung, das Spielgerät, das Gemeinschaftserlebnis, der Spaß an der Freud.

Und da komme keiner und sag: Ja, aber leider, heute ist ja alles so verkommerzialisiert. Die Welt ist eben schlecht.

Wer zwingt mich, es so zu sehen? Kein Kommerz der Welt kann den Ausgang eines Spieles wirklich beeinflussen, das macht gerade im Fußball viel von seiner Faszination aus. Und wenn ich ein Fest ausrichte, dann weil ich mich eben löse von aller Notwendigkeit. Einen guten Gastgeber kennzeichnet, daß er seine Gäste in diese Atmosphäre der Zeitlosigkeit, der Ausnahmezeit versetzt.

Und mitten drin nun stellt er seine Gäste zur Rede und fordert, sie sollten sich gefälligst anders verhalten, denn sie bringen ihm nicht das, was er sich erwartet hat? Ist das der Effekt westlicher Bildung, die man nach Afrika zu schaufeln sich so rühmt, daß nun auch dort alles "etwas bringen" muß, und eine Fußball-WM gefälligst Umwegrentabilitäten und Demokratisierungsschübe auszulösen hat?

Gerade von Afrika hatte ich erhofft, daß es diesen Sinn fürs Spiel noch bewahrt hat, diese Kindlichkeit der zweckvergessenen Freude. Denn nur an solch einer Hoffnung vermag sich Leben wirklich wieder jene Gestaltungskraft und Atemluft holen, aus dem heraus es mit neuer Kraft bewältigt wird. NACH dem Fest.

Und jetzt kommen die Erbsenzähler und Kleinbürger, und rechnen uns vor, machen uns ein schlechtes Gewissen vielleicht, weil statt eines Fußballfestes kein positiver Effekt für die afrikanische Wirtschaft, kein Ruck zur Änderung sozialer Mißstände, oder das was manche als solches Empfinden, einzutreten droht?

Schämt Euch. Zu Euch kommen wir nicht mehr.

Oder es war blanker Zynismus und typische rationalistische Trottelei Versace-Anzüge tragender Businessmen Londons und Schlabberlook tragender Gutmenschen, den Afrikanern eine Fußball-WM aufzuschwatzen, weil die "so viel bringt"? Welches Fest "bringt" etwas? Wo es doch unabdingbarer Teil eines Festes ist, gerade das nicht zu beabsichtigen?

Gäste einzuladen, ein Fest zu veranstalten, das kann nur jemand, der auch feiern will. Nicht jemand, der im Kopf die Registrierkassen klingeln hört und vorwurfsvoll die Stimme erhebt, weil die Gäste nicht mehr zu bringen drohen, als sie kosten. Solche Gastgeber versäumen gerade das, was ein Fest tatsächlich bringt.



*190610*

Freitag, 18. Juni 2010

Weit gefächerte Bedürfnisse

Woltereck zeigt in seiner "Philosophie der Lebendigen Welt", daß sich Biosysteme, in denen große Differenzen und Diversitäten herrschen, weit dynamischer verhalten, als solche mit geringen Unterschieden. Dynamik aber ist entscheidend für die Fähigkeit, auf unterschiedlichste Belastungen mit der natürlichsten weil allem Lebendigen zuerst zuzuschreibenden Eigenschaft zu reagieren, welche dem Eigen- und (auch im räumlichen Sinn:) Systemerhalt, durch Bildung von Ausgleichsmechanismen, die den Erhalt oder der Wiederherstellung des notwendigen Gleichgewichts (ein zutiefst konservatives Verhalten, das allem innewohnt) gewährleisten, dienen.

Es ist verführerisch weil so naheliegend, darin eine Analogie auf menschliche Gesellschaften zu sehen, und jede Form der Gleichmacherei schon aus diesem Grund berechtigt abscheulich zu finden.

Laura Rudas, Bundesgeschäftsführerin der SPÖ, fordert nun, die Reichen stärker zu besteuern, es würde jenen wohl kaum etwas ausmachen, anstatt zwanzig nur noch neunzehn Porsches in der Garage stehen zu haben.

Nun möchte ich natürlich gerne wissen, wer in Österreich zwanzig Porsches in der Garage hat, und wenn es solche überhaupt gibt - wie viele es sind. Abgesehen von der erschütternden Primitivität, die hinter diesem Spiel mit ebensolchen Motiven vermutet werden darf: mit dem Neid zu spielen ist immer ein nettes kurzfristig sehr erfolgreiches politisches Mittel.

