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Dienstag, 15. Juni 2010

Taumel statt Glaube

"Ihr Verstand, von dem sie sich leiten lassen, bietet ihrem Geist nichts als Mutmaßungen und Schwierigkeiten; die Absurditäten, in die sie dadurch verfallen, daß sie die Religion leugnen, werden schwerer zu vertreten als die Wahrheiten, deren Erhabenheit sie in Erstaunen versetzt, und weil sie keine unverständlichen Mysterien glauben wollen, jagen sie einem unverständlichen Irrtum nach dem anderen nach. Was meine Herren, ist denn schließlich ihre unglückliche Glaubenslosigkeit anderes als ein Irrtum ohne Ende, eine Vermessenheit, die alles aufs Spiel setzt, ein gewollter Taumel, in einem Wort ein Hochmut, der sein Heilmittel nicht vertragen kann, nämlich eine rechtmäßige Autorität?

Glauben Sie ja nicht, der Mensch ließe sich nur durch Zügellosigkeit seiner Sinne hinreißen: die Zügellosigkeit des Geistes ist nicht weniger einschmeichelnd; genau wie jene verschafft sie sich verborgene Genüsse und wird wie sie durch das Verbot gereizt. Solch ein Hoffärtiger glaubt sich über alles und sich selbst erhaben, wenn er sich, wie ihm scheint, über die Religion erhebt, die er so lange hochgeschätzt hat. Er stellt sich in die Reihe der aufgeklärten, beschimpft in seinem Herzen die schwachen Seelen, die nur den anderen folgen und nie selbst etwas finden; und so wird er das einzige Objekt seines Wohlgefallens und sein eigener Gott!"

Jacques Bénigne Bossuet, in seiner Grabrede für Anne de Conzague
 
 
 
*150610*