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Dienstag, 22. Juni 2010

Unvereinbare Welten

Am gelungensten, schönsten empfinden wir eine dramatische Handlung im Kunstwerk dann, wenn sie uns am natürlichsten erscheint. Das macht zum Beispiel einen Shakespeare so unübertrefflich, auch noch heute.

Demnach hat die Beurteilung der Geglücktheit eines Dramas, also hat der Zustand des Dramas als Wort in eine Zeit hinein, direkt mit der Auffassungs- und Wahrnehmungswelt des Betrachters zu tun.

Fehlt es an innerer Lauterkeit, um Poesie wahrzunehmen, so kann das poetischste Stück durchfallen. Genauso wie jene, die nach Auffassungen ablaufen, die denen des Publikums zuwiderlaufen, also deren Erwartungen nicht entsprechen, und deshalb als nicht natürlich beurteilt werden.

Letztere beide Fälle sind genau die Ursachen des Niedergangs heutigen Theaters als Volksanstalt. Das war keineswegs immer so. Denn noch vor hundert Jahren waren die Auffassungen über die Natur der Welt und der Dinge weitgehend gleich, oder ähnlich. Man konnte noch mehr von einer Einheit der Weltauffassung bei den Menschen sprechen. Man erkennt nur, was in einem ist, und man erkennt nur, wenn die Freiheit besteht, die Begriffswelt ständig der Anschauungswelt zu öffnen - und nach Wahrheit als Weg zu suchen, diese Anschauungsbilder auch in Begriffe ordnen zu können.

(Übrigens ist ja einer der häufigsten Züge am Theater und in der Kunst, auch im zur Groteske aufgeweichten "Trash", auf jede Ordnung zu verzichten - das Warum liegt auf der Hand.)

Heute ist die Disparatheit enorm, und sie ist es gerade in einer Form, wo die herrschende Denkweise, die Doktrine, um nicht zu sagen: Massenpsychologie und -psychose, von der Poesie so weit entfernt ist, daß wirkliche Poesie kaum noch eine Chance hat, erkannt zu werden.

Schon gar von Lektoren und Dramaturgen an etablierten Stellen, die mit entsprechender Indoktrination von den Universitäten - den zeitgemäßen Indoktrinierungsstellen - kommen.

Deshalb haben strukturelle Aussagen, wie sie zum Beispiel die Sozialwissenschaften liefern: "Theater muß in der Erfahrungswelt der Menschen ansetzen" - keinerlei Relevanz mehr. Denn die Definition dessen, WAS denn da in der Erfahrungswelt der Menschen überhaupt vorhanden sei, liefert den Schlüssel. Und weil sie der Kern des Relevanzverlusts der Kunst für die Menschen ist, steht sie sich - als Lösungsansatz der Herrschenden gefaßt - selbst im Weg.



*220610*