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Freitag, 7. Juli 2023

Noch unverfugt

Wieder ein kleiner Einblick in die aktuelle Arbeit, die mich nach wie vor Tag für Tag ausfüllt und meine Zeit zu einer dichtgepackten Abenteuerreise macht. Diesmal aus einer Korrespondenz gegriffen, in der ich mit einer meiner Begleitpersonen ein Problem der Geschichte bespreche. Begleitperson, weil ich gerade bei einer so umfangreichen Arbeit, (das derzeitige Rohmanuskript umfaßt etwa 480 Seiten) den Blick von außen brauche, um den Überblick nicht zu verlieren. Ich stelle die Einleitung der Korrespondenz hier mit ein, damit Sie, werter Leser, besser wissen, worum es ungefährt geht: Im Überarbeiten der insgesamt fast 500 Seiten 'Rohmanuskript (das sich nach und nach zu einer Skulptur schleift) bedeutet nicht nur STreiche nund umschreiben, sondern auch ein Einfügen von Stellen, deren Notwendigkeit sich ergibt. Ob die Stellen dann so bleiben wird sich weisen. Ich bespreche hier eine Stelle, die ich im Laufe der ersten Kapitel für notwendig hielt und deshalb neu geschrieben habe. Es geht dabei und zuerst um eine grobe Liniem einer zu schließenden Fuge, deren konkrete Ausarbeitung dann eine nächste, noch zu klärende Frage ist.

Also wenn Du die zweiten Texte eh noch nicht gelesen hast (die nicht "erotisch" sind), dann kann ich Dir auch gleich die mittlerweile überarbeitete Fassung dieser Szene schicken. Denn als ich dann suchte, wo ich die "Erstkommunion" von Yildiz einfüge (welch Notwendigkeit mir aus einem Umarbeiten des letzten Tages in Wien entstand ...) - wobei ich die Hochzeitsszene dazu noch umschreiben werde, denn dort konsumieren ja die Eheleute Brot und Wein zugleich, also muß die per "Begehrenstaufe" getaufte Yildiz aber noch eine Beichte haben ...) war ich Ende Mai/Anfang Juni. Und da hatte sie schon Erla geboren (Mai) Das macht auch die "Brunnenszene" poetischer.
Vergiß also die Dir vorliegende Szene, hier ist die aktuellere Fassung. Ich führe hier erstmals Yildiz mit einem Baby ein:

Ich mußte eine Viertelstunde warten. Denn Yildiz war schon lange in der Kirche und betete – das Kindlein hatte ich ihr wieder übergeben und sie barg es liebevoll an ihrer Brust - offenbar ihre Sühnegebete, aber Boschel blieb noch im Beichstuhl sitzen. Vielleicht wartet er auf eventuelle andere Ponitenten, dachte ich, obwohl – wir waren alleine in der Kirche! Als er schließlich herauskam und die Stola abnahm, küßte und an die Tür hängte, sah ich, daß er ganz rote, verweinte Augen hatte.
Ich schaute weg, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen.
Schweigend gingen wir dann nach vor, um Yildiz abzuholen, bzw. setzten wir uns erst noch zu ihr, aber sie stand bald auf, und wir folgten ihr hinaus. Im Hof lief sie sofort zu den Blumenbeeten, die von zahlreichen Schmetterlingen umflattert wurden, beugte sich zu den Blumen, roch an ihnen, und plauderte währenddessen mit Erla, erklärte und „zeigte“ ihr alles.
Wir schauten ihr zu. Es war ein so liebliches Bild einer Mutter mit Kind, das mich mittlerweile ständig an Bildnisse der Gottesmutter mit dem Jesuskind auf ihrem Arm erinnerte. Sahen, wie die Sonne auf ihr Haupt schien, wie die Haare im Licht glänzten, als wäre sie von einem Lichtkranz umgeben. Wir mußten nicht reden, das Bild berührte uns beide gleichermaßen, und die Analogien waren so evident, daß wir nichts dazu sagen mußten. Er war es, der dann zu sprechen anfing.
Ich darf ja nichts sagen, parce nobis Domine. Beichtgeheimnis, sie verstehen. Aber ich habe heute ein Erlebnis gehabt, das mich zutiefst erschüttert hat und immer noch erschüttert. Es ist mir, als würde mein Leben durch das verändert, was ich sehen durfte.
