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Mittwoch, 31. Dezember 2008

Schlicht: köstlich


Der KURIER bringt einige Peinlichkeiten des Jahres 2008, und ich kann nicht widerstehen, einige davon hier zu bringen:

Glänzender Tipp
Zum Thema "Tipps gegen die Teuerung" Fiona Griffini-Grasser (aus dem Hause der Multimillionäre Swarowsky): "Wenn man Platz auf seiner Terrasse hat, dann soll man sich sein Gemüse, seinen Salat einfach selber anbauen."

Spitzerl
Claudia Stöckl fragte beim sichtlich angeheiterten Tobias Moretti nach, wie er sich den Verbleib von Dita von Teese im WC erklären könne. Moretti dazu:
"Wer?"
"Der Stargast von Richard Lugner (Anm.: am Opernball), Dita von Teese."
" Dieter, ein Mann?!"
"Nein, das ist eine Frau, eine Tänzerin, eine Edel-Stripperin (…)."
"Wieso heißt die dann Dieter?"
 

(siehe Photo: Dita von Teese)




*311208*

Religion des Schönen

Schiller 1794 an Goethe: "... Hält man sich an den eigentümlichen Charakter des Christentums, der es von allen monotheistischen Religionen unterscheidet, so liegt er in der Aufhebung des Gesetzes oder des Kantischen Imperativs, an dessen Stelle das Christentum eine freie Neigung ersetzt haben will. Es ist also in seiner reinen Form Darstellung schöner Sittlichkeit oder der Menschwerdung des Heiligen, und in diesem Sinne die einzige ästhetische Religion; daher ich mir auch erkläre, warum diese Religion bei der weiblichen Natur so viel Glück macht, und nur in Weibern noch in einer gewissen erträglichen Form angetroffen wird. ..."




*311208*

Montag, 29. Dezember 2008

Krank sein dürfen

Schiller in seiner Antwort auf eine Einladung Goethe's nach Weimar: er könne (aufgrund seiner Krämpfe) nicht dieses und nicht jenes, morgends schlafe er, weil er nächtens nicht schlafen könne, ja er könne an so gut wie nichts teilzuhaben versprechen, weshalb er bereits jetzt fest verspreche, an keinem von Goethe's Vorschlägen, etwas zu unternehmen, teilzuhaben, und er erbitte sohin dringend, ihn von allem entbunden zu sehen, wo andere an ihn gebunden seien - dann komme er gerne. "Erlauben Sie mir aber bitte, krank zu sein!"




*291208*

Nur Schönheit ist Kultur

Natürlich verknüpft sich Freiheit (siehe: Goethe's Definition von Schönheit, die Freiheit voraussetzt) mit Schönheit zur Kultur. Kulturelle Höhe ist gekennzeichnet durch Schönheit.

Weshalb man viel zu leichtfertig von KulturEN der Welt spricht - denn nicht selten findet sich lediglich ein Zustand einer Kultur, deren Kultur-sein vom Freiheitsgrad abhängt.

Innerhalb von Getriebenheiten - und seien es solche von natürlichen (an sich abstrakten, Konkretion in einem kulturellen Gefüge zu einem solchen suchenden) Neigungen, die zu Trieben als Haltungen ausgehärtet wurden - ist auch keine Schönheit, lediglich technische Tauglichkeit (Attraktivität ist eine Kategorie dieser Technik) zu finden.




*291208*

Mehr als notwendig

Goethe schreibt in einem Traktätchen, daß die Schönheit eines Lebewesens in der Darstellung der Freiheit in seiner Möglichkeit zur Möglichkeit (dem actu der potens) besteht bzw. sinnlich erfahrbar wird - in der Ausgedrückten Freiheit von Notwendigkeit. Jede Bewegung drücke dieses "Mehr" aus, diese Nicht-Getriebenheit.

Dem ist eigentlich nur hinzuzufügen, daß Freiheit eine Kategorie des Menschen ist, ihre Möglichkeit somit Auftrag zur Schönheit, aber wiederum innerhalb der geschöpflichen Vollkommenheit, also konservativ (und nicht positivistisch) verbleibt.

Die Überschreitung dieser Vollkommenheit ist ein Schritt zum Ästhetizismus, zum Manieristischen, und genau dieses Abgleiten dorthin zeigt sich im Idealismus der Romantik.




*291208*

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Vielleicht bist Du's

Unvermutet, in seinen Briefen, dies Gedicht von Jakob Burckhardt:




























*171208*

Sonntag, 14. Dezember 2008

Man merkt die Absicht und ist verstimmt

Immer wieder ist die Decke zu kurz, die William Golding in "Der Herr der Fliegen" über seine Ideengerüste in Handlung und Charakteren geworfen hat, so daß ich der hohen Meinung über dieses sein Buch nicht wirklich beipflichten kann. Golding will eine Theorie darstellen, das merkt man auf Schritt und Tritt, und Figuren wie Handlung dient lediglich der Illustration dieser Theorie: Der Entstehung von totalitären Regimen.

Zwar ist manches an seinen Gedanken, dem man beipflichten kann, viel Wahres über Zusammenhänge von Irrationalem, Bösem und Religion, sowie Vernunft. Aber daß Golding dabei aus der aufklärerisch-rationalistischen Ecke kommt, für die Numinoses generell nicht mehr ist als psychologisch-mechanistisch erfaßbares, weltimmanentes, rein subjektivistischer Schwächeaffekt kann er ebenfalls nicht abstreiten.

Gewiß, das Totalitäre in seiner Zustimmung durch den Großteil der Masse kann sich auf irrationale Ängste berufen, die es kanalisiert, in Gruppenerlebnissen läutert sowie jene als deren Ort der Erlösung erfahrbar macht. Gewiß und sogar möglicherweise ungewollt tiefsinnig auch der erklärte Zusammenhang von Machtusurpation (ungerechtfertigter Aneignung) und Neid, ja Sturz des Vaters. Sehr schön, gewiß, auch die Erklärung des die Gesellschaftsordnung begründenden als wesentlich traditions- und dann tabubestimmt. Aber schon an deren Entstehung aus bloß persönlicher Willkür, aus zufälliger, willkürlicher Wahl von Attributen, die ein irgendwie gewordener Führer festlegt, bricht sich die Theorie, sucht sie sich Fundamente, die nicht halten.

Golding's Immanentismus stört denn also, und vermutlich liegt die letztlich fehlende Glaubwürdigkeit des Buches, die man an der Plausibilität der Charaktere und Geschehnisse mißt, das kaum über einen (wenn auch sehr intelligenten) Traktats hinauskommt, genau darin: daß eine Dimension des Menschen schlicht fehlt, und daß Religion eine Dimension der Wirklichkeit, und nicht einer biologistischen Psychologie ist. Vermutlich bezieht das Werk seinen Ruhm eben nicht aus seinem Rang als Kunstwerk, sondern als Versuch einer Illustration der Metapher einer Theorie des Totalitären.




*141208*

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Was nur man selbst kann

Schiller, zu der Zeit Geschichts-Dozent in Jena, fragt Dalberg, was er nun tun solle: als Schriftsteller historischer Schriften weiterleben, oder als Dichter weiterleben?

Dalberg antwortete: "... ich würde wünschen, daß Sie in ganzer Fülle dasjenige leisten, was nur Sie leisten können, und das ist das Drama."

Leisten, was nur durch einen selbst geleistet werden kann - die höchste Spitze des Menschseins, von der aus der Mensch selbst definiert wird, den es nur als Individuum gibt.

Das Höchste im Leben des Einzelnen wird Gestalt, wenn es aus der Wirklichungskraft des (gereinigten, reinen) Selbst steigt.

Ein Prinzip des "Höheren Guts." Eine Hilfe für Lebensentscheidungen.




*101208*

Samstag, 6. Dezember 2008

Orden der strengsten Observanz


Ein Trappistenkloster (reformierte "Zisterzienser von der strengeren Observanz", während Zisterzienser wiederum reformierte Benediktiner sind) kehrt geschlossen zur "Alten Ordnung" zurück - im Ordensleben, im liturgischen Leben: Marienwald. (siehe Photo; Titelverlinkung: Artikel auf kreuz.net)

Der Abt: "Man übersieht meist, wie viel Anziehungskraft die französischen Klöster auf junge Menschen haben, die die Alte Liturgie pflegen." (Anm.: In Frankreich gibt es eine Reihe von Abteien, die sich teils schon lange wieder oder überhaupt der traditionellen Liturgie verschrieben haben, wie Le Barroux)

Die Genehmigung aus Rom für diesen Schritt langte laut Bericht angeblich so rasch nach dem Ansuchen ein, daß die Vorbereitungen zu dieser Umstellung noch gar nicht abgeschlossen waren und nun beschleunigt nachgeholt werden.

Vielleicht entsteht bald der nächste benediktinische Zweig - die "Marienwalder - Orden von der die Strenge wieder streng machenden Observanz".

Hoffentlich schaffen sie nicht - auch das gibt es ja bereits, unter anderem in der Piusbruderschaft - eine neue Häresie, reihen sich ein in eine Strömung, die Merkmale einer Modeerscheinung hat: der Häresie des Traditionalismus, oder: des zur Häresie betonten Traditionalismus.

Böse Zungen behaupten, es gäbe ohnehin nur einen einzigen katholischen Orden - den der Benediktiner. Alle anderen wären (für sich gesehen) häretisch. (Häresie = das Auswählen, das Ausgewählte).




*061208*

Freitag, 5. Dezember 2008

Dann packe zu!

Jack Malloy in "Verdammt in alle Ewigkeit" kurz vor seinem Ausbruch, den er Prew zu dessen Überraschung verriet - er hielt seinen Zellenkumpan bis dahin für absolut abgeklärt und ausgewogen, aber der winkte ab, er stehe auf tönernen Füßen: "(Im Gegensatz zu Dir) ... habe ich die Armee nie geliebt. Ja, ich habe überhaupt nie etwas genug geliebt, und deshalb gehöre ich nirgendwo dazu. Die Dinge, die ich geliebt habe, waren alle zu trügerisch, zu irreal. Ich leide an der gleichen Krankheit, die ich zu diagnostizieren versuche und die die Welt zerstört.

