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Freitag, 27. November 2009

Innere Vernünftigkeit des Kunstwerks

"Ein Kunstwerk bildet sich organisch in einem Menschen, der das entsprechende Talent hat, und weil es sich organisch gebildet, hat es auch das mit jedem Naturerzeugnis gemeinsam: daß es im Innersten vernünftig ist. Diese innere Vernünftigkeit kann auf keine andere Weise erzeugt werden, denn selbst der größte Verstand - und dieser kommt z. B. bei Erzeugnissen der Unterhaltungsindustrie nicht einmal in Frage, denn wer sich zum Verfertigen von Unterhaltungsromanen hergibt, wird ein gewisses Maß des Verstandes nie übertreffen - kann jenes organische Sich-selbst-bilden des Kunstwerks in der Seele des Künstlers nicht ersetzen. Faust ist innerlich vernünftig, und Gil Blas, Iphigenie und Manon Lescaut, sie sind alle Natur.

Aber die Romanschreiber, welche die Natur selbst nicht haben, und nie die innere Vernünftigkeit der Charaktere und Schicksale darstellen können, müssen auf den Unsinn, die Albernheit und die Dummheit kommen, es ist nicht anders möglich. Da sie in ihrer Zeit und für ihre Zeit schreiben, nämlich für die durchschnittlichen Menschen ihrer Zeit, zu denen sie ja selber gehören, so geben sie die falschen Zeitvorstellungen und Empfindungen wieder [die in dieser Zeit herrschen, Anm.],  meistens in Nachahmung eines bedeutenden Künstlers der vorigen Periode.

(Paul Ernst, in "Ein Credo")




*251109*