Er schiweg wieder. Um sich von sich abzulenken, nahm er eine Gießkanne und bewässerte einige Oleanderstöcke, die im Kreuzgang aufgestellt waren. Aber ich bin heute einer reinen Seele begegnet, wie ich sie noch nie getroffen habe. Wenn das Wort vom Heiland zutrifft, und es trifft natürlich zu, daß wir wie die Kinder werden sollen, um ins Himmelreich zu gelangen – ich habe gesehen, was das bedeutet. Und wie weit ich davon entfernt bin.
Die Gottesmutter w ar wahrscheinlich 13 Jahre, als sie den Heiland empfind, sagte ich.
Naja, man nimmt es an, sicher wissen tut man es natürlicih nicht. Aber viel spricht dafür, daß hier ein Kind – also wir heute sehen es so – ein Kind geboren hat. Ich sehe das freilich nicht so. Ist eine Frau jemals etwas anders als ein Kind, wenn sie wirklich Frau ist?
Zumindest bestehen sehr viele Ähnlichkeiten.
Ein Kind – also eigentlich nur, wenn es männlich ist, Mädchen bleiben was sie sind und waren, wenn es gut aufwachsen kann – hat dieselben Merkmale. Schutzbedürftigkeit, Abhängigkeit und Angewiesenheit auf das, wovon es abhängt, das ihm auch die Identität gibt über weitergibt, und vor allem die unbedarfte Art, die Welt zu sehen.
Sie sind noch nicht in die Kreise der Welt eingebunden, und deshalb ist ihr Wahrnehmen auf die einfachsten Dinge bezogen.
Oremus oremus, so ist es. Was unterscheidet es also von der Frau?
Man kann dabei nicht einmal von den furchtbaren Auswirkungen der Emanzipation sprechen, setzte ich unseren Gedankenbau fort.
Parce nobis, Domine – Sie haben es exakt auf den Punkt gebracht. Das wird immer übersehen. Sie kann ihr Wesen nicht verändern, das ist die Lüge in dieser ganzen Gleichberechtigungsdebatte. Man setzt sie nur in eine andere Angewiesenheitssituation, das ist das Gemeine daran. Man löst sie aus dem natürlichen Umfeld heraus, das Vater und dann Ehemann heißt, und wirft sie in ein unbekanntes Verbindungssystem, das sie dann aber vom Wesen her völlig gleich bestimmt, wie es die Ehe getan hat. Wir müssen diese Dinge oft ganz neu denken.
Ich nickte. Wir haben uns zu viel von den ganzen Scheindiskussionen fortziehen lassen.
Es tut so gut, diese Frau zu sehen, ich sage es Ihnen ganz offen. Ich selbst habe das Bedürfnis, sie zu schützen, sie hat mein Herz erobert, ich sage es ganz offen.
Ich schaute ihn von der Seit eher an.
Er wurde verlegen. Nein, nicht .. .ach, Sie wissen ja, was ich meine. Mir ist es durch Sie, also durch Sie beide, als würde ich ganz handfest die Gottesmutter vor meinen Augen sehen, die neue Eva. Durch Ihre Frau habe ich erstmals das Gefühl wirklich zu verstehen, worin die Verehrung für die Gottesmutter, die di eKirche von Anfang an gehabt und gepflegt und weitergegeben hat, gründet. Wenn ich an Lourdes denke oder an Fatima – die Begegnung mit der „schönen Frau“, die die Kinder da jeweils berichten, kann ich jetzt ganz neu verstehen. Wenn man Ihre Frau sieht begreift man es.
Ich weiß, Pater, mir ist es nicht anders gegangen. Sie hat mich gerettet, ich sage es offen.
Oremus oremug, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Denn es geht mir nicht viel anders. Und es ist dann das Schöne, das mein Verhalten ändert, keine Moralsätze oder Verhaltensregeln, so sehr man diese nicht unterschätzen soll..
Betroffen und sehr langsam gingen wir am kreisförmigen Schotterweg um den Brunnen herum, der in der Mitte des Innenhofes stand, und an dem nun Yildizi versuchte, einige Schlucke Wasser aus dem Spender zu erhaschen und unterdrückt kreischte, weil sie sich dabei ziemlich bekleckerte. Lachend zeigte sie mir dann aus der Entfernung, daß ihre ganze Bluse naß war. Und kämpfte mit Windeln und ihrer Bluse, das Kind trocken zu halten.