Aber da fällt mir ein Bericht über die Schweiz in die Hand, deren Luxusgüterindustrie (und -handwerk, das sollte man nicht vergessen) einer der beeindruckendsten Konjunkturmotoren und Beschäftigungsgeneratoren derzeit ist. Unabhängig davon, daß das Hauptproblem der Schweiz derzeit darin zu suchen ist, die eigene Stärke nicht zu sehr durchschimmern zu lassen, weil sich sonst Exportprobleme aufbauen könnten, die man derzeit nicht möchte (Wechselkurs - wäre der Franken so stark und stabil, wie die Schweiz wirklich ist, würden sich die Schweizer Exporte um ein gutes Viertel, manche meinen: weit mehr, verteuern.)

Aber Luxusgüter werden nicht von gleichgemachten Beamtenmassen gekauft. Gleichgeschaltete Konsumenten verbrauchen auch nur uniforme Massengüter - und die herzustellen können Chinesen, aber auch Länder mit weit geringerem Ausbildungsaufwand, wie er hierzulande getrieben wird, am allerbesten.

Eine gesunde Binnenwirtschaft ist ohne große Bandbreiten ihrer Bevölkerung nicht denkbar. Und ohne diese enorme Bandbreite von Lebensart und -bedürfnissen, wäre das, worauf wir hierzulande so stolz sind - darunter fast alle historischen Spitzenleistungen der Kunst - niemals entstanden.



*180610*

Donnerstag, 17. Juni 2010

Jupiters Befruchtung

Es drängt den Gott Begier, sich Dir zu zeigen
und ehe noch des Sternenheeres Reigen
herauf durchs stille Nachtgefilde zieht,
weiß Deine Brust auch schon, wem sie erglüht.

Heinrich von Kleist, "Amphitryon"



*170610*

Zur Erinnerung

Der Staat, so Max Weber, ist keinesfalls ein loser Zusammenschluß sozialer Gebilde, sondern er ist eine klar bewußte Veranstaltung des Monopols, Gewalt zu verteilen beziehungsweise auszuüben. Staat läßt sich soziologisch nur über die Mittel der Gewalt definieren. "Ohne Gewalt gibt es keinen Staat," sagt deshalb Trotzki völlig richtig in Brest-Litowsk (wo er 1918 die Friedensverhandlungen mit Deutschland führte, Anm.) Fehlt einem Staat diese Gewalt, kann man von Anarchie sprechen.

Zwar ist Gewaltsamkeit nicht das einzige und normale Mittel der Ausübung politischer Macht, aber es ist das ihm spezifische. Was in der Vergangenheit (immer) Gewalt auch Mittel jeweiliger sozialer Gefüge, so ist heute das Verhältnis der Staaten zur Gewalt höchst intim geworden, indem sie nach und nach alle, auch die in partiellen Gefügen existierende Gewalt(en), an sich gezogen haben. Das ist das, so Weber, der Gegenwart Spezifische: daß der Staat jede Form der Gewalt monopolisiert.

Politik heißt also: Streben nach Leitungsgewalt, nach Macht. Während jeder Herrschaftsbetrieb, der Staat also, vor allem eines braucht, um zu funktionieren: Gehorsam gegenüber jenen Herren, deren Gewaltausübung auf dem Anspruch auf Legitimität besteht.

Warum ich das bringe? Weil man sich manchmal, und für viele gilt gewiß: das erste Mal, mit den ganz einfachen Grundtatsachen der Dinge, die uns umgeben, noch mehr aber: die uns bestimmen, auseinandersetzen muß. Vielfach hat man heute ja den Eindruck, daß die meisten Diskussionen mit Begriffen operieren, deren Grundgehalt kaum noch transportiert wird, die also völlig leer und deshalb offen für jede Form von Mißbrauch verwendet werden.

So das Verhältnis von Staat und Gewalt. Das nachdenken läßt über das Verhältnis jedes soziologischen Gebildes - und wie erst die Familie - zur Gewalt. Und über die Konsequenzen, die es hat, wenn der Staat, die jedem sozialen Gefüge notwendig eigene Gewalt zentralisiert.