Das ist's, was mich mein ganzes Leben lang verfolgt hat, (...) Immer ist es hinter mir her gewesen und hat mich zu Fall gebracht, dieses Ding, das ich gesucht hab und niemals finden werde. Welcher Platz im Himmel auch immer auf mich wartet, ich gäbe ihn dafür, wenn ich etwas so lieben könnte, wie du die Armee liebst. Verlaß sie nicht, (...) Niemals.

Wenn ein Mann einmal das gefunden hat, was er wirklich liebt, dann muß er es festhalten, ganz gleichgültig, ob seine Liebe erwidert wird oder nicht. Und (...) wenn es ihn schließlich tötet, sollte er dankbar dafür sein, daß er überhaupt die Möglichkeit hatte, so zu lieben. Darin liegt nämlich das ganze Geheimnis.
"

Dazu vielleicht nur zwei Bemerkungen, Hinweise - auf diese Angst vor dem Schmerz, dem Tod, dem man sogar sein Glück opfert, einerseits, und: die (eben: Nicht-)Erziehung zur Trägheit der Versorgtheit, ja: des Förderwesens, das zutiefst einer Haltung der Lieblosigkeit erwächst, die das Kind schon genau das, was es liebt, vielleicht sogar noch erkennen läßt, aber den entscheidenden Ernst, es festzuhalten, nie ertüchtigt, sodaß der Mensch, erwachsen, korrumpiert, dem davonwehenden Glück schlichtweg ... traurig nachblickt.

Es ist eben nicht (zumindest nicht: zuerst) die Versorgtheit, die Versicherung gegen die Lebensunbill, die Lebensgeglücktheit grundlegt.

Es ist der Wille, zuzupacken - vor dem Hintergrund der fehlenden Furcht vor Schmerz und Tod.




*051208*

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Angst vor dem Tod

Goethe meint einmal, daß alle Kunst religiös sei, ja sein müsse. Sei sie das nicht mehr, würde sie bloß nachahmen. Dazu fügt C.J. Burckhardt noch die Bemerkung an, daß er den Eindruck habe, daß die heutige Künstlergeneration dem entgehen wolle. Sie fürchte die Nachahmung so sehr, daß sie die Schönheit im platonischen Sinne (Thomas von Aquin: Gott schafft immer geometrische Formen, das heißt Ordnung und Harmonie) nicht nur meide, sondern sie jedesmal, wenn sie auftauche, breche.

Immerhin - im Werk tritt der Künstler gnadenlos sich selbst gegenüber.




*041208*

Das Neue = das Andere

C. J. Burckhardt in einem Brief (1946) an Gustav Bally (unter anderem Präsident der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie):

"... dieser mir psychologisch so merkwürdige Begriff 'des Neuen', das doch nichts anderes sein kann als das Andere, nämlich eine Ausschließung von allem Seienden und Bewährten."




*041208*

Dienstag, 2. Dezember 2008

Über das Vorherwissen

"(... denn da ihm alle Dinge gegenwärtig sind, sieht er sie vielmehr, als daß er sie vorhersieht), ... in Wahrheit sehen wir es so kommen, weil es so kommt; aber es kommt nicht so, weil wir es so kommen sehen. Das Geschehen macht das Wissen, und nicht das Wissen das Geschehen. Was wir kommen sehen, kommt so; aber es konnte auch anders kommen; und Gott sieht im Buch der Ursachen des Kommenden, das vor seiner Allwissenheit aufgeschlagen liegt, auch jene, die wir zufällig nennen, und die willkürlichen, die in der freien Wahl stehen, mit der er unseren Willen begabt hat, und er weiß, daß wir fehlen werden, weil wir haben fehlen wollen." 


(Montaigne)




*021208*

Das hat Humor!

Zur Zeit der Proteste bis 1989 (Wende) im kommunistischen Polen verkleideten sich im schlesischen Breslau bei Protestaktionen Studenten als Zwerge.

Die Polizei mußte dann bei den Verhaftungen ... Zwerge inhaftieren. Während die Studenten skandierten: "Ihr könnt doch keine Zwerge verhaften!"




*021208*

Sonntag, 30. November 2008

Durch Schönheit nicht zu erschüttern

Hugo von Hofmannsthal schreibt einmal, vermeintlich Schiller zitierend: Die Deutschen seien - anders als zum Beispiel die Italiener, die Südländer generell - nicht von Schönheit zu erschüttern, sondern nur durch Moralisches. Entsprechend seien seitens des Dramatikers die Rückschlüsse auf die dramatischen, kathartischen Mittel zu ziehen.

In "Die Technik des Dramas" weist Gustav Freytag mit dem interessanten Satz "Die Muse der Kunst ist keine barmherzige Schwester!" darauf hin, daß sozial-politische Problematik im Drama nichts verloren habe.




*301108*

Samstag, 29. November 2008

Ars semper reformanda

Künstlerische Freiheit bemißt sich nicht an moralischen, normativen Inhalten, sondern ihr Maß ergibt sich aus der Fähigkeit, Distanz zu in (privat-gesellschaftliche) Figur geronnene Haltungen zu wahren. Denn die Tendenz zur Konventionalisierung hat keine inhaltlichen Grenzen, sondern verhält sich maßgeblich relativ zum vorherrschenden, ressentimentbildenden gesellschaftlich-kulturalen Sukkus.

Es ist heute zu beobachten, daß künstlerische Qualität an bestimmten Haltungen und Normen festgemacht wird. Dabei wird übersehen, daß in dem Moment, wo die notwendig künstlerische Rebellion (das, was man eigentlich mit "links" bezeichnet) zu politischen Inhalten gerinnt, sich mit dem Marxismus verschwistert, lediglich eine Konvention durch die andere ersetzt wird.

Gerade die Avantgarde von heute zeichnet sich damit sehr häufig durch ein Maß an Konventionalität aus, das beeindruckend ist. Denn auch wenn manche es nicht glauben wollen: Spießbürgerlichkeit kennzeichnet sich gerade durch die Tendenz zur Masse, durch Konventionalisierung der Rebellion aus.

Umgekehrt ist die künstlerische Rebellion eine Haltung der Reform, eine Gegenwehr gegen Historisierung, und insofern immer Seins-, Wesens- und Substanzbezogen. "Ars semper reformanda!" Also muß sie in Zeiten des Verfalls "konservativ" sein.





*291108*

Freitag, 28. November 2008

Den Menschen überschätzt

Die Erkenntnis, daß hinter allem Geschehen abstrahierbare Kräfte stehen, daß die Menschen lediglich Puppen im immer gleichen Spiel der welttragenden Mächte und Willen sind, an dem bloß teilzunehmen ist, weil das Entscheidende die Haltung diesen Dingen gegenüber ist, die Frage des "Ja" um Sein, des Fiat, dies also bringt mit sich, daß auch im Drama die treibenden Kräfte anders gesehen werden müssen, als ich es bisher tat.

Denn geht es bestenfalls im Einzelfall um den Menschen selbst als ein Geschehen auslösende Kraft (und wird genau deshalb verständlich, warum es so lange kein Drama der "gewöhnlichen Schichten" gab, sondern lediglich der Mächtigen, denn wenn sind noch sie diejenigen, die am ehesten das können, was man Handeln nennen kann) so ist der Handlung selbst viel mehr Augenmerk zu widmen.

Freytag meint (indem er Aristoteles zitiert) überhaupt, daß vor allen Charakteren die Handlung ein Stück trägt. Auch die Spannung selbst kann nie an einem Charakter, sondern muß an der Handlung aufgehangen werden - weil nur Handlung Spannung erzeugen könne, so interessant auch ein Charakter sein mag. Handlungen müssen logisch sein, sich auf null Rest auflösen. Charaktere hingegen sind wie im Leben rätselvoll.

Ihr Handeln ist sohin eher noch ein Stören, dem Geschehen des Endes des 1. Aktes also zugehörig, das den dramaturgischen Hauptkonflikt ausgeformt haben sollte.




*281108*

Donnerstag, 27. November 2008

Erst einmal nach oben - dann wird alles wieder anders


C. J. Burckhardt 1915, während einer Deutschland-Reise: "... Das ist eine der üblen Erscheinungen der Zeit: Das Vormacht-ausüben-wollen, das Führen-wollen; keiner will mehr dienen. Liebe zu den anderen, ausübendes Mitleid den Schwachen - das findet man so selten mehr. Menschen und Völker sind verblendet: sie hätten die einzige Pflicht, zu steigen, um dann wohltuend zu herrschen, und weil sie an ihre Mission glauben, glauben sie keiner täglichen Pflicht mehr, treten und zertreten, um hinaufzukommen und einmal oben, verfallen sie dem Egoismus."

Ich stelle die Sätze, mit denen der Schweizer die Veränderungen in Europa kommentiert hat, unter das Label "Emanzipation, Frau"




*271108*

Mittwoch, 26. November 2008

Ein tragischer Moment

Der Vater von Carl J. Burckhardt hatte - neben seiner Gradlinigkeit - eine ausgeprägte Feinfühligkeit und Verletzlichkeit Unrecht gegenüber. Eines Tages hatte er von einem Mitglied des Schweizer Parlaments (dem er selber angehörte) unberechtigte Anwürfe anhören müssen, worauf er für einen Moment die Fassung verlor und meinte, es sei eine Ungeheuerlichkeit, daß er sich von einem Manne (Anwalt), der in einem Prozeß einen Zeugen für ein falsches Zeugnis bezahlt habe, so beleidigen lassen müsse.

Der solcherart Angesprochene rief empört, ob Burckhardt sich diesen Vorwurf auch außerhalb der parlamentarischen Immunität zu wiederholen wage. Was der geradlinige Charakter prompt tat ... und daraufhin verklagt und verurteilt wurde, weil er es nicht beweisen konnte. Ein Jahr später nahm er, der mit diesem (nur von ihm gewußten) Unrecht nicht leben konnte, sich das Leben.

Jahre später erfuhr der Sohn, von dem es später ebenso hieß, daß "keine Lüge über seine Lippen" komme, von einem Zeugen am Sterbebett nämlichen Anwalts, daß dieser die schwere Gewissensbelastung eingestanden habe - denn: er hatte den Zeugen seinerzeit tatsächlich bestochen.




