Im Kurier fand sich dieser Tage ein
Artikel des Chefredakteurs. Mit dem Grundtenor, daß die Jugend doch viel besser sei, als ihr Ruf. Sie sei auch keineswegs so mutlos, wie es immer dargestellt werde. Immerhin hätten sie erst jüngst bei den Gesprächen in Alpbach, wo sich "Macht und Intelligenz" zusammenfänden, das Podium erobert. Wenn das kein Zeichen sei? Denn immerhin sei das Eine klar geworden:
Die jungen Leute von Alpbach sehen die Vorteile unseres politischen
Systems, einschließlich der Sozialpartnerschaft. Sie haben ja auch davon
profitiert, vom Gratis-Schulbuch bis zum Auslandsstudium. Sie erkennen
auch die relativ guten Wirtschaftsdaten, die niedrigen
Arbeitslosenzahlen an. Aber das reicht nicht. Den Politikern stehen sie
im besten Fall ratlos gegenüber, ihre Sprache ist ihnen fremd.
Möge also doch der Geist von Alpbach über die Jungen kommen, schreibt Brandstätter, und schließt seine Wortmeldung endgültig mit dem Schrei, der durch alle Stillen dringt:
Junge, wir brauchen euch, ihr könnt es besser!
Hätte der Verfasser dieser Zeilen in seiner längst vergangenen Jugend solch einen Artikel gelesen, ihm wäre erst recht das Kotzen gekommen, hätte er nicht bereits ausgiebig mit diesem Problem zu tun gehabt. Zumal in einem Blatt, das sich schon traditionell durch besondere Konstruktivität hervorhebt, bei allem den Blick fürs Ganze nicht verliert ... das heißt: nach dem, was dem Land dient. So ungefähr, und nicht anders, als es die anderen Blätter in diesem Land machen, die sich dieser staatstragenden Verantwortung immer bewußt blieben. Eines der Blätter, die diese neue geordneten Medienlandschaft als
spezifisch amerikanisches Blatt auszeichneten, die die Besatzer nach
1945 einrenkten bzw. schufen.
Hier, in Österreich, und gewiß auch anderswo, ist ja das Denken für den großen Rahmen von besonderer und gar nicht so erstaunlich: ungebrochener Tradition. Hier, in Österreich, vielleicht aber mehr als anderswo, weiß man, daß man Wichtiges zum Gelingen der großen ideen und Konzepte beizutragen hat. Jeder. Hier, in Österreich, ganz gewiß mehr als anderswo, weiß man was man den großen übernationalen Aufgaben, den Völkerzielen und -instutionen schuldet, denen man deshalb mit besonderem Eifer beweist, zu welcher Verantwortungshöhe ein Österreicher zu steigen vermag. Und sei er schlumpiger Kurier-Redakteur. Jeder Österreicher vertritt das Ganze, dem er dient, mit Leib und Seele!
Österreich war jahrhundertelang Lehrmeister der Welt, und es wurde von seinem Gipfel heruntergewatscht. Beides hat geprägt. Hier gibt es schon aus Vererbung aber immer noch mehr Lehrer und vor allem: mehr Stellvertreter! Mehr Verantwortung. Wir sind geborene Platzhalter! Mehr und vor allem bessere Kaiser(stellvertreter), mehr Präsidenten, mehr Führer, mehr Minister als Bürger. Hier, in Österreich, gilt deshalb nach wie vor der Grundsatz ganz besonders, daß man an sich selbst vorzuzeigen habe, wie alles sein sollte. Hier weht um jedes titelbeschmückte Haupt der hehre Hauch höchster und demütigster Weltweihe und -sendung. Denn eigentlich, eigentlich sind wir ja die Besseren, wo auch immer. Und mit dieser Brille suchen wir die Weltkarte ab. Täglich. Stündlich. Auf und ab, hin und her. Damit es sich beweise.*
Und ehe wir auf den Artikel überhaupt inhaltlich eingehen, erlaube man uns auf seinen eigentlichen Bedeutungshinterhalt hinzuweisen: Wir, hier in Österreich, wir Österreicher also, haben in Alpbach den geheimen und unübertrefflichen Nabel der Welt - sieht man von den Bilderbergen ab, aber slebst deren Sekretär ist ... na? ... richtig: Österreicher, und wir wissen ja alle, daß die wahre Macht IMMER die Sekretäre haben, immer - behalten. In Alpbach, wo sich der Welt Macht und Weisheit trifft. Hier, bei uns. Wo sonst. Wo schon Wittgenstein mit Popper stritt. Wo ein vermeint entrumpftes Haupt im virtuellen Phantomschmerz zu spüren vermeinte, was Leib überhaupt sei, und dabei ... den eigenen Leib nicht sah. Es möge sich der werte Leser selber Gedanken machen, warum sich dieser Bezug hier findet. Weil ein Österreicher nämlich eben - ein Österreicher ist. Und sei er Kurier-Chefredakteur.