Denn unmittelbar neben einer solchen Zentralisierung der Macht (beziehungsweise Gewalt) steht, daß in einem Staat Gehorsam und Loyalität den Herrschenden gegenüber nur mit zwei Mitteln wirklich aufrechterhalten werden können: durch soziale Anerkennung und Reputation, die der Herrschende vergibt, und ... durch materielle Anreize und Belohnungen, durch Geld.  Der totale Staat braucht also auch totale materielle Verfügungskraft.

Wie umgekehrt: totale Verfügungsgewalt bringt unweigerlich und automatisch, als der Sache einwohnend, totale Gewalt.

Soviel zum Sozialstaat, zu dessen Automatismus es gehört, jedes soziale Gefüge nach und nach zu determinieren, und damit aufzulösen, alle kleinen Sozialgefüge zu einem einzigen großen umzugestalten ...

Schon aus diesem Grunde muß mit großer Skepsis betrachtet werden, wenn unter "Verwaltungsreform" verstanden wird, untere Verwaltungseinheiten aufzulösen, um Verwaltung (noch mehr) zu zentralisieren! Vielmehr sollte über ein anderes Prinzip nachgedacht werden - nämlich jenes, ob nicht die Wurzel gar vieler Übel in der "Professionalisierung" von Politik als Beruf liegt: brauchen wir überhaupt Berufspolitiker? Sie staunen? Die Schweiz hat keine ...




*170610*

Mittwoch, 16. Juni 2010

49. Präzisionsversuch

Was die Dinge an sich also sind, erkennen wir durch ihre Nachformung (die als Vorstellung auftritt - ein Vorschlag aus der Phantasie, die auf ein vom ersten Lebensmoment an aufgebauten und immer komplexeren Erfahrungs-/Gefühlsschatz zurückgreift, was wir gemeiniglich als Erinnerung bezeichnen, den wir annehmen oder verwerfen oder umgestalten, bis er zu passen scheint, also: erklärt) und dem im Nacherleiden (also: ein Erinnern) sich ablösenden Eigenschaftlichen, das uns über dieses Erkenntnisobjekt ausgesagt wird.

Wir "erkennen" also am anderen, was wir an unserem eigenen Wollen erkannt haben.

Ich gebe nämlich dem Raum, in mir, das etwas will (dem Ding an sich) - und aus dem Bewegtwerden erfasse ich seine Qualität, wird der fremde Wille qualifizierbar, wird das (fremde) Ding an sich erkennbar, ja wird erst zu einem Ding (das es ohne Eigenschaft nicht gibt.)

Kant schreibt ja einmal, daß alle Dinge, die nicht durch eine solche Anschauung gedeckt sind, "leer" bleiben, also auch keine Erkenntnis sind.

So aber wird die unüberbrückbare Distanz zwischen Erkennendem und Erkenntnisobjekt geschlossen" - durch vollkommene Rekonstruktion. Durch: Wahrheit im Erkennenden.

Demzufolge, so Schopenhauer an einer Stelle, müssen wir die Natur erkennen lernen aus uns selbst - nicht umgekehrt uns selbst aus der Natur.



*160610*

Neulich in Knittelfeld (2)

2. Teil) Das Unglaubliche passiert, und der Unglaublichkeiten mehr


Während die Vereinsfunktionäre im Knittelfelder Gasthof Zur Post schon ausgelassen weil so erleichtert das "Unfaßbare" feierten, drang eine Hiobsbotschaft durch, die die Stimmung schlagartig verwandelte. 

Denn der SV Sankt Lorenzen / Knittelfeld, aus diesem benachbarten Kuhdorf, hatte den TUS Sankt Stefan/L. aus dem Lorenzener Birkenstadion (Bild) vor zweihundertfünfzig fanatisierten (Originalton Vizeobmann Weber, mit einem Beiklang, als wollte er den Österreichsichen Fußballbund mit einer Anfrage kontaktieren, ob sowas von fanatisiert überhaupt zulässig sei. denn da mußte es doch Grenzen geben?) Zuschauern mit noch unglaublicheren 30 : 1 (9 : 0) regelrecht aus dem Stadion geschossen. Dabei waren alleine in den letzten zehn Minuten der Spielzeit noch acht Tore gefallen. 

