Wichtig für Europa, und Österreich, ist es vor allem zu begreifen, 
daß wir uns nicht NACH einer Revolution befinden, sondern in einander 
überlappenden Phasen einer immer noch nicht abgeschlossenen Revolution. Ja man muß gerade vor dem Hintergrund der Brinton'schen Analyse der amerikanischen Revolution von 1776 (UND 1865, dem Bürgerkrieg, der eine Revolution war) die Rolle Amerikas in der Welt, und in Europa nach 1945, neu betrachten: als Exporteure (siehe auch Toynbee!) ihrer eigenen Revolution! Und diese Revolution ist wieder eine Nachfolgerevolution der englischen von 1640ff. unter Cromwell, bzw. der protestantischen Revolution!
Denn die Amerikaner glauben wirklich an ihre Form von Demokratie und subjektiver Freiheit, die sie der ganzen Welt überstülpen wollen. Die Pflege der Erinnerung an diese Revolution - sicherstes Zeichen! - macht deutlich, welchen Stellenwert ihre Auffassung von glücklichem Leben und glücklicher Gesellschaft für ihr Handeln hat. Nur: die Vorstellung von ihrer eigenen Revolution - die Gründe sollen hier nicht das Thema sein - sind völlig verdreht, überromantisiert und unwahr bis verklärt. Doch tradiert genau das der Kult, der für postrevolutionäre Gesellschaften so tyisch ist und wachhalten soll, wofür alle sich erhoben. Brinton sah sich deshalb die Aufgabe, diesen Mythos einmal aufzuhellen. Denn auch in Amerika war die Revolution nicht die Erhebung der armen unterdrückten Menschenmassen, nur edle Ziele verfolgten und nichts als ein Stück Brot und Freiheit wollten. Und eine ähnliche Lüge umflort den amerikansichen Bürgerkrieg.
![]()  | 
| Postrevolutionäre Wertetradierung: die Heroisierung der Erinnung | 
Aber so sehen die Amerikaner ihre Revolution als Gründungsmythos, und daraus motiviert sehen sie sich eine weltweite Mission. Wenn man die gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorgänge und Bewegungen 
unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, beginnen sich plötzlich sehr 
viele Dinge zu erhellen, sodaß man sieht, daß vieles völlig falsch 
eingeschätzt wird. Eine Gesellschaft wie die unsere ist nämlich schon 
bis in die tiefste Wurzel und offensichtlich ein Gemengelage aus 
bestimmten prärevolutionären und revolutionären Vorgängen.  
Man
 könnte es auf einen Punkt bringen indem man formuliert: Eine 
Gesellschaft tendiert aus ihrer ruhigen, normalen Lebensbewegung heraus 
immer - nach rechts, dem Bewahrenden, dem Überkommenen,dem 
Traditionellen. Die Bewegung nach links ist immer revolutionär, und 
sie ist nie dauerhaft (auch wenn sie lange andauert), sondern verlangt 
immer den Nachdruck von Gewalt und Kraft. Keine einzige revolutionäre 
Bewegung der Weltgeschichte hat je einen tragfähigen Gegenentwurf einer 
gesellschaftlichen Ordnung und Lebenswirklichkeit implementieren, ja 
auch nur entwerfen können, es blieb bestenfalls bei heißen 
Gedankenblasen, alles aber scheiterte an der Realität des Lebens der 
Menschen. Revolutionen, hat es ein englischer Lord einmal formuliert,
 reißen und brennen die Gesellschaftsgebäude zwar nieder, aber es 
gelingt ihnen nicht, etwas Neues aufzubauen. Übrig bleiben dann die 
Menschen, die nackt in den Himmel geschossen wurden. Gesellschaften 
lassen sich nie als ganzes ändern, denn sie sind ein ungemein komplexes,
 fein verwobenes Geflecht, wo alles mit allem, direkt oder indirekt, 
kommuniziert. Wer viele dieser Schaltstellen eliminiert, ändert nicht das System, sondern zerstört es einfach.
Dennoch zieht Crane Brinton eine Art "versönliches Fazit" aus seiner Befassung mit Revolutionen in "The Anatomy of Revolution":
 bei allen untersuchten Revolutionen war nach Abschluß aller Stadien, 
als also im großen Ganzen wieder alles war, wie es ehedem gewesen ist, 
ein deutlicher kultureller, künstlerischer Aufbruch zu bemerken. (Mir fällt da die völlig unterschätzte, großartige Zeit Österreichs in der Zwischenkriegszeit ein - wo sich in diesem kleinen Restland, an das keiner glaubte, weltverändernde Kulturimpulse regelrecht konzentrierten.)
Und 
wenn man überhaupt alles aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, 
könnte man für weitere Studien sogar die Arbeitshypothese formulieren, 
daß Revolutionen keineswegs Anzeichen von Dekadenz und Verfall sind, 
also nicht in "alten, müden" Gesellschaften stattfinden (das betrifft 
nur, und zwar eben wirklich nur die alte Führungsschichte), sondern daß sie Zeichen einer jungen, kräftigen Gesellschaft sind.
Nachsatz: Crane Brinton schrieb 
seine Studie bis ca. 1965. Die kommunistische Revolution in Rußland 
blieb ihm immer ein wenig ausnahmenhaft, und er konnte manches nicht 
deuten, ging aber davon aus, daß sie etwas aus der Reihe fiel. Er wußte 
damals nicht, wie allgemein gültig seine Analysen waren, und wie sehr 
sie auch auch in diesem Fall zutrafen.
Schluß
***
