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Freitag, 26. Oktober 2007

Prof. Ulrich Lüke zu Evolutionstheorien - Teil II (aus: Zenit)

Der Glaube ist also eine positive Grundhypothese, mit der ich an die Wirklichkeit herantrete...

Mehr noch, er ist die Ermutigung und Ermächtigung zur Forschung. Das Erste Vatikanische Konzil sagt uns: Gott, Ursprung und Ziel aller Dinge könne mit dem Licht der natürlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewissheit erkannt werden. Dann ist die Natur zugleich der Ort, an dem ich etwas über das Sosein und Dasein Gottes erfahren kann. Solch ein Glaube drängt zur Erkenntnis.

Der moderne Naturwissenschaftler erkennt also Gott in den Dingen?

Gott ist kein Gegenstand der Naturwissenschaft. Aber der Naturwissenschaftler kann gewissermaßen als existenzielle Konsequenz, die in sich vernünftig ist, Gott erkennen. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist vielleicht manchmal das Ende eines kindlich gebliebenen Glaubens, häufig aber der Anfang des erwachsen gewordenen Glaubens. Der Anfang der Gotteserkenntnis liegt im Staunen.

Die natürliche Gotteserkenntnis stützt sich aber wesentlich auf die Schönheit der Schöpfung als Kosmos, als geordnetem Ganzen. Wie lässt sich diese Vorstellung mit Zufall und Selektion der Evolutionstheorie vereinbaren? Hatte Einstein unrecht: Würfelt Gott doch?

Wenn ich mir den Körperbau eines Vogels anschaue, so kann ich daraus die Gesetze der Aerodynamik erschließen. Der Vogel selbst hat aber keine Ahnung davon. Er hat auf dem Weg seiner Evolution ohne Bewußtseinsbegleitung gewissermaßen Gesetzmäßigkeiten aus der Umwelt extrahiert und in seinen Körperbau aufgenommen. Dasselbe gilt für Fische, deren Körperbau die Gesetze der Hydrodynamik widerspiegelt, ohne diese zu kennen. Sie verweisen auf eine intelligible Struktur der Umwelt hin. Wenn sich das aus den beiden Stellgrößen mutativer Zufall und selektive Notwendigkeit ergibt, dann gibt mir das zu denken. Es spricht also nichts dagegen, die Natur als Buch der Schöpfung zu lesen. Vielleicht zieht der Schöpfer, wenn er inkognito bleiben will, den grauen Kittel des Zufalls an.

Damit wären wir beim „Intelligent Design“: Das intelligente Design der Wirklichkeit, verweist für diese Denkrichtung aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auf einen intelligenten Designer, der dahinter steht. Neodarwinisten werfen den Vertretern dieser Richtung vor, sie seien verkappte Kreationisten und ziehen in den USA bis vor Gericht.

Das hat etwas von einem Glaubensstreit unter Fundamentalisten. Ich sehe im Intelligent Design die „Evolutionsform“ eines überholten Kreationismus. Aber auch der Neodarwinismus ist durch die Synthetische Theorie überholt.

Der Mathematiker William Demski hat hier errechnet, dass der Informationsgehalt biologischer komplexen Strukturen viel zu hoch sei, um im Zeitraum der Erdgeschichte allein durch Zufall vollständig zu entstehen.

Um so den Designer nachzuweisen?

Sie versuchen zunächst eine hochkomplexe Zweckmäßigkeit in Organismen nachzuweisen, dann alle bekannten Ursachen für deren Entstehung auszuschließen und schließlich über die Wahrscheinlichkeitstheorie auch den Zufall. Vom höchst zweckmäßigen Design schließen sie dann auf einen Designer. Die nähere Kennzeichnung des Designers, wer es ist und wie er wirkt, lassen sie offen.

Und woran machen Sie ihre Zweifel fest?

Als Naturwissenschaftler denke ich, dass sie Zwischenschritte übersehen, die schon für andere evolutive Prozesse tauglich und vorteilhaft sind. Die Evolution springt nicht vom Boden in den siebten Stock. Ginge man davon aus, dann hätten die Vertreter des ID vielleicht recht. Bei der Entstehung des Auges müssten dann im Sinne der Koinzidenz von Zufällen Millionen von Würfeln „zufällig“ gleichzeitig eine Sechs aufweisen.

Wie würfelt die Natur stattdessen?