Ist nicht das Leben ein Weg zur Kindheit, sagte ich?
Boschel nickte. Id est, id est. Parce nobis, Domine
Boschel winkte ihr zu. Plötzlich verschwand er im Haus, und kam kurz darauf mit seiner Mutter wieder zurück. Die stürzte gleich auf Yilidiz zu, zog am Weg zu ihr ihre Strickjacke aus und legte sie ihr um die Schulten.
Ach ihr Männer, also ihr seid doch wirklich … Seht ihr das nicht? Das arme Kind, es holt sich doch den Tod! Komm, mein Kind, komm, wir gehen in die Küche, und wir machen sie mal trocken.
Wir sahen ihnen betroffen zu.
Na glotzt nicht so dumm! Gerald, also ich ätte mnir wirklich von dir erwartet, daß du ein bißchen vernünftiger bist. Das Wetter ist noch nicht so, daß es ungefährlich ist, im Gegenteil! Wie leicht kann si eishc eine Brustentzündung holen, hast du das nicht bedacht? Und dann? Ach ..
Mit einem sichtlich zornigen Armbewegung gegen uns legte sie ihre Arm um Yildiz und ging mit ihr ins Hausinnere.
Schweigend gingen wir noch einige Runden, in dessen Mitte der Brunnen stand. Den Lärm der Großstadt hörte man nur, wenn man sich darauf konzentrierte. Ich rauchte eine Zigasrette. 
Er sog den Ruach ein. Hmm, das ist kein üblicher Tabak? 
Nein, türkischer, also ich glaube damit sogar ägyptischer. 
Ah, die Beziehungen, ich verstehe. Wein, Tabak ...
Die Frauen ...  
Was ein Mann zum Leben braucht. 
Was ein Mann braucht, um Mensch zu werden. 
 
Die Stille in diesem Zwischenhof war die einer panderen Welt. Zu der das Knirschen des Schotters, das Zirpen einer Grille, das Brummen einer Hummel und das Plätschern des Wassers gehörten.
Ein weiter Weg, den wir Menschen da zurückzulegen haben. Ich meinte, das Gespräch damit abzuschließen.
Na für sie auf jeden Fall.
Ich starrte ihn an.
Er schaute mich mit ernstem Blick an. Plötzlich platzte er mit einem Lachen heraus. Ein Scherz, verzeihen sie, natürlich ein Scherz! Aber ich wollte mich wenigstens ein bißchen noch retten. Sonst müßte ich sofort einen Sack aus grobem Leinen umbinden, und in die Wüste gehen, damit ich wenigstens noch ein bißchen aufholen kann, was ich in meinem Leben versäumt habe.
Misericordia Dei spes nostra.
Oremus oremus. Die Barmherzigkeit Gottes ist unsere Hoffnung. So ist es. So, nun zum wahren Ernst der Dinge – sie haben doch beide sicher Hunger?
Also Yildiz ganz sicher.
Wir lachten. Kommen sie, sagte er, schon wieder deutlich fröhlicherer Stimmung. Ich habe einen ausgezeichneten Moselwein, und irgendwo noch einen Rest von einem Ziegenkäse, den ich zwar ungern aber zur Sühne – ich fange gleich mal an, sie sehen also!? – mit ihnen teilen werde. Den müssen sie kosten, ein Gedicht! Ach was sage ich, ein Hymnus! Und dazu noch ganz frisches Dinkelbrot … Ihre Frau ist ja schon drin. Frau (kurz zögerte er, sagte es aber umso fester) Antonioni. Kommen sie, ein geistliches Werk muß man mit einer Mahlzeit abschließen. 

In der Küche trafen wir wieder auf Yildiz. Die Mutter des Pfarrers hatte ihr eine ihrer Blusen gegeben, und mit ein paar Sicherhitsnadeln und aufgeschlagenen Ärmeln so halbwegs passend gemacht. Wobei – ich sage es selbst asuf die Gefahr, daß es allmählich kitschig werden könnte – Yildiz alles gut paßte. Denn sie war es, die die Kleidung durchstrahlte und sich anformte, nicht umgekehrt.

