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Montag, 30. November 2009

Ein stolzes Völkchen

In der Schweiz hat aus dem Gründungsgedanken heraus seit je eine starke staatliche Identität geherrscht, die eine solche im vielleicht besten Sinne war, die denkbar ist. Denn auf der Grundlage einer ungemein ausgeprägten regionalen Identität, dem sprichwörtlichen "Kantönligeist", ist die Schweiz ein Zusammenschluß, der diese kleinen Gebilde zusammenfaßt. Bei ungemein stark ausgeprägter regionaler Autonomie. Nicht zuletzt deshalb war die Schweiz bis vor kurzem nicht einmal Mitglied der UNO, ebenso wenig wie es eines der EU ist. Seine jeweils betroffenen konkreten Interessen hat es in bilateralen Verträgen geregelt, der die Schweiz durch den Beitritt zum Schengener Abkommen sogar stärker mit der EU zusammenschließen, als z. B. die meisten der ehemaligen Ost-Europa-Staaten.

Dieser staatliche Zusammenschluß - und das hatte nicht einfach wirtschaftliche Vorteile, trotz des Schweizer Calvinismus! denn man vergißt leicht, daß die Schweiz bis zum ersten Weltkrieg ein sehr armes, industriell unterentwickeltes Land war - ist für die Schweizer ein wirkliches Mittel höherer Organisation. Im Gegensatz zu Österreich hat die Schweiz ihre Eigenstaatlichkeit immer höchst glaubwürdig zu behaupten, in letzter Konsequenz durch beachtliche militärische Bereitschaft zu unterstreichen gewußt. Und das war die entscheidende Basis für ihren Aufstieg im 20. Jahrhundert, als neutrales Flucht- und Rückzugsland.

Aber diese Neutralität hieß nie Konturlosigkeit. Man hat in den 1960er, 1970er Jahren Tränen über Emil gelacht, wenn er im Film ("Die Schweizermacher"), im TV, durchaus kritisch, aber mit viel Augenzwinkern, die ganz reale Praxis aufgriff, Ausländern, die in der Schweiz dauerhaft leben wollten, die unbedingte Bereitschaft abzuverlangen, die Schweizer Art auch annehmen zu wollen. Das ging bis zu Fragebogenpunkten, wie ein Käsefondue, das Nationalgericht der Schweizer, zu kochen sei.

Zwar kann man hier kaum von Nationalgefühl sprechen - in der Schweiz leben Angehörige von drei, wenn nicht vier Nationen, und selbstverständlich sind die deutschsprechenden Schweizer immer ein Teil (ja: und einer der wichtigsten) Deutschlands gewesen. Die sich aus der militärischen Hilfe für Kaiser Friedrich II. gegen die Lombardischen Städte jene Privilegien erstmals gesichert haben, die sie dann zum Kampf gegen die Fremdherrschaft der Habsburger ermutigte. Aber es ist diese Metaidee "Staat", in Form einer Eidgenossenschaft, die alle Separatismen kurzhält. Und sie gibt den Schweizern eine starke Identität, die sie auch bis heute gewisse Unerschrockenheit, Prinzipientreue, auch wenn es Nachteile bringt, bemerken läßt.

Wer Schweizer kennt wird bestätigten, daß bei allen, ausnahmslos, ein ausgesprochenes Selbstbewußtsein ihre eigene Art betreffend herrscht, ein Stolz Schweizer zu sein. Selbst politisch unvereinbare Richtungen finden sich nach außen sofort zusammen, wenn es um die Schweiz selbst geht.  So daß sich bestätigt, was Adam Müller einmal schreibt: daß es dieser Bezug jedes Einzelnen zum Gesamtorganismus ist, der den Kredit, auch des Singulären, ausmacht.

Entsprechend unbeugsam sind sie auch. Ein in der Schweiz populäres Buch in den 1960er, 1970er Jahren behandelte ... die Taktik totalen Volks- und Guerillakrieges im Falle eines Angriffs von außen. Und während in Österreich immer schon über 10, 12 oder 24 Abfangjäger diskutiert wurde - und Österreich liegt an einem europäischen strategischen Schnittpunkt - hatte die Schweiz in den 1970er Jahren 500 (!) Abfangjäger und Militärflugzeuge modernster Art unterhalten.

Wenngleich man natürlich auf den separatistisch-voluntaristischen Charakter dieser Identitätsbehauptung hinweisen muß, den er immer zumindest als Gefahr hatte. Und dieser machte so manche Schweizer ihrem Land gegenüber auch recht kritisch. Denn wo der Staat aus der Haltung jedes einzelnen lebt, und nur daraus lebt, ist die Gefahr groß, daß jede Lebensäußerung auch als Staatsangelegenheit angesehen wird.

Vermutlich ist die aktuelle Entscheidung gegen eine Verfremdung der Kultur durch Minarette exakt aus dieser Motivlage gestärkt worden und so zu begründen.




*301109*

Das Publikum selbst schafft die Wirkung

Keine Welt ist so geschlossen wirksam, so kräftig, so echt, so lebendig, wie jene, die ein Zuseher einer Darbietung in sich selbst formt. Deshalb liegt ein Trugschluß in einer ständig weitergehenden technischen Perfektion einer darstellenden Kunst (im Kino z. B. die längst unaufhaltsame Entwicklung des 3-D-Films, der optischen Technik der Dreidimensionalität; ja diese Diskussion wurde mit Recht bei jedem technischen Schritt neu geführt, am intensivsten sogar im Sprung vom Stumm- zum Tonfilm. Meist geht die technische Entwicklung der darstellenden Künstler nur noch in die exakt gegensätzliche Richtung - einer Verringerung des Erlebens, zugunsten einer simplen Herstellung von Erlebensfrüchten - in der Sentimentalität, die eine rationale Übereinkunft ist, kein Erleben, und deshalb mit Dämonie direkt zu tun hat. (Wie künstliche Aromen, die auf einen oberflächlichen Eindruck hin auch so schmecken wie echte Früchte ...) Damit wird aber auch die Fähigkeit des Publikums, überhaupt zu erleben, durch falsche Gewöhnung zur Faulheit reduziert, erschlafft das Rezeptionsvermögen.

Wirklich bedeutet eben nicht Realität jetzt, sondern Präsenz der wirksamen Kräfte. Und die sind in der darstellenden Kunst nie - nie! - im faktisch Gegenwärtigen einer Darbietung, die zugleich zum Erlebnis werden soll.

Das Erlebnis, das aus Wirkungen entsteht, ist immer jenes, das im Publikum geschaffen wird, weil dieses selbst es sich schafft. Es liegt nicht in einer 1:1-Nachahmung der faktischen Realität. Daraus ergibt sich ein zwingender Verweis auf das Material, dessen sich der Künstler bedienen muß!

Er kann ausschließlich aus Elementen schaffen, die im Publikum enthalten, die vorhanden sind. Aus so verschiedenen Herkunftsbezirken die auch stammen mögen - tiefen seelischen Gegebenheiten. Der Eindruck von etwas Neuem entsteht nur deshalb, weil etwas bisher Unbekanntes benannt, damit vom Künstler bewußt gestaltet wurde - und in dem Moment auch jede Herrschaft der Dämonie, ja eines solcherart fälschlich als "Schicksal" verstandenen numinosen Wirkens endet.

Hugo v. Hofmannsthal schreibt einmal über das Publikum (der Salzburger Festspiele): "Und wie der Erdboden zu gewisser Zeit gewissen Samen die größte Lebenskraft verleiht, andere gerade nur duldet, zu anderen Zeiten anbaumüde wird und des Wechsels bedarf, so verhält sich das Publikum zur theatralischen Darbietung."




*301109*

Freitag, 27. November 2009

Vom rechten Nationalgefühl

Man spricht in Österreichs Medien gerne vom "Rechtsruck" in Ungarn. In den Medien, denn im Alltag spielt Ungarn als Gesprächsthema wohl kaum überhaupt noch eine Rolle: eine Art (private) Ungarische Garde hatte sich voriges Jahr gebildet, ist mittlerweile kräftig geschoren, und war in schaurig-schönen Ritualen in Budapest vereidigt worden. Öffentlich. Und so richtige Handhabe von Gesetzesseite, aber auch: Wille einzuschreiten, schien es kaum zu geben. Ein Land rutscht nach rechts? In den Nationalismus? Ja, war das im Grunde nicht eine Eigenart des Ungarn seit man denken kann, deshalb immer, auch heute eine Gefahr, gar? Und jetzt fühlt sich mancher einzelne Ungar aufgerufen, sein Land zu retten, weil "die da oben", Linke, es ihm nicht gut genug führen? Diese Ungarn also - wieder dort wo sie immer waren, rechts!?

Das ist schon deshalb interessant, weil Ungarn in den Grenzen von heute, mit seinen zehn Millionen Einwohnern, wovon fünfundsechzig Prozent Katholiken, aus allen Befunden als "links" gesehen werden muß: Zwei Drittel der Bevölkerung sind nach externen Einschätzungen wie nach Selbstauskünften als links oder linksliberal einzustufen. Dennoch, bei den nächsten Wahlen scheint tatsächlich ein Sieg der rechtskonservativen FIDESZ (bzw. ihrer Koalitionspartner) so sicher zu sein, daß derzeit bei manchen Kommentatoren gar Fragen nach der Legitimität der momentan noch regierenden Linkskoalition mit dem Ministerpräsidenten Gordon Bajnaj auftauchen.

Ist das dann "rechts"? Fragen nach der Legitimität sind Kernfragen der Demokratie, die gelöst sein müssen, und zwar nicht nur rhetorisch. Solche Fragen werden auch in Österreich regelmäßig gestellt, wenn auch nur im Kaffeesatzton als unterschiedliche "Interpretation des Wählerwillens" verklausuliert.

Sieht man davon ab, daß dieser "Rechtsruck", den alle erwarten, ganz handfeste Gründe hat. Daß er im Grunde kein Ruck "nach rechts" ist, sondern ein "Abschied von der bisherigen Mißwirtschaft und Verlogenheit" (oder so), weil in diesem Lande alles zusammenzubrechen droht. Immerhin stand der Staat innerhalb des letzten Jahres zweimal unmittelbar vor dem Bankrott. Ich möchte nicht sehen, was in Österreich passiert, wenn die Beamten um ihr Gehalt und die Rentner um ihre Rente am ersten des Monats fürchten müssen!

Sieht man weiters davon ab, daß die FIDESZ (samt einem Konglomerat an kleineren Parteien, darunter die Jobbik, die als "radikal nationalistisch-regionalistisch" einzustufen, der auch die Ungarische Garde zuzuschreiben ist) unter Viktor Orbán sich längst sehr "bürgerlich" gibt, seit sie 1993/94 regelrecht atomisiert wurde. Wobei sich gerade in Ungarn die starke Themenzentriertheit der Wahlkämpfe zeigt, und das hat mit dem Nationalgefühl, um das es hier geht, direkt zu tun: so hat in manchen ärmeren Regionen jene Partei Vorteile, die konkrete Themen anspricht, unter denen die Menschen dort leiden. Genau das hat der Jobbik bei den letzten Wahlen, der EU-Parlamentswahl 2008, in Gesamtungarn fast fünfzehn Prozent eingebracht, der FIDESZ "nur" fünfundfünfzig Prozent. Regional hat die Jobbik mit einem stark themenbezogenen Wahlkampf als stärkste Partei aber sogar die regierenden Sozialisten geschlagen.