Sie hält sozusagen jede Sechs fest und würfelt weiter. Wir benutzen den Zufall doch auch als Innovationselement etwa beim Brainstorming. Dabei schaffen wir einen Pool von Problemlösungen und probieren sie aus. Ganz ähnlich macht es das Genom. Mit einem Teil macht es die alten Hausaufgaben weiter und mit dem anderen begibt es sich auf genetische Exploration. Damit hätte der Zufall eine „klare Aufgabe“. Zu sagen, weil es in der Biologie Zufall gibt, kann es keinen Plan geben, ist nicht zwingend. Wir selbst sind nur Teilnehmer eines Prozesses – siehe Vögel und Fische – die das, was an ihnen passiert, nicht letztlich durchschauen.

Können Sie dies anhand eines Beispiels verdeutlichen?

Wenn ich morgen im Kölner Dom am neuen Fenster von Richter stehe und dort 10 Bekannte von mir ohne vorherige Absprache mit Goethes Farbenlehre unter dem Arm auftauchen, könnte ich sagen: Das ist aber ein Zufall! Dennoch könnte auf Nachfrage jeder nachvollziehbare Gründe für sein Dortsein angeben: Der Eine ist Kunststudent, der andere Germanist mit einer Vorliebe für Goethe, der Dritte schlicht ein Beter etc. Es gibt also klare Kausalitäten. Wo liegt nun der Zufall? Bei diesem Zufall handelt sich also um einen „subjektiven Zufall“, der eigentlich nur die prognostische Inkompetenz des Forschers bezeichnet, aber nicht die absolute Grund- und Ziellosigkeit des Vorgangs. Von dieser Art Zufall ist der biologische Zufall, wie man bei Ernst Mayer, einem „Papst“ der Evolutionstheorie, gut nachlesen kann.

Also kein absoluter Zufall?

Nein, kein absoluter Zufall wie in der Quantenphysik, sondern ein subjektiver Zufall, eine naturwissenschaftliche Kategorie, die man nicht metaphysisch aufladen sollte, wenn man im Bereich der Naturwissenschaft bleiben will. Darüber hinaus aber kann man ihn natürlich deuten.

Ist Intelligent Design also völlig abwegig?

Vielleicht liegt das intelligente Design in der Singularität des so genannten Urknalls. Mit ihm entstanden die vier Grundkräfte: Die schwache und die starke Wechselwirkung sowie die Elektromagnetische- und die Gravitationskraft. Wären die Werte dieser Kräfte aber nur minimal andere, dann hätte es die gesamte Kohlenstoffchemie, auf der die Evolution des Lebendigen gründet, nicht gegeben. Wenn also Leben nur durch diesen schmalen Korridor möglich ist, dann kann dies durchaus auf ein Geheimnis jenseits der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit verweisen.

Damit wäre jener Designer also doch mit der Vorstellung eines Schöpfergottes vereinbar?

Wenn Gott für die Kreationisten gleichsam ein Hersteller von Einzelprodukten ist, dann sieht das Intelligent Design in ihm einen Konstrukteur, der die Weltmaschine in Gang setzt und sich selbst den Wartungsvertrag ausstellt, um immer wieder mal einzugreifen: Beim Übergang vom Unbelebten zum Belebten, vom Affen zum Menschen, bei Schritt von Ei und Spermazelle zur Zygote. Der „liebe Gott“ fungiert dann als Weichensteller, als Reparateur oder Lückenbüßer, fast wie eine biologische Größe. Das ist unter der Würde Gottes.

Aber im Sinne einer ständigen Schöpfung, einer creatio continua?

Nur wenn man davon ausgeht, das die Schöpfung aus dem Nichts, also die creatio ex nihilo, und die creatio continua aus der Perspektive Gottes in eins fallen. Die Erschaffung des Seins und die Erhaltung im Sein sind aus der Perspektive Gottes ein und dieselbe Initiative. Gott macht kein Fertigprodukt. Er macht eine Welt, die sich macht.

Wie kann ich Gott dann erkennen?

Man kann ihn natürlich nicht mit Waage, Bandmaß oder Geigerzähler erfassen. Aber der erste Schritt der Gotteserkenntnis ist, wie gesagt, das Staunen. Ich lebe in einer Welt, die ich selbst nicht gemacht habe und lebe als jemand, der sich selbst einem anderem verdankt. So steckt schon in meinem Dasein ein Verweis auf den Geber dieser Gabe. Wann immer ich über Gott rede, er sprengt meine Kategorien und Definition. Ich kann also nur hinweisend, nicht beweisend von ihm sprechen. Gott, das Geheimnis der Welt, übersteigt jederzeit unsere Erkenntnis und unsere Begriffsbildung: „Deus semper major“. Und Naturwissenschaftler wie Theologen sind nur armselige Nach-Denker dessen, was ein unerschöpflicher Vor-Denker zuvor ins Werk gesetzt hat.

[© Die Tagespost vom 20. Oktober 2007]




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