*261108*

Dem Zug der Natur nach

Carl Jakob Burckhardt in einem Brief (1914) an Jacob Wassernagel: "... Du solltest überzeugter sein, daß gar nichts Dein Leben an glücklicher Entfaltung hindern kann, wenn Du nur stets dem großen Zuge Deiner Natur nachlebst und der kleinen Eigensucht, den Ergriffenheiten und Wünschen des Moments absagst. ..."





*261108*

Montag, 24. November 2008

Binnen einer Sekunde ein anderer Zelltyp

Maureen Condic, Dozentin am Westchester Institut für „Ethik und die menschliche Person“, in einem Interview mit Zenith (Titelverlinkung: das originale Interview) über den Zeitpunkt, ab wann definierbar menschliches Leben aus naturwissenschaftlicher Sicht entstehe - kurz: beobachtbar "binnen einer Sekunde ab der Vereinigung von Ei und Samenzelle", in denen sich ein neuer Zelltyp eines neuen Organismus formiert. Alles andere ist nur noch eine Frage der Aktualisierung des Menschseins. Danach zu urteilen unterliegt derselben prinzipiellen Frage wie zum Beispiel die Euthanasierung von Behinderten, oder überhaupt irgendwie definiert Lästigem.

Einige Passagen daraus:

...

Maureen Condic: Die zentrale Frage, „wann beginnt menschliches Leben“, läßt sich auch etwas anders stellen: Wann hören Samen- und Eizelle auf zu existieren, und was für eine Art von Ding nimmt ihren Platz ein, wenn das geschehen ist?

Um diese Frage wissenschaftlich anzugehen, müssen wir uns auf eine logische Beweisführung und auf das tatsächliche Beweismaterial stützen. Wissenschaftler unterscheiden zwischen verschiedenen Zelltypen (zum Beispiel zwischen Samenzelle, Eizelle und der Zelle, die diese bei der Befruchtung hervorbringen). Diese Unterscheidung erfolgt nach zwei einfachen Kriterien: Die Zellen werden als unterschiedlich erkannt, weil sie aus verschiedenen Komponenten bestehen und weil sie sich verschieden verhalten.

Diese beiden Kriterien werden durchweg bei wissenschaftlichen Versuchen angewandt, um einen Zelltyp vom andern zu unterscheiden, und sie sind die Basis jeder wissenschaftlichen Unterscheidungen - im Gegensatz zu subjektiver Meinung entspringenden oder auf dem Glauben gründenden Kriterien oder etwa politischen Unterscheidungen. Ich habe diese zwei Kriterien auf die wissenschaftlichen Daten, die für die Befruchtung von Belang sind, angewandt. Auf ihnen gründet die Schlussfolgerung, dass ein neuer menschlicher Organismus in dem Moment der Verschmelzung von Sperma und Eizelle entsteht.

ZENIT: In der Welt der Wissenschaft sagt man doch vielerorts, dass die Befruchtung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt geschieht, sondern dass sie vielmehr ein Prozess ist, der am Ende des ersten Zellzyklus endet, nämlich vierundzwanzig Stunden später. Warum ist es wichtig, einen „Zeitpunkt der Empfängnis” zu bestimmen, im Gegensatz zu einem „Prozess der Befruchtung“?

Maureen Condic: Es geht nicht so sehr darum, irgendwie einen Moment oder einen Prozess der Befruchtung abstrakt zu bestimmen. Vielmehr geht es darum, Schlussfolgerungen und Entscheidungen über menschliche Embryonen auf eine zuverlässige wissenschaftliche Beweisführung und auf die besten zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten zu gründen.

Hätte diese Analyse zu einem anderen Ergebnis geführt – zum Beispiel dazu, dass die Befruchtung ein „Prozess“ ist, – hätte ich dieses Ergebnis als wissenschaftlich gültig akzeptiert. Aber die Analyse der besten zur Verfügung stehenden Daten erhärtet nicht die Schlussfolgerung, dass die Befruchtung ein „Prozess“ ist. Sie bestätigt vielmehr das Ergebnis, dass die Befruchtung ein Ereignis darstellt, das in weniger als einer Sekunde abgeschlossen ist.

Der Prozess der Vorgänge während der ersten vierundzwanzig Stunden nach der Verschmelzung von Sperma und Eizelle ist eindeutig einzigartig, aber die Ereignisse sind auch eindeutig Akte eines menschlichen Organismus, nicht Akte einer bloßen menschlichen Zelle.




*241108*

Doch dafür ist es Poesie!

Ludwig Curtius erzählt von einem Nachbarn, den er eines Nachmittags in einem Café auf der Piazza della Signoria in Florenz getroffen hatte. Ein junger Mann, Tischlergeselle, dessen Verdienst aber für eine Familiengründung nicht ausreichte, um zu heiraten. Es sei ein übler Zustand. Die Florentiner Mädchen aus ehrlichen Häusern seien aber spröde.

Freilich sei es da viel leichter, sich mit feilem Weibsvolk abzugeben.

Aber: "Ma, non c'è poesia." (Aber das ist doch keine Poesie!)




*241108*

Freitag, 21. November 2008

Ob im Liegen oder Stehen - immer zu Diensten

Als Don Quijote dem Herzog, vielmehr der schönen Herzogin entgegen, von seiner Rosinante absteigen wollte, fiel er mitsamt seinem Sattel von demselben und lag somit, übel zugerichtet, am Boden. Der Herzog ließ ihn aufheben und bedauerte unsäglich, daß ein so schlimmer Zufall bei ihrem ersten Zusammentreffen zu beklagen sei. Doch der Ritter von der traurigen Gestalt meinte, während er sich hinkend dem herzoglichen Paar näherte: "Derjenige, der mich betroffen, kann unmöglich ein schlimmer gewesen sein, und wenn sich mein Fall selbst bis in den Abgrund der Hölle erstreckt hätte, denn auch von dort hätte mich das Glück erhoben und gerettet, Euch gesehen zu haben. ... wie auch immer ich mich befinden möge, gefallen oder aufgestanden, zu Fuß oder zu Pferde, werde ich immerdar zu Euren Diensten sein wie zu denen meiner gnädigen Herzogin, Eurer würdigen Gefährtin, und der würdigen Herrin der Schönheit und erhabensten Fürstin aller Gnade."




*211108*

Wir sind was wir gehört

Dieser Werbung liegt eine interessante Idee zugrunde, die meines Erachtens aber nicht ordentlich genug durchreflektiert wurde. Also geht sie auch etwas daneben, bleibt unklar - die Aussage ist auch falsch: "Ich bin ... der Meteorologe" usw. usf.) Ich sähe hier eine schöne Anspielung auf den Satz von Golo Mann "Wir sind, was wir gelesen" - unser Menschsein, unsere Leistung ist nicht das "Erfinden" von Aussagen über die Welt, sondern unser entscheidendes Maß ist jenes des Charakters, des Herzens, das zusammenfügt und auswählt, ist unsere Phantasie. Doch diesen Satz ontologisch zu gebrauchen ist problematisch.

Auch wenn dieser Spot (der leider nur auf den Standard-Seiten direkt zu sehen ist - hier das Link) schon etwas klarer ist als jener, den der Telephonanbieter "Orange" (daß es ein solcher ist, kommt meines Erachtens nicht einmal als blanke Information durch) bislang ausstrahlte.




*211108*

Donnerstag, 20. November 2008

Szivemben bomba van ... Budapest Bár

Umwerfend: Budapest Bár im Konzert zu sehen: 

"Szivemben bomba van" 
("In meinem Herzen befindet sich eine Bombe") 

Kiss Tivor und Németh Juci.





 *201108*

Dienstag, 18. November 2008

Die Revolution von 1918

Es ist mein Gefühl für Fairness, das mir fast vorschreibt, diesen Artikel - angeblich aus der Hand Alfred Gusenbauers, des gerade noch, aber schon eigentlich nicht mehr Kanzlers - vorzustellen: Im Standard (siehe: Titelverlinkung) hat Gusenbauer einen bemerkenswerten Artikel über die Gründung der Republik und ihre ersten Jahre veröffentlicht: In der Form eines historischen Überblicks, der zwar deutlich die Literatur anmerken läßt, aus der er herausgearbeitet ist, von dem ich aber meine, daß er eine selten präzise Information über die wesentlichen Vorgänge zur - nämlich: richtig bezeichneten! - Revolution von 1918 liefert: So, wie ihn die Sozialdemokraten gerne hätten nämlich. So könnte er sofort Eingang in jede politische Akademie der SPÖ finden, und von dort stammt die Literatur vermutlich auch, aus der Gusenbauer exzerpiert.

Was ihn nicht hindert, bemerkenswerte Exzerpte anderer Quellen zu Stellungnahmen - zum Tod von Dr. Haider wie Dr. Zilk - umzuformulieren, in denen Gusenbauer - wie in diesem Artikel - den blitzschnellen Wechsel seines Rollenfachs öffentlich bekanntgibt: Vom pubertären Lauser zum über allen Dingen stehenden "Weisen" ... Ein Vexierbild wird durch das nächste ersetzt, mehr als Pseudologie paßt in die Persönlichkeit dieses Mannes nicht hinein.

Einige interessante Passagen:

... Die Ziele der Sozialdemokratie waren unter anderem "das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes ... aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, ... der politischen Rechtlosigkeit und ... der geistigen Verkümmerung" zu befreien. Mit der demokratischen Republik wurde die politische Basis dafür geschaffen.