Sieht man auch davon ab, daß der Standort des Durchschnittsösterreichers, zumindest seine Begriffswelt, so weit links gerückt sein könnte, auch ohne daß das von den Leuten selber (wohl aber von politischen Kräften) so gewollt war (oder: ist), daß schon jede traditionelle, dem Abendland verwachsene Bürgerlichkeit als "rechts = Hitler" verdächtigt, ja dieser Begriff "rechts" selbst zumindest unbewußt kriminalisiert wird, womit sich die Anti-Bürgerlichkeit in Österreich längst zum Massenphänomen entwickelt hat, dem auch traditionell bürgerliche Parteien wie die ÖVP unterliegen. Unter deren Jugend, wie Studien ergaben, ein außerordentlich hoher Anteil an "Links-Grünen" zu finden ist.

Sieht man von allem dem ab - stimmt eines auf jeden Fall, und das scheint den Österreichern nun quasi offiziell aufzufallen (denn sonst nimmt man ja in diesem Land von Ungarn, ja von allen Nachbarn gar, schier überhaupt keine Notiz: was weiß ein Österreicher von seinen vielen Nachbarvölkern, mit denen er noch dazu so lange Jahrhunderte in einem Staat verbunden war?): Aus der Geschichte heraus hat die Frage nach der "Ungarischen Nation" einen völlig anderen Stellenwert, als er hierzulande überhaupt noch nachvollziehbar scheint. Und das erzählt viel. Denn eines ist gewiß: wer immer sich in Fragen des Geistes vertieft, kommt unweigerlich zu den Fragen Staat, Volk, Sprache, Nation ...

Seien wir ehrlich: Wir wagen uns diese Fragen doch gar nicht mehr zu stellen!? Wir wagen es doch gar nicht mehr, diesen Begriffen auf den Grund zu gehen, um ihre Relevanz zu erfahren! Weil wir gar nicht sehen wollen, was wir fürchten, daß herauskommt? Weil wir dann plötzlich mit politischen Forderungen konfrontiert würden, die 30, 40, 50 Jahre Politik des vollen Bauchs unter ganz anderem Licht als sehr grundsätzlich ungenügend erscheinen lassen?

Der Österreicher kann darauf gar keine Antwort geben. Er KANN es nicht. Ich habe selbst erlebt, wie in Männerversammlungen das Wort "Heimat" gar nicht mehr ausgesprochen werden durfte. Keiner hat es gewagt! Aus Angst, sofort als Faschist verleumdet zu werden. Und die Angst vor Verleumdung ist hierzulande längst zur Dominante geworden. Es ist die Angst, zu etwas zu stehen. Zu dem andere - siehe Ungarn - offenbar noch stehen wollen?!

Gerade! müßte man noch dazu fast sagen: gerade in Österreich ist die Kraft solcher Ideen nicht nachvollziehbar ... aber was war denn Österreich je mehr als eine "bodenlose Idee", was ist es heute mehr?! Seit 1805 ist es sogar eine Staatsidee ohne Nation, und darum schon gar nicht überlebensfähig gewesen, bereits allerdings 150 Jahre zuvor auf eine Schiene geschoben - denn zu Anfang des 30-jährigen Krieges war diese Diskussion entscheidend: weil es um die Rolle Böhmens ging, ob Böhmen überhaupt Teil des Deutschen Reiches sein könne, ein Aspekt, der viel zu sehr vernachlässigt wird: denn nun fielen die letzten Schranken des Umbaus des Reichs in einen Habsburgismus, der letztlich fatal und in einem Zerreißen der Nation enden mußte, das die Habsburger (wie schon manche Herrscher zuvor, machen wir uns nichts vor: bereits ein Friedrich II. verspielte im Grunde doch schon das Reich) leider bewußt riskierten, indem sie die Nation zugunsten eines Weltreichs auflösten - was nur in einem einzigen Herrscher andeutungsweise "funktionierte", dann war Schluß, dann zerfiel es wieder in Nationen: in Karl V.

Sollte uns das nicht zu denken geben? Und mehr noch, um diesen Begriffen ihre falschen Schleier fortzureißen, um zu zeigen, daß dahinter keine Fratze der Häßlichkeit wartet: welche Nation der Welt könnte anderes sagen, als daß sie eben eine Idee ist, begründet auf einem hervorstechenden Merkmal, der gemeinsamen Sprache? Zu unterscheiden noch von der Staatsidee, der eigentlichen Reichsidee, die ganz andere Bezugspunkte hat und oft genug Gefahr läuft, der "natürlicheren Idee", der Nation, zum Opfer zu fallen - siehe USA! Natürlich: Siehe Österreich ... 1805 - 1918.

Und was war die erste Reaktion des Rest-Österreichs? Es fand sich nach dem Zerfall der Staatsidee - in der natürlichsten Reintegration, nämlich der in die Nation, der man selbst angehörte ... das Land der Deutschen. Gerade übrigens auch von den Sozialisten so vehement angestrebt. Wenn man sonst schon nichts mehr war - das aber war doch unstreitig: deutsch!? Klar, denn die Verfechter der Staats-/Reichsidee "Österreich" waren anderwärtig ausgerichtet. Und sie mußten scheitern, weil einerseits der Mut, anderseits die Möglichkeit fehlte, diese Idee zu restaurieren: in einer Monarchie.

Der Rest der Geschichte ist ja zum Teil erinnert. In den apokalyptischen Ereignissen von 1938 bis 1945 wurde der letzte Rest an Möglichkeit, sich in die eigene Nation zu reintegrieren, scheinbar unwiederbringlich ruiniert. Man kann diskutieren, ob nicht dieses neurotische Verhältnis Österreichs zu Deutschland (das dem der DDR sehr ähnelte) genau und nur dort seine Wurzeln hat: in der offenen Wunde der fehlenden, nein: vorenthaltenen Nationalität. Der Österreicher zumindest lebt nämlich im Grunde in einem eigenen Land in der Haltung eines Emigranten, die Parallelen sind zu auffällig. Seine Haltungen sind exakt jenen ähnlich, die 1938 nach New York oder Los Angeles in "Burgenlandkellern" und "Wiener Kaffeehäusern" gepflegt worden sind, und die bis heute dort dieses Gespenst pflegen.

Und aus dieser (wahrscheinlich: gewollten, in jedem Fall durch ein riesiges Tabu umwölkten) Unmöglichkeit heraus wird diese Frage gerne und völlig schwachsinnig, weil dieses Problem in Wahrheit eines ist, das zu jeder Politischen Richtung "quer" steht, in Verbindung mit Faschismus und Nationalsozialismus gebracht. Zumal es linken Gruppierungen - denken sie kurzsichtiger Weise - nützt. Diese Keule wirkt bis heute und immer und alle zittern davor, als Verbrecher verleumdet zu werden. (Und ich spare mir nun bewußt den rituell notwendigen Kotau um zu beweisen, daß ich ohnehin auch "gegen Ehschonwissen" bin, usw. usf.)

Die ungarische Nationalhymne beginnt mit einer Klage vor Gott. Sie versteht sich als Gebet und wurde selbst unter der Kommunistendiktatur ob der befürchteten Proteste nicht geändert! Gott möge nach so langer Unterdrückung seinen Ungarn doch endlich Glück schenken. Der Ungar sieht sich und seine Geschichte so: als eine Geschichte der Unfreiheit und Unterdrückung, die erst 1989 vorläufig endete. Aber er weiß, was es heißt, die Freiheit zu verlieren, ja dieses Wissen ist Teil seiner Identität geworden: die Nationalhymne ruft aus einer Situation der Bedrückung! Aus diesem Gewahrsein der Bedrohtheit, über deren historischen Wahrheitskern man nicht diskutieren muß, hat die Zugehörigkeit zu diesem Land, hat der Nationsbegriff, einen für Österreicher kaum vorstellbaren realen Gehalt. Der auch über alle Parteigrenzen hinaus verbindet! In Ungarn lebt diese Idee noch.

Wenn sie auch längst schwächelt: Vierzig Jahre Kommunismus haben ihre Spuren hinterlassen!  Falscher, vorgeblich aufmuntern sollender Optimismus, was die Schäden in Seelen, Herzen und Gebäuden anbelangt, hat schon zu oft in fatalen Realitätsverlust geführt, die Krisen der letzten Jahren sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Die Selbstmordrate war die weltweit höchste! Mit, übrigens - und das ist interessant - den übrigen fatalen Verlierern ihrer Nationsidee: Japan und Österreich, wie man hört: auch die DDR. Zumindest ein bemerkenswertes Detail: Allesamt Nationen, die aufgrund der historischen Ereignisse von außen her gezwungen wurden, der Idee ihrer selbst, ihren höheren Traditionen, ihrer Selbstbegründung, abzuschwören.

Übrigens: auch in Österreich lebt solche Idee, aber sie hat ihre Fundamente in den Bundesländern, vergesse man das nicht! Und studiere man dazu die Landeshymnen, studiere man dazu die Landespolitiken!

Aber wäre es in Österreich denkbar, die Habsburgerkrone (den "Hut") öffentlich so zu verehren, wie es in Ungarn mit der Stephanskrone, alljährlich zum 20. August, dem Stephanstag, bis heute geschieht? Wo ein ganzer Hauptplatz einer Komitatsstadt wie Sopron (Ödenburg) niederkniet, um dann die Nationalhymne, das Gebet, inbrünstig, betend, zu singen, nein, nein: mit Tränen in den Augen zu rufen!?

Bestenfalls noch in Landeshymnen, wie der von Niederösterreich. Da schrieb es Franz Karl Ginzkey, und was noch heut' gesungen wird: "Oh Heimat, Dich zu lieben, getreu bis in den Tod, im Herzen steht's geschrieben, als innerstes Gebot" - so jedenfalls habe ich es immer gesungen. (Die offizielle Version singt freilich heute: "getreu in Glück und Not." Da war's mir gewiß schon als Kind immer leid um die vertane Dramatik.) Und da taucht auch noch auf: "Wir müh'n uns Dir zu dienen", sowie: "gilt es zu dir zu stehen, mein Niederösterreich!" Wir sollten sie also noch kennen, diese Bezüge ...

Und spätestens jetzt wird klar: dieses heutige Österreich ... ist anders als Ungarn nie ein "Land" gewesen, das mit den heutigen Gegebenheiten, dem faktischen heutigen Österreich, etwas zu tun hat: diese Idee Österreich ist tot, und sie ist bis zum heutigen Tag nicht wieder auferstanden. Es fehlt jede historische Kontinuität, die diese Idee am Leben erhalten hätte, und eine wirkliche Neuschöpfung fand nie statt. So ist die Geschichte dieser Landstriche zwar eine österreichische - aber sie ist weit weg und fern, sie ist wie hinter einem Schleier verborgen, wie eine Mär aus einem Traumland, das auf dieses Heute keine Befruchtung mehr ausüben kann. Und darf. Österreich heißt zwar Österreich. Aber es IST kein Österreich ... Es IST ein Kärnten, ein Tirol, ein Salzburg, ein Oberösterreich, ein Burgenland ..., weil das auch nie anders war. Das Verbindende, das zu einem Staat wirklich verbindende, ist vielleicht nur eine hauchdünne, wie Zellophan zerreißbare Mogelverpackung.

