Vielleicht sollte man das Entscheidende an den Aussagen Henry Poincaré's noch einmal zusammenfassen: Wenn er nämlich sagt, daß die Wahrheit über die Welt nicht von der Empirie ausgeht. Daß es einer der modernen Mythen ist, die aber nicht auf der Grundlage der Wirklichkeit beruhen, daß die Empirie in den Naturwissenschaften die Wahrheiten der Thesen ERGIBT.
Vielmehr ist es völlig umgekehrt. Zwar geht Poincaré nie soweit, die Wirklichkeitsfundierung ontologisch ins Bewußtsein zu legen, so wie es in der Linie Descartes - Spinoza - Kant, bis zum Konstruktivismus der Jetztzeit liegt. Poincaré gründet keine Ontologie, und lehnt solche auch ab. Als wissenschaftlich irrelevant und sinnlos.
Aber der Franzose weiß, daß es die These ist, die die Beobachtung, die Erfahrung, die Empirie strukturiert und sohin überhaupt erst etwas wie Erkenntnis aus der sinnlichen Erfahrung erwachsen läßt. Womit zugleich der Zusammenhang Sittlichkeit und Erkenntnis beziehungsweise Wahrheit in seiner Relevanz hinreichend beleuchtet ist. Und er liefert damit nicht nur eine These der Wissenschaftlichkeit, sondern leuchtet tief in alle möglichen Formen der Erkenntnisrealitäten der Gegenwart hinein, bis hinein in die Esoterik.
Das, was die Empirie leisten kann und muß ist, die Hypothese, die wissenschaftliche These im Besonderen, für die Verifizierung beziehungsweise Falsifizierung offen zu halten. Aber erst dann, und nur dann, wenn die These selbst in ihrer logischen Stringenz und Schlüssigkeit "purifiziert" ist.
Deshalb wendet Poincaré nichts gegen die sinnliche Wahrnehmung ein, im Gegenteil! Erst eine Hypothese aber, die in sich stimmt, kann sicher sein, daß sie dem Sinneseindruck keine Selektion in der Rezeption auferlegt, die entweder etwas sieht, was nicht da ist - weil ein oft genug gar nicht gekanntes Ding aus Phantasie und vorgestellter Wirklichkeit ist - oder Gesehenes ausklammert. Nur die allumfassende Geistweise, die Haltung der Wahrheit, die eine personale, sittliche ist, gibt der Empirie aber jenen Raum, daß das Denken das Erkannte auch richtig, wenn auch immer nur näherungsweise, benennt.
*111109*