... Im Oktober und November 1918 waren die Sozialdemokraten die einzige Kraft, die über politische Konzepte verfügte und sie gegenüber den Arbeitermassen vertreten konnte. Das Elend des Krieges, die Hungersnot, auch das Beispiel Sowjetrusslands ließen einen gewaltsamen Umsturz für viele Arbeiter und heimkehrende Soldaten attraktiv erscheinen. Die Sozialdemokratie setzte dem ihre tragende und bewahrende Rolle entgegen. Dass sie es erfolgreich tun konnte, verdankte sie der Einsicht ihrer wichtigsten Funktionäre, die als oberstes Ziel die Geschlossenheit von Partei und Gewerkschaft erkannt hatten. Die Errichtung von Räterepubliken in Ungarn und Bayern zwang die anderen Parteien in Österreich zu weitgehenden Konzessionen. Die Errichtung von Einigungsämtern, die Invalidenfürsorge und die staatliche Arbeitslosenunterstützung, Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Achtstundentag in fabriksmäßig betriebenen Unternehmen, das Gesetz über die Errichtung von Betriebsräten waren die ersten Erfolge der Arbeiterschaft.

... Wir erfinden nichts neu, sondern bedienen uns der Mittel, welche die Gründerväter der Republik den nachfolgenden Generationen zur Verfügung gestellt haben. Noch wichtiger scheint mir aber die Förderung einer rationalen Information der Bevölkerung und die Intensivierung eines rationalen Diskurses zu sein. Die politische Bildung in den Schulen und in den öffentlich-rechtlichen Medien muss verstärkt werden. Die Menschen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich für die Gesellschaft engagieren, verdienen nicht nur mehr Anerkennung, sondern auch mehr Förderung.




*181108*

Worauf unser Wohlstand zurückgeht

Maxim Gorkij leitet einmal aus dem Anthropomorphismus - er führt Beispiele an, wo wir rein physikalisch-biologischen Vorgängen menschliche, personale Eigenschaften zumessen, wo wie wir der Kälte zuschreiben, daß "sie uns beißt" etc. etc. - schreibt einmal:

"... Nur deshalb haben die Menschen einen Gott über ihr Leben gesetzt, weil ihre besten Eigenschaften und Wünsche, die sich während des Arbeitsprozesse bildeten, in der Wirklichkeit keinen Platz hatten, weil der Kampf um das tägliche Brot so hart war.
Wir sehen daraus, daß Gott als eine überlebte Idee überflüssig werden würde, sobald fortschrittlich eingestellte Leute der Arbeiterklasse es richtig gelernt hätten, ihr Leben so zu reformieren, daß sich ihre besten Eigenschaften frei entfalten könnten. Damit gäbe es keine Notwendigkeit mehr, sein Bestes in Gott zu verstecken, weil man wüßte, auf welche Art sich dieses Beste in der lebendigen, irdischen Wirklichkeit verkörpern ließe.

Gott ist ebenso nach den Gesetzen der 'Abstraktion und Konkretisierung erschaffen worden wie die literarischen "Typen" (als Assemblierung verschiedenster charakterlicher Eigenschaft etc.; Anm.) die charakteristischen Ruhmestaten mehrerer Helden wurden "abstrahiert", abgesondert, danach werden diese Züge "konkretisiert" und zu einem Helfen zusammengefügt, zum Beispiel zu Herkules ..."

So nebenbei zeigt Gorkij die A-Personalität der griechischen Kunst auf (siehe auf diesen Seiten: die Einträge zu Andre Malraux!), die tatsächlich nur abstrahierte, deren bildende Kunst zum Beispiel deutlich diese Abstraktion offenbart (anders als die gute römische Kunst übrigens), und er leitet daraus generell die Kunst und ihr Wesen ab, was mit der Grundhaltung dieser Form von Utopisten (Gorkij war Kommunist) - dem Dualismus Geist/Körper - übereinstimmt, wo sich auch moralisches Handeln lediglich aus dem Willen ergibt (siehe unter anderem Kant).

Aber: was Gorkij 1928 eigentlich ganz präzis - sicher mehr, als er wollte - ausdrückt wie vorwegnimmt, ist nicht nur die Wirklichkeitssicht des Marxismus, sondern es könnte deshalb von heute sein, weil es die Grundlage dessen darstellt, was wir Sozialstaat" etc. nennen, was die Grundlage der Sozialpolitik von heute ist. Es ist eine Anthropologie, die den Menschen entpersönlicht, und seine Entfaltung zu einer FOLGE des Wohlstands macht. Auf diesem Gedanken, der eine (gewiß: sogar verführerische) Pervertierung der Pädagogik des Seins ist, fußt unser heutiger Sozialstaat.




*181108*

Sonntag, 16. November 2008

Irrglaube an die Machbarkeit des Glücks

Prew in "Verdammt in alle Ewigkeit" von James Jones: "... erinnerte er sich, was Onkel Turner, der nie verheiratet gewesen war, einmal zu ihm gesagt hatte. Weiber lenken die Welt, mein Junge. Gott hat ihnen alle Trümpfe zwischen die Beine gesteckt, sagte er. Die sind nicht aufs Glück angewiesen wie wir Männer, und wir geben's besser gleich zu."

Und wie paßt der Satz auf die Wirklichkeit? Öffnet sich dabei manche Türe? "Diese verdammte Frauengleichberechtigungsscheiße kommt nur davon, daß die allen Ernstes glauben, daß Glück und Erfolg in der Welt machbar sind. Sonst würden sie nicht glauben, daß es die Männer sind und waren, die es sich vorbe- und ihnen vorenthalten hätten! Und die Männer lehnen sich zurück und schauen zu und grinsen, den Zahnstocher im Mundwinkel, weil es denen auch nicht gelingt: dabei wären die nie auf Glück angewiesen gewesen! Die hätten es sich richten können, denn sie haben einen Weg, der steuerbar ist: uns."




*161108*

Samstag, 15. November 2008

"Sehenden Auges," meinte er damals.

H hatte es schon vor fünf Jahren gesagt. Bei fünf Bieren und durch den Zigarettenrauch nahezu blickdichter Atmosphäre im Café "Gitarre" im 4. Bezirk explizierte er erregt seine Meinung: "Dieser Greenspan steuert die USA auf eine Katastrophe zu! Das einzige, was denen seit vielen Jahren zur Konjunkturbelebung einfällt ist, die Zinsen zu senken. Das wird böse Folgen haben!"

Dadurch würden in der amerikanischen Wirtschaft, meinte er, sämtliche organische Strukturbereinigungen und Modernisierungsverfahren, die immer nur unter normalem Konkurrenzdruck entstünden, ausbleiben - die Effizienz sinke, schon gar unter globalen Wettbewerbsgesichtspunkten. Das führe dazu, daß das Geld tatsächlich billiger bleiben müsse, weil sonst der Kapitalmarkt die Unternehmenserträge weit übertreffen würde. Man würde nicht in Unternehmen und Investitionen investieren, sondern in Spekulationen, in Geldanlagen.

Damit aber würde in jedem Fall ein ungeheurer Sog, neues Geld zu besorgen oder gar zu schaffen, entstehen, mit gleichzeitiger Tendenz, Risikoanlagen zu forcieren, die hohe Renditen garantierten: denn die Banken hätten sonst keine Chance, das (durch das niedrige Zinsniveau) nachgefragte Geld aufzutreiben. Somit würden hochspekulative Papiere immer interessanter - und weltweit Geld ansaugen.

"Ein Wahnsinn," meinte er, schon lallend, und voller Sarkasmus, weil die Katastrophe nicht abwendbar sei. "In ein paar Jahren gehen denen dann alle Banken mit Pleite, wenn sie nicht aufpassen."

Das war 2003. Er war nicht der einzige, der es kommen sah. Aber die Visionen waren so düster, daß man sie gar nicht wirklich ernstnahm.

Wir können uns Katastrophen, wirkliche Notlagen, gar nicht mehr ernsthaft genug vorstellen. Bereits in zweiter Generation erleben wir einen Wohlstand, der unser gesamtes Welterleben verändert hat. Somit fehlt uns auch jedes Verständnis für wirkliche Not in unserer unmittelbare Umgebung - und damit meine ich gerade nicht die Spendenbereitschaft, die nur eine verlängerte Wohlstandsattitüde ist. Soziale Absicherung in jeder Hinsicht ist uns nahezu "angeborenes Merkmal" - ihre Brüchigkeit ist uns schlicht nicht vorstellbar. Was die Gefahr erhöht, radikalen Veränderungen zuzustimmen, die auch Gutes mit ausreißen.

Um diese soziale "Sicherheit" - die Merkmale von Etatismus, von totalitärer, zentraler Steuerung der Wirtschaftsprozesse - zu gewährleisten, ist längst die Zustimmung zu kommunistischen Tendenzen groß.

Die Bedrohung von Not und Armut wird umso ärger empfunden, als sie irrational, weil fern, unvorstellbar bleibt. Damit wird aber auch jene Erfahrung falsch eingeschätzt die besagt, daß man ... durch Geld nicht glücklich wird.

Damit aber wird die Gefahr groß, daß übersehen wird, daß alles Wirtschaften Ausfluß menschlicher Wirklichung ist. Eine Volkswirtschaft ist nur bedingt durch staatliche Maßnahmen als "Ding an sich" ansprechbar. Wird sie zu sehr aber zum Phänomen - durch Abhängigkeiten vom staatlichen und direkten Einfluß auf die Konjunktur, die nämlich mit der Zeit entstehen -

Eine weitere Lehre sollte sein, daß die Zusammenfassung in große Wirtschaftsräume - wie in Europa in der EU - den Verzicht auf wichtige Steuerungsmaßnahmen bedeutet, mit denen ein Volk, ein Staat, seine Kernbereiche vor internationalen Entwicklungen schützen kann, wenn es notwendig ist. Auch wenn sonst der Weg eines Landes vielleicht etwas mühsamer verläuft.

In jedem Fall aber müssen wir - gerade in Österreich - wieder neu begreifen, daß das Leben im Normalfall ein Auf und Ab ist, und daß wir uns jahrzehntelang falsch angewöhnt haben, jedes Fieber sofort zu unterdrücken. Weil es keine Krisen geben darf, die eben wirklich mit Rückgängen auch im Wohlstand einhergehen.

Auf eine weitgehend krisenfreie Weiterentwicklung auf Jahrzehnte hinaus zu setzen - und wir tun es immer noch: nach wie vor findet die Demographie viel zu wenig Berücksichtigung in den politischen Maßnahmen - ist nicht besonders friedliebend, sondern besonders dumm. Und es sind dann nicht unglückliche einzelne Ereignisse und Zusammenfälle, die die Kartenhäuser zum Einsturz bringen.