Es hat so gesehen seine ganz eigene Logik und Richtigkeit, daß in diesen Tagen ein Österreicher EU-Kommissar für Regionalfragen wurde! Vielleicht ist das genau deshalb so bemerkenswert, weil das Bewußtsein zum Bild konstruiert, was fehlt. Ein Regionenkommissar, der gar keine Nation kennt, der diesen Begriff nicht als Heimat erfahren hat und doch von seinen Inhalten getragen wurde ... Womit nicht verwunderlich wäre, wenn klammheimlich genau diesem Kommissar, wenn er alle Gebote zum Selbsthaß, die dem Österreicher als Geburtseid abverlangt sind, umschiffen kann, eine erst kaum bemerkbare Akzentverschiebung "unterlaufen" würde ... Region, Nation ...

Diese "Bundesländer" nun, sie haben alles, sie haben auch ihre Symbole, sie haben den Bezug ihrer Identität und ihrer Ehre. Aber ein Österreich - hat keine Krone mehr. Die liegt weit ab, in einer Schatzkammer, als Museumsstück, als Erzählung aus einem Land weit weit weg. Selbst die historischen Verantwortungen in seinem geographischen Raum hat ja Österreich nach 1918 weit von sich geschoben. Seit damals waren alle auftauchenden Fragen der Siebenbürger, der "Schwoben" (Ungarndeutschen), der Banater, Gotscheer, Batschka, Sudeten und Schlesier - solche Deutschlands. Wie erst ja auch wir. Da wußten wir es noch.

Sie, die Krone, ist eben Symbol (dabei: eines von  mehreren) für einen Bezug, der das Leben eines Volkes, hier wieder: jedes Ungarn, bis heute gar mit dem Bewußtsein bereichert, ja sinnvoll macht, daß er in eine Solidargemeinschaft (s. unter anderem Max Weber) kraft Geburt eingebettet ist, dem er einerseits viel, ja sein Leben verdankt, das ihn anderseits aber auch braucht, dem er zugehört. Dieses Volk ist weit mehr als die Menschen, die ihn zufällig umstehen. Es ist eine Idee vom Menschsein! (Magyar heißt vermutlich: "Magy/Mann-er/Mensch") Ein Sammelpunkt von allem, was jeder einzelne Ungar sein und haben kann. Und diese Idee ist nicht zufällig und zusammengestoppelt, sie ist eine Idee im Herzen und Willen Gottes, also Gebot gleichermaßen wie vor allem Verheißung.

Es gibt also immer ein "wofür", so schlimm auch alles kommen mag: In diesem Bezugspunkt. Der ist unzerstörbar, und er lebt, solange jeder für sich ihn hochhält, und er ist konserviert, im Gedächtnis Gottes! Dann hält diese Idee auch jeden einzelnen hoch, läßt ihn alle Unbill ertragen, läßt in größter Not überleben, und macht jeden Einzelnen zum Träger und Verwalter eines Erbes, nein: zum Mitwisser, zum eingeweihten Repräsentanten dieser Idee, mit Rechten, mit Pflichten. So daß es einen Gehalt hat, wenn er sagt: Ich bin Ungar! Es sagt: In mir wird die Idee des Ungarn sichtbar! Und ich werde dieser Idee niemals Schande machen, solange ich lebe, ja im Gegenteil: ich werde ihren Ruhm mehren, von dem alle meine Nachfahren noch zehren können, um dasselbe zu tun! Ich werde zeigen, daß diese Idee, die Idee des besten Menschseins, in allen historischen Bezügen, bedeutet.

Aus dieser Idee erst - und der Lebendigkeit, in der sie noch präsent ist - ergibt sich eine Einschätzung eines Volkes, ergibt sich seine Kreditwürdigkeit, seine Vertrauenswürdigkeit. Nicht aus momentanen Nöten, Schwächen und Geschicken. Und alle, die Ungarn sind, sie alle sind Mitglieder dieser Solidargemeinschaft, weil alle gleichermaßen sowohl in Pflicht und Treue wie in Liebe dieser Idee ihr Leben hinzufügen. Sodaß alle verbunden sind, in einem riesigen, von Eigenheiten zu einem Organismus selbst geprägten Mosaik von Bedarf und Dienst, von Beruf und Gebrauchtheit. Je vollkommener dieser Organismus ist, umso mehr kann er an der Völkergemeinschaft wiederum, dem kontinentalen, dem globalen Völkerdorf, seinen Dienst erfüllen.

Von dieser Warte aus wird das Wohlergehen Ungarns zu einem nationalen Anliegen ganz anderer Art. Und das kann niemals als simpler "Umtrieb der bösen Faschisten" mißdeutet werden, auch wenn es in manchen Färbungen faschistoide Züge annehmen kann - dazu unten. Noch 2006 wurde in einer Volksabstimmung eine Mehrheit (1,5 Mio für, zu 1,4 Mio dagegen) dafür erzielt, allen Ungarn, auch jenen, die als Minderheiten in den angrenzenden Staaten lebten, die ungarische Staatsbürgerschaft (mit allerdings etwas verminderten Rechten) zuzusprechen. Wohl aus außenpolitischer Raison, aber auch weil die Sozialisten regierten, die gegen dieses Anliegen waren, wurde es nicht verwirklicht.

Am interessantesten war wohl die Begründung, die für dieses Anliegen geboten wurde: Weil so jeder Ungar, egal wo er lebt, weiß, daß er einen Ort hat, dem er zugehört. Das zeigt, daß es in Ungarn noch Köpfe gibt, die die Bedeutung des Staates für den Einzelnen richtig einzuschätzen wissen. Und mit Adam Müller wissen, daß aus einem gesunden Staatsbezug Prosperität im Einzelnen erwächst - aber nicht umgekehrt. Diese Metaidee - die Nation, nicht "der Staat" (wie in Österreich!) - sollte dem Ungarn Identität geben, wo auch immer er sich aufhält. Sie sollte ihm einen Boden für sein In-der-Welt-sein geben.

Realpolitisch war es als Maßnahme auch gegen den in Ungarn längst eingetretenen Bevölkerungsschwund propagiert, und so gesehen nicht unklug: Als Anreiz zur Niederlassung für die Ungarn in den Nachbarstaaten genauso, wie für die Heimischen, gar nicht fortzugehen. Alleine in den fünf Jahren von 2001 bis 2006 hat nämlich die Bevölkerung des Staates Ungarn um 200.000 abgenommen, das sind fast 8 Prozent der arbeitenden Bevölkerung! Zum einen: durch die wie in ganz Europa extrem niedrige Geburtenzahl. Zum anderen aber durch Abwanderung, und häufig gerade der besten Köpfe, ein Problem sämtlicher Oststaaten seit der "Wende" übrigens.

Erst in diesen Tagen las man in ungarischen Blättern, daß Ungarn nun sogar ein schlagendes Problem der Ausbildung habe - zuwenige Fachkräfte, selbst im Handwerk, zuwenige kompetente Akademiker. Und wer kennte nicht Ungarn, in Wien, in den österreichischen Städten in denen sie (vor allem seit 1956) so zahlreich und doch so unauffällig leben, in ihrer bekannten Tüchtigkeit. Es scheinen ... die besten gewesen zu sein, die gingen. Eine doppelte Doktorin - der Rechte und der Wirtschaft - die heute in Wien lebt, meinte mir gegenüber: sie (ihr Mann ähnlich) hätten in Ungarn einfach keine adäquate Arbeit finden können. So gingen sie ins Ausland, mit Herzschmerz. Denn sie lieben Ungarn.

Sie lieben Ungarn. Lieben wir Österreich? Tun wir etwas um des Landes willen? Für andere, für den Begriff "Österreicher", für unsere Nachfahren ... Nicht daß ich sage: wir müßten es! Aber schön, schön wäre es, in solch einem Land zu leben?

Historisch sind die Ungarn, als ursprüngliches Reitervolk, ohne Boden, also immer auf eine Metaidee angewiesen (ähnlich den Türken!), immer auf eine einigende Idee angewiesen gewesen. Daran hat auch die Zuweisung der Karpatischen Tiefebene an sie als Lebensraum, nach ihrer Besiegung am Lechfeld, nichts geändert. Was an der Art der landwirtschaftlichen Nutzung erkennbar wird - der extensiven Viehwirtschaft, bis heute.

Zumal es "den" ethnischen Ungarn kaum wirklich gibt, weshalb die ungarische Sprache als Träger der Nationalität so eine große, historisch nicht immer unproblematische Rolle (die Magyarisierung fremder Völker, die auf ungarischem Boden lebten, ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte dieses Landes) spielt - die Magyaren waren nur einer von zehn Steppenstämmen, die Europa im 9. Jahrhundert ständig heimsuchten.

Erst nach der vernichtenden Niederlage im Jahre 955 durch Kaiser Otto I. wurden sie "Mitglied der Europäischen Völkerfamilie", und geeint unter Arpad, dann unter dem Hl. Stephan, dem ersten gesalbten König Ungarns, im heutigen Gebiet, dem Karpatischen Becken, das topographisch bis an die Adria reicht, seßhaft. Im 13. Jahrhundert fast ausgerottet (50 Prozent Bevölkerungsverlust durch Tataren- und Mongoleneinfälle), bat König Bela I. schließlich Deutsche, Schwaben, die verwaisten Gebiete neu zu besiedeln ... so entstand dieses Naheverhältnis (und dieses Thema wäre damit auch geklärt).

Dann kamen (ab Mitte des 16. Jahrhunderts) die Türken, fast 200 Jahre lang, und dann - die Habsburger. So sehen es die Ungarn. Die seit dem Tode des letzten ungarischen Arpadenkönigs im Jahre 1301 nur eine glückliche Zeit kennen: die unter Matthias Corvinus (1459-90), der die Herrschaft derer von Anjou unterbrochen hatte. (Genau, die uralte Gegnerschaft Frankreich - Römisch-deutscher Kaiser, die die ganze europäische Geschichte so kennzeichnet ...)

1918/19 verlor Ungarn (in den Diktaten von Trianon) nahezu zwei Drittel seines ehemaligen Staatsgebietes, und fast die Hälfte seiner Bevölkerung. Noch heute leben rund 5 Millionen Ungarnstämmige, bis heute ungarisch Sprechende (man schätzt, daß heute aber nur noch rund 10 Prozent der Bevölkerung der Abstammung nach "Magyaren" sind) nicht in Ungarn, vor allem in Rumänien, Kroatien und der Slowakei. Das ehedem ungarische Gebiet "Westungarn" (Burgenland) hat sich ja bekanntlich Österreich einverleibt. Das, gewiß, an anderen Stellen empfindlich halbiert wurde, denn es sollte nach Sprachengrenzen gehen. Zumindest sagte man das zuerst - es kam bei den großen Verlierern, und das waren vor allem Österreich und Ungarn, wie man sieht, ziemlich anders.

