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Donnerstag, 1. August 2024

Nicht verstehen wollen = nicht verstehen können (2)

Teil 2) - Von den Amerikanern hätte man freilich erwarten können, daß sie diese historischen Veränderungen begriffen haben. Nach 1945, nach Vietnam 1975. Aber eigentlich, wenn man die Schlachten im Westen anschaut, haben sie diese immer ganz anders geführt. Und sie bleiben offenbar dabei. Sie haben ihre Kriege napoleonisch geführt, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre. Aber hierin zeigt sich, daß sie im Innersten Europäer sind, nein, die besseren Europäer sein wollen.

Welches systemische Versagen dabei gemeint ist, mußten gerade wir schmerzhaft erleben. Auch Deutschland und Österreich sind 1918 scheinbar ohne definitive Niederlage am Feld zusammengebrochen. Diese Niederlage "gab" es deshalb auch gar nicht, wie nicht nur Hitler, sondern Millionen deutscher Soldaten meinten, die keine "verlorene Entscheidungsschlacht" erlebt haben. Deutschland aber hat verloren, weil seine Volkswirtschaft nicht mithalten konnte. Während die damals zurückströmenden Soldaten die Welt nicht mehr verstanden, haben das die Bürger, ihre Familien sehr wohl verstanden. Sie waren es, die die Niederlage erfahren haben. Deshalb die "Dolchstoßlegende" und so weiter.

Das systemische Problem ist damals nur noch nicht aufgefallen. Denn damals waren auch alle übrigen europäischen Mächte mit ihren Kräften am Ende. Weil auch sie nicht begriffen haben. Wie die Ukraine heute konnte Deutschland 1918 aber weder länger die Menschen noch das Material (Waffen, Munition, Lebensmittel usw.) herstellen und bereitstellen, die es gebraucht hätte. Und wie heute konnte Deutschland 1945 keine Wunderwaffe retten, die deutsche Ingenieurskunst aufs Reißbrett und in die Werkstätten zauberte. Auch damals: Alles zu wenig und zu spät.
Das ist kein Zufall! Es ist systemisches Versagen. Wir begreifen nur nicht, daß diese Faktoren niemals getrennt gedacht werden können. Wie Reisner es in diesem Video - und nicht zum ersten mal, sondern als Merkmal seiner "Deutung" - macht. Wo er so tut, als wäre "Abnutzungskrieg" lediglich ein vorübergehender kampftaktischer Modus, in den man mal einen Tag übergeht, um dann wieder in einen anderen Kampfmodus zu switchen. Darin zeigt er am deutlichsten, daß der die russische Strategie nicht verstanden hat. Worin es um ein ganz anderes Denken geht. 
Während die Gneisenausche These von den Schlachtenerfolgen, von der Phantasie der Entscheidungsschlacht, die Deutschland (Preußen) seit Leipzig 1813 verfolgt hat und an die auch alle wesltichen Militärs glaubten (weshalb sich Frankreich stets falsch verteidigt hat, es gibt dazu erhellende Literatur) von Anfang an nicht aufgegangen ist. Der erste Sichelschnitt 1914 ist vor Paris aber eingegangen, weil die Logistik nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, Typhus-Epidemie in der deutschen Armee hin oder her. 
Das war kein dummer Zufall sondern Folge einer nie bzw. falsch zu Ende gedachten Strategie, die ohne schnelle Totalerfolge keinen Sinn hatte. Aber das war eben auch falsch gedacht, und ist es bis heute, wo kein Gegner mehr - siehe Zelensky - dazu bereit ist, ritterlich eine Niederlage zur Kenntnis zu nehmen. Heute geht es auch bei uns längst um "alles oder nichts", um den "totalen Krieg".
Das ist dem Westen aber unbegreiflich. Das einzige, was Oberst Reisner deshalb als Erklärung noch einfällt, ist der ständige Verweis darauf, daß Rußland von Iran und China (und Korea) unterstützt wird, und angeblich nur deshalb noch durchhält. Mit seinem theoretischen Werkzeug kann Reisner das alles eben nicht verstehen. 