Meine liebe Frau Antonioni, sagte Boschel launig. Jetzt setzen wir uns noch her, und nehmen eine kleine Stärkung zu uns, ich habe ganz ausgezeichneten Käse bekommen, und herrliches Brot, das müssen sie kosten.
Yildiz winkte verlegen ab.
Keine Ausrede. Das gehört zu einer guten Beichte, sonst ist sie ungültig. Er grinste.
Sie erschrak erst, denn immerhin sagte das eine geistliche Autorität, die nicht nur interpretierte, sondern die … Verhältnisse und Bedingungen schaffen konnte. So verstand sie einen Priester. Sierkannte aber bald, daß das ein Scherz gewesen war. Und sie eilte, sich uns am Weg ins Speisezimmer anzuschließen.
Und aß dann mit so erfrischendem Appetit, daß Boschel und ich uns liebevoll amüsiert mit dem Argument, daß wir plötzlich und seltsamerweise gar keinen Hunger hätten, mehr an den Wein hielten, zu dem wir ein paar Bissen trockenen Dinkelbrots kauten (was aber keineswegs Buße war, sondern sich im Mund hervorragend ergänzte), damit sie auf jeden Fall genug vom Käse bekam. Zwischendurch brachte die Mutter noch weiteren Käse und einiges an Wurst. Herzhaft griff Yildiz zu.
Komm mein Kind, essen sie, essen sie, ermutigte sie die Mutter. Gibt ihr Mann ihnen zu wenig zu essen, gell? Jaja, so sind sie, die Männer. Wir kriegen nur die Krumen vom Tisch. Dabei zwinkerte sie mir zu.
Yildiz erschrak. Nein! Sie wollte zu sprechen anheben! Frau … 
Aber im Heben des Blicks vom Kindlein in ihrem Arm sah sie, daß wir alle schmunzelten, und da war sie erleichtert. Denn nun mußte sie mich nicht mehr verteidigen, was sie zweifellos vorhatte, ich sah es an ihrem liebevollen Blick, den sie mir schickte. Weil das Kind sich mit einem leisen Stöhnen meldete, öffnete sie ihre Bluse und setzte Erla an ihre Brust.
Hochwürden Boschels Mutter zerfloß vor Rührung, was ich recht typisch für ältere Frauen halte, die eigentlich noch viel mehr Kinder hätten haben wollen, warum auch immer aber nur wenige gebären konnten. (Und Boschel hatte nur noch eine Schwester. Der Vater war früh an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung verstorben.) 
Sie beugte sich nahe zu den beiden, und betrachtete mit zerflossenen Gesichtszügen das kleine Wesen, das mit erst mit fast verzweifelt suchendem Mund endlich seine Lebensquelle fand, die ihm die Mutter entgegenhob, und dann wie erlöst gierig zu nuckeln begann. Um nach wenigen Schlucken wieder einzuschlafen. Woraufhin ihr Yildiz die Brust wieder ein wenig bewegte, Erla wieder zwei, drei Schuclek nahm, wieder einschlief, und so weiter. 
Wobei ich den bewegenden Verdacht hatte, daß die Mutter sich auch deshalb so demonstrativ vor die beiden schob, weil sie ihrem zölibatären Sohn den Anblick einer schönen Frauenbrust „ersparen“ wollte. Auch das so typisch, weil Frauen die wirkliche Gefühlslage von Männern eigentlich nie richtig einschätzen können – und zwar in alle Richtungen. Im Unterschätzen der Triebkraft, aber auch in deren Überschätzen, im Unterschätzen also der Kraft des Geistes.
Weil mein Mäuslein jetzt aber sowohl die eine als auch die andere Hand nicht mehr frei hatte, weil es das Kind erforderte, richtete ihr die Mutter jeweils Bissen, und ging bald dazu über, Yiidiz einen nach dem anderen in den Mund zu schieben. Da saß also die eine Mutter, die ihr Kind am Busen nährte, und die andere, die Yildiz zärtlich die Leckerbissen in den Mund schob, ihr mit der Serviette die Mundwinkel trockentupfte, und sie ab und an von der Limonade trinken ließ. 
Ein schönes Maria Selbdritt-Bildnis, flüsterte ich Boschel zu.