Bei nunmehr mit vierundsechzig Punkten hergestelltem Tabellengleichstand, aber mit 108 : 103 erzielten und 28 : 26 erhaltenen Toren einer um drei Tore besseren Tordifferenz hieß der Meister also schon wieder nicht Knittelfeld, sondern SV Lorenzen ...

Da blieb allen der Mund offen, und still wurde es in der Post. Der eine oder andere rief verstohlen "Zahlen!" Richtung Schank, andere grinsten selten blöd und zynisch, wieder andere schüttelten ungläubig den Kopf. "Das ist doch g'schobm," sagte schließlich der Leimlehner, der Baumeister von Dreiwiesenhofen, einem Vorort von Knittelfeld, dessen Sohn seit zwei Saisonen bei den Junioren mittrainierte, und dem Insider Talent wie seinerzeit dem Reinmayer nachsagen, der ja auch aus der Gegend stammt, und den man sogar in der Champions-League erleben hatte dürfen.

Minutenlang sagte aber sonst niemand ein Wort. "Na wenn des ned g'schobm woa," meinte schließlich dann der Lechner Kurt, und sah sich unsicher unter seinen Sitznachbarn um. "A so a g'schobene Partie!"
Der Tauber Heinz leerte sein Glas, drehte sich dann zur mittlerweile mit dem Geldtascherl herumlaufenden Veronika und deutete, daß auch er gleich gehen wolle.
"A so a Schaas," wurde von irgendjemandem gezischt.
"Trotzdem sollt'n ma nicht vergessen, daß hier Großartiges für die Jugend geleistet wurde und weiterhin geleistet werden wird," meinte nun der Oberstudienrat Lechner das Ruder der Stimmung herumreißen zu können.
Aber niemand apportierte das Stöckchen.
Wenn nur nicht der Schupfer Edi so blöd gegrinst hätte! Und seine Bemerkung war völlig unpassend, mit der auch er nun die Stimmung aufzulockern gedachte: "Tja, im Fußball muß man eben mit allem rechnen. Der Ball ist rund. Sowas is' Schicksal!" 
Dem Weber stieg die Galle hoch. Er mußte gehen. Außerdem wartete sowieso seine Lebensgefährtin, sie wollten ja noch in diese Pizzeria in der Nähe von Kleinwiesen fahren. In der Stimmung, in der er jetzt war, hätte er aber gleich am liebsten alles hingeschmissen. Was ging ihn denn eigentlich dieser Verein an!? Als ob er nicht so schon genug Ärger hätte.
"Du hast alles getan, wirklich alles, was möglich war" beugte sich nun der Oberstudienrat mit raunender Stimme zu ihm hin. "Du hast Dir nichts vorzuwerfen, glaub mir! Jeder Verein kann sich alle Zehne abschlecken, der so einen Präsidenten hat wie Dich!"
"Jaja," nickte nun auch der Krieger Ernst, während er sich lärmend erhob, und schon im Hinausgehen seufzte er: "Geld spielt halt nicht Fußball - is's net so? Wann die am Platz alles vergeig'n, was kannst da noch mach'n?"

Aber den nahm sowieso keiner ernst, der hatte ja nie von nichts eine Ahnung.

Nachtrag vom 15./16. Juni 2010: Der steirische Fußballverband hat alle vier an obigen Vorgängen beteiligte Vereine bestraft, und die Spiele annulliert. Der Drittplatzierte, der SV Gaal, wurde zum Meister erklärt. So schrieb es der KURIER - wie immer mit Wissen aus geheimster Quelle gespeist, in dem der Welt recht gerne das Gesollte aufgenaselt wird, ich mein, eine Zeitung hat schon Verantwortung, und dieser muß sie sich gerecht machen - noch in der Abendausgabe. Und lieferte damit der Posse zweiten Akt.

DENN - die Kleine Zeitung berichtet in ihrer (späteren) Abendausgabe: Das stimmt nicht! Stattdessen war eine Vernehmung der Parteien durch Funktionäre des Steirischen Fußballbundes gerade im Gange, als die Nachricht hereinplatzte, der KURIER habe bereits den Ausgang des Verfahrens bekanntgegeben ... Daraufhin wurde die Einvernahme unterbrochen.