Vieles, vieles ließe sich sagen, die Tastatur möchte fliegen. Wir wollen uns aber zuchtvoll beschränken, es wird ohnehin noch genug werden, daran hegt der Autor dieser Seiten keinen Zweifel. Wenn er in einer Rückkehr zum zum eigentlichen Thema dieser Festhaltungen - dem nämlichen Kurier-Artikel, dem nämlichen Ausschnitt daraus - mit dem dezenten Hinweis fortsetzt, daß der Zustand des politischen Systems, die "Ratlosigkeit", mit der man seinem Funktionieren gegenüberstehe, vielleicht mit seinen "Vorteilen" ganz direkt (!) in Zusammenhang steht?
In einem Land der Rundumversorgtheit, die die Jugend so "zu schätzen weiß", der aber vielleicht genau aus demselben Geist herrührt, in dem sich das politische System so unerträglich verfilzt hat? Das es nie gewagt hat, den jungen Menschen reinen Wein über die Wirklichkeit einzuschenken, und damit nie mit der eigenen Tradition brach? Das alle Hände voll zu tun hat der Bevölkerung zu verbergen, wie jene Wirklichkeiten aussehen, die alle die Scheinwirklichkeiten, an die die Menschen glauben, um jeden Preis aufrechthalten möchten? Virtuell, wie die Reichsidee, die dann zusammenbrach, als der Glaube daran erlosch? Die die Jugend - und schwenken wir endgültig zum Konkreten - auf Wege geschickt haben und schicken, die ins Nirgendwo führen? Sodaß sie nun glaubt, es läge nicht an den Wegen, die sie gegangen sind, sondern an den anderen, die die positiven Effekte verhinderten?
Denn die Wahrheit, die es zu sagen gäbe, die ist tatsächlich vielleicht zu hart, um sie erst überhaupt einmal einzusehen, und sie dann auch noch zu sagen, denn wer könnte sie tragen? Sie würde nämlich in einem Aufgreifen des aufrufenden Tones des Kurier lauten:
Junge Menschen, wir haben Euch um Euer Menschsein betrogen!? Die Wege, die Schulen, die Pädagogik, die Vollversorgtheit - alles das war ein einziger Irrtum!? Die Werte, an die wir Euch zu glauben manipuliert haben, sie sind falsch!?
Aber noch viel viel mehr - wir haben Euch korrumpiert, bis in die letzte Haarwurzel, mit Gratis-Schulbüchern und Studienjahren in Barcelona und dem Recht auf Rundumversorgung, die Euch schlaff und selbstbezogen und vor allem: blind, nein: HÖRIG gemacht hat. Euer Leben war bisher ein einziges Durchschleusen von einer Blendkammer in die nächste.
Bis in die Wurzel? Das trifft es. Ihr seid nämlich nun entwurzelt, rumpflos Euch selbst entfremdet, auf eine Logik konditioniert, die die Welt gar nicht mehr trifft, nur noch das System - und DAMIT hängt Lebensmut vor allem zusammen, nicht mit Respektlosigkeit und Egozentrik. Ihr steht also mit leeren Händen da, wenn ihr denn noch welche hättet. Und werdet Euch alles nun selbst (und mühsamst!) aneignen müssen, was zu einem gelungenen Leben erst befähigt, werdet Euch diese Hände erst noch wachsen lassen müssen. Wenn ihr den Mangel überhaupt noch entdeckt. Freiwild, das seine Häscher selbst noch ins Recht setzt. (Übrigens: wißt Ihr, daß genau das die Problematik des Mißbrauchs ist?)