Bewegt schauten wir den beiden (bzw. den dreien) zu. Der Geistliche war bald vor Rührung über dieses Bild erneut den Tränen nahe. Oremus oremus, krächzte er. Er mußte sich mehrmals räuspern, bis er seine Stimme wieder frei hatte. Wie lange dauert es noch, bis ich endlich wieder Kind werde. Bernhard von Clairveaux hat ja sein Verhältnis zur Gottesmutter immer als ein „Trinken an ihrer Brust“ beschrieben. Und in der bildnerischen Kunst des Mittelalters bis in die Renaissance hinein hat dieses Motiv eine große Rolle gespielt – Maria lactans, nennt es die Kunstgeschichte. Ich habe darüber einmal eine Arbeit verfaßt.
Und veröffentlicht?
Leider hat der Verlag gemeint, es sei zu speziell, das werde nicht ausreichend Publikum finden. Den Frommen ist es zu erotischund den andren zu fromm. 
Fromme haben meistens Angst vor der Erotik. Sie können Eros nicht von der Konkupiszenz auseinanderhalten. 
Er nickte. Haben sie eine Theorie, warum das so geworden sein könnte? 
Naja, dieselbe, die den Moralismus erklärt. Die Kultur ist auseinandegebrochen, als man von der Wahrheit der Gestalt Abschied genommen hat. Es ist wie ein zweiter Sündenfall gewesen. Plötzlich wurde der Blick von der Bindung losgerissen, und der Sinn hat sich aufgelöst.
So ist es. Erschütternd, weil das heißt, daß der Logos verabschiedet wurde.
Die Kultur wurde nervös und invertiert, schloß ich. 
Boschel stöhnte zustimmend auf. Hah, genau, parce nobis Domine! Technizismus ... Interessiert Sie die Arbeit? Irgendwo müßte ich sie noch haben. Naja, jedenfalls hat man das alles Schöne dann im Barock ins Sentiment geschoben. 
Invertismus. Stillstand.
Genau, ein geschlossener Kreis, der nur noch aus Bekanntem und Simulation besteht. Alles hat man dann zur Schadensbegrenzung der Moral des Protestantismus geopfert. Bis die Kunst aus dem Sakralraum verschwunden ist und zum Kitsch und zur Moralpredigt wurde. Genau da stehen wir heute. Kunstlose Kunst, poesielose Poesie, gewaltfreie Verantwortung, fettlose Milch, fleischloses Fleisch … Es gibt für mich übrigens einen Künstler, der das völlig richtig vorhergesehen und als Schreckgespenst an die Wand gemalt hat, wie ein Meinetekel … 
Cervantes? 
Nein, also ja, in der Lite4ratur, aber ich meine die bildende Kuns 
Hieronimus Bosch?
Ganz genau (er hob sein Glas um anzustoßen) Alles wird verrückt, alles geht aus der Form, und damit wird die Welt ein Schrecken. Und das läuft letztlich alles auf eine Ablehnung der Inkarnation Gottes hinaus. 
Um Gottes willen, das fette Fett! Um Gottes willen, der starke Automotor. Um Gottes willen, das seiende Sein. Unsere Gedanken liefen ineinander. 
Und um Gottes willen, die Gottesmutter und ihre nackte Brust Und dann hat man im 19. Jahrhundert alles noch rasch in Beton zu gießen versucht, ich meine das wörtlich. Psuedogotik und so weiter. Und (Boschel hob seine mahnende Hand) die endgültig fixierte Kirche. 
Wir haten uns in Eifer geredet. Und die Unfehlbarkeit als positiv formuliertes Dogma nicht zu vergessen. Damit ist die Gestalt versteinert.
Parce nobis, Domine. (Kommen Sie, noch ein Gläschen, er ist so herrlich leicht, und die Damen sind gut beschäftigt ... och, wie süüüß! ... kommen Sie, noch ein Schlückchen!) Ich bin mir mittlerweile sicher, daß man durch das immer weiter reichende Wegnehmen des Ernstes der Gegenständlichkeit dem Niedergang des katholischen Glaubens extremen Vorschub geleistet hat. Da wird Gott Fleisch, und wir haben nichts Besseres zu tun als uns dafür zu schämen - oder ihn in Eisen zu gießen. Parce nobis, Domine, parce nobis.