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Freitag, 28. Oktober 2011

Fatale Rückkoppelungseffekte

Was also schreibt da Alfred Seidel in seinem sagenumwobenen, kaum zu halbwegs erschwinglichen Preisen erhältlichen Buch "Bewußtsein als Verhängnis" - mein Exemplar habe ich in einem Antiquariat in Argentinien aufgetrieben! - in der Fortführung der Gedanken um die Auflösung der Kultur durch die Psychoanalyse (zu hohe Reflexion zernichtet das Tun), zum einen Symptom, zum anderen Triebkraft?

Aus dieser fehlenden Triebsublimierung heraus (Seidel ist Freudianer, und meint, daß Kultur sui generis aus der Verdrängung des reinen Sexualtriebes entsteht: die freigewordene Kraft wendet sich anderen fruchtbringenden Tätigkeiten zu, im Tun, wohlgemerkt) Entsteht im (unbewußten) Tun ein Mangel, wendet sich diese nunmehr ungebundene, frei schweifende Kraft entweder einer Hypertrophierung des Trieblebens zu (Stichwort: Übersexualisierung), oder/und einer Überreflektiertheit, die dem Handeln im Wege steht, es ersetzt, oder die Untätigkeit rechtfertigt.

In einem Zeitalter, in dem die Technik (sagen wir so) die Natur beherrscht, durch Psychotechnik sogar die menschlich-geistige Natur, verändert sich das religiöse Erleben des Menschen fundamental. Er verliert den religiösen Bezug, er wird verblendet, und sieht den Menschen als Ursache von allem, und sei es (Seidel schrieb das Buch bis 1924) daß er glaubt, daß ein paar Menschen einen Weltkrieg auslösen können.

In entzauberter Weltbetrachtung, der Auflösung der Welt in Funktion, wird geistige Kraft aus den inneren (ungebundenen; auch religiösen) Kräften heraus zur Dämonie (entsprechend der Prägung der Geistigkeit in Ablauf, Zweck, Funktion): der Mensch unterwirft sich, ohne es zu wissen, dem technischen Ablauf, wird vom Geist der Maschine, der Technik beherrscht. Er verliert seine Freiheit, die Technik oktroyiert ihm mehr und mehr Bedürfnisse auf, die ihn mehr und mehr von seinem inneren Sein ablenken. Er, der Beherrscher der Naturkräfte, ist der Sklave seiner Produkte, der Maschinen, wie auch der angewachsenen Bedürfnisse geworden.

Der moderne Sport, schreibt Seidel, sei einer der krampfhaften Versuche, diese unheilvolle Wirkung (durch Ersatzbindung) aufzuheben, und die durch A-Kulturalität freien identitären Kräfte wieder soziabel zu machen - indem das Machtstreben (im Rekordstreben etc.) gebändigt wird. Das biologische Leben versucht sich vor der Zerreibung durch Unrast und Mechanisierung (im Sport) zu schützen. Aber die Kultur, der Geist geht zugrunde: das Wirtschaftsleben hat alle sozialen Prozesse in sich aufgesogen und nutzbar gemacht. Es zwingt alle zu ungeistiger Berufsarbeit.

Eine Wirtschaft, die sich auf Wissen und Technik beruft, hat bewirkt, daß der Erbsündenfluch so schwer wiegt wie noch nie: die Plage der Arbeit, das Essen des Brotes im Schweiße des Angesichts. Durch Vernunft und Wissenschaft, so Seidel, und nicht durch deren Verachtung hat der Mensch sich dem Teufel ergeben.

Der Sozialismus unterliegt also einem fatalen Fehlschluß, wenn er versucht, die Arbeitsprozesse rationaler durchzugestalten, den Fortschritt zu forcieren, um den Menschen VON der Arbeit (durch automatisierte Abläufe) zu befreien, anstatt die Freiheit der Arbeit als Ziel zu deklarieren. Um dieses Ziel zu erreichen, unterwirft er sogar die gesellschaftlichen Prozesse der Mechanisierung! Damit werden technische Rationalisierung auf menschliche Totalitäten übertragen, dem Leben somit das Blut vampyrartig ausgesaugt. Als wenn man Lebensimpulse (aus realen historisch gewachsenen Lebensumständen) ausschalten, überwinden könnte.

Zurück zu Freud: es ist ein rationalistischer Trugschluß zu glauben, wesenhaft irrationale Antriebe des Menschen wären rational gestaltbar. Gerade das triebhaft-irrationale Leben besitzt keine "Vernunft", es verlangt Anerkennung als es selbst, in jedem Fall. Werden diese Antriebe rational überstülpt (durch Moralismen, heute: political correctness, Ideologien), und scheinbar überbaut, "beherrscht", suchen sich diese Kräfte andere Formen der Entladung. Solche Ideologien sind somit lediglich Verdeckungsmechanismen zwischenmenschlicher (oder: nationaler!) Machtkämpfe.


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