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Dienstag, 22. Juni 2010

Und sie schämeten sich nicht

In der Pflanze, so Schopenhauer, offenbart sich der Wille zur Existenz am naivsten. Sie trägt ihre Genitalien nicht verborgen - bereits bei den Tieren haben die Fortpflanzungsorgane den verstecktesten Platz! - sondern auf ihrem Gipfel zur Schau. "Diese Unschuld der Pflanze beruht auf ihrer Erkenntnislosigkeit: nicht im Wollen, sondern im Wollen mit Erkenntniß liegt die Schuld."

Eine Pflanze erzählt sich nur aus ihrem Dasein, aus ihrem Bau, und es offenbart sich ein bloßer, blinder Drang zum Dasein, ohne Zweck und ohne Ziel. Ihr ganzer Charakter liegt vor dem Betrachter, der Wille hinter ihrer Erscheinung liegt blank vor einem. Bereits beim Tier, noch mehr beim Menschen mit Verstand und Planung, braucht es Handlung, damit das Leben sich aussagen und sein empirischer Charakter, als Wille, erkennbar werden kann. Auch wenn das Tier noch naiver, sein Wille zum Leben noch nackter gleichsam vor einem liegt, als im Menschen.

Bei allen Lebewesen aber braucht es eine Entwicklung, um zur Vollgestalt seiner selbst zu gelangen. Während in der anorganischen Welt alles sich unmittelbar mit dem Dasein aussagt. Das Leben aber braucht seine Geschichte, um ganz zu werden.



*220610*