Die Ungarn haben sich also schon - aus ihrer Geschichte erkennbar - seit Jahrhunderten zu behaupten, im wahrsten Sinn: Sie müssen sich behaupten! Wenn sie es nicht tun - niemand sonst würde ihre Existenz in die Welt setzen! Weil ihnen also sonst das Dasein als Nation abhanden gekommen, weil genommen wäre. Ein Volk kann eben nur, und das immer und ausschließlich, als "Nation" existieren kann, wie sonst? Nation ist die Daseinsform eines Volkes - so wie die Daseinsform von Shetlandponys die von "Shetlandpony" ist. In der Form eines Staates, oder Landes, oder Teilstaates, oder in der Diaspora ... diese Form ist variabel. Aber ein Volk, das aufhört, sich als Nation zu empfinden, zu sehen, verliert seine eigene verbindliche, es zu sich selbst machende Norm, es verliert sich also selbst. Und muß unweigerlich untergehen, bzw. weil es keine "herrschaftslosen Räume" in der Geschichte gibt: in einem anderen Volk aufgehen. Ein Volk geht nicht unter, weil seine Bürger dekadent werden, weshalb die Nation unter die Räder kommt, sondern weil die Nationsbezüge verfallen, weil sich die Staatsidee verflüchtigt. Bis niemand mehr diese Staatsidee für daseinswürdig hält. Gerade Rom ist ein hervorragendes Beispiel, solche Vorgänge zu studieren, genauso wie Ungarn, und wie erst Österreich.

Nationalgefühl, das es, weil nie abgesprochen oder gefährdet, gar nicht nötig hat, sich "apodiktisch zu behaupten", ist die erste Kraftquelle des Singulären, und ist jener Topf, aus dem sich die Kreditwürdigkeit, also das Zutrauen der Welt, nährt. Und sie ist in Notzeiten, da, wo sie behauptet werden muß, gegen die Angriffe der Nichtbehauptung, provoziert seine Repräsentanten zur rückhaltlosen Selbstüberschreitung, zur Hingabe.

Denn alle Dinge beziehen ihre Identität aus ihrer höchsten Möglichkeit. Aber alles handelt erst in seinen Möglichkeiten, wenn es dieses Selbstsein in der Welt weiß. Darum ist es diese Idee wert, sein Leben dafür einzusetzen - für kommende Generationen zumindest.

Wenn dazu keiner mehr bereit ist, siehe Rom, dann ist es eben zu Ende. Vielleicht nicht heute, sicher aber morgen. Denn ohne solche Idee zu leben, bringt ohne jeden Zweifel einen Rückfall in schlimmstes, primitivstes Banausentum, in seelische Verelendung, die alles, was überhaupt noch Kultur sein kann, in einer abstoßenden Freß- und Fickmoral erstickt.

Ich bin überzeugt, wenn man untersuchte, wieweit Nationalstolz und Lebensglück, Lebenskraft und -mut korrelieren, daß sich ganz klare Bezüge ergeben. Denn nur wer Identität hat, kann entschlossen handeln, kann überhaupt irren, kann aber auch glücken.

Gewiß, ich schreibe hier von "den Ungarn", obwohl es faktisch nur einen Teil der Ungarn betrifft, denn zwei Drittel der Ungarn sind sozialistisch, und das ändert sich nicht von heute auf morgen! Das Wiederaufkeimen dieser nun vielleicht etwas klareren Idee ihrer selbst ist in Ungarn aber nun tatsächlich als "politische Idee" erneut aufs Tapet gekommen. In Stellungnahmen von Viktor Orban, dem bereits einmal Ministerpräsident gewesenen, wie wohl auch den bald wieder dieses Amt bekleidenden Vorsitzenden der FIDESZ, kommt die Sprache erstaunlich klar auf diese Aspekte. Und so ist auch die von den Sozialisten verhinderte "Doppelstaatsbürgerschaft" für alle Ungarn, ob innerhalb oder außerhalb der Staatsgrenzen lebend, zu verstehen gewesen. Die Idee der Nation soll wiederbelebt werden, als neues Erschließen einer Kraftquelle, um die Ungarn so von innen heraus wieder auf die Beine zu bringen. Wenn das die Bedrohungsquelle der Linken hierzulande ist, dann haben sie recht, und es ist wohl auch so. Denn der Instinkt der Linken, mit dem sie alles wittern, was aufrichtet, anstatt niederreißt, ist beträchtlich.

Aber dem Ungarn ist sein Land wichtiger als Partei oder Richtungsstreit, er denkt politisch pragmatisch - für sein Land! Das kann sich, und spätestens hier muß es klar sein warum, ein Österreicher (was ist das eben?) so gar nicht vorstellen. Dadurch aber sind auch die extremen Schwankungen bei Wahlen, von ganz links bis ganz rechts, erklärbar: war die FIDESZ 1993/94 fast aufgelöst auf 7 Prozent, hatte sie 2006 44 Prozent, und 2009: 56 Prozent, während die Sozialisten binnen drei Jahren von 46 auf 17 Prozent gefallen sind, gerade noch mehr als die ganz rechte Jobbik. Der Ungar wählt jene Programme, die seiner Meinung nach für sein Land gut sind, er ist nicht wie in Österreich mit einer Partei verschwistert. Das kann man als demokratische Unreife sehen, man kann darüber diskutieren ob ein ähnliches Phänomen in Österreich nicht Auflösungserscheinung ist - es gründet in Ungarn in jedem Fall dort, was über allen historischen Wandel entscheidender Stabilitätsfaktor blieb: ein Ungar ist zuallererst Ungar! Für die Freiheit, den Bestand seines Landes läßt er sich auch von Panzern niederwalzen, dafür schießt er auf Besatzer! Der Österreicher ist dieser Tradition längst entfremdet ...

In Ungarn muß man das auch den jungen Menschen nicht erst erklären, oder aufschwatzen. Ich habe noch nirgendwo so deutlich erlebt, wie selbst städtische Jugendliche, in Disco-Outfit, in größter Selbstverständlichkeit Volkstänze tanzen, und in diesen unnachahmlichen Bewegungen ihre Stiefel knallen lassen. Und wenn am Marktplatz eine Gruppe aus einem Nachbardorf Volksmusik macht, dann hat das niemals den Charakter einer musealisierten Touristenfolklore - die Gesichter der Männer, der Frauen, die im Wechselgesang sich anstacheln, sich verspotten, sich necken, die tragen echte Freude und Lust. Sie sind stolz auf ihr Dasein, und sie sind einerseits rasch beleidigt, wenn sie ihr Land zuwenig geachtet fühlen, anderseits öffnen sie jenen alle Türen, die sie einfach sein lassen, die guten Willen zeigen, sie zu respektieren.

Auf einmal sprechen sie selbstverständlich in der Sprache des Gastes (und es können z. B. viele Ungarn sehr gut Deutsch!), fühlen sich geehrt und reagieren lächelnd mit Großmut, wenn man sie in ihrer Sprache anzusprechen versucht, dabei im Stolpern über so manches auf die schwierige Sprache hinweist, die sie (angeblich) haben - sie haben eben noch eine Eigenart. Und die lieben sie, sie ist oft genug in der Geschichte unter die Räder gekommen. Aber sie hat überlebt. Als unsterbliche Idee, der gegenüber alle verpflichtet sind. Darum hat man auch unlängst erst - und nicht nur in "rechten" Kreisen - auf die vom ungarischen Nobelpreisträgers Kertesz in Interviews geäußerte Kritik an seinem Land so empfindlich reagiert: er kann sagen, was er möchte, aber warum ... macht er Ungarn im Ausland schlecht? So empfindet das der Ungar.

Diesen Nationalismus DER UNGARN als Bezugspunkt ihrer Selbstachtung, auch in größter Not und Bedrängnis, aber nicht zu bewundern, sondern ihn primitiv als Faschismus zu desavouieren, zeugt nicht nur von wenig Verstand. Sondern von einer aggressiven Forderung nach nationalem Selbstmord, nach Erniedrigung zum quiekenden Schwein, das nur noch an den vollen Napf denkt - der die Ungarn hoffentlich noch lange widerstreben werden. Die noch so viel an Eigenem haben, an Lebendigem, das in der grotesken Privatheit und Rückständigkeit, die der Kommunismus schuf oder zuließ, noch überlebte. Denn solchen Nationalstolz, der jedem Volk eigen sein sollte, zu "bekämpfen" schafft (!) erst jene Formen, die einem Volk gar nicht mehr Nationalismus, sondern dessen "Rettung" - und hier wird er, wird jedes "Gute" möglicherweise zum Faschismus - notwendig machen.




*271109*

Meinungskampfschrift, nicht mehr: Abiogenese

Dann IST Leben also nur "Essen, Verdauen, Stoffwechsel, Informationsaufnahme" ...? Der 10minütige (auf den ersten Blick: beeindruckende) Beitrag (bis ich - aus manchem bereits mißtrauisch geworden - dessen rein chemisch-biologische Stichhaltigkeit, auch in Details absichernder Anfrage bei Fachwissenschaftlern - spezieller Dank an Reinhard Junker! - überprüft habe) definiert es so: er zeigt, wie aus rein organischen, chemischen Vorgängen diese selbst zur "Illusion" führen, chemische Prozesse wären nur eine andere Sichtweise von "Leben". Entstanden aus bloßen Temperaturwechseln, die zu chemischen Prozessen führten, die komplexere Molekularstrukturen "schufen", aus Erwärmen und Abkühlen ...

Um diese These zu untermauern, geht der Beitrag übrigens weit: er gibt sogar zu, daß die bisher oft so hartnäckig behauptete These, daß es dem Forscher Stanley Miller 1953 gelungen wäre, auf chemisch-physikalische Art und Weise -  Blitze in einer Lösung, die der "Ursuppe" entsprechen muß - Eiweiße zu erzeugen, die (bei etwas Phantasie) Lebensbausteine wären, nicht der Wahrheit entspricht. Miller HAT NIE brauchbare Eiweiße erzeugt. (Das haben ja Gegner des Evolutionismus immer behauptet.) Das wußte er natürlich auch selber, aber der Film unten gibt auch zu, daß eben der prinzipielle Weg falsch war: es war eine Sackgasse, weil der zum Aufbau von (aus langkettigen Aminosäuren bestehenden) Proteinen durch die Miller'schen Annahmen und Prozeduren genau verhindert wird.

Daß der Film, der die (angeblichen) Forschungsergebnisse des heutigen Nobelpreisträgers Jack Szostak "populär verständlich" aufbereitet, nur auf den simplen Kreationismus der Amerikaner eingeht, ist ein anderes Problem, das wir hier gar nicht streifen wollen und nicht müssen.

Denn der Kern der Gegenargumentation liegt ganz woanders. Er liegt zum einen auf der Ebene des "Epiphänomens" - daß also "Leben" nur durch mangelnde Vorstellungskraft nicht als rein chemischer Prozeß gesehen wird, als schlichtweg andere Sicht der immer gleichen Sache also: so wie für den einen Bootslack ein Dicht- und Schutzstoff ist, für den anderen: Dekor.

Dieses Argument ist nicht neu. Es ist bekannt aus der Diskussion, was denn Bewußtsein sei - auch nur ein chemischer Prozeß der Eiweißzellen des Gehirns?

Auf diese materialistische Resignation, die sogar "menschliche Größe" zitiert, beruft sich dieser Filmbeitrag. Unabhängig vom Zirkelschluß, den das Argument der "Epiphänomenologie" bedeutet (Literaturhinweis: Pöltner "Evolutionäre Erkenntnistheorie"), das auszuführen hier aber den Raum sprengen würde, und in Häppchen ohnehin laufend passiert oder schon geschehen ist.