Denn wozu wir Euch ermuntert und (nicht) erzogen haben, der ganze Begriff von Staat und Gemeinschaft den wir in Euch hineingelegt haben - alles das, genau das hat Euch kaputtgemacht! Ihr seid rundweg eine belogene und betrogene und kastrierte Generation! Die nun "ermutigt" werden soll, den ganzen Wahnsinn noch zu perpetuieren und um Gottes Willen das System, das doch so "viel Gutes" gebracht hat, aufrechtzuhalten. Auch Brandstätter will ja eines Tages seine "wohlverdiente" Pension?!
Ach so, klar, er hat ja außerdem seine "dritte Säule" eingerichtet. Also den (natürlich absolut seriösen) Hedgefonds, in den er sein Erspartes (sind da Gänsefüßchen frech?) investiert hat, der muß schon bleiben, wo kommen wir denn da hin. Aber kontrolliert, klar, moralisch einwandfrei, und wie, da gibt es keine Kompromisse. Und staatlich garantiert.
Wobei, halt, wir haben da ja eine ganz anderes Terminologie, pardon: Denn Leistung, bitte, das vergeßt nur mal nicht! Oh, der Verfasser dieser Zeilen kannte sie gut, überall und in allen Institutionen und Unternehmen, denen der Herr Bischof oder der Herr Kommerzialrat die Wangen tätschelte, weil sie scon vor dreißig Jahren so hungrig danach waren, die interne Logik mit Haut und Haar zu verkörpern. Und dann traf man sie und trifft man sie, heute, in allen Ebenen und Positionen, genau die, die man doch früher mal ... verachtet, oder eher noch: gar nicht ernst genommen hat. Wo sich die Nieten auf berührend seltsame Weise die Hand mit den "Strebern" schütteln, die es ohnehin immer gewußt haben.
Vielleicht liegt die Ratlosigkeit genau darin begründet - daß das Unbehagen mit der Art zu denken, in die sie hineingepreßt wurden, in die hinein sie verführt, von der sie existentiell abhängig gemacht wurden, zusammenhängt? Sodaß sie nie erfahren haben, daß es eine Antwort des Lebens selbst gibt, vorausgesetzt, man sucht sie, man WAGT sie, wozu es aber etwas brauchen würde, was man Euch ganz gezielt ausgeredet hat? Selbst diese Mühe braucht es nicht mehr - landauf, landab wird das Land durchgekämmt nach Talenten, nach geborenen aber übersehenen Superstars, nach Jungen, die diesen Kriterien eben entsprechen; nach Hochbegabten und Förderungswürdigen, und wer, bitte, ist nicht zumindst "hochbegabt"? Und immer noch kommt sie nicht, die Generation von Mutigen? Ja, wie Tantalus sogar, am Kaukasus festgeschmiedet, weicht das Wasser zurück, je mehr er sich zur Durstlöschung neigt?
Weil das Denken mit seinen Imperativen und Dogmen, die zum Systemerhalt notwendig sind, gar nicht mehr erreicht, was im Innersten gefühlt wird? Daß es ein riesiger Bluff ist so zu tun, als gienge ja alles ruhig so weiter - wir müssen nur die Energieversorgung nachhaltiger gestalten, den Müll trennen, besser verhüten (oder: um das eine oder andere Kind mehr in die Welt setzen, Kinderaufbewahrungsstätten selbstredend flächendeckend und allzeit da), mehr Internet integrieren und mehr Bahn fahren und mehr Rad, und mehr mitreden, egal wo, und mehr aufdecken und mehr kontrollieren, egal was, und mehr Energiesparlampen einsetzen und mehr Ausbildungszertifikate ansammeln und sich mehr für Technik interessieren (weil das "die Wirtschaft", "die Wissenschaft", erstere noch mehr die letztere, so sagt man, braucht), und vor allem! vor allem mehr Gleichberechtigung und mehr Emanzipation und mehr Impfungen zum Schutz vor HPV für die jungen Mädels, und alles ohne Gewalt (also: ohne die, die uns gerade stört) und mehr Piraten ("Besser, egal wovon, egal wie, nur: Schneller!" Längst gibt es ganze Ministerien, Mehrzahl, die sich nur noch damit befassen, was sie als nächstes abschaffen können.)
Ja was hat denn heute überhaupt noch einen Sinn, in einem Zeitalter, in dem alles längst aufgehört hat, an einen Sinn zu glauben. Das wäre ja unvernünftig.** Bis hin zur Architektur des Dekonstruktivismus, die eigentlich ja ganz genau zeigt, wo wir stehen und in welcher Atmosphäre - des vom Fliehenden zurückgelassenen Nichts - wir leben? Leben. Was ist heute nicht schon ein Herumfuchteln nach fetten Fliegen, während die Moskitoschwärme kaum noch Blut im Körper gelassen haben?