Deshalb bleibt ihm nur eine weitere "Erklärung" - daß auch Rußland das nicht mehr lange durchhalten wird. Das ist die Hoffnung, ja das war sogar der Anlaß des Westens, Rußland so lange zu provozieren, bis es zuschlug:  Daß Rußland entkräftet auseinanderfällt. Egal wie hoch der Preis ist - jeder Mann, jeder Panzer, jedes Flubzeug, jeder Baustein, den man Rußland nimmt, wird das sehr endliche Reservoir Moskaus über kurz oder lang zur Entleerung bringen.
Aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Und zwar so sehr nciht der Fall, daß man sogar sagen muß: Rußland kann diese Strategie quasi "ewig" aufrechthalten, und braucht nicht einmal (direkte) Unterstützung. 
Reisner sieht nicht, daß die Ukr eben KEINEN Abnützungskrieg führt, der Westen keine Abnützung Rußlands bewirkt oder durchhält, sondern dieser Abnützungskrieg ist einseitig und UMGEKEHRT geführt. Er ist eine Gesamtstrategie, die von der letzten Werkbank im letzten Industriebetrieb im hintersten Hinterland bis zur Patrone im Schützengraben an der vorderste Front reicht. Rußland führt eine Strategie, den faktischen Notwendigkeiten ebenso entspricht, wie den realen Gegebenheiten aus Land und Bevölkerung. NEBEN den geographischen Tatsachen, die dieses Rußland mit allen seinen Bedingungen an Länder anschließt, die Möglichkeiten haben, die als Ergänzung gedacht und verwendet eine völlig neue Dimension schafft.
Noch weit mehr als wir heute in Intellektuellenzirkeln diskutieren, hat dieser Krieg binnen zwei, drei Jahren eine vollkommen neue globale Situation geschaffen. Weit mehr noch, als sich aus dem "Verlust der amerikanischen Hegemonie" erklären ließe. das ist es ja!
Das gilt aber auch schon in der Einzelbetrachtung. Das Konzept des Westens AN SICH - mit der Gewinnorientierung der Rüstungsbetriebe usw. usf. - ist dem Konzept der anders organisierten und nun symbiotisch zusammenwirkenden Volkswirtschaften Rußlands und Chinas - UND Indiens UND der BRICS UND ... - hoffnungslos unterlegen. 

Diese Aussage hält auch in der Mikrobetrachtung, in jener Sichtweise also, in der der Westen immer noch Rußland - alleine - sieht. Rußland etwa zeigt, daß es sogar geschafft hat, den Militärkomplex wie einen eigenen Blutkreislauf zu halten, der den Rest der Volkswirtschaft mittlerweile kaum noch tangiert. 

Niemand bestreitet noch, daß die russische ZIVILE Volkswirtschaft boomt! Und nur ausgesuchte Holzkopfsystematik hat nicht begriffen, daß die Ausdehnung der Kriegsführung über Sanktionen den Westen selbst schädigt, nicht (mehr) aber Rußland. Das hat sich eingestellt. Das hat Ersatzmärkte gefunden, die die westliche Wirtschaftspotenz mittlerweile schon übertroffen haben.

Und DAS offenbart sich jetzt.
Der Westen - und schon gar nicht "die Ukraine" - kann deshalb gar keinen Abnützungskrieg gegen Rußland führen! Sein Konzept der genialen Kriegsführung, seine Taktik der genialen Waffensysteme versagt, und zwar auf ganzer Linie.
Und man hätte es wissen müssen. Denn es hat auch bei Deutschland 1941 schon versagt. Damals hat sich - in der historischen Ferne wie in einem Lehr-Schaukasten - angekündigt, was wir heute erleben. Der Krieg Deutsches Reich - Sowjetunion war bereits derselbe Krieg, wie wir ihn heute erleben. Und er geht genau so aus.

Ich habe mich viel mit dem Unternehmen Barbarossa befaßt. Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Selbst für die deutsche Schlachtenstrategie der raschen Truppenbewegungen (siehe Napoleon, siehe zuvor schon der Preuße Friedrich der Große) hatte man alleine schon viel zu wenige Fahrzeuge. 90 Prozent der deutschen Soldaten sind per pedes unterwegs gewesen. Die Logistik erfolgte mit Pferdewagen, und war schon deshalb nicht nachhaltig, weil "aus dem Land" versorgt werden sollte. 