Wir wollten zu viel, und zu viel mit Gewalt. Und nun wollen wir erst recht zu viel: alles ist uns recht, solange sich nichts ändert. Ändert sich das aber nicht, wird eine nächste und noch größere Krise absehbar. Es IST absehbar - so wie die jetzige es schon viele Jahre lang war: nichts davon ist überraschend.




*151108*

Donnerstag, 13. November 2008

Was Leben ist

In einem Vortrag zur dritten Sondertagung des Verbandes Katholischer Akademiker in Kevelaer im Jahre 1927 definiert Abt Laurentius Zeller "Leben" in der Spezialfrage, ob Pflanzen eine Seele haben, so:

Von der rein biochemisch-mechanistischen Welt unterscheidet es sich genau dadurch, es nicht auf rein chemische und mechanische Vorgänge zurückzuführen ist. Zwar ist (vegetative) Seele und Leben in seinen Vorgängen an die Gesetze und Kräfte der leblosen Stoffe gebunden, aber sie verlaufen nach eigenen, höheren Gesetzen, verlangen eigene, höhere Kräfte und zwingen den denkenden Verstand zur Annahme einer Seele. Die Pflanze ist sohin keine Maschine, ihr Leben ist mehr als ein chemischer Vorgang.

... die gesetzmäßige Einheit der Vorgänge stofflichen Lebens sagt uns, daß sie die Auswirkung eines Wesens sind, das den Stoff und seine Teile und Kräfte beherrscht und mit ihm zur Einheit der Natur verbunden ist, um mit ihm ein einheitliches, selbständiges Lebewesen zu bilden.

... Von Leben können wir dann sprechen, wenn die Vorgänge und Bewegungen, die wir am Körper wahrnehmen, ihren Grund nicht in äußeren, mechanischen oder chemischen Einwirkungen haben, sondern im Inneren, im Wesensgrund des Stofflichen Gebildes. Leben ist Bewegung von innen heraus, in diesem Sinne: Selbstbewegung. "Viventia movent seipsa" ... Jede Bewegung, jede Seinsveränderung verlangt ihren Grund. Die Lebensvorgänge haben ihre Quelle im inneren Wesensgrund, den wir Seele nennen.




*131108*

Mittwoch, 12. November 2008

Sozialverträgliches Frühableben erwünscht

Kein weiterer Kommentar notwendig (Titelverlinkung: kath.net, der gesamte Artikel aus der Tagespost) Hier die wesentlichsten Passagen, vermengt mit Passagen aus einem weiteren Artikel auf kath.net:

... nur noch neunzehn Prozent der Deutschen eine „Tötung auf Verlangen“ ablehnen ...

... Kommt es hart auf hart, befürworten nicht einmal ein Fünftel der Deutschen noch ein kategorisches Tötungsverbot.

Wie weit die ethische Verwahrlosung der Deutschen inzwischen vorangeschritten ist zeigt, dass auch sechundfünfzig Prozent der Protestanten und sogar fünfzig Prozent der Katholiken hierzulande eine solche Auffassung vertreten.

Man tut also gut daran, sich nicht damit trösten zu wollen, dass die Zustimmung zur Euthanasie umso geringer ausfällt, je älter die Befragten sind. Denn inwieweit das „sozialverträgliche Frühableben“ (Karsten Vilmar) auch in Deutschland in Mode kommen wird oder nicht, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wie hoch die Bereitschaft junger Menschen sein wird, die Lasten, die ihnen der demografische Wandel aufbürdet, auch zu tragen.

Die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Viel wahrscheinlicher ist, dass die sich die auf das Rentenalter zubewegenden Deutschen schon bald die Früchte ernten werden, die sie gesät haben. Eine Gesellschaft, die jahrzehntelang die „Selbstverwirklichung“ und in der Folge auch die dafür meist als erforderlich betrachtete „Gesundheit“ zum höchsten Gut erklärt, die „Selbstbestimmung“ und „Autonomie“ – auch in Fragen der Moral – über alles gestellt, die Glaube, Religion und Tugenden systematisch verspottet hat, darf sich nicht wundern, wenn ihre Lehren nun beginnen, sich auszuzahlen.

... keine Generation, die so schlecht auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet wurde, wie die Nachwachsende. Noch treten die Folgen mangelhaften Rüstzeuges nicht offen zutage. Noch wärmen die Restbestände christlichen Gedankenguts die Gesellschaft. Noch geht es ihr wirtschaftlich so gut, dass die Verteilungskämpfe kein unerträgliches Ausmaß angenommen haben. Doch niemand sollte davon ausgehen, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird ...

--

Brüssel (kath.net) Nach den Niederlanden will auch Belgien die aktive Sterbehilfe an Kindern legalisieren. Damit wendet die Regelung der regierenden Flämischen Liberalen Partei dieselben Kriterien für Kinder wie für Erwachsene an: Diese können auf eigenen Wunsch Sterbehilfe verlangen. Kindern ab zwölf Jahren soll dieses „Recht“ gewährt sein, ab sechzehn Jahren sogar ohne Zustimmung der Eltern. 

Das berichtet die Website www.AlbertMohler.com.

In den Niederlanden ist Euthanasie für Kinder bereits legal. Seit kurzem dürfen die Mediziner des Groningen Universitätsspitals auch Kindern unter zwölf Jahren Sterbehilfe leisten, “wenn die Ärzte glauben, daß ihr Leiden unerträglich ist oder wenn sie eine unheilbare Krankheit haben“, wie The Weekly Standard meldet. Wie die Zeitung ausführt, sei “unheilbar” nichts als ein “Euphemismus für das Töten von Babys und Kindern, die schwer behindert sind”.

Das britische Ärztejournal The Lancet weist nach, dass in den Niederlanden bereits jetzt zwischen achtzig und neunzig Babys getötet werden, das sind acht Prozent aller verstorbenen Kleinstkinder im Land. Fünfundvierzig Prozent aller Neonatologen (Ärzte für Neugeborene) und einunddreißig Prozent aller Kinderärzte haben laut der Studie bereits Babys getötet.




*121108*

Birgt zweitwirkliche Frömmigkeit Gnade?

Ist das nicht (Europa-)Fetischismus? Wie könnte es anders sein: US-amerikanisch, wo es Kultur nur als Fetischismus und Zweitwirklichkeit schlechthin gibt; eine Kultur, die dann, wenn sie wirklichkeitsoffen ist, auf eine kaum zu fassende Stufe zurückfällt. Und damit ihren wahren Stand offenbart. Wieviel Esoterik enthält die Psychologie der Zweitwirklichkeit?






*121108*

Dienstag, 11. November 2008

Die wunderbare Brotvermehrung

Nun kommen sogar schon die Museen (Titelverlinkung: Die Museen fordern Geld) ... die Sponsoren fallen aus.

Alle, scheinbar wirklich alle leiden mittlerweile unter der Weltfinanzkrise - ja, wie sollte es anders sein? - und begehren "staatliche Hilfe". Denn die Finanzkrise erreiche da und dort doch die Realwirtschaft - wie es Frau Merkel unlängst in einer Rede verkündete.

Realwirtschaft. Wirtschaft. Staatliche Hilfe.

Der Staat soll helfen. Der Staat. Auja, helfen ist gut. Am besten: Alle helfen allen. Und die anderen helfen mir. Noch besser: am besten ist, wenn am Ende alle einstecken. wir schaffen einfach (endgültig) ... den Realbezug von Geld ab, wie wär's damit? Der ehemalige Osten hat es ja vorexerziert! Da gab es ja Geld! Und bei uns fehlt es.

Was sich derzeit so beängstigend ausdrückt: der kollektive Wille, ohne jede Rücksicht und Bedenken Schulden in nahezu unbegrenzter Höhe aufzunehmen, um unser Leben möglichst unverändert weiterlaufen zu lassen.

Man muß sich die Summe einmal auf der Zunge zergehen lassen: Österreich alleine macht hundert Milliarden Euro - das sind eins komma vier Billionen Schilling! - "locker". Waren das mal Zeiten, in denen wir über ein "Milliardendebakel" von VÖESt und Verstaatlichter diskutierten ... über solche Beträge (in Euro: "wenige hundert Millionen") redet heute nicht einmal mehr jemand. Das sind doch Peanuts, Erdnüßchen!

Geht ja. Seit Jahrzehnten ist das Heilmittel der staatlichen Wirtschaftslenkung ja da: Es lebe der Kredit! In immer komplexeren Formen, wo alle einander leihen, alle, nahezu unbegrenzt! Man ist ja - wahrscheinlich ohne jede Übertreibung - schon so weit, daß die Bonität eines Staates dann und darunter leidet, weil dessen Schuldner das auf einer Seite geliehene Geld auf der anderen zurückborgt, damit es ihm geliehen werden kann, und dafür diesen Staat sofort als schlechten Schuldner einstuft, weil er bei ihm einen Kredit hat, der fraglich ist, weshalb er ihm neuerlich Kredit gibt, um das Vertrauen zu demonstrieren ...

Eigentlich könnte man sagen, daß die sogenannte Weiterentwicklung der Etat- und Finanztheorien seit Jahrzehnten nichts anderes war als das Finden neuer Wege der Geldvermehrung durch Kredite: durch neue Begründungen dafür, sich frohzurechnen, (wie das einer meiner mittlerweile verstorbenen Geschäftspartner früherer Zeiten immer nannte.)

Es ist wie die wunderbare Brotvermehrung ... es fehlt nur noch der Messias. Und vielleicht doch: das wirkliche Wunder.




*111108*

Von Gott beschlafen

Der schwerste, weil zuinnerste, tabubehafteste, am schwersten in seiner Gegnerschaft erfaßbare Kampf auf dem Weg zur Freiheit ist jener gegen die Erwartungshaltungen der Mütter.

Der Vater kann entmutigen, erdrücken. Aber: Aller Antrieb zur Wirklichung, der ein Antrieb des Eros ist, geht zurück auf die Frau und die Aufgabe, die sie an ihr zu lösen lockt. Im Vater findet sich "lediglich" ein gestalthafter, aus der Natur der Geschichte heraus immer überholter, veralteter (konkreter, also bloß nachahmbarer) Weg, der die Identität bestimmt.

