Der Mensch ist Kulturwesen. Das heißt, daß Kultur nicht etwas ist, das mal mehr mal weniger dazukommen kann, bleibt es weg ist es auch gut. Nein. Kultur ist das Gebäude wie Medium und Mittel des Menschseins. Ja sie repräsentiert den Sinn der Schöpfung, der ein Opferkult ist, nicht mehr, nicht weniger.
Und alles, was Kultur am menschlichen Dasein ist, ist an einen Ritus gebunden und darin real und welthaft. In der Sitze des religiösen Opferkults, bis hinunter zu den alltäglichsten Handlungen, die von oben her zu durchbluten die eigentliche Aufgabe des Lebens ist.
Der Kulturstand eines Volkes, einer menschlichen Gemeinschaft und jedes einzelnen Menschen zeigt sich deshalb am Reichtum seiner Riten. Deren man allzuoft kaum noch gewahr wird, aber deren man gar nicht gewahr werden muß, weil sie Haltungen formen. Und Haltungen sind wahre Zustände des Fleischlichen, und darauf kommt es an.
Die brauchen zu ihrer Wirksamkeit keine Bewußtheit, ja im Gegenteil ist dieses ständige Voraugenstellen einer Entscheidung dafür (oder dageben) Einfallstor für Momentanstimmungen, die in der Modulation, die Menschsein faktisch ist, ständig die Gefahr aktivieren, einer Stimmung zu folgen, das Sachliche absinken zu lassen.
Jeder Ritus aber braucht etwas - er braucht Initiation, um die leibliche Präsenz zu einem Sein vor den Augen Gottes, des Seins, zu heben. Auch hier finden sich viele Formen, die kaum bewußt sind, und die die Trägheit, zu der alle Menschen neigen, allzu leicht über Bord wirft, weil Riten oft (und selbst für den Tugendhaftesten) Mühe kosten.
Aber ob es die berühmte Firmwatsche ist, oder die Feier zu irgendwelchen Festereignissen, weil etwas durch eine Prüfung oder eine Leistung erreicht ist (wie bei der Matura, oder einer Lehrabschlußprüfung, die den neu gewonnenen Teilnehmer an einer Berufsgruppe durch spezielle, oft recht profan wirkende Initiationsriten "aufnehmen", das heißt nun erst zu einem wirklichen Mitgliedmachen, wie dem Bäckerschupfen, und was es da sonst noch gab und gibt), oder sei es auch durch ein Geschenk, mit dem ein Mittel für die zukünftige Tätigkeit überreicht wird.
Oder sei es das Asperges am Beginn einer Messe. Denn auch die Liturgie des Opfers (als des Zentralereignisses der Erlösung) enthält zahlreiche Riten, die nicht einfach nur "heilig" sind, weil sie sakramental oder als Sakramentalie wirken, sondern die einfach klug sind. Und die - wie das Asperges, also das Besprengen der Gläubigen, als Initium wirken, als kleine Initiation.
In denen aus dem profanen Alltag herausgekommene Menschen die Schwelle zum Heiligen sinnlich spürbar überschreiten. Und sich so innerlich erheben, um nun die Stärkung ihres geistigen Daseins zu erfahren, die die liturgischen Riten bedeuten.
Samt dem "kleinen Bruder", dem Segen aus dem Weihwasserbecken, das an jeder Wohnungstüre hängen sollte. Wo jeder Griff, mit dem die Finge benetzt werden, die nun einen kurzen Segen unterfüttern, weil man sich bekreuzigt, die nun folgende Tat heben soll. Neben der Hoffnung auf die Gnade, die natürlich allem zugrunde liegt, ist es ein Akt der Klugheit. Weil so das Kommende immer mit etwas wacherem Bewußtsein erledigt werden soll, auf daß es ein Stückchen weit die Welt in die Höhe des Heiligen hebt.
Denn das ist die menschliche Sendung, das ist das Wesen der Kultur: Des Menschen Welt - die gesamte Schöpfung also, die auf den Menschen ausgerichtet ist - in den Himmel zu heben, um die Welt selbst zur Ahnung jenes Himmels zu machen, der auf uns dereinst wartet.
Aber hüten wir uns vor jeder Verflachung, jedem nicht getanen Schritt, jeder Trägheit und Schlampigkeit, die einen Ritus ins Nichts verdämmern lassen. Das bedeutet immer nicht ein "bißchen weniger", sondern er ist ein Zubringerweg zur Nichtung der Welt, der die Nichtung der Kultur vorausgeht. Jedes Heben des eigenen Lebens beginnt deshalb mit den kleinen Riten, und diese wiederum mit Akten der Initiation, die am Anfang jedes schöpferischen Weges stehen müssen, um den Ritus zu beginnen - und damit zu setzen.