Interessante Fragestellungen tauchen im Zusammenhang mit dem Nein der Iren zur EU-Verfassung auf, die an die Legitimitätsfrage demokratischer Prozesse rühren.
Da heißt es nun von Seiten enttäuschter Befürworter, daß es nicht angehe, daß ein einziges Mitgliedland die EU in Geiselhaft nehme. Ja, noch mehr: daß es nicht möglich sein dürfe, daß 729.000 - die Nein-Stimmen Irlands - über das Schicksal von 450.000.000 Europäer entscheiden könnten.
Mit der Erklärung der Nein-Stimmen zur unerwünschten Menge stimmt natürlich alles nicht. Der Gedanke des Veto-Rechts war immerhin eines der stärksten Argumente, überhaupt eine EU zu gründen: jedes Mitglied hat somit die Möglichkeit, sich gegen Entwicklungen zu wehren, die einen nationalen Willen überfordern. Und er ist das deutlichste Zeichen dafür, daß es sich um KEINEN Zentralstaat handelt.
Ach ja, und wie kennt man die Pappenheimer mit ihrer Denunziationskampagne ... die Nein-Stimmen stammen von den Ungebildeten, den Uninformierten, den Angstbehafteten ... im Grunde keine Menschen. Unterentwickelt und neurotisch. Die Guten, die Gesunden, die Klugen, die Moralischen - das sind die anderen.
Rechnet man demokratische Entscheidungen herunter, ergeben sich freilich ganz andere absolute Zahlen. Destilliert man von den 450 Millionen Europäern die heraus, die EU-Wahlen ignorieren, liegen wir bei etwa 200 Millionen Europäern. Davon sind Befürworter: Knapp 100 Millionen Europäer.
DIESEN 100.000.000 BEFÜRWORTERN STEHEN NUNMEHR 350.000.000 EUROPÄER GEGENÜBER, die frustriert, resigniert, ABLEHNEND sind, die an einer Entwicklung der EU kein Interesse haben! So schaut's nämlich eher aus. Daß man genau das auch befürchtet, zeigt, daß man nicht den Mut hat, europaweit Referenden abzuhalten. Über den Sinn von Referenden mag man diskutieren, gut, aber dann soll man auch über die eigenen Argumente besser nachdenken.
Die Argumente greifen ohnehin schon längst erstaunlich freimütig und weit auch auf Terrain vor, das in offiziellen Worten noch lange nicht betreten ist, ja angeblich gar nie betreten werden will - aber sich unzweifelhaft als zu Betretendes entlarvt: der europäische Zentralstaat.
Längst werden ja die Kataloge der Notwendigkeiten von Entwicklungen und Reformen der EU zu einem Katalog eines europäischen Staates mit Verlust der Souveränität der Mitgliederstaaten. Längst aber zeichnet sich so - wie in den postkonstruktivistischen Sinngebilden von Valie Export, in denen man diesen Vorgang sehr schön erfahren kann: wo im betrachteten Bild etwas so deutlich fehlt, das dazugehört, daß man es selbst "rekonstruiert", in sich das Fehlende ersetzend bildet - im Maß des als fehlend reklamierten ein zentralistischer, totalitärer Staat mit sehr spezifischen geistigen wie ethischen Hintergründen ab.
Das wird erstaunlich deutlich von realen Entwicklungen gestützt, die eine solche Reaktion des Totalitarismus mit dem immer deutlicher werdenden Auftreten regionaler Separatismen! Diejenigen, die treuherzig meinen, das sei nicht richtig, das sei eine Entwicklung, der man "gegensteuern" müsse, erweisen sich einmal mehr als die Masse der Stimmdeppen, die noch nie begriffen haben, daß alle diese Entwicklungen so absehbar und vorhergesagt waren, weil sie die natürliche Reaktion auf eine Fehlkonstruktion ab ovo sind.
Die EU war von Anfang an abgezielt auf die Auflösung der Souveränität der Mitgliedsstaaten und damit der Identität. Die sich nun "rückbildet" auf immer kleinere Einheiten. Bis das Gegenteil der ursprünglichen Intention erreicht sein wird: statt eines geeinten mächtigen Europa im Konzert globaler Großmächte wird sich ein Konglomerat winziger und ungeeinter Staaten ergeben haben. Die Idee der EU hat (leider) spätestens seit drei Jahrzehnten die kritische Masse überschritten und ist längst die Idee eines Zentralstaates diktatorischen Charakters geworden.
Cui bono?
*180608*