Na da stelle man sich einmal vor, es kämen die Jungen drauf, daß die Probleme, mit denen wir zu tun haben, mit dem derzeitigen System, mit den derzeitigen Denkansätzen, deshalb mit so manchen der derzeitigen "Werte", gar nicht zu lösen, bestenfalls hinauszuschieben, noch komplexer, noch kritischer und noch "alternativloser" zu machen sind?*** Daß die Ratlosigkeit damit zu tun haben könnte, daß dieses Denken nur Steigerungen des Unbehagens am Jetzt, aber keine Auswege mehr bietet? Was sonst tut man denn schon seit Jahren (nein, seit Jahrzehnten), seit sich das Ende der Fahnenstange abzeichnet? Wer, was bitte, kann diese Spannung noch lösen? Wohin soll sie sich ergießen, ohne daß sie Ernst, so richtig Ernst macht? Oder sollten wir sie nicht doch ermutigen, indem wir sie glauben machen, daß es innerhalb des Systems doch noch Spielräume gibt, wir müssen sie nur finden, daß nichts, nichts Fundamentales, sich ändern muß, wir müssen nur den Klimawandel aufhalten?
Wer fährt denn nach Alpbach, wo sich "weise" und "mächtig" treffen? DIE Jungen? Oder sind es nicht genau die, die auch an den Wangen getätschelt werden möchten bzw. es längst wurden, weil in ihnen die Kräfte stecken, die die EDV so richtig auf Schwung bringen werden? Deren Mut vielleicht gar nur die Frechheit ist, mit der sie verlangen, endlich auch an die ultimativen Futtertröge zu kommen, immerhin beherrschen sie die Systemlogik prächtigst, wie ihre Ausbildungszertifikate "objektiv" beweisen? Der Autor dieser Zeilen kennt welche, die dorthin fuhren oder fahren - er erspart sich jeden Kommentar. Meint, er habe sie hier ausreichend in den Andeutungen kommentiert.
Junge aber, die so radikal weil original zu denken versuchen, daß sie der Systemlogik nicht entsprechen, deshalb von ihr gar nicht erkannt werden, die das System eben wirklich in Frage stellen, die wirklichen Mut haben (und den werden die Jungen sowieso brauchen), die meint Brandstätter sicher nicht. Die fahren nicht nach Alpbach. Die kann man nämlich noch weniger brauchen denn je. Denn längst rührt so gut wie jede politische Frage am Grundbestand des Systems selbst, wird schöpferische politische Gestaltung zur tödlichen Gefahr, die man zumindest mit "keine Zeit dafür" abwürgt. Und diese Systemerhaltung wird sich sogar noch deutlich radikalisieren, weil das System insgesamt immer "kritischer" wird.
Und das in einem Land - und am Schließen dieses Krieses merkt der geneigte Leser, der dem Verfasser bis hieher folgen wollte, daß der Schluß der Ausführungen naht - das keinen Leib hat, und das heißt: keinen Ort. Und das heißt: wo keiner seiner Bewohner einen solchen hat. Wo deshalb jeder jedem Todfeind wird, weil er durch das was er ist genau jenen Platz einnehmen könnte, der einem selber auf jeden Fall mehr gebührt - als
Neidgenossenschaft hat einer der wenigen originellen Denker dieses Landes es deshalb einmal bezeichnet. Das deshalb mit besonderer Brutalität der Reduktion aller Lebensvorgänge auf technische Prozeduren verfallen ist. Die nur eines verlangen: Systemdenken, Denken im Rahmen der zum Betrieb erforderlichen Logik. Ethisch-moralisch geworden, sich über alle Lebensgestalten gebieterisch ausbreitend. In der Ökonomie genauso, wie im Bildungsbereich, in der Landesverteidigung wie in der Außenpolitik, in der Familienpolitik nicht weniger wie in der gesamten Rechtssprechung. Überall fehlt der eine schöpferische Kern, aus dem aber Leben erst entsteht. Dafür haben wir Sozialpartnerschaft? Gibt es ein Land, wo der wirklich Andersdenkende mehr bekämpft wird? Ich glaube nicht!****
In derselben (!) Ausgabe des Online-Kurier vom letzten Samstag zeigt sich somit völlig folgerichtig, mit welchen Zielsetzungen operiert wird, was zu erreichen die "Ermutigung" ermuntern soll (und wir nehmen die Lebenserscheinungen eben ernst, also auch den Kurier, als Gesamtgestalt) - um den 10. Platz unter jenen Ländern zu erreichen bzw. zu behalten, die der Kurier als "
die reichsten im Jahr 2050" bezeichnet. Was anhand des jährlich zu steigernden und damit auch zukünftig zu erwartenden Bruttosozialprodukts gemessen wurde. (Braucht es noch die Erwähnung, daß diese Rangliste von einem anglo-amerikanischen (!) Institut erstellt wurde? Ranglisten dieser oder ähnlicher, häufig sogar fragwürdigster, grotesker Art, werden in Österreichs Medien praktisch pausenlos groß präsentiert. Vermutlich, um die Bürger zu ermutigen ...)
