Der 80jährige George Steiner im Gespräch im Schweizer Fernsehen: Ihm, dem notorischen Optimisten, werde Angst über die Verluste, die wir derzeit erleiden. Viele Buchhandlungen schließen, kleine Theater, die so wichtige Lebensimpulse gaben, schließen, Griechisch/Latein wird als Fach geschlossen, Philosophie wird geschlossen, selbst an großen Universitäten durch "social studies" oder "Kommunikationswissenschaften" ersetzt. So vieles werde einfach über Bord geschmissen, es sei wie eine Bücherverbrennung, die derzeit stattfinde. Nur amerikanische Universitäten seien, wegen besserer finanzieller Ausstattung, noch dabei, nach wie vor "zu sammeln".
Man werde abwarten müssen, was sich mit den neuen Leseformen verändere, die er zwar nicht benütze, denen er aber prinzipiell offen gegenüberstehe. Aber es bleibe ihm fraglich, daß iPod oder digitale Leseformen eine ähnliche Vertrautheit mit den Texten bewirke, wie es ein Buch könne. Der Umgang mit Sprache werde durch die social media so oberflächlich. Ein Text aber beginnt erst zu leben, wenn man ihn wieder und wieder her nimmt, ja ihn auswendig kann, sodaß man ihn mehr und mehr in seinen Tiefen erfassen kann, weil er zum Teil eines selbst geworden ist.
Das Argument (siehe u. a. M. McLuhan; Anm.), daß sich eine neue orale Kultur heranbilde, läßt Steiner wohl nicht ganz gelten. Diesen Schluß spricht er zwar nicht aus, man hat ihn aber als Summe seiner Aussagen vor Augen. Denn das sei ja auch ein Rückschritt - wo bleibe das geistige Erbe, an das so eine Oralität anschließe, die ja nur tradiere? WAS also wird erzählt werden? Beginnen wir von vorn? Haben wir nicht vergessen, an wie seidenem Faden unsere eigene Kultur oft hing? So, als die Langobarden nach Süden zogen, und durch einen Zufall um nur 10, 15 Kilometer an St. Gallen vorbeizogen, es also nicht zerstörten und plünderten, wie sonst alles, was sie vorfanden. Dort aber gab es von manchen antiken Schriften, auf denen wir später aufgebaut haben, nur noch das letzte, weil einzige Exemplar! Solche Güter aber haben nicht in ihr Beuteschema gepaßt, waren ihnen wertlos.
Zum Abschluß erzählt Steiner, der Wurzeln in Wien hat, einen jüdischen Witz, und er ist gewiß klug genug, um zu wissen, was er damit über sich aussagt: Gott hat endgültig genug von der Welt. All die Grausamkeiten, die Lügen, das menschliche Versagen. Also beschließt er die Welt zu ersäufen. Um aber einigen einen guten Abschluß zu ermöglichen, warnt er sie. Auch Rabbi Eisenstein. Er solle noch alle Schulden begleichen, alle Konten schließen, allen verzeihen, und um Verzeihung zu bitten. Zehn Tage gebe er ihm dafür, dann sei Schluß.
Zehn Tage, meint darauf Rabbi Eistenstein? Das ist ja noch genug Zeit um zu lernen, unter Wasser zu leben.
Sein Überlebenskonzept, so Steiner, sei immer gewesen daß er gelernt habe, unter Wasser zu atmen. Er sei nur Vermittler, Postbote der hohen Geister, nie etwas anderes gewesen. Wirken müßten die anderen.
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