Aber die Tat ist Antwort auf die Frau.

So wie die Schöpfung ehelicher Begattungsakt Gottes war.

Also sind auch die Salomonischen Verse zu verstehen, die Gleichnisse, in denen die Kirche - als Gemeinschaft der Heiligen in allen Dimensionen - mit dem Zicklein verglichen wird, mit der Braut, die den Bräutigam sehnsüchtig erwartet.

Umso schwerer, langwieriger, komplexer und schwieriger zu entdecken sind jene verinnerlichten Forderungen, die unter Umständen Lebenswege einschlagen lassen, die an eines wahrer Natur weit vorbeigehen.

Es liegt das Gelingen in den Händen der Frau. Ob es die Mitochondrien in den Zellen sind - oder die Mütter in den Familien: sie entscheiden, ob der Same aufgeht, verkrüppelt wird, oder ganz erstickt.




*111108*

Eigentumslosigkeit - einziger Weg

Es gibt vielleicht nur eine einzige Form des Heraustretens aus den Verstrickungen der Zeit, das ident ist mit einem Heraustreten aus figürlicher Verantwortung: nicht also Mitspieler, sondern Chronist und Reflektor.

Es ist die Eigentumslosigkeit.

Jede Form von Eigentum braucht Erhaltung, ist somit auf die faktische Gegenwart verwiesen. Je weniger Eigentum - desto weniger Verantwortung - desto weniger von gesollten Interessen gefilterte Reflexion, weil keine Rücksicht auf Erhaltungsnotwendigkeiten (in figürlichen Identitäten) genommen werden muß.

Und nur in dieser - frei gewählten (weil Eigentum an sich Ziel des irdischen Existierens, also der menschlichen Natur zutiefst eingeschrieben ist! dies als Warnung vor den zu erwartenden inneren wie äußeren Kämpfen gesagt) - Eigentumslosigkeit, die lediglich eine Reaktion auf den faktischen Zustand der Welt ist, in den sie durch die Erbsünde gezwungen bleibt ist die Wahrheit bibliotheksgleich darstellbar: weil die Welt als Kreuz in seiner Gesamtheit und Universalität auf eines Schultern drückt.

Wird man zur Eigentumslosigkeit gezwungen, ist ein natürliches Verhältnis zum Verzicht schwerer und langwieriger herzustellen. Sogar das dauert länger: zu begreifen, daß man dem Eigentum nicht hinterher weinen MUSZ.

Damit also sind wir bei der Kunst - und der Aufgabe des Künstlers.

Der Gedanke ist keinesfalls neu. Er hat die Kunst jahrhunderte-, ja jahrtausendelang beseelt und geschaffen. Aber er muß (und mußte bei mir) vielleicht neu gedacht und belebt werden.

Zur (auch: vorwegnehmenden, damit rüstenden) Befreiung einer Generation. Vielleicht.




*111108*

Gewitter um Bismarck

Bismarck in einem Brief an seinen Vater:

"Als wir in See kamen, fing es heftig zu regnen an, und etwa drei Meilen von der Insel Wangeroog liefen wir auf eine Sandbank fest, so daß wir die Nacht über liegen bleiben mußten, um die Fluth abzuwarten. Während der Zeit überfiel uns das tollste Gewitter, welches ich je gesehn habe; zum Glück ganz ohne Wind, aber wohl zwei Stunden mit wenig unterbrochnem Donner und Blitz. Ich war mit Herrn von Friesen aus Rammelburg und dem Capitain allein auf dem Verdeck, als ein betäubender Schlag, mit Donner und Blitz ganz zugleich fiel; Friesen und ich taumelten auseinander, und jeder dachte von dem Anderen, er brennte; der Strahl hatte einige Schritte von uns den Kettenkasten getroffen, und an der aushängenden Kette seinen Weg ins Wasser genommen.

In derselben Minute erfolgten noch drei ähnliche Schläge in der unmittelbarsten Nähe des Schiffes, so daß die ganze See um uns her aufbrauste. Einige Damen wurden ohnmächtig, andre weinten, und die Stille in der Herrencajüte wurde nur durch das laute Beten eines Bremer Kaufmanns unterbrochen, der mir vorher viel mehr auf seine Weste als auf seinen Gott zu geben schien. Als ich mich nach dem Schlage, der das Schiff traf, mit der Frage an den Capitain wandte, wo der Blitz wohl sitzen möchte, war dieser Mann gänzlich außer Stande zu antworten; er war blaublaß im Gesicht, die Lippen bebten ihm wie im Fieberfrost, und er war fast ohne Besinnung.

Ich hätte wohl sehen mögen, was für Commando er hätte geben können, wenn das Schiff etwa in Brand gerathen wäre; gegen mich gerieth er in eine abergläubische Aufregung, die er erst späterhin zu äußern im Stande war, weil ich zur Beruhigung der alten Gräfin K., die im größten Schreck an die Tür stürzte, einige Scherze über den Donner machte. Übrigens stand unsere Partie wirklich sehr schlecht ... Das Gebet des Bremer Herrn rettete uns diesmal noch. Dienstag früh kamen wir hier an."




*111108*

Er war so voller Verstand ...

G. E. Lessing anläßlich des Todes seines Sohnes, wenige Tage nach dessen Geburt:

"Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Besonnenheit liegt, um Ihnen für Ihren gütigen Anteil zu danken. Meine Freude war nur kurz: Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! - Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner Vaterschaft, mich schon zu so einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was ich sage. - War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisern Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er sobald Unrat merkte? - War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davon zu machen? - Freilich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! - Denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. - Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen. Lessing"





*111108*

Montag, 10. November 2008

Internet ohne gesellschaftliche Relevanz

Das berichtet die Presse über die Grazer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Jugend und Medien" (Titelverlinkung: der ganze Artikel):

... Lorenz (Programmdirektor ORF, Anm.) gesteht eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit der Jugend ein. Jugendsendungen seien keine adäquate Lösung. Im Gegenteil: „Die sind das Schlimmste, was wir der Jugend anbieten können“, sagt der Programmchef, fordert aber auch mehr Initiative und Rebellionsgeist des 12- bis 29-jährigen Zielpublikums selbst. „Es fehlt eine aufgekratze Jugend, die ihre Chance einfordert und Lust hat, die Gesellschaft in die Luft zu sprengen“, bedauert Lorenz. Die Leute wollen nur noch unterhalten werden, seien aber nicht mehr an ernsthaften gesellschaftspolitischen Fragen interessiert. Auch der ORF sei zwar „nicht die Erziehungsanstalt der Nation“ (Lorenz), würde aber entsprechende Plattformen anbieten. Im Fernsehen! Denn: „Das Internet hat keine gesellschaftliche Relevanz“, poltert der Direktor.

... Nicht so drastisch im Ton, aber inhaltlich nicht weit von Lorenz entfernt, warnt selbst ORF-Online-Chef Karl Pachner vor zu großen Erwartungen an das Internet: „Die großen Events finden nicht ohne Fernsehen statt“, behauptet er. Auch Kampagnen würden – siehe jüngste Beispiele bei der „Kronen Zeitung“ – noch über ein „altmodisches Medium“ wie die Zeitung funktionieren. Parallel sei online aber ein „verstärkter Bedarf nach Stellungnahme“ festzustellen.





*101108*

Nur Scheitern hat Gründe

Jedes Mißlingen hat Gründe. Jedes Gelingen ist ein Geheimnis. (Angeblich: Joachim Kaiser)

Das Ganze vollzieht sich aus sich selbst heraus zum Gelingen, in der Tugend. Es ist nicht aus seinen durch das Fehlen bewußt gewordenen Eigenschaftlichkeiten konstruierbar.

Wir stehen in unserer Freiheit nur vor der Wahl, dem Gelingen zuzustimmen, nur hierin haben wir Freiheit - oder in Getriebenheit oder Bosheit zu irren und zu vernichten.




*101108*

Sonntag, 9. November 2008

Man pinkele auf Sägespäne

Was hat Darwin eigentlich anderes gemacht als die aus der menschlichen Beobachtung heraus weit verbreitete Annahme zur universalen These zu erheben, daß Leben von selbst aus dem Nichts entstehe? Selbst Goethe hat seinem Fürsten erklärt, daß zur Entstehung von Leben genüge, Sägespäne mit ein wenig Urin zu versetzen.

Darwin hat eigentlich nichts anderes gemacht als aufgehoben, was auf der Straße lag, benannt, was alle dachten. Er hat aber vor allem die Frage auf eine bereits vorentschiedene Ebene gehoben, auf der sie gar nicht zu lösen ist. Darwin hat die Lösung bereits postuliert, jedes Gegenargument aber durch sein Zirkelargument der "Teleonomie" (ein Gedanke ist nicht er selbst, sondern erscheint nur als solcher) apriori für unzulässig erklärt - das ist das (wirkmächtige) Geheimnis.

Man ist heute mit dieser These vielleicht quantitativ weitergekommen, aber nicht qualitativ. Die Erklärungen sind nicht weiter gediehen, als den Ursprung im allerbesten Fall weiter hinauszuschieben. WAS wirklich passiert ist und passiert sein soll und WARUM, und schon gar in so komplexen, unteilbaren Zusammenhängen, wo zum Beispiel das, was im Mechanismus wirkt, diesen zur Entstehung bereits voraussetzt ("irreduzible Systeme") - das weiß man nicht.

Aber in dunklen Zeitaltern wie diesem neigt man dazu, die Erklärungskraft der naturwissenschaftlichen Forschung (als der subjektivistischen Erfahrung) weit zu überschätzen. Zeichen des Irrationalen, das heute herrscht. Umso mehr muß das Gegenteil behauptet werden.

(Titelverlinkung: Eine Sendung des BR "Alpha Centauri" über die "Ursuppe"; man achte vielleicht einmal auch auf das, was alles NICHT erklärt werden kann, über das man einfach hinweggeht; wahrlich: eine dünne Suppe ... wie auch bei diesem Eintrag in der Wikipedia zu "Chemische Evolution").




