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Sonntag, 26. August 2012

Vom Glauben und vom Aberglauben

Gestern Abend stand am First des Kirchendachs, auf das ich von meinem Schreibtisch aus blicke, ein junger Storch. Vermutlich schon am Weg in den Süden, hat er hier Rast gemacht. Ganz ruhig überblickte er die Stadt, machte noch bei Einbruch der Dunkelheit keinerlei Anstalten, seinen Ausguck zu verlassen. Und er dürfte auch die ganze Nacht geblieben sein. Denn heute findet sich auf den roten Ziegeln eine lange Spur seines weißen Kots.

Ich sah es als Glückszeichen, als Raunen des Lebens selbst, als Zwiegespräch mit dem Lebensquell, an dessen Tür es Besuch hielt. Denn die Wirklichkeit spricht mit uns, ja wir sind nur dort und insoweit lebendig, als wir mit ihr sprechen - und sie so SIND.

Das macht verständlich wenn es heißt, daß der Aberglaube derselben Quelle entspringt, wie der Glaube. Er ist in diesem Bezug wahr und beweist eine fundamentale religiöse Haltung. Denn Religion ist nur Religion, wenn sie diesen prinzipiellen und existentiellen Schöpfungsbezug im jeweiligen Menschen hat, weil sich in den Dingen eine Wirklichkeit "dahinter" äußert, auf die sich der Religiöse bezieht.  Jede "Konfession", jedes "Bekenntnis" ist sohin prinzipiell zu hinterfragen, wieweit es überhaupt Religion IST. Deshalb unterliegt so gut wie allen Bekenntnissen, und seien sie "Weltreligion", eine ganz anders geartete Religion in den Gläubigen.*

Die Wahrheit einer Religion entscheidet sich erst in der Gestalt dieser Wirklichkeitsdeutung. Dort liegt dann das Kriterium der Kraft und Weltumfassung, in dem Religion zur Wahrheit selbst wird, oder nicht.



*Was sich im Buddhismus vielleicht am deutlichsten zeigt. Denn als Massenphänomen "gibt" es ihn gar nicht. Die Religiosität der "buddhistischen" Völker ist bemerkenswert unbuddhistisch, zeigt sich in allen möglichen religiösen Formen. Der Buddhismus selbst versteht sich ja als Überwindung genau dieser Religiosität, und ist nur in manchen Strömungen Religion geblieben. Deren Metaphysik im übrigen aus historisch aufzeigbaren starken christlichen Einflüssen beeinflußt ist.


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