Noch ein Detail wurde bekannt. Wir bringen es, weil es dieses berühmte Anwehen von Schicksal spüren läßt: Ein Detail vom Spielverlauf in Sankt Lorenzen. Der SV Sankt Lorenzen hatte bis zur 88. Minute 19:1 geführt. Wer hätte da den Meisterpokal nicht schon in der Vitrine des Vereinsheimes gesehen? Da erlitt der Torwart des Gegners, des TUS Sankt Stephan, einen Hitzeschlag. Der Schiedsrichter ließ das Spiel für rund zehn Minuten unterbrechen, um den Bedauernswerten zu laben. 

Exakt in diesen zehn Minuten endete aber das Spiel des FC Knittelfeld, mit bekanntem Ergebnis: 21:0. Die Nachricht schlug bei Spielern und Funktionären von St. Lorenzen aber nicht nur wie eine Bombe ein ("Deis is g'schoum," waren sich alle einig, "na woun deis ned gschoum is?!"), sondern sie weckte offenbar schlummernde Energien. Denn als das Spiel nach erfolgter Labepause wieder aufgenommen wurde, bot der SV Sankt Lorenzen (mit den nun noch mehr fanatisierten Zuschauern im Rücken, Sie erinnern sich) noch einmal alle Kräfte auf. Und im Minutentakt wurden die zur Meisterschaft nun noch benötigten Tore geschossen. Und ein paar mehr. Damit niemand Schiebung vermuten könnte.

Sämtliche Funktionäre übrigens betonen, daß nicht geschoben worden - "Mia houm jou goa kaeinn Göuld, das ma schiam käinadn!" - sondern alles mit rechten Dingen zugegangen war. "Zweistellige Zu null-"Ergebnisse seien außerdem in dieser Liga durchaus üblich.



Die Kleine Zeitung schreibt am 16. Juni:
Die Stimmung in der Region ist unterdessen gekippt. Der Hauptsponsor des Sankt Lorenzen (!) hat dem Verein den Rücken gekehrt. Kinder von Funktionären wurden derart beschimpft, daß die Eltern sie nicht mehr in die Schule gehen ließen. Droh-E-Mails auf tiefstem Niveau langten bei den Klubs ein, ein Spieler wurde im Supermarkt sogar angespuckt.

Übrigens: Eine neue, geheime Hoffnung ist mittlerweile aufgekeimt, aber kaum jemand spricht noch darüber. Weil ja doch alle so vernünftig sind, werden in der Steiermark durch Gemeindezusammenlegungen viele viele Verwaltungskosten gespart, und wenn schon das nicht, wird die Verwaltung effizienter. Also so ungefähr. So ist zumindest das Konzept*. Aber damit Knittelfeld heißer Anwärter, als Zentrum einer neuen "Großstadt" mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Aber dann, dann wird man wohl ganz gewiß Meister. 

In Zeitung und Fernsehen war man ja mittlerweile schon mal gekommen. Und in Blogs.



*Wir wissen mittlerweile, daß sich wie bei allen vernünftigen Ideen einer Zentralregierung weder das eine noch das andere erfüllt hat. Aber wo steht geschrieben, daß eine gute Idee keine gute Idee mehr ist, nur weil sie nicht funktioniert? Eben. In keinen Zeitungen. Und in keinem Blog. Fast.


*160610*

Harmonische Gefüge

Als nicht durch Zweckmäßigkeit aus einzelnen Mechanismen, noch weniger aber aus Selektion und Zufall erklärbar sieht Woltereck die Determiniertheit (also: durch gesetzmäßige Abläufe bestimmte) von "Biocäen", von jeweiligen Lebensräumen, die am treffendsten als  Beziehungsgefüge beschrieben werden können.

Als Beispiel führt Woltereck das Zueinander von bestimmten Krebsen und Fischen in einem See, wie es vielfach beobachtet und beschrieben wurde: solange die Fische im Frühjahr klein sind, fressen sie die jungen Krebse, aber sie tun es immer in einem absolut konstanten Verhältnis. Nie fressen sie mehr als 19/20 der Population (im konkreten Fall). Diese Krebse nur können dann aufwachsen, und im Sommer besteht Jahr für Jahr die annähernd gleiche Krebspopulation, ebenso wie die der Fische. Bis sie im nächsten Frühjahr wieder ihre Eier ablegen.

Umgekehrt ist zu beobachten, daß die Krebse bemerkenswert konstant soviel Nachwuchs produzieren, als eben dieses 19/20tel, der Sommerpopulation. Sie produzieren also nicht "so viel als möglich", um möglichst viel an Nachwuchs durchzubringen. Sie hören auf, wenn diese Gesamtzahl erreicht ist, von der 95 Prozent als Fischfutter dienen.