Als naturwissenschaftlicher Kern aber fällt etwas anderes auf, das man bei genauer Betrachtung des Films zwar ahnt, aber erst bei einer gewissen Kenntnis der Thematik und vor allem der Auseinandersetzung als typisch erkennt. Und für bisher ausnahmslos JEDEN "Beweis" für Leben als rein mechanisch-chemischen Prozeß gilt: Auch dieser Filmbeitrag, der emotional noch dazu mit Beethovens Neunter effektvoll spielt, alleine das ein Vorgehen, das auf andere Absichten schließen läßt als auf sachliche Explikation - Wissenschaft DARF gar nicht mit Gefühlen spielen - mogelt sich auf höchst unlautere Weise an den wirklichen Fragestellungen völlig vorbei!

Weder stimmen die Fragestellungen, noch sind die herbeizitierten zu widerlegenden Männer und Fakten die wirklich maßgebenden, noch stimmen die höchst generös gehandhabten, sich in Wahrheit bewußt schwammig haltenden, vorgeblich beweisen sollenden, in Wahrheit aber voreingenommen machen sollenden bloßen "chemischen Fakten"! Ein erster Blick auf die wirkliche naturwissenschaftliche Faktenlage macht das klar, ja zeigt sogar, daß sich diese "Beweisführung" seit vielen Jahren als Teilmythos, als "Sekte", entwickelt hat. Umso vollmundiger tönen die (darunter: inhaltlich leeren) Behauptungen, schaffen dafür den fumus ... eines Weltenmythos. Das war ja wohl auch die Absicht.

Und das alles noch völlig unabhängig von der Tatsache, daß kein lebendiger Mechanismus, keine lebendige Einheit mehrerer Zellen in der Natur bekannt ist, die keine zentrale Steuerung besitzt! Wo also etwas ihn ordnet und koordiniert, ihn auch als Ganzes, und auf eigene Weise, mit der Umwelt kommunizieren läßt, das über alle chemischen Prozesse hinaus auf ein "etwas Seiendes" hinweist, das das Sein von simplen mechanisch-chemischen Einzelvorgängen qualitativ um eine Dimension übersteigt.

Der Film ist also eine einzige Behauptung, die weit mehr als einem erst bewußt sein mag die Phantasie anregen soll, an ein Welterklärungsmodell zu glauben ... indem zum Numinosum eines Mythos überredet werden soll, bis zur Sollbruchstelle: "Selbst wenn nicht alles erklärbar ist, es stimmt ..."

Auf eine Art, die die Unmöglichkeit für die meisten, sich mit den wissenschaftlichen Fakten überhaupt so intensiv auseinanderzusetzen, weil man im Alltag steckt, ausnützt, um politisches Kleingeld im Meinungskampf zu münzen, um Stimmung zu machen. Weshalb man eindeutig von Unredlichkeit sprechen muß. Deren einzige Absicht ist, jene zu stärken, die - Ihnen, mir - schon morgen an der nächsten Straßenecke begegnen, in der Kantine plaudern, oder den Off-Text von Universum schreiben, und verkünden: "Wissenschaftlich ist bewiesen, daß ..."

Und damit auf Menschen treffen, die - wie Sie, wie ich - nicht ständig in der Lage sind, sich über jedes naturwissenschaftliche Detail am laufenden zu halten, und dann so etwas hören und sich sagen: hm, stimmt das also nicht, was ich vor Jahren eingehend geprüft, beurteilt, und als Erkenntnis verankert habe?

Warum macht man das, und wer?! Warum wird ständig versucht, aggressiv (denn: Unredlichkeit ist eine Form der Aggression) Meinungen zu bilden, zu verändern, zu beeinflussen? Ziehen Sie selbst die Schlüsse - ein eigenes Kapitel, das von Welt, Identität, Selbstvollzug und Todesangst handelt. Seriöse Wissenschaft, die bereit ist, nichts als die Wahrheit zu suchen und zu akzeptieren, arbeitet in jedem Fall anders.





*271109*

Innere Vernünftigkeit des Kunstwerks

"Ein Kunstwerk bildet sich organisch in einem Menschen, der das entsprechende Talent hat, und weil es sich organisch gebildet, hat es auch das mit jedem Naturerzeugnis gemeinsam: daß es im Innersten vernünftig ist. Diese innere Vernünftigkeit kann auf keine andere Weise erzeugt werden, denn selbst der größte Verstand - und dieser kommt z. B. bei Erzeugnissen der Unterhaltungsindustrie nicht einmal in Frage, denn wer sich zum Verfertigen von Unterhaltungsromanen hergibt, wird ein gewisses Maß des Verstandes nie übertreffen - kann jenes organische Sich-selbst-bilden des Kunstwerks in der Seele des Künstlers nicht ersetzen. Faust ist innerlich vernünftig, und Gil Blas, Iphigenie und Manon Lescaut, sie sind alle Natur.

Aber die Romanschreiber, welche die Natur selbst nicht haben, und nie die innere Vernünftigkeit der Charaktere und Schicksale darstellen können, müssen auf den Unsinn, die Albernheit und die Dummheit kommen, es ist nicht anders möglich. Da sie in ihrer Zeit und für ihre Zeit schreiben, nämlich für die durchschnittlichen Menschen ihrer Zeit, zu denen sie ja selber gehören, so geben sie die falschen Zeitvorstellungen und Empfindungen wieder [die in dieser Zeit herrschen, Anm.],  meistens in Nachahmung eines bedeutenden Künstlers der vorigen Periode.

(Paul Ernst, in "Ein Credo")




*251109*

Mittwoch, 25. November 2009

Adel und Untergang

GESANG VOM MANNE

Weite Meere aus Blut, im Ohr
brausend dumpfen Gesang, Sturm um die Stirn. 
    Die Bucht
grau der Tränen, das Inselreich
fern geschaut, nur im Traum näher und spät erkannt.

Preisgegebenes Segel du!
Zollst dem Sturm nach Gesetz, sättigst am Zwang die 
    Kraft,
voll Geheimnis und untertan
fernem Stern, doch der Fahrt dienstbar, getreu und kühn.

Klarer, trächtiges Schiff, voran!
Unberührt drüberhin, aber des Abgrunds all-
    wissend. Weise und ohne Zeit:
Also opfre dein Bug namenlos neuem Land.

Tief bedenkend die Fracht und tief,
tiefer, was auf dem Grund, wolkiges Dunkel, ruht;
ungehoben und späterm Volk
Sinn für Woge und Blitz, Adel und Untergang. 

(Josef Weinheber)




*251109*

Das Gefühl aus der Wirklichkeit

Auf den Punkt bringt Paul Ernst Auswirkungen des von ihm als "falsches Empfinden" (das man auch als: unterschieds- weil kriterienverlorenes, an den Sachen nicht mehr geschultes, identifiziertes Fühlen bezeichnen könnte) klassifiziertes Urteilen des heutigen Menschen, am Beispiel des Urteilens über Kunstwerke, und insbesonders jene des Theaters:

Indem er nämlich unterscheidet: Oft ist heute ein "Gefallen" nicht mehr als eine Form von "ästhetischer Befriedigung". Insofern eine Form von Erfüllung intellektueller, rationaler, typischer Vorstellungen, ja eine Befriedigung von simplen Erwartungen, eine Bestätigung.

Wirkliches Gefühl (am Theater, bzw. generell beim Genuß eines Kunstwerkes) ist aber ein Erleben der Wirklichkeit! Erst dort setzt Wesen und Wirken eines Kunstwerkes an.

Ernst bedauert, daß vor allem erstere Art, Kunst und Theater zu rezipieren, überhand genommen hat, wenn es auch kaum anders kommen konnte. So daß wirkliches Empfinden, Fühlen, kaum noch von all diesen Beimischungen getrennt werden kann.




*251109*

Dienstag, 24. November 2009

Leiden muß der Künstler

"Wenn man genau zusieht, so sieht man gewiß mehr Künstler, denen es geschadet hat, daß es ihnen zu gut ging, als Künstler, die beeinträchtigt wurden durch ihr Unglück.

Wenn es einem vielleicht glückt, das einzusehen, dann kann er das Höchste von Freiheit erreichen, das dem Menschen möglich ist: seine ganze Persönlichkeit mit seinem Schicksal zusammen nur als Mittel zu empfinden für die Zwecke, welche sein metaphysisches Ich, der Künstler in ihm, erreichen will.

Wenn ich den Mythos von Homer richtig deute, dann besagt er: Homer wußte, daß er arm und blind sein mußte, damit er so schöne Gedichte machen konnte. Das ist aber ein Ziel, das ganz sicher kein anderer Mensch erreichen kann als nur der Künstler."

(Paul Ernst in "Künstlerlos", zur Frage, ob der Künstler arm oder leidend sein müsse.)




*241109*

Nicht das Wieviel. Das Wie.

Paul Ernst schreibt einmal: "Sie brauchten [nach Beginn des Maschinenzeitalters, Anm.] nicht mehr so viel zu arbeiten wie früher, aber Zeit für etwas Vernünftiges hatten sie weniger als früher, nur Zeit für Unvernünftiges hatten sie mehr. [Es ist heute sogar so weit gekommen, daß die Empfindungen falsch sind.] Gleichzeitig beginnt es, daß immer mehr Menschen freie Zeit haben, mit der sie nichts anfangen können." (F. G. Jünger übrigens meint: die Mechanisierung hat nicht weniger Arbeit gebracht, sondern in Summe: mehr - aber das ist ein anders Kapitel.)

Goethe erlebte, daß Kotzebue von einer weiten Reise zurückkam. Er war bis nach Japan gereist, und hatte dort den Mikado gesprochen. Das wollte damals etwas sagen. Eines jenes Tages machte er mit Eckermann einen Spaziergang von seinem Haus nach Oberweimar, und sagte dabei: "Ja, Eckermann, wenn unsereins von Weimar nach Oberweimar geht, so erlebt er mehr, als wenn Herr von Kotzebue Audienz beim Mikado hat."




*241109*

Sonntag, 22. November 2009

Raben und Augen

Die Mär von Krähen, die auf Augen losgehen, stammt aus dem Mittelalter. Dort hatte man nämlich auch Raben und Krähen auf Jagd abgerichtet, indem man sie lehrte, die Augen der Beutetiere auszuhacken.

Dies tat man, indem man ihnen von Jugend an Köpfe von Tierkadavern, deren Augen durch Fleischstücke ersetzt worden waren, vorhielt, sodaß sie darauf konditioniert wurden.




*221109*

Sinnbild der Niedertracht

Eines Tages wirft Friedrich II. seinen Lieblingsfalken auf einen Reiher am Himmel. Sein Saker stößt dem Reiher nach, doch der verteidigt sich geschickt mit seinem langen Schnabel, und nur mit großer Mühe scheint der Falke ihn erlegen zu können.

Da taumelt ein zerzauster, kranker, junger Adler, in geraumer Entfernung, über den Horizont. Augenblicklich läßt der Falke vom Reiher ab, stößt auf den Adler, und erledigt diesen.

Angewidert blickt Friedrich dem Spektakel zu. Bis er seinen Leibfalkner beauftragt, dem Falken den Kopf abzuschneiden. Weil er seinen Herrn getötet hat, sagt er.

Bin ich schon wie jener Adler, fragt sich am Heimweg der alternde Kaiser?