Ohne das aber, das sollten die Jungen ja bitte einsehen, wird es auch keine Gratisschulbücher und keine Studienjahre in Barcelona geben. Und keine Pensionen. Die angeblich größte Sorge der Jungen, wie jüngst erhoben wurde. Also, Junge, es liegt doch in Eurer Hand?! Seht, wir ersparen Euch sogar die Mühe des Älter- und Klügerwerdens, wir ersparen Euch jeden Zusammenhang von Erkenntnis und Lebenserfahrung, von Verantwortung und Weisheit - Ihr dürft in Zukunft mitentscheiden, ja wir wollen daß Ihr mitentscheidet, traut Euch, meldet Euch, BRINGT EUCH EIN! Nicht wir Älteren und Alten müßten noch wissen, wie die Welt ist. Das ist doch ohnehin so mühsam, seht nur, wo wir hingeraten sind: UNSERE Pensionen sind in Gefahr! UNSERE Welt stottert und würgt.
Man stelle sich vor - die Jungen kämen auf die Idee, daß diese heutige Welt derartig viel Verlust an Lebendigem mit sich gebracht hat, daß sie es nicht wert ist, weitergeführt zu werden. Daß es richtig und wichtig wäre, auf vieles wieder zu verzichten, vieles wieder aufzugeben, das gar nie ein "Voran" war, sondern nur ein komplexes Spiel an "noch mehr"? Erst jüngst hat auch ein Michael Haneke in einem Interview in der Presse gesagt: Man lebt mit den neuen Medien, na gut, und ist manchmal sogar gezwungen, weil sich Lebensbereiche da hinein verlagert haben und andere beleidigt wären, wenn man das nicht wahrnimmt, nicht mehr übers Handy ständig erreichbar ist. Aber ... früher ging auch alles, es ging nur anders. Der Verlust an Lebensqualität ist nämlich beträchtlich. ja es gibt sogar Stimmen (ich erwähne hier nur Rolf Kühn oder Michel Henry), die behaupten doch glatt (und der Verfasser dieser Zeilen ist derselben unmaßgeblichen Meinung) daß es keinen Weg IN diesem System mehr gibt - denn es produziert unweigerlich nur Tod.
Das ist aber nicht einmal der Anfang solcher Gedankenkreise gedacht! Da ist dann Essig, mit "Wirtschaftswachstum" und "Finanzwelt" und "BIP-Steigerung pro Kopf"! Was dann? Was mit den Schuldengebirgen? Was mit den Pensionen bei fallendem BIP und demographischer Enge - mehr Alte, weniger Junge? Was, wenn auch niemand damit mehr die Zinsen erarbeitet, auf der die Privatrente des Kurier-Chefredakteurs aufgebaut ist? Oder haben wir leicht gar diese Alternative gar nicht mehr? Und: warum?
So klingt es plötzlich ganz anders, wenn Brandstätter sagt:
Junge, wir brauchen Euch! Und mit einem charmant-gönnerischen Augenblinzler hinzufügt:
Ihr könnt es besser! Ja, das brauchen sie, die Jungen - Ermunterung, das Rad mitzutreten, auf daß es sich drehe und drehe und drehe. Weil es die Alten brauchen. Wörtlich. Und da haben wir sie auch schon, in Form von ein paar vorbildlichen Exemplaren. Da, in Alpbach, wo sich die Intelligenten und Mächtigen der Welt treffen, und sich nun die Jungen die Wangen tätscheln lassen. Sie werden mithelfen, daß auch ein Chefredakteur des Kurier seine wohlverdiente Pension erhält. Vielleicht sind wir ja sogar dann einmal das Land mit dem VIERThöchsten Bruttosozialprodukt pro Kopf? Ich meine - der Mars ist ja schon zum Greifen nahegerückt?