*091108*

Linkes wollen - Rechtes wählen?

Der KURIER (Titelverlinkung: Originalnachricht) bringt einen interessanten Bericht von einer wie es scheint recht offen geführten Podiumsdiskussion in Graz, den er übertitelt:

Im ORF sitzen altgewordene Revolutionäre - Festival Elevate: "Gegenkultur ist heute Mainstream" - Podiumsdiskussion in Graz zu sinkenden ORF-Quoten bei Jugendlichen.

Einzelne Aussagen lassen einesteils aufhorchen. Der Wirtschaftsdruck zwingt offenbar als einziges Mittel, Realitäten wenigstens einmal zur Kenntnis zu nehmen. In den Begründungen freilich kann man auch ganz anderer Auffassungen sein:

"Die österreichische Gesellschaft ist zu einer Wellness-Gesellschaft geworden, in der Bildung zweitrangig ist und nicht einmal mehr die Jungen gegen die herrschenden Strukturen protestieren, sondern sich im anonymen Internet verkriechen", fasste ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz das Problem bei den unter 30-Jährigen aus seiner Sicht zusammen.

... Die altgewordenen Revolutionäre der 68er-Bewegung säßen heute im ORF und machten Programm. "Menschen wie ich haben den Jungen die Bilder zum Revoltieren genommen. Gegenkultur ist heute Mainstream", zog Pachner ein Resümee.

... "Ihr (die Jugendlichen, Anm.) wählt rechts und erwartet von uns ein linkes Programm. Klagt nicht den ORF an, das er Euch nicht vor Euch gewarnt hat."





*091108*

Freitag, 7. November 2008

Berlusconi hat eben Humor!

Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi zum neuen amerikanischen Präsidenten: "Toll - er ist jung, schön, und immer so wunderbar braun von der Sonne!"

Angeblich hat er sich heute dafür halb und halb entschuldigt. "Ich wollte doch nur freundlich zu ihm sein!" Man hatte sofortigen Rücktritt wegen seines Rassismus sowie seiner Respektlosigkeit verlangt. "Unsinn. Mir hat Italien es zu verdanken, daß es überall auf der Welt als sympathisches Land gilt! Die italienische Linke hat keinerlei Sinn für Humor. Wenn jemand nicht begreift, dass ich nur nett sein wollte, wenn die Dummköpfe ihre Kampagnen starten, sind wir am Ende. Gott rette uns vor den Dummköpfen!", sagte Berlusconi nach Angaben italienischer Medien.

Da hat er recht. Forza Italia!




*071108*

Dienstag, 4. November 2008

Feine Früchtchen

Über Bias, einem der legendären sieben Weisen und Richter der griechischen Antike (6. Jahrhundert), berichtet Diogenes Laertes: das Schiff, mit dem er eines Tages unterwegs gewesen war, geriet in einen Sturm und drohte zu sinken. Alle Seemänner warfen sich zu Boden, um die Götter um Rettung anzuflehen. Da herrschte Bias sie an: sie sollten schweigen! Damit die Götter nicht entdeckten, daß sie hier bei ihm seien ...

Umgekehrtes wird von Albuquerque, dem Vizekönig Emanuels von Portugal in Indien, berichtet: der nahm in höchster Seenot einen unschuldigen Knaben auf seine Schultern in dem einzigen Gedanken, daß ihm in der gemeinsamen Bedrängnis dessen Unschuld zur Bürgschaft und Empfehlung an die Gnade Gottes diene, um ihm so Rettung zu bringen. (Montaigne)



*041108*

Samstag, 1. November 2008

Nicht Weitergabe von Inhalten

Erzählen ist nicht die Weitergabe von Inhalten, sondern eine Aussage, die über die sinnliche Vermittlung von Erfahrung getroffen wird, die damit im Zuhörer gegenwärtig wird und somit in der aus der Erinnerung wirkenden Kraft fleischlich präsent bleibt.




*011108*

Freitag, 31. Oktober 2008

Grüne Pole

Sprach ich vor ein paar Tage noch von Widersprüchen innerhalb der Grünen Partei Österreichs, so möchte ich nach dem Lesen eines Interviews (siehe Titelverlinkung) ihres EU-Abgeordneten Voggenhuber präzisieren:

Voggenhuber verkörpert den "sozialen Flügel", und er tut dies mit aller Konsequenz, die Linke aus der Phänomenologisierung sowie Priorisierung bestimmter Werte vermögen: auch um den Preis des Freiheitsverlusts, von dem so oft schon hier die Rede war. Der einstige EU-Paradegegner, einer der wenigen aus der Zeit der Abstimmung 1993, wurde - kurioserweise - zum EU-Parlamentarier der Grünen. Mittlerweile ist er der Logik zum Opfer gefallen, wonach die Gewöhnung das größte Mittel der Überzeugung ist, wie Montaigne einmal meint. Nichts ist nach Voggenhuber so wichtig wie die EU, die der derzeitigen Krise mit massiver Kraft gegensteuert. Nur so könne der Sozialstaat aufrechterhalten bleiben.

Da hat er recht. Der braucht Wirtschaftswachstum und Enteignung. Um jeden Preis. Auch um den der Ökologie.

Im Zitat: Die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zeige, dass die EU eben nicht abgehoben sei. "Die Antworten auf die Krise kommen jetzt aus Brüssel. Wichtige Aufgaben werden von der EU besorgt."
Der Grün-Politiker ist überzeugt, dass die EU mit dem Vertrag von Lissabon "noch besser für die Zukunft gerüstet ist damit vor allem das Demokratie-Defizit überwunden wäre. Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Vollbeschäftigung und die soziale Marktwirtschaft sind darin vertraglich abgesichert."





*311008*

Das nennt man noch Kritik!

DAS nenne ich noch politische Kritik, auch wenn man von Kabarett nur noch in einem bestimmten Sinn sprechen kann: da steht man auf und sagt: Schonungslos den Nagel auf den Kopf getroffen, die erste fundamentale öffentliche Kritik, die dieses letzte politische Jahrzehnt regelrecht entblättert! Witz, Geist, Verstand, mehr Tiefsinn als man meinten könnte ... sieben Minuten von Georg Schramm, die es in sich haben.

Man kann den Leuten viel mehr zumuten, als es oft scheint.






*311008*

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Das Geheimnis vom Kreuz

Sie treffen sich an einem Punkt: an ihrem Ziel. Kaum unterscheidbar sind die Schriften eines Johannes vom Kreuz von denen eines Stefan George, oder eines Gottfried Benn, oder ... oder ... all jener so vielen, Künstler, die um das Geheimnis der Wahrheit wußten.

Nicht unterscheidbar ist dieses Ideal des Künstlertums als Priester der Wahrheit von dem, was Johannes vom Aufstieg zum Berge Karmel schreibt.

Und gänzlich ident ist der Weg des Kreuzes mit jenem Sterben, das der Dichter meint und weiß, leisten zu müssen.





*301008*

Künstliches Leben, tödlich im Krieg

Gespenstisch und faszinierend: künstliche Soldaten!






*301008*

Mittwoch, 29. Oktober 2008

9.7 Millionen Menschen. Österreicher?

Jüngste Meldungen über die neuesten Prognosen in der Bevölkerungsentwicklung sagen für das Österreich des Jahres 2050 9,7 Millionen Einwohner voraus. Dies Wachstum vollzöge sich in erster Linie durch die Zuwanderung. Wien und Niederösterreich (das 2050 an der zwei Millionen-Grenze kratzen wird) seien die am stärksten wachsenden Länder.

Sieht man von Tirol und Vorarlberg ab, haben alle österreichischen Bundesländer mehr oder weniger starke Geburtenminderzahlen. Die Überalterung läßt sich längst auf den Zehntelprozentpunkt vorhersagen.

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als daß der derzeitige Anteil von 10 Prozent an Migranten (Menschen, die nicht in diesem Land geboren wurden, aber hier wohnen) und Zuzüglingen dramatisch wachsen und gegen 30 Prozent steigen wird. Die Auswirkungen auf demokratische Entscheidungsprozesse versprechen Spannung, zumal die Frage virulent werden wird, wer schließlich wen integriert. Wie auch die Auswirkungen auf unseren Wohlstand, denn zumindest eine Generation lang kosten Zuwanderer einem Staat mehr Geld als sie bringen.

Wenn es 2050 noch einen Staat Österreich - was nämlich ist überhaupt dann noch ein "Österreicher"? - gibt, ist in jedem Fall davon auszugehen, daß dieser Staat zu einer boden- und wurzellosen, umso mehr in positivistischer (willentlich zu setzender) Moral und Gesinnung verankerten Idee wird, wie es Preußen war, das sogar dann zu Deutschland wurde: in einer Form von Nationalismus also.




*291008*

Notgriff zum Zweifelhaften

Einerseits warnt Montaigne eindringlich, den eigenen Geist, das eigene Fassungsvermögen als Maß des Erkannten und Erkennens zu setzen. Auf der anderen Seite sind seine Schriften ein einziges Zeugnis seines Ringens um ein eigenes Urteil als Kennmal der Freiheit.

Darin offenbart sich die Brüchigkeit des menschlichen Erkennens, die nach Demut schreit, und deren Behauptung im Akt des Selbstseins doch unumgänglich ist: in diesem fast verzweifelten Wissen um die Brüchigkeit der Instrumente, mit denen wir hantieren müssen.




*291008*

Die Hölle, statt nichts

Papini bezweifelt die Glaubwürdigkeit von Volkssagen wie dem Faust: ob ein Mensch denn tatsächlich so dumm sein könne, für ein Vergnügen von ein paar Jahren die ewige Verdammnis (durch den Teufelspakt) einzutauschen.

Ich will ihm mit Montaigne antworten, der darauf hinweist, daß das Wesentliche der Erkenntnis und der Neigung des Urteils die subjektive Vorstellungskraft ist, die das Ziel lohnend oder nicht macht.

Wer kann sich Ewigkeit, wer Himmel, Hölle vorstellen? Da gewinnt rasch einmal der verführerische Schooß einer Maid.