Und mit Ekel geht er hinfort durch die Reihen der Hoffalkner, die ihm vor jeder Jagd ihr Tier anbieten. Jedes Tier, sinniert er, ist durch Nahrung käuflich. Selbst ein Brocken Fleisches vom Hund bricht ihren Willen, und macht die edelsten, wildesten Falken zu würdelosen, jammernden Bettlern.




*221109*

Der Tugend schädlich

In dem von ihm entworfenen Castel del Monte, einem Oktagon, fehlte eine Küche. Kaiser Friedrich II. hielt zu üppiges speisen, einem Rat des Arabers Avincenna (Ibn Sina) folgend, für der Tugend schädlich.

Ein einfacher Kamin, über dessen Feuer auch gekocht werden könne, müsse genügen, meinte er.





*221109*

Nur über die Falken kann ich sprechen

Interessante Fragen, die sich der Stauferkaiser Friedrich der II. in Apulien stellt. Ich kann so viel fragen, meint er einmal, aber bin ich dadurch gescheiter geworden? Sind meine Fragen nicht wie die Mähne des Löwen - eher politischer Natur, als wirklichem Interesse an Weisheit entsprungen? So viele Fragen, die ich nur stelle, um mein Nichtwissen zu verbergen. Ich bewege mich so viel - in der ruhelosen Bewegung aber setzt sich weder Fett noch Weisheit an. Ich weiß nichts, nur über die Falken, da kann ich mit den Weisesten der Welt sprechen.

Und über die Genesisberichte sinnierend: Mit dem Auftrag zur Benennung der Tiere wurde nicht alleine Ordnung, sondern aus DEM Tier, das dem Menschen gegenüberstand, wurden DIE Tiere.




*221109*

Lebensunwert

Es ist erschütternd, und kaum erträglich. Aber wenn man davon spricht, daß man Auschwitz nicht vergessen dürfe, dann muß man auch die Kraft aufbringen, sich solche Bilder anzuschauen.

Ein abgetriebenes Kind, 12. Schwangerschaftswoche.

In der Argumentation der Befürworter: ein Zellklumpen.





Freitag, 20. November 2009

Angst vor Entmythologisierung

Ich habe noch nie darüber gesprochen, weil ich gerade den erotischen, sexuellen Aspekt an meinem Roman "Helena oder: Das Gute ist was bleibt" einerseits manchmal völlig mißverstanden fand, anderseits bereits bei der Verfassung dieser Möglichkeit gewahr, ja bei bestimmten Menschen sogar gewiß war, daß ich damit wiederum gearbeitet habe ... mehr will ich dazu gar nicht wirklich sagen.

Wie sehr das aufgegangen ist, haben mir manche Leserreaktionen bestätigt.

Mein Roman zeigt somit die Pornographie, er arbeitet mit ihr, als Material der Darstellung, aber er IST nicht pornographisch, und er IST auch kein Material der Pornographie, schneidet an, nicht die Bilder aus - bildlich gesprochen. (Was man sogar bei der Bibel machen kann.) Weil eben die Pornographie, die "bloße Sexualität", ein so immenser Faktor der heutigen Zeit ist. Eine Fragestellung, eine Problemstellung, in die die Menschen im Roman wie im wirklichen Leben in hohem Maß involviert sind. Die klare Grundintention aber, und zwar genau (!) dort, wo sich in einigen Stellen mit minutiöser Präzision und Penetranz Sexualität auf seinen "sachlichen Sukkus" einerseits ausfaltet, anderseits reduziert, so daß manch frömmliche Priesterlein gar meinten, sie seien entsetzt ob der Pornographie darin, beschreibt George Steiner in einem Essay, den ich jetzt erst entdeckte, und der bereits aus 1977 stammt:

Steiner schreibt sinngemäß, daß der wesentliche Kitzel der Sexualität in der Hoffnung besteht, sie enthielte etwas, das sich hinter dem Tabu als weit befriedigender und umfangreicher darstelle, als sonst zugängig wäre. Stellt man sich aber (der paradoxen Intention Viktor Frankl's vergleichbar, deren Wesen ich bereits als 15jähriger selbst entdeckt und entwickelt hatte) den wirklichen "nackten" Fakten, so überfällt einen bald lähmende, entsetzte Langeweile, weil sich Sexualität in seiner Vielfalt als erstaunlich ... einfältig herausstellt. Damit entreißt sich das ganze Gebiet des (vulgo) SEX selbst einer Tabuisierung, die nur um des Erhalts der Faszination wegen überhaupt besteht - aber gar keinen Inhalt abdeckt.

Sprich: Nichts ist in Wahrheit so langweilig, wie Pornographie! Aber dazu muß man sich ihr wirklich "tabulos" stellen. Steiner meint dazu, daß alle die zahllosen Werke dieses Genre nicht nur seltsam eintönig und untereinander vergleichbar seien, sondern die ernüchternde Gewißheit androhen: "Selbst Unzucht kann unmöglich so trübe und so hoffnungslos vorhersehbar sein!"

Das, genau diese Einsicht, die einer Entmythologisierung der bloßen Sexualität gleichkommt, die der Erkenntnis entspringt daß bloße Sexualität leer, Liebe, Persönlichkeit, konkreter Selbstvollzug aber alles ist, genau das liegt den einschlägigen Stellen in "Helena" zugrunde. Und daß bewußt und absichtlich - gerade heute! - rund um die Sexualität eine Hoffnung aufgebaut wird wie bleibt, die dem wirklichen Wesen und Erleben von Sexualität gar nicht entspricht.

Selbst der Konsument von Pornographie also unterliegt einem simplen Irrtum, einem neuzeitlichen Mythos. Wobei es zum Wesen der Pornographie gehört, dies zu tabuisieren.

Das wirkliche Wesen von Erotik, die alleine vielleicht sogar grenzenlos, auf jeden Fall nämlich unerschöpflich ist, und wonach der Mensch in Wirklichkeit strebt, liegt ganz woanders, und es liegt in Sittlichkeit, Persönlichkeit, und Kultur. Wirkliche Erotik entsteht nämlich im Geist des Betrachters, und sie ist ein Geheimnis der Ganzheit. Geistlose Menschen kennen also gar keine Erotik. Die Erotik erfließt nämlich aus einem geistigen Gehalt, der abstrahierbar ist, und in der Erotik als solcherart abstrakte, neutrale Kraft seine Gestalt sucht - unerschöpflich, nur von der Phantasie begrenzt ...

Frank Harris schreibt genau deshalb einmal (natürlich: etwas britisch-ironisch) in seiner Biographie, daß er nun den Beweis dafür gefunden hätte, daß der Marxismus falsch sein müsse: denn FREI - in dieser Erotik eben - könne nur der Bohemien sein, nicht der Proletarier.

In jedem Fall muß man die bloße Sexualität, die hauptsächlich auf die reine Betätigung der Geschlechtsorgane abzielt, als "inhuman" bezeichnen. Und nicht zufällig ist die Enttäuschung beim Ausloten aller Möglichkeiten, die rein körperimmanent vorhanden sind, wie sie am Schluß des "De Sade" entsteht (und, wenn, die vielleicht einzig mögliche Einsicht von Pasolinis "Die 100 Tage von Sodom" sind, beläßt man es nicht beim Eindruck, daß der Film einfach schlecht ist, weil genau diese Absicht nicht gelang) der ja "alles" auslotet (in 120 Möglichkeiten) was möglich ist, so nahe am Sadismus, und so nahe am Verbrechen: als Wut der Enttäuschung, als verzweifelter Versuch, den Vorhang völlig zu zerreißen, weil sich nichts offenbaren will, die Hoffnung unerfüllt bleibt. Darum - wie der Sexmarkt bestätigt - der ständig steigende Bedarf nach immer brutalerem Sex, die Nachfrage nach Sexspielzeug und Technik, nach Stimulantien.

Was im übrigen der Homosexualität, die so zum Sado-Masochismus neigt, sämtliche Kleider vom Leibe reißt. Ergänzt um den Hinweis, daß Totalitarismus immer auch mit einer Standardisierung (Phänomenologisierung) des sexuellen Lebens - das, selbst im Puritanischen, am leiblichen Erleben, und: am Tabu! in jedem des oben ausgeführten Sinn, festgemacht wird - einhergeht.

Selbst, und gerade in dieser gottverfluchten Aufklärung, die heute bei Jugendlichen und Kindern betrieben wird, wo schon VOR den allerersten Liebeserlebnissen die Überwachung zur Technisierung ("Verhütung" als geforderte Norm) in die Köpfe und Seelen implantiert wird. (Neue Untersuchungen, erst jüngst, haben ergeben, daß Jugendliche in überraschendem Ausmaß und gegen alle erklärten Wirkungen der Aufklärungsarbeit, ihre ersten Sexualkontakte als desaströs, weil unter ungeheuren Zwängen, erleben.)

Genau auf der nunmehr etwas ausgefalteten Sichtweise beruht auch das von manchen als schwierig zu lesen empfundene erste Kapitel: es zelebriert, analog zum Gesagten, eine "gefickte", auf bloßes Fleisch reduziert, damit in Details zerfallende Wirklichkeit, die erst im Erstehen eines Interpretationszusammenhangs zum immer runderen (und damit, soviel kann ich sagen: immer wirklich spannenderen)  Geschehen  wächst. Weil es eben keine Wirklichkeit "an sich" gibt, die ohne Sinn besteht, sowenig wie es Sex an sich gibt, der mehr ist als leeres Detail. Ja, sie wird sogar erst dann auch schön ... Ich will das hier ja nur andeuten.

Weil dies aber so ist, weil diese Freude am Eros sohin für viele schwer erreichbar scheint - auch das übrigens ein Mythos, ein Tabu, gestützt u. a. von so viel unbewältigter Schuld - besteht so viel Interesse, den Mythos "Sex" durch groteske und subtile Tabus aufrechtzuhalten. Der die Hoffnung ausdrückt, es gäbe sie doch, die Erotik ...

An welche mein Roman "Helena oder: Das Gute ist was bleibt" (in 2. Auflage noch erhältlich) rührt, als Dienst zur Freiheit.

George Steiner noch einmal, in der Unterscheidung von Erotik in der Kunst, und Pornographie: "Die Dichtung und Belletristik des Westens ist [weil sie vom Leser nicht blinde Gefolgschaft, sondern eigene Initiative verlangte, Anm. eine Schule für die Phantasie gewesen, eine Lehrmeisterin in der Kunst, auf genauere und menschenwürdigere Weise sich seiner selbst bewußt zu werden. Mein Hauptvorwurf [gegen die Pornographie, Anm.] ist, daß diese Bücher [gilt natürlich noch mehr für Bildmaterial und Filme] den Menschen unfreier und unnatürlicher machen, daß sie die Sprache verarmen und weniger geeignet machen, mit ursprünglicher Kraft zu schildern und uns zu erregen. Sie bringen keine neue Freiheit mit sich, sondern eine neue Knechtschaft."




*201109*

Dort herrscht die Wut des Volkes

"Dort liegt eine Gewaltherrschaft vor, wo Meinungen, die zum unveräußerlichen Recht eines jeden gehören, als Verbrechen gelten. Wo dies der Fall ist, da herrscht geradezu die Wut des Volkes [...] Läßt sich ein größeres Unglück für einen Staat denken, als daß achtbare Männer, bloß weil sie eine abweichende Meinung haben und nicht zu heucheln verstehen, wie Verbrecher des Landes verwiesen werden?

