Anders als beim sakramentalen Priester, dessen incarnatio der Wahrheit im liturgisch-sakramentalen Akt gewährleistet ist, ist das Hereinragen des paradiesischen Menschen im Künstler graduell verwirklicht, ontologisch aber ein "Relikt" des Paradieses. Seine Liturgie im Werk ist somit immer wahr, als sie zum einen von der nicht ermeßbaren Standesgnade geheimnishaft wie prophetisch getragen ist, zum anderen im Maß seiner Wahrhaftigkeit ein reines Antlitz bietet.
Der genuin christliche Weg des Kreuzes, des Sterbens, auf daß der ursprünglich gedachte Mensch, die Wahrheit an sich, im Gewand ihrer historischen Gestalt dargestellt wird, ist auch der Weg des Künstlers, der sein Figursein absterben lassen muß, wie die Schlange sich häutet, in völliger Auslieferung an das Sein. Weil er diese absolute Freiheit in der Wahrheit naturhaft sucht und will, und für sie sein vor anderen bewertbares Leben läßt. So aber wird er zum "sacerdos", zum Priester, zum Urbild des Menschen an sich und zum Propheten.
Hier ist kein Platz für Ideologien und Egoismen, kein Platz sein Menschsein angstvoll selbst in Händen zu halten - das alles spiegelt sich als Spannung wieder. Aus dieser Sicht heraus ist auch seine A-Moralität zu verstehen, ist das notwendige Vertrauen in sein Werk zu verstehen, das keine Wirkens-Absicht als die größtmöglicher Wahrhaftigkeit - mit dem Staunen über seine gestalthafte Wirkung, die auch den Künstler selbst erfaßt - prägen darf.
Wenn er diesen Kampf verweigert, den vielfältigen Versuchungen nachgibt, doch sein Menschsein selbst in Händen zu halten, wird sein Werk unbrauchbar, bestenfalls zum Symptom. Denn er beginnt sogar, sein Werk zu bekämpfen. (Thomas Bernhard halte ich für ein sehr gutes Beispiel dafür - der in meinen Augen werklos blieb.) Also unterliegt er derselben Disziplinierungspflicht wie der Heilige, muß zum Kelch, zum "Verdunstungsapparat" der Wahrheit werden, auf daß die Welt den Duft der Wahrheit aufnehme, wie auch immer rezipiere. Auch mit Haß und Ablehnung. Der Künstler wird zum Entstehungsort der Wahrheit, er ist damit ein Gezeichneter, ein Herausgehobener, in einem kaum faßbaren ontologischen Zusammenfall - was für eine Berufung!
"Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder ..."
*090907*