Ansonsten pflichte ich Papini bei, wenn er anführt, daß der wichtigste Grund für Teufelsanbeterei, Hexerei, Magie bloße Eitelkeit und Geltungsstreben, naive Träume von Macht sind: wenn schon nicht Gott, so über den Teufel die Wirklichkeit beherrschen. Papini nennt diesen Ehrgeiz schlicht: albern. Nicht zufällig taucht der Teufel als Gestalt der Literatur in der Romantik so häufig auf.




 *291008*

Mut hat er ja!

Eines muß man den Tschechen lassen: Sie haben einen Präsidenten, der es wagt, selbstständig zu denken, und das auch zu sagen, sich gegen allen Mehrheitsdruck zu behaupten. Dazu hatte und hat in Österreich niemand den Mumm. Wie diese aktuelle Stellungnahme im Standard, wo Klaus in wenigen Worten springende Punkte anführt, die 1993/94 in den Mund zu nehmen von den brutalen, pubertären Meinungsmachern in Politik und Kirche als nazistischer Populismus denunziert wurde. Vielleicht ist es das, was die Österreicher von den Tschechen lernen können: Mut zur eigenen Meinung zu haben, auch wenn man alleine ist.

... Es sei erst 19 Jahre her, dass man in Freiheit leben könne, sagte Klaus ... Vor vier Jahren sei Tschechien freiwillig der EU beigetreten und habe damit einen Teil seiner Souveränität abgegeben. Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten rückten erneut weiter von der Tschechischen Republik weg, meinte Klaus. "Ob dieser Schritt für unsere Bürger einen Beitrag oder eine weitere späte Enttäuschung bedeuten wird, wage ich nicht zu prophezeien. Dies wird erst ein historischer Rückblick zeigen", so der Präsident.

Man solle zwar die Allianz mit jenen Ländern schätzen, die auf denselben Werten aufgebaut seien. Allerdings solle man sich nicht "übertriebene Illusionen über ihren Altruismus machen". Auch diese Länder hätten ihre eigenen staatlichen und nationalen Interessen, so wie sie sie immer gehabt hätten. "Die Geschichte ist nicht beendet. Auch das Geschehen der letzten Wochen bestätigt das", so Klaus.

Angesprochen auf die weltweite Finanzkrise sagte der Staatschef weiters, die Tschechen lebten in einem Land, das die dramatischen Erschütterungen der Finanzmärkte nur mittelbar betrifft. "Unsere eigene Währung und das damit verbundene selbstständige Finanzsystem trennt uns von ihnen. Die Geldeinlagen unserer Bürger und Firmen sind daher gleich sicher wie in den vergangenen Jahren. Ein vernünftiger Optimismus ist angebracht", betonte Klaus, der seit Jahren zu den Kritikern der einheitlichen europäischen Währung gehört.




 *291008*

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Was verloren ging ...

So schrieb Rilke in seinem "Buch der Bilder" von "Mädchen". So kannte ich noch die eine, oder andere, früher. In dieser Identifikation von Schönheit, Poesie, den wahren Lebensquellen, und Frau. Mädchen - wie Knospe und Tau, im Licht der aufgehenden Sonne, im Park, auf der Bank. Heute ist das fern, so fern. Wenigstens wußte man noch, daß es sie gab. Perdu. Erschlagen von Worten wie "Frauenquote", mit denen die Häßlichkeit blanker rechnerischer Existenz zum Ideal wurde.
Hier in audio.

Von den Mädchen
(R. M. Rilke - "Buch der Bilder")

I

Andere müssen auf langen Wegen
zu den dunklen Dichtern gehn;
fragen immer irgendwen,
ob er nicht einen hat singen sehn
oder Hände auf Saiten legen.
Nur die Mädchen fragen nicht,
welche Brücke zu Bildern führe;
lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,
die man an Schalen von Silber hält.

Aus ihrem Leben geht jede Türe
in einen Dichter
und in die Welt.

II

MÄDCHEN, Dichter sind, die von euch lernen
das zu sagen, was ihr einsam seid;
und sie lernen leben an euch Fernen,
wie die Abende an großen Sternen
sich gewöhnen an die Ewigkeit.

Keine darf sich je dem Dichter schenken,
wenn sein Aug auch um Frauen bat;
denn er kann euch nur als Mädchen denken:
das Gefühl in euren Handgelenken
würde brechen von Brokat.

Laßt ihn einsam sein in seinem Garten,
wo er euch wie Ewige empfing
auf den Wege, die er täglich ging,
bei den Bänken, welche schattig warten,
und im Zimmer, wo die Laute hing.

Geht! ... Es dunkelt. Seine Sinne suchen
eure Stimme und Gestalt nicht mehr.
Und die Wege liebt er lang und leer
und kein Weißes unter dunklen Buchen, -
und die stumme Stube liebt er sehr.
... Eure Stimme hört er ferne gehn
(unter Menschen, die er müde meidet)
und: sein zärtliches Gedenken leidet
im Gefühle, daß euch viele sehn.




*231008*

Von falscher Milde dem Unredlichen gegenüber

Aditum nocendi perfido praestat fides. - Die Redlichkeit bahnt dem Unredlichen den Weg zur Untat.

"... so ist es eine gefährliche und unbillige Pflicht, sich in allen Stücken maßvoll gegen jene im Zügel zu halten, die keine Schranken kennen, denen alles erlaubt ist, was ihr Vorhaben befördern kann, und die keine andere Satzung noch Ordnung haben als ihren Vorteil zu verfolgen."

(Montaigne, "Über die Gewohnheit, und: daß ein in Brauch stehendes Gesetz nicht leichterdings geändert werden soll".)



*231008*

Die mächtigste Meisterin der Natur

Montaigne führt als Beispiel für die manchmal kaum glaubliche Macht der Gewohnheit die Bewohner der Nilkatarakte an: umgeben vom tosenden Lärm der wilden Wasser hören sie diesen gar nicht! Was jedem hinzukommendem Fremden sofort auffällt, ist für sie regelrecht unhörbar. Sie sprechen sogar untereinander in normaler Lautstärke, denn sie filtern dieses Tosen aus ihrer Wahrnehmung!

So stellt Montaigne eine andere, nicht uninteressante Frage: Was hören wir sonst noch alles nicht?

Das Geknirsch des Weltgetriebes, wie Montaigne (bildhaft in der Vorstellung vom Reiben der Himmelskuppel auf der Erdscheibe, der Gestirne auf der Himmelskuppel) meint?

Anhand zahlreicher Beispiele zeigt der Franzose (der von 1533 bis 1592 gelebt hat) wie weltweit unterschiedlichste und widersprüchlichste Gewohnheiten entstanden sind. So weist er auf die Rolle der Gewohnheit im Aufbau des Gewissens hin. Mit der besonderen Problematik der Rolle des Sozialen im subjektiven Gewissen. Denn das Überkommene wirkt wie das Natürliche und damit Richtige. Das Problem entsteht somit dort, wo das Überkommene der (ersten) Natur des Menschen widerspricht. (Denn der Zeitraum, wo die Natur in ihrer Art der Selbstregulierung dies zugrunde gehen läßt, ist für den Einzelnen meist zu lang, um aus dieser Erzählung zu lernen - befaßt er sich nicht mit Geschichte.)

So mächtig aber auch die Gewohnheit sein mag - sie schafft keine neue erste (entelechiale) Natur, sondern bezieht sich in ihrer zweiten Natur, jener der Gewohnheit, auf diese. Die Natur der Gewohnheit ist in ihrer Gestalt des Faktischen also der Modus, in dem die erste, die wahr sein wollende Natur, verwirklicht ist. Sodaß die Tugend leicht als "Gewohnheit zum Richtigen" verstanden werden kann.

Das sind für Montaigne auch die einzig wirklich sinnvollen Erziehungsziele: nicht um die jeweils vielleicht kleinen oder auch anders zu interpretierenden Handlungen selbst geht es, sondern um ihr Verhältnis zur Gewohnheit, damit um die innere Struktur einer Handlung.



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Ewige Gegenwart - Zur Zeit in Mosebach's "Eine lange Nacht"

Jede literarische Form, die im Laufe der Jahrtausende der Menschheitsgeschichte ausgebildet wurde, hat ihre Entsprechung in einer Sicht der Wirklichkeit, ankert insofern in der immanenten wie expliziten Metaphysik des Autors.

Das macht das Beeindruckende an Mosebach's Buch "Eine lange Nacht" aus. Nicht nur findet sich darin die vollkommenste, spannendste und genaueste Schilderung des Sterbens (anhand der Figur des Vaters des Proponenten), die mir in der Literatur bekannt ist, sondern was Mosebach hier fast schon perfekt gelingt, ist die Komposition des Zeitbegriffs, der zeitlichen Ebenen des Buches, des Geschehens.

Ausgehend von einem (erkennbaren, insofern hineininterpretierten) Wirklichkeitsbegriff, der keine Zeit im Sinne von Linearität kennt, sondern immer nur Gegenwärtigkeit, die andere Gegenwärtigkeiten in der Erinnerung präsent hält, was die Illusion einer vorwärtsgehenden Zeit schafft. Die Welt selbst ist immer nur actu, aktuell, in einem unendlich kleinen Punkt der Gegenwart, ihrem ruhelosen Schreiten vom Gestern ins Morgen.

In Mosebach's Buch (erschienen 2000) ahnt man von dieser Gegenwärtigkeit. Fast unbemerkt, nur jeweils kurze Momente irritierend (und hier ist bestenfalls noch der Punkt an dem man merkt, daß Doderer's Forderung, der Roman sei an diesem Punkt noch zu vervollkommnen, noch nicht ganz erfüllt ist, hier hört man noch das Handwerk klappern) gleitet man von Situation zu Situation, die - wie die Wirklichkeit der Welt, in der wir leben - nur noch Variationen eines ewig gegenwärtigen Hierseins sind. Versuche, gültig zu sein.

Das ist das Wesen der Dramatik: das Ringen um Gültigkeit. Nichts anders ist der Sinn unseres Lebens, nichts anders gibt uns im Alltag gar den Antrieb: endlich gültig sein, endlich für die Ewigkeit (sprich: geglückt) sein und aus diesem Zustand heraus handeln.




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