Dann sind die Fische so groß, daß der kleine Krebsnachwuchs für sie ohne Interesse ist.

Würden die Fische nur etwas mehr fressen, müßte ihre Nahrung verschwinden. Wenn die Kladozeren (die Krebsart, die hier beschrieben wird, Anm.) sich etwa schneller fortpflanzen, oder wenn weniger von ihnen den Fischen zum Opfer fielen, so müßte ihre Zahl mächtig ansteigen, was eine viel stärkere Zehrung und vielleicht die Vernichtung der ihnen als Nahrung dienenden Kleinalgen zur Folge hätte. Die Einpassung der Tiere zielt nicht darauf ab, daß sie in möglichst großer Zahl überleben, sondern dahin, daß ein gegebenes Gleichgewicht des Kollektivgefüges erhalten bleibt.

Woltereck weist darauf hin, daß es in der Natur offensichtlich (und in unbeschränkter Art belegbar) Seinsgesetze solcher Bezogenheitsräume gibt. Solche Kollektivgefüge sind determiniert vom jeweiligen Einzelverhalten aller beteiligten Pflanzen- wie Tierarten, die alle ein Ziel haben: HARMONIE. Die Verhältniszahlen aller Komponenten zueinander sind praktisch konstant, und Regulationsmechanismen setzen immer dann ein, wenn diese Harmonie gestört zu werden droht.

Nur der Mensch vermag solche Lebenssphären stören, und er tut es auch. Damit kippen solche Bezugsgefüge regelmäßig, wenn auch nicht zwangsläufig.

Dieses Verhalten [...] muß, wie jeder Sachverhalt, einen zureichenden Grund haben. Wiederum finden wir nur denselben, uns wenig befriedigenden Seinsgrund (ratio sic essendi), den auch die geometrischen, chemischen, psychologischen Grundsachverhalte haben: Alles Sosein, ob wir es analysieren können oder nicht, wird durch zeitlose Konstanten gesetzmäßig, so wie es objektiv ist, determiniert. Von uns wird es dann empirisch transponiert. Auch jedes auf der Erde vorhandene Kollektivgefüge und sein Ausgeglichensein ist als solches gesetzmäßig determiniert; also nicht nur die Einzelphänomene, sondern auch alle Beziehungen zwischen den Phänomenen, Dingen, Substanzen usw. sind gesetzmäßig festgelegt. Die metaphysische Frage nach dem Woher und Warum dieser Determinierung ist ebenso vergeblich wie die Frage nach dem Warum der Existenz des Chlors, oder der Grundeigenschaften des Wassers, des Dreieckes, des Identitätssatzes, der feinsinnigen Zeit, usw. 



*160610*

Dienstag, 15. Juni 2010

Partei, nicht Parlament

Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen, so Max Weber in "Politik als Beruf", war die Umbildung der Demokratien zu Parteienlandschaften. Damit wurde das Wesen des Politikers maßgeblich verändert: die Parteien wurden zu schlagkräftigen "Maschinerien", die durch Diszipilin und Effizienz das Ziel - Stimmen- und Machtgewinn - umsetzen sollten. Erstmals entstand der Typus des Parteibeamten, und zugleich veränderten sich die Anforderungen an den Führer der Partei.

Denn das unzweifelhafte Hauptkriterium wurde nun, daß derjenige auch als Führer gewählt wurde - von den Parteibeamten - der den Apparat, die Maschinerie, am besten bedienen konnte! Und damit entstand erstmals auch eine bemerkenswerte Diskrepanz zu den Parlamenten, denn diese Anforderungen bedeuteten auch, daß die Parteimaschinerie in Gegensatz zum Parlamentarismus an sich gelangte: Führer war der, dem der Parteiapparat auch gegen das Parlament folgte.

Die Parteimitglieder und -funktionäre erwarteten selbstverständlich auch vom gewählten Führer persönliche Vorteile! Er mußte, aufgrund seines Charismas, das von ihm erwartet wurde, nicht nur den Machtbereich der Partei, und damit der Funktionäre, vergrößern, sondern sie auch für die Gefolgschaft entlohnen.