Was nie funktioniert hat. Hitler (denn einige Generäle sehr wohl) hat nicht begriffen, daß die Logistik für seine Ziele nicht zu organisieren war. Und hat dann, als es offensichtlich wurde, auch noch das Operationsziel geändert - Öl im Kaukasus! - weil er genau das zur Kenntnis nehmen mußte: Es gab zu wenig. Von allem, nicht nur bei Öl. Er hat nicht begriffen, wie die westliche Kriegsführung seit Friedrich und seit Napoleon die Kriegsführung gesamter Volkswirtschaften ist. Und zwar ZUERST von Volkswirtschaften. Adam Tooze hat nachgewiesen, daß die deutsche Industrie den russischen Ausstoß immer weniger ausgleichen konnte. Stattdessen hat man auf Wunderwaffen gesetzt ... erinnert das nicht an etwas? An 2022ff. in der Ukraine?

Deshalb gab es zwar auch damals kurzfristig spektakuläre Schlachtenerfolge. Die aber für einen Gesamtausgang nie von Bedeutung waren. Rußland hat schon damals nie so reagiert, wie Deutschland es angenommen hat.
 
Bis es im Herbst 1942 - wieder, müßte man sagen - auf die Abnützungsstrategie umgeschwenkt ist, die schon Kutusow 1809 (damals wie heute gegen vehementen Widerstand aus der Bevölkerung, die Schlachten und rasche Siege wollte) durchgesetzt hat. Damals gegen den Zaren, 1942 gegen Stalin. Denn auch der hat ursprünglich wie der Westen gedacht. 

Als ihn Woroschilow und Shukin überredet haben, den Krieg doch mit ganz anderer Strategie zu führen, hat er schließlich nachgegeben. Es gab ohnehin kaum noch etwas zu verlieren, meinte Stalin, weil seine Strategie offensichtlich und verheerend erfolglos geblieben war. Freilich unter der Drohung, die Generäle bei Mißerfolg zu erschießen. Aber ab diesem Zeitpunkt (und nach nur kurzer Umstellungszeit) wurde der Feldzug Barbarossa für Deutschland ein Desaster, und schließlich die Hölle.

Speziell Feldmarschall Shukin kannte die deutsche bzw. westliche Strategie ganz genau. Er hat in den 1930igern als Militärbeobachter und in Berlin gern gelittener, ob seiner Intelligenz respektierter Kopf häufig an deutschen Manövern und Stabsschulungen teilgenommen, und dann in einem buchartigen Manuskript eine Gegenstrategie entwickelt. Er hat nämlich genau erkannt, daß im Westen eine fundamentale Schwäche nicht gesehen wurde. 

Shukow hat sich auf das bis heute herrschende Wort konzentriert. Das da lautet: "Wenn das gelingt, gewinnen wir den Krieg". Und das aber regelmäßig so ausging: "Wenn das gelungen wäre, hätten wir gewonnen." Dafür gab es einen Grund, und Shukin hat ihn gesehen.

Oberst Reisner freilich hat das nicht. Darum redet er zwar viel, aber begreiflich macht er nichts. Nichts von seinem vielen Gerede erhellt auch nur irgendetwas. Weil der österreichische Offizier wie der gesamte Westen diesen Krieg nicht begreift und diese Strategie nie begriffen hat. Die der des Westens seit zweihundert und mehr Jahren hoffnungslos überlegen ist. Und die Rußland (man denke übrigens auch an den Krieg gegen Japan 1905) blutig betreifen mußte.

Nicht nur hier, hat der seit je so schicksalssschwere, sehnsüchtige Blick der Russen nach dem Westen nicht funktioniert.
Rußland, das von den Zaren angefangen - wobei eigentlich schon seit den Varägerfürsten - bis zu Lenin und Stalin und noch bis hin zu Gorbatschow der bessere Westen sein wollte, Rußland, das in der Zeit des Kommunismus sogar die westliche Kultur quasi konserviert hat, wurde erst dann wirklich stark, als seine Militärstrategie der Charakteristik des Landes entsprach.
Und es wurde in der jüngsten Vergangenheit erst stark, als der Westen - Ironie der Geschichte - Rußland und die Russen zwang, nicht mehr länger an den Mythos der Überlegenheit des Westens zu glauben. 
DAS ist es jetzt: Das wahre Ende des Kalten Krieges. Der ohne diesen Mythos zerplatzt wie eine Seifenblase. Und mit ihm zerplatzt die westliche Militärstrategie. Man muß es nur sehen wollen.