Dann, ja dann gibt es sogar noch den Gratis-iPod (oder was immer es dann geben wird) zum Schulanfang, samt Schaltstelle zum Kleinhirn, vom "Staat" per Gutschein und im Verfassungsrang garantiert, ab vollendetem 7. Lebensjahr allerdings erst, wir wollen ja pädagogisch wertvoll bleiben. Funktionäre braucht das Land! Aber bitte: kreativ! Und frei! Und leistungsbereit! Und mutig.
Man könnte sich vollends in Begeisterung reden. Da fühlt man sich mit einem mal selber wieder so richtig jung ... Was die Jugend nämlich vom Alter unterscheidet? Erstere hat noch den Willen, eine Welt zu bauen. Letzteres hat vor allem die Verlustangst zu besiegen, seine Zukunft liegt nicht mehr auf Erden.
***
*(Kann sich ein Bürger des heutigen Landes Deutschland überhaupt vorstellen wie es ist, wenn das Washington Unimportant Magazin
das Wort "Österreich" nur einmal versehentlich druckt? Selbst
Titelseiten hiesiger Massengazetten können die Anerkennung nicht fassen,
die es hierzulande bedeutet. Wenn die FAZ oder die NZZ etwas zu diesem
Land zu sagen hat? Wenn ein deutscher Minister zuläßt, daß ein österreichischer Kanzler sich am selben Bild wie er abgelichtet findet?
Genau, der Minister hat sogar mit ihm geredet, also: kurz vorher.
Welche Rolle es hierzulande spielt, wenn sich herausstellt, daß der
Urgroßvater von David Häßlichdoof, oder wie er heißt, aus dem Burgenland
stammt?)
** (wobei: nützlich bleibt es, klar; fehlt nur noch, daß die Kirche Plakate
aufhängt, in denen sie darauf hinweist, daß es wissenschaftlich nachweislich das BIP steigert, wenn man an einen Sinn glaubt; mit solcher Selbstbegründung begonnen hat sie ja ohnehin längst)
*** (Übrigens: hat diesen Jungen schon
einmal jemand gesagt, daß sie sich im Endeffekt ihre Gratisschulbücher
und Gratisschulfahrten und Barcelona-Studienjahre selber bezahlen werden
müssen, weil wir das Geld dazu überhaupt nie HATTEN, nur geliehen - von
IHNEN geliehen hatten? Und sie werden es bezahlen, das steht schon
heute fest. Nicht "die EU", nicht "der Staat". Mit ihrem Geld und Erbe,
oder gar mit dem überhaupt höchsten Gut der Zwischenmenschlichkeit,
IHRER Glaubwürdigkeit. Denn unsere haben wir gar nicht mehr, ob
verspielt oder ihrer beraubt tut da nichts mehr zur Sache. Und das
Studium ihrer supertollen "friends" in Barcelona werden sie auch noch
mit bezahlen, wir haben uns ja alle lieb, global wie wir geworden sind.
Ich meine, das ist ja heute alles nicht mehr so wie früher ... Wobei es
sich der Verfasser dieser Zeilen nicht verkneifen kann, zu einem
Seitenhieb auf eine sehr zeitgeistige Anschauung und Pädagogikauffassung
auszuholen, indem er aus konkreter, tatsächlicher Erfahrung vorhersagt,
was diese Elterngeneration den Jungen dann sagen wird, nämlich: "Ihr
hat es ja selber so gewollt? Ihr hattet doch die Freiheit? Ihr habt es
Euch doch selber ausgesucht? Also?!" Und dide Jungen, verdattert und
verdutzt, weil gefangen in den Netzen der Schizoidität, bedanken sich
dann noch. Wie in Alpbach, wie im Kurier berichtet, ja geschehen. Hoch
"ausgebildet", aber völlig ratlos, weil irgendwas in ihrem Leben einfach
nicht auf die Reihe kommt. Die "mittleren Jungen", die, die schon
erwachsen sein sollten, zeigen es längst vor. Da war doch noch was, das
mit dem Glück und so, wie ging das? Gibt's da nicht einen Kurs? DEN
sollte man anbieten! Palem palem, das ist doch glatt eine
Geschäftsidee!? Decke Deinen Bedarf an Glück!? Schnupperkurse gratis.