Nicht mehr also der Parlamentarier war der "Pfründevergeber", sondern der Parteiführer. Ein dramatischer Paradigmenwechsel! Aus dem Politiker aus Charisma - wurde ein plebiszitär gewählter Parteiführer. Und Weber dazu radikal: "Die Leitung der Parteien durch plebiszitäre Führer bedingt die Entseelung der Gefolgschaft, ihre geistige Proletarisierung, könnte man sagen. Um für den Führer als Apparat brauchbar zu sein, muß sie blind gehorchen, Maschine [...] sein, nicht gestört durch Honoratioreneitelkeit und Prätensionen eigener Ansichten."

Eine Entwicklung im übrigen, die aufgrund der soziologischen Gegebenheiten in den USA von Anfang an verkehrt herum zu Europa ablief, auch wenn sich mittlerweile manches angeglichen hat - dort waren es, anders als hier, zuerst die bürgerlichen Parteien, die solche Entwicklungen nahmen. In Europa hingegen die Sozialdemokraten.



*150610*

Taumel statt Glaube

"Ihr Verstand, von dem sie sich leiten lassen, bietet ihrem Geist nichts als Mutmaßungen und Schwierigkeiten; die Absurditäten, in die sie dadurch verfallen, daß sie die Religion leugnen, werden schwerer zu vertreten als die Wahrheiten, deren Erhabenheit sie in Erstaunen versetzt, und weil sie keine unverständlichen Mysterien glauben wollen, jagen sie einem unverständlichen Irrtum nach dem anderen nach. Was meine Herren, ist denn schließlich ihre unglückliche Glaubenslosigkeit anderes als ein Irrtum ohne Ende, eine Vermessenheit, die alles aufs Spiel setzt, ein gewollter Taumel, in einem Wort ein Hochmut, der sein Heilmittel nicht vertragen kann, nämlich eine rechtmäßige Autorität?

Glauben Sie ja nicht, der Mensch ließe sich nur durch Zügellosigkeit seiner Sinne hinreißen: die Zügellosigkeit des Geistes ist nicht weniger einschmeichelnd; genau wie jene verschafft sie sich verborgene Genüsse und wird wie sie durch das Verbot gereizt. Solch ein Hoffärtiger glaubt sich über alles und sich selbst erhaben, wenn er sich, wie ihm scheint, über die Religion erhebt, die er so lange hochgeschätzt hat. Er stellt sich in die Reihe der aufgeklärten, beschimpft in seinem Herzen die schwachen Seelen, die nur den anderen folgen und nie selbst etwas finden; und so wird er das einzige Objekt seines Wohlgefallens und sein eigener Gott!"

Jacques Bénigne Bossuet, in seiner Grabrede für Anne de Conzague
 
 
 
*150610*

Montag, 14. Juni 2010

Erst im Konkreten ein Motiv

Schopenhauer bringt es einmal auf einen radikalen Punkt: Der Charakter, das Wesen der Dinge ist ein an sich: grund- und ursachenlos ist er da, immer, weil zeit- und raumlos.

Von Ursache und Wirkung, vom Kausalitätsprinzip (als apriori des Erkennens) kann man erst sprechen, wenn es in die Zeit und den Raum tritt beziehungsweise diesen (in seinen Bezügen) schafft. Hier also liegt es nur an der Art des Anreizes, des Anstoßes, in welcher Weise sich dieses "Leibsein wollen", das allen Dingen prinzipiell eignet, ja das zu ihrem an sich sein gehört,  und das Aristoteles "Entelechie" nennt, äußert, wie es sich als dieses konkrete Ding, als dieser konkrete Mensch an sich, immer als vereinzeltes, vereinzelter, in der Welt darstellt. Hier erst kann man auch von Motiv sprechen. Das Ding an sich, mit seinen Kräften, ist aber nie durchschaubar, es hat in seinen Anlagen keinen uns erkennbaren Daseinsgrund.

Es ist also nicht der Mensch, der böse handeln will, wenn er böse handelt, sondern das Böse in ihm, das bei dieser oder jener Gelegenheit wirklich wird.

Der Gedanke springt auf, als Elfriede Ott von Nestroys "Zu ebener Erd - und im erstern Stock" spricht. "Nestroy," so Ott, "hat deutlich genug gesagt, daß in dem Moment, wo die Armen reich werden, sie genauso korrupt werden, wie die Reichen, die über ihnen wohnen."



*140610*