"Das Wesen der Kunst ist zu einem großen Teil die Verteidigung der menschlichen Freiheit gegenüber dem Zwang und dem Chaos." Den tiefen Grund, warum im Süden entfaltete Gesangsstimmen scheinbar so alltäglich und häufig sind, sieht Franziska Martienßen-Lohmann darin, daß das dortige Lebensgefühl ein unbedingtes "Ja!" zum Leben, von Kindheit an (und noch heute eher denn in nördlicheren Ländern, Anm.), ist. Viel weniger als hierzulande ist die Kindheit der Menschen umschattet von Verboten, Skrupeln und Verantwortlichkeiten. (Die heute gar bis zur Verantwortung für die gesamte Zukunft der Menschheit - derzeit in der aktuellen Metamoral einer angeblich abwendbaren Klimakatastrophe - gehen. Anm.)
Schon beim kleinsten Versuch, sich zu entfalten, werden Kinder wie Erwachsene hierzulande mit Polizei- und Staatsgewalt konfrontiert. Bereits Goethe hat sich seinerzeit die Frage gestellt, wie in solcher Atmosphäre eine freie Nation heranwachsen solle. Wie würde er sich dies erst fragen angesichts des Umstands, daß die Integrität sozialer grundlegender Formen (Familie, Mann und Frau) zugunsten eines immer umfassenderen Staatsmonopols (was gibt es noch, was sich der Staat nicht zum Anlaß direkten Eingriffsrechts gemacht hat?) für Lebensgewalt (bereits in intimsten Lebenslagen besteht Apellationsrecht wie -pflicht).
"Es gibt wenig Dinge," schreibt Martienßen-Lohmann, "die so traurig anzusehen sind als wenn ein geborenes künstlerisches Talent von außen oder von innen her gehemmt wird, sich selbst zu finden, so daß der Mensch dann eine Existenz neben seinem eigentlichen Selbst führen muß. Nicht nur der schuldverstrickte Mensch ist tragische Erscheinung: Nein, auch der der darum betrogen wurde, als geprägte Form sich lebend zu entwickeln."
Und weiter, gültig für jede ausgeübte Kunst: "Angst oder Vertrauen! Der Sänger kann erst dann zur Verwirklichung seines Künstlertums kommen, wenn er das Vertrauen zur eigenen Stimme und zu den schaffenden Kräften seines inneren Wesens kennengelernt hat."
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