Entrittsschwelle niedrig halten. Marketing MBA, post graduate in Krems,
mit Schwerpunkt Kommunikation.)
**** (Der Autor dieser Seiten hat vor wenigen Wochen eine Diskussionssendung im Schweizerischen Fernsehen verfolgt. Wo sich zum Thema "Zuwanderung" ein als "Philosoph" titulierter Mittdreißiger mit einer mitteljährigen Lokalpolitikerin gegenübersaßen. Die völlig konträrer Auffassung waren! Dennoch war mit jedem Satz bemerkbar, daß ein Konsens gesucht wurde, daß versucht wurde, über alle Unterschiedlichkeit ein Gemeinsames zu finden. Und diese Erfahrung hat der Autor schon mehrfach in der Schweiz gemacht. Ja, sogar der "Philosoph", der an sich völliges Auflösen staatlicher Grenzen verlangte, verstand auf versöhnlich wirkende Weise die Denkweise der Politikern.
DAS gibt es in Österreich nicht. Weil, wie ausgeführt, hier jeder des anderen Todfeind ist, weil ein Zugeben in der Sache sofort in das Spiel um Selbstbehauptung, ja ums Selbstsein mündet. Wer nicht verankert ist, wer seinen Platz auf der Welt nicht gefunden hat, der kann nie gesichert ruhen, dem ist jedes Zugeben eine existentielle Niederlage, eine Totalvernichtung. Weil alles in der Anschauung liegt - nichts im realen "Sein". Kein Schweizer, der nicht zumindest etwas Lokalpatriot ist, so links kann der gar nicht sein! Und auch bei unserem großen Bruder, Deutschland, läßt sich immer wieder staunen, mit welchem Freimut dort Debatten geführt werden. In der FAZ finden sich regelmäßig Meinungen und Artikel, für die man in Österreich geächtet und in konzertiert wirkender Aktion (!) von jedem öffentlichen Wirken ferngehalten, als "rechts/rechtsradikal" keiner Meinungsäußerung wert befunden würde. "Linkssein" geht immer ein her mit "Boden-/Leiblosigkeit". Dem Bodenlosen wird jeder, der Bodenhaftung hat, zum Feind, zum "Rechten".
Kein Österreicher deshalb, der Patriotismus in den Mund zu nehmen wagt (außer in wenigen Landstrichen, wie Tirol, wo eine ausreichend große soziologische Gruppe existiert, um den Einzelnen nicht ganz dem Solitärdasein zu überlassen), der nicht sofort in die schlimmste Kategorie des Nichtmenschseins verdammt wird; der zugleich nicht darauf angewiesen ist, daß ihm der andere doch auch ein Existenzrecht zuspricht. Wobei sich kaum jemand zu wundern braucht, denn keine Gelegenheit, bei der die österreichische Vergangenheit NICHT verleumdet wird. Wer sich aber selbst nicht respektiert, der kann das auch nicht beim anderen.
Weil eben alles Gegenwärtige auf dem Vergangenen aufruht, nur durch es überhaupt ist wie es ist, damit auch im "Guten", bewirkt eine ausgelöschte Vergangenheit eine nicht vorhandene Gegenwart - und das ist gleichbedeutend dem Tod.
Entsprechend gibt es seit Jahrzehnten keine österreichische Außenpolitik, die auf einem "schöpferischen Ziel" der Zukunftsgestaltung gegründet war - die "Neutralität" war Vorwand, um das zu vermeiden. Aber ein Auftrag im geopolitischen Raum, wie er jedem Land zukäme, udn zwar als Pflicht? Um Gottes willen ... Welche Erlösung war es deshalb für die heimische Politik, als im Beitritt zur EU diese Last endgültig von den Schultern geworfen werden konnte. Nun mußten wir nur noch das bessere EU-Mitglied sein. Und waren auch innenpolitisch gesehen aus dem Schneider: wir vollzogen ja nur, was umzusetzen wir verpflichtet waren. Wenn das Unmut in der Bevölkerung auslöste, konnte sich jede Regierung freisprechen. Entsprechend hieß es ja 1994: Beitritt zur EU, aber ohne Wenn und Aber ... Dies hieß früher: Landesverrat.)
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