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Freitag, 12. Oktober 2007

Bericht eines Scheidungsrichters

Jürgen Rudolph, einer der renommiertesten Familienrichter Deutschlands, im Radio-Interview:

Die Scheidungsquote von mittlerweile über 50 Prozent entstehe in erster Linie in den Großstädten - mit 70 bis 80 Prozent Scheidungsquote in Wien (die höchste im deutschsprachigen Raum), Hamburg ... Von den städtischen Randgebieten aus greife die hohe Scheidungsquote zunehmend auch aufs Land über.

Immer sei für zumindest einen der beiden Betroffenen die Scheidung ein umfassender Bruch der Lebensvita.

Für Kinder sei eine Scheidung ebenfalls ausnahmslos ein traumatisches Erlebnis (was Rudolph zu einem Vorkämpfer eines vermitteln sollenden Verfahrens macht, wo die Scheidungsauseinandersetzungen im Vorfeld und von den Kindern getrennt ablaufen sollen, in Deutschland als "Cochemer Modell" bekannt). Eine Folge sei dabei typisch, daß - als Überlebensstrategie - die Kinder die Haltung desjenigen Elternteils übernehmen, bei dem sie verblieben (zumeist also die Frau) Das führt sehr oft zur Dämonisierung des "weggehenden" Elternteils. Hier ließen sich auch die gravierendsten psychosozialen Folgen aufzeigen. Rudolph gebraucht dabei Kinder anbetreffend den Begriff "Mißhandlung", weil die Kinder in einem für sie unlösbaren, von sehr realen Ängsten dominierten Spannungsverhältnis stünden.

Rudolph plädiert deshalb auch für rasche sachliche Auseinandersetzung ("Cochemer Modell", das interdisziplinär alle Faktoren so rasch als möglich zu klären versucht, eine Art umfassendes Mediationsmodell also), weil die reine (solange die Verfahren dauern unentschiedene) Kampfsituation die schwersten Folgen hat und die Konflikte noch weiter verfestigen. Zudem verlagert sich bei länger dauernden Auseinandersetzungen die richterliche Entscheidung zunehmend auf prozessuale Eigendynamiken, verlangt Gutachten etc., wird also ein möglicher Konsens zunehmend unwahrscheinlich.

Die entscheidenden Motive der sich Trennenden in den Scheidungsprozessen seien Verletzungen, wobei schon deshalb die meisten Motive unbewußt wirken, auch gestützt vom jeweiligen sozialen Umfeld. Diese Verletzungen bestimmten auch die Art des Kampfes um die Kinder. Der bei Männern eher über charakterliche Einschätzungen der Frauen, bei jenen über Kriminalisierungen der Männer gehe.

Eine Aussage, ob die Trennung vorwiegend von Frauen ausgehe, könne man nicht treffen. Es läßt sich nur sagen, daß die Frauen in der Mehrzahl die Schritte unternehmen. Die "einfachsten" Scheidungen ergäben die Ehen mit einer Dauer von 5 bis 7 Jahren, die häufig sehr schlicht auf ein "war halt nicht der Richtige" hinausliefen.

Immer unterschätzt sieht Rudolph den "Nachtrennungskampf", auch, wenn wohl Regelungen bestehen, doch Änderungen in den Lebensumständen (neuer Partner z. B.) des anderen eintreten. Wobei nach Rudolph's Einschätzung Männer wie Frauen gleichermaßen, wenn auch anders, unter der Trennung von Kinder litten.

Was in den von Rudolph also verlangten (und in Deutschland zunehmend flächendeckend installierten) Mediationen von Scheidungen "gelöst" wird, bleibt aber gerade angesichts dieser Tatsachen fraglich. Bestenfalls kann es wohl darum gehen, die wirkliche Beurteilung (und DAMIT nämlich Lösung) der Konflikte auch mit rechtlichen Schritten zu verhindern (nicht alle Richter sind ja wohl deshalb bereit, das Prinzip zu übernehmen) - um Schmerz für die Kinder zu vermeiden, seelische Probleme wie unter Eis zu legen. (Etwas, das ich auch den "rainbow-"Bewegungen in Österreich vorzuwerfen habe, so edel ihre Motive auch sonst sein mögen.) Oder nach dem Motto "ist das Problem unlösbar, dann ändere die Sichtweise darauf", das letztlich (wenn es nicht vereinzelte Notmaßnahme bleibt) auf ein anderes Menschenbild zurückgeht.

Sodaß ich auch von dieser Seite in der Auffassung gestärkt bin, daß eine Scheidung - zumal wenn Kinder da sind - im Prinzip unlösbare Fakten und Brüche schafft, die bestenfalls subjektiv überwunden ("... trotz der Scheidung und trotz der Trennung der Eltern") und ins Leben integriert, nie aber behoben werden können. Man kann ja auch lernen, mit einer Krücke noch so weiterzuleben, daß man das, was mit der Krücke noch möglich ist, wahrnimmt.

Aber das heutige Reden um eine gar neue, der alten auf Ehe gegründeten Familie quasi ersatzlos gleichberechtigten "Patchworkfamilie" wird immer als fahrlässig und dumm entlarvt.





*121007*