(Baruch Spinoza, "Theologisch-Politischer Traktat")




*201109*

Gemeinschaftsstiftende Kunst

Ilmar Tammelo über "Gerechtigkeit und Kommunikation": "Gerechtigkeit ist ein wertbestimmter Zustand; Gerechtigkeitsurteile werden getroffen, wenn ein entsprechendes Wertfühlen vorhanden ist. Die Eigenschaft "gerecht" ist nicht in Gegenständen, wie etwa "Verhalten" oder "Recht", vorzufinden, sondern wird ihnen durch gewisse gefühlsbezogene Akte beigemessen. So kann man Gerechtigkeitsurteilen im strengen Sinne keine Objektivität zusprechen; ihre Vernünftigkeit erweist sich daran, ob sie intersubjektiv vertretbar sind. Um Intersubjektivität zu erreichen, ist eine Klärung der einschlägigen Sach- und Wertlage unerläßlich. Dies heißt aber, daß Gerechtigkeit in entscheidender Weise auf die menschliche Kommunikation angewiesen ist.

In einer Gemeinschaft, in der Kommunikation ohne Störungen oder Hindernisse stattfindet, werden gerechtigkeitserhebliche Werteinsichten gefördert; sie bringt Kriterien hervor, die die "Verfassung" der Gerechtigkeitsordnung bilden. Ferner führen diese Einsichten auf verschiedenen Gebieten menschlicher Betätigung zu runtergeordneten Normen der Gerechtigkeit, die dazu dienen, jeweils einheitliche Gerechtigkeitsurteile zu erzielen. 

Kommunikationshindernisse rufen Verwirrungen in den Werthaltungen und in den entsprechenden Bewertungen hervor; sie führen zu Kämpfen im Namen der Gerechtigkeit, die im Dunkeln geführt werden müssen. Einigen unheilstiftenden Kommunikationshindernissen haftet ein tabuartiger Charakter an.

Über manche die Gerechtigkeit zutiefst berührende Probleme ist es sehr schwer, ja sogar gefährlich zu sprechen, weil man auf diese Weise auf zähe Vorurteile prallt. Sogar die bloße Erwähnung solcher Probleme ruft feindselige Haltungen hervor; das Sprechen über sie trifft bestenfalls auf verschlossene Ohren. Wer darauf besteht, diesen Problemen nachzugehen, wird als Sonderling oder gar als gemeingefährlicher Abtrünniger betrachtet und auch so behandelt."

Soviel auch aus diesem Blickwinkel zur Aufgabe der Kunst, und zur Stellung des Künstlers in einer Gesellschaft.




*201109*

Donnerstag, 19. November 2009

Hexenverfolgung

Es geht nicht darum, eine möglicherweise wirkliche Bedrohung wegzudiskutieren, wenn man an dem Hype, der rund um das Thema "Klimawandel" in den letzten Jahren, der so konzertiert und per Startknopf losbrach, seine Zweifel hat. Fakten sind jederzeit willkommen, und das muß auch so sein: Man muß offen für das sein, was ist.

Aber genau darum geht es. Die Hysterie, die seit Jahren rund um dieses Thema herrscht, hat zu viele Züge, die an bedenkliche Totalitarismen und hysterische Ersatzreligionen erinnern. Und weil es so in die Gesamtzüge dieser Zeit, scheinen jene Stimmen, die auch und gerade (!) aus wissenschaftlicher Sicht an der Seriosität jener vorhersagen und Analysen, die dieser Hysterie zugrunde liegen, einfach ... plausibler.

Cicero.de bringt online (Titelverlinkung) neuerlich und aktualisiert einen übersichtlichen Artikel über die Thematik. Mit immer denselben Ergebnissen: Es ist seriöserweise keine Aussage möglich, daß die prognostizierte Klimakatastrophe auf uns zurolle, und noch viel weniger: daß dies durch menschliches Verhalten (wie die Drosselung des CO2-Ausstoßes) beeinflußbar ist. Vielmehr fällt wieder und wieder auf, daß jene Informationen, die sich auf Daten berufen, die GEGEN eine solche Katastrophenannahme sprechen, und vor allem gegen die Machbarkeit von Gegenmaßnahmen (denn Veränderungen des Klimas selbst sind so selbstverständlich und historisch belegbar wie der Wechsel der Jahreszeiten) sprechen, indem sie z. B. einfach Befunde relativieren, von fast unerklärlich konzertierter Medienmacht unterschlagen werden.

Aber nicht nur das: gerade im Alltag begegnen Gegner dieses Ökoreligiösen Moralismus sogar einem nahezu aggressiven Entwertungsmobbing, der Züge von religiöser Verfolgung und Hexenwahn trägt. Wie er aber auch bei anderen Themen - u. a. Katholische Kirche, Evolutionismus, Sexualität ... - längst auffällt. Gegner der medial fast dogmatisch vertretenen Meinungen werden nicht selten intrigant gemobbt und günstigenfalls zensiert, meist aber ignoriert und für inkompetent erklärt.

Man nehme nur das medial so hochgekochte, zentrale Thema "Eisbären", in vielem regelrechte Bannerträger des Klimawandels nach Katastrophsky: Während es immer hieß, sie wären die ersten Opfer, und würden durch den Packeisschwund verhungern und aussterben, hat niemand erwähnt, daß ihre Zahl in den letzten 50 Jahren von 5.000 auf 25.000 gestiegen ist ... Weder kann man seriöserweise sagen, ob nicht eine Erwärmung - ja, es fand in den letzten hundert Jahren eine Erwärmung der durchschnittlichen Erdoberflächentemperatur um 0,7 Grad statt, wollen wir das als sicher annehmen - weit eher positive denn negative Auswirkungen hat (Vegetation, damit Ernährungslage, etc.), noch welche Rolle CO2 überhaupt dabei spielt. Die Meinungen divergieren beträchtlich! Und es gab in der Vergangenheit Schwankungen in weit beträchtlicherem Ausmaß! Wir haben sie allesamt überlebt ... Obwohl wir nicht einmal in der Lage sind, Prognosen für die nächsten Wochen oder Monate zu stellen, werden Berechnungen und Vorhersagen über kommende Jahrzehnte und Jahrhunderte erstellt, die sämtlich (!) auf meist äußerst komplexen Annahmen für Entwicklungen beruhen, die fast sämtlich Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion samt weit auseinanderklaffender Auffassungen darüber sind.

Zur Erinnerung: in vielen Regalen stehen sie noch, die Bücher aus den 1970er Jahren, des Inhalts, daß die nächsten Eiszeiten, wissenschaftlich penibelst bewiesen, unmittelbar bevorstünden ... Und was ist mit dem Waldsterben? Was mit dem Ozonloch, das noch vor einigen Jahren in schrecklichen Graphiken über die Bildschirme ins Heim geliefert wurde? Ah, eben deshalb wurde mit Gegenmaßnahmen genau das wieder geheilt?

Erinnert es nicht eher an den Burgenländer, der den ganzen Tag durch die Gegend lief und ständig "Pischternetsaaaa!" rief? Als ihn ein Urlaubsgast schließlich fragte, was er denn täte, meinte er: "Ich verscheuche die Eisbären! Sonst fressen die unsere Gäste!" "Aber," meinte der Gast: "Hier gibt es doch gar keine Eisbären!?" "Na was glauben Sie, warum?"

Es, so schreibt Michael Miersch in Cicero, fällt einfach auf: Zahlreiche angesehene Klimaforscher zweifeln, weil ihre Messdaten nicht mit der offiziellen Theorie übereinstimmen. Der brachiale Stil, mit dem eine wissenschaftliche These kanonisiert und durchgepeitscht werden soll, irritiert inzwischen auch Anhänger der Mehrheitsmeinung.

Auch hier ist im übrigen die Rolle der Medien wahrlich bemerkenswert!

Dazu nur soviel: G. K. Chesterton schreibt einmal: Gegen die Pressezensur braucht keiner mehr zu kämpfen. Wir brauchen diese Zensur der Presse nicht - wir haben es zu einer Zensur durch die Presse gebracht. 




*191109*

Die nächste Spekulationsblase: Facebook

Die Deckungsgleichheit des Geschehens auf den sogenannten "sozialen Plattformen" wie Facebook, Xing etc. mit dem Geschehen auf Spekulativmärkten wie Börsen ist so frappierend, daß man sogar dieselben Instrumentarien feststellen kann. Insbesonders Parameter für Kurse.

Und ich schreibe dies hier auch als Antwort auf alle die Einladungen, die ich bereits erhalten habe und immer häufiger erhalte, solchen Plattformen beizutreten: NEIN, ich werde das nicht tun! Und wo immer meine Internetpräsenz in die Nähe von Funktionen geriet oder gerät, die sich in Facebook (etc.) so explizit ausdrücken, ist es Versehen, Irrtum oder Schwäche, die auszumerzen ich ständig bemüht bin, was Beobachter meiner diesbezüglichen Aktivitäten durch eine zunehmende Zurückhaltung in diesem Medium, dessen Natur erst nach und nach deutlicher erkennbar wird, längst beobachten können. Abgesehen von alle dem, was ich, was die sozialen Auswirkungen anbelangt völlig richtig bereits im Jahr 2000, als ich begann, in diesem Medium tätig zu sein, vorhergesagt habe: Das Internet, für die Massen freigegeben, wird zum Katalysator des Zerfalls, ist die Atombombe der Zwischenmenschlichkeit - und in Facebook etc. hat man die Sprengköpfe dafür optimiert.

Vor Jahren gab es ein Schreiben des Vatikan (kein Lehrschreiben), das behauptete, daß Medien "neutral" seien, wertfrei. Dies war auf das Internet bezogen. Selten wurde mehr Unsinn von jemandem behauptet, dessen Wesen ja eigentlich das genau Gegenteil bedeutet: Kirche hat genau damit zu tun, daß sie, und nur sie, die Kirche ist! Jemand, der also wissen müßte, daß Botschaft mit deren Träger nicht nur ablösbar verbunden, sondern auf eine Weise Teil desselben ist, weil Vermittlung, Erkenntnis, eine Frage der Darstellung in einer bestimmten Gestalt ist, weil Botschaft Form also ist.

Denn Medien sind selbstverständlich Botschaft durch die Art, wie sie arbeiten. Jeder Depp erfährt das, wie es ist, ob er eine Urkunde in Kalligraphie erhält, die ihn zum Ehrenpreisträger des FC Huhnepiepelchen macht, oder ob er am Klo so nebenbei erfährt, daß er super ist.

Das läßt sich eben alleine daraus ermessen, als es für Anlässe passende und unpassende Medien gibt, die über "Mode" weit hinausgehen, selbst wenn sie historische Gewänder anlegen. Die aber nur jeweilige Inkarnationen desselben Motivs sind: Sorgfalt war vor zweitausend Jahren anders auszudrücken, als heute. Aber nie geht der Mediengebrauch über den Zustand einer Kultur hinaus. Er zeigt ihn eben sehr genau an.

Und so bedeutet Facebook (etc.) die bislang perfekteste Umsetzung der Depersönlichung des Menschen, wie sie heute stattfindet, wo Gestalt durch pseudologischen, zweitwirklichen "Vorstellungsgehalt" ersetzt wird. Sodaß man als Prinzip sagen muß, daß die rein sachliche Ebene - der neutrale, dem möglichen Guten erwachsende Wert - dieser Plattformen winzig klein ist. Ja, der Mensch wird - das ist der Eintrittspreis, das ist die Teilnahmebedingung - regelrecht seiner Wirklichkeiten beraubt, er muß sich ihrer begeben, weil dieses Medium an sich die allermeisten Persönlichkeitselemente, die immer Darstellung sind, damit seine gesamte Geschichte, erst einmal wegfiltert.

Wer dort eintritt, tut dies in einem fast vollkommenen Sinn als "tabula rasa", als leere Tafel. Und die Wirkmechanismen, die dort tätig sind, klammern bereits viele Elemente aus, die das "reale Leben" tragen. Deshalb ist nichts leichter, als über das Internet zu bluffen, zu lügen, Scheinwirklichkeiten zu erzeugen.

Während solche Plattformen eine nahezu grotesk offensichtliche Mechanik der Bodenlosigkeit und Wirklichkeitsferne des heutigen Menschen darstellen - mit zum Teil sogar frei erfundenen Identitäten und Merkmalen und damit Persönlichkeitselementen. Die sogar als gefährlich einzuschätzen ist, weil hier eine Wucht einer Gestalt entstehen kann, die auch deren vermeintlichen Nutznießer zum völligen Wirklichkeitsverlust führen kann, und häufig wird.

Die Warnung des Vatikan vor einigen Monaten in dieser Richtung war also völlig berechtigt. Während Meldungen (wie auf kath.net zu finden war) daß ein Katholik darauf achten sollte, daß auf diesen Plattformen mehr "Gebete" etc. zu finden seien, regelrechte Übelkeitsanfälle hervorrufen muß. Denn es gibt kein Richtiges im Falschen: Kein Zweck heiligt die Mittel, wenn die Mittel einen Verstoß gegen die Prinzipien des Seins, und hier: Gegen das Wesen von Persönlichkeit und damit Heiligkeit, bedeuten.

Es gibt ihn nicht, den ehrlichen Lügner, und es gibt ihn nicht, den persönlichkeitslosen Katholiken und Heiligen.

Ein Priester, der ins Puff geht, der Mitleid und Barmherzigkeit dorthin trägt, wenn er keinen Anlaß zur Strenge sieht, der mag angehen. Aber sicher keiner, der selbst seine Pferdchen am Strich laufen hat, oder die Dame des Hauses - christlich - bespringt. Und im Orgasmusdelirium selbstbeherrscht der Süßen ins Ohr flüstert: "Jesus liebt Dich!" ... Ungeachtet der Frage, ob sein reines Dortsein nicht mehr ins Verderben reißt, als zur Umkehr bewegt.

Aber der Rest ... wie jene, die mit zerrissenen Jeans, ob Mann oder Frau sowieso gleich, und schmuddeligen T-Shirts, aber in vorbildlich ehrfürchtiger Haltung zur Kommunion hinknien.

Oder als Laien predigen, daß nur der Priester predigen darf.

Die Art, Facebook etc. zu nutzen, der Zweck dem es dient, ist vom Prinzip her (nicht einmal nur faktisch durch die bloß als hohe Wahrscheinlichkeit auftretende Gefahr eines Mißbrauchs) unmenschlich und a-religiös, weil pseudologisch, und bestenfalls mit Selbsterlösung, auf jeden Fall mit Verzweiflung und Größenwahn verbunden! Damit - durch die Art, wie man die Teilnahme an diesen Plattformen betreiben muß, was sie in Wahrheit ist: Depersonalisierung, Entpersönlichung, damit Unmenschlichkeit - fehlt der Gnade der natürliche Boden, damit sie überhaupt wirksam werden kann! So wie es keine Rockmusik gibt, die "religiös" sein KANN: das Wesen des Religiösen ist nämlich genau das Gegenteil von Entschränkung!

Aber kann es etwas geben, daß ein Ding ist, aber nicht gut ist? Ohne Gut kann es ja gar nichts geben!? Eben: Diese Plattformen SIND eben keine Dinger an sich, sondern sie sind lediglich Begriffe für bestimmte Formen von Verwendung! In Facebook (etc.) konzentrieren sich bestimmte Aspekte des Internet, die man bereits vor vielen Jahren nachweislich vorhersagen konnte, und die mit Identität und Persönlichkeit zu tun haben. Vorhersagen, die heute eingetroffen sind. Und die zu tun haben mit Persönlichkeitseliminierung (so muß man das fast bezeichnen), mit der Verankerung von Persönlichkeit in reinen Phantasiebildern, mit der Ferne von Wirklichkeit. Es handelt sich hier also um Auswirkungen, um institutionalisierte Charakteristika, begünstigt durch bestimmte Eigenschaften, die bereits mit der Verwendung des Internet zu tun haben, nicht mit dem Ding Internet an sich - es sind also keine "Güter". Anders als das Internet an sich, das ein Ding IST, auch wenn es völlig mißbräuchlich Verwendung fand, getreu dem Charakter der Gegenwart: ein Wunderwerk für ganz bestimmte Verwendungen, in den Händen von Kindern, zum Katalysator der Schwächen, unweigerlich, geworden ...

Das Internet selber würde, als Werkzeug, als Ding, als Gut, über kurz oder lang (eher letzteres) ganz gewiß Kriterien entwickeln, die völlig analog zur "wirklichen Wirklichkeit" im realen Leben sind. Facebook (etc.) aber sind eben Wirkweisen, die genau diese Prozesse torpedieren, ja verunmöglichen: Wer sich die Hand abschneidet, braucht nicht auf den Moment zu warten, wo es zuzupacken gilt.

Und ich wage die Prophezeiung, daß es wie auf den Börsen nur eine Frage der Zeit ist, bis es zu einem Crash kommt, bis alle diese Spekulationsblasen platzen, mit Folgen, die man sich derzeit kaum noch ausmalen kann, der aber mit ungeheuren persönlichen Ängsten, und auf jeden Fall mit sehr persönlichen Konsequenzen (vermutlich: einem nicht auszumalenden menschlichen Vertrauensverlust, damit totaler Isolation und Trostlosigkeit) zu tun haben wird.




*191109*

Tabus heutiger Tabulosigkeit

Bereits vor Jahren habe ich in Zusammenhang mit meinen Stücken "Keiner hört auf Harvey", "Wer gewinnt" und "Frauenwahl" von den neuen Tabus der heutigen Tabulosigkeit geschrieben. Und dasselbe meine ich, wenn ich immer wieder von immanentisierter Zensur als neuer Form zeitgemäßen Totalitarismus spreche. Dem insbesonders die Pädagogik heute (schon gar wo sie institutionalisiert ist) so fatal den Boden bereitet, damit gegen alle Beteuerungen, ja dort umso mehr, den heute so subtilen Totalitarismus erst ermöglicht - durch eine Form der Erziehung, die die rationalen Urteilsforen, den Aufbau der Persönlichkeit, insbesonders über Ausschalten der Synderesis ("common sense") zur Schizoidität hin umgeht, und Ideologien über Todesangst (dem Stoßen ins Nichts der realen Existenz über Hörigkeiten dem Sozialstaat gegenüber; man kann es hier nur andeuten) verankert zu auf Tabuisierungen aufbauenden Verhaltensdressuren mutiert.

In exakt dieselbe Kerbe schlägt Gerd-Klaus Kaltenbrunner, in dessen bereits 1978 erschienenen Schrift "Der innere Zensor" ich nun las:

"Enttabuierung erweist sich dem aufmerksamen Beobachter als eine vortreffliche Methode, neue Tabus an die Stelle alter zu setzen. Die Zensur, heißt es, findet nicht statt. Doch möglicherweise bleibt ihr Ausmaß durchaus konstant; es wechseln nur die Mächte, die sie ausüben und die Themen, auf die ihr Schatten fällt."

Und Vilfredo Pareto schreibt um das Jahr 1920: "Es gibt heute eine humanitäre Religion, die den Gedankenausdruck der Menschen reguliert, und wenn sich zufällig einer dem entzieht, dann erscheint er als Ungeheuer, wie jemand im Mittelalter als Ungeheuer erschienen wäre, der die Göttlichkeit Jesu geleugnet hätte."


*191109*

Mittwoch, 18. November 2009

Verteidigung der Freiheit

"Das Wesen der Kunst ist zu einem großen Teil die Verteidigung der menschlichen Freiheit gegenüber dem Zwang und dem Chaos." Den tiefen Grund, warum im Süden entfaltete Gesangsstimmen scheinbar so alltäglich und häufig sind, sieht Franziska Martienßen-Lohmann darin, daß das dortige Lebensgefühl ein unbedingtes "Ja!" zum Leben, von Kindheit an (und noch heute eher denn in nördlicheren Ländern, Anm.), ist. Viel weniger als hierzulande ist die Kindheit der Menschen umschattet von Verboten, Skrupeln und Verantwortlichkeiten. (Die heute gar bis zur Verantwortung für die gesamte Zukunft der Menschheit - derzeit in der aktuellen Metamoral einer angeblich abwendbaren Klimakatastrophe - gehen. Anm.)

Schon beim kleinsten Versuch, sich zu entfalten, werden Kinder wie Erwachsene hierzulande mit Polizei- und Staatsgewalt konfrontiert. Bereits Goethe hat sich seinerzeit die Frage gestellt, wie in solcher Atmosphäre eine freie Nation heranwachsen solle. Wie würde er sich dies erst fragen angesichts des Umstands, daß die Integrität sozialer grundlegender Formen (Familie, Mann und Frau) zugunsten eines immer umfassenderen Staatsmonopols (was gibt es noch, was sich der Staat nicht zum Anlaß direkten Eingriffsrechts gemacht hat?) für Lebensgewalt (bereits in intimsten Lebenslagen besteht Apellationsrecht wie -pflicht).

"Es gibt wenig Dinge," schreibt Martienßen-Lohmann, "die so traurig anzusehen sind als wenn ein geborenes künstlerisches Talent von außen oder von innen her gehemmt wird, sich selbst zu finden, so daß der Mensch dann eine Existenz neben seinem eigentlichen Selbst führen muß. Nicht nur der schuldverstrickte Mensch ist tragische Erscheinung: Nein, auch der der darum betrogen wurde, als geprägte Form sich lebend zu entwickeln."

Und weiter, gültig für jede ausgeübte Kunst: "Angst oder Vertrauen! Der Sänger kann erst dann zur Verwirklichung seines Künstlertums kommen, wenn er das Vertrauen zur eigenen Stimme und zu den schaffenden Kräften seines inneren Wesens kennengelernt hat."




*181109*

Dienstag, 17. November 2009

Leben als Effekt der Werke

Hugo von Hofmannsthal im Vorwort zu "Schiller's Selbstcharakteristik":

"Es steht uns freilich nicht zu, einen großen Mann anderswo als in seinen Werken zu suchen. In dem Drang, anders zu verfahren, wirkt der beharrliche Irrtum, welchem sich unsere literarische Forschung seit Jahrzehnten hingibt; dieser schrankenlose Biographismus, in welchem das Werk, jenes einzig Wirkliche, sich auflöst in Funktion des Scheinbegriffes "Leben"; wo doch [...] der Autor und sein Leben weit mehr der Effekt der Werke sind, als daß sie deren Ursache wären."




*171109*