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Donnerstag, 31. Juli 2008

Endlich nicht mehr sich selbst gehören müssen!

Endlich in einer Aufgabe aufgehen können, die so offensichtlich weltgeschichtliche Bedeutung hatte. Für die man sich aufgeben konnte, für die all die kleinen und großen Angestellten und Beamten, Arbeiter und Volksschullehrer aus ihrem langweiligen Alltagsleben ausbrechen, dem Leben so viel Sinn und Heldentum geben konnten ... endlich hinaus in den Krieg!

Endlich ausbrechen aus dem Gefängnis der selbstischen Interessen, in das man jahrzehntelang gelangt war. Endlich ein Ziel, das all diese kleinen Leben und Alltage überstieg. Endlich ein Ende mit der Mühe, sich selbst gehören wie verwalten zu müssen. Endlich bewegt werden, und zwar mit aller Rechtfertigung, anstatt selbst bewegen zu müssen. Endlich nicht mehr ... göttlich sein müssen, und doch am Kreuz erhöht sein.

Endlich keine Mühe des Alleinseins mehr. Endlich August 1914.





*310708*

Wenn wir schon mal dabei sind ...

... dann können wir auch gleich bei dem Ersten Weltkrieg anfangen:

Rußland ließ im August 1914 seine gesamte Armee - also auch gegen die "deutsche Front" - nur deshalb auffahren, weil ... kein Plan vorlag, wie eine Teilmobilisierung lediglich gegen Österreich (um Serbien zu unterstützen) stattfinden hätte können. Hätte man nur einen Teil seiner Armee aufmarschieren lassen, wäre auf jeden Fall der Gesamt-Aufmarschplan durcheinander geraten. Immerhin hatte sich ja Deutschland in seiner nächsten Kraftmeierei so demonstrativ hinter Österreich gestellt und dieses zu überzogenen, weil endlich alles klarstellen sollenden Forderungen an Serbien ermuntert. Österreich wiederum meinte, durch diese Demonstration von Entschlossenheit endlich wieder an Stärke gewinnen zu können - nach Jahrzehnten des Verfalls der außenpolitischen Machtposition und daraus folgenden gefährlichen inneren Zerfallserscheinungen fast eine Überlebensfrage.

Wobei: Stärke nach außen zu demonstrieren war für nahezu alle europäischen Staaten zur Überlebensfrage geworden. Denn überall drängten neue Staatsordnungen, kämpften die Herrscherhäuser ums Überleben.

Also argumentierte Rußland, daß Deutschland ja im Grunde ohnehin auch "irgendwie" mit schuldig sei ... und setzte den Gesamtplan um. Eine Gesamtmobilmachung Rußlands dauerte natürlich Monate, weshalb die deutschen Generale, die die deutschen Armeen rascher aufstellen konnten, sich zum Losschlagen gezwungen fühlten - Wien zur Generalmobilmachung aufforderten, und los ging's:

Serbien hätte Österreich elegant düpieren können - weil die Annahme der Bedingungen auch wieder nicht so unmöglich gewesen wäre. Aber nein: der Traum von Großserbien war auch nicht schlecht. Österreich wiederum war schon Jahrzehnte von England alleingelassen worden, Rußland in seiner panslawistischen Phantasie im Balkan in die Schranken zu weisen (deshalb die notwendigerweise starke Bindung an den einzigen Verbündeten, Deutschland) - gemäß der einzigen friedenssichernden Idee, die Europa seit dem Wiener Kongreß beherrschte: dem des Gleichgewichts der Mächte am Kontinent. Das wollte auch England, das ja wußte, daß ein Machtvakuum in Zentraleuropa (durch einen Zerfall Österreichs) fatale Folgen im Wettlauf mit Rußland um die Weltposition haben würde. (Deshalb auch die Ambivalenz in der Haltung Frankreich gegenüber, das als Verbündeter Rußlands fest stand, damit seine eigenen Machtträume gegen England absicherte.)

Ehe Rußland seine Kriegsmaschinerie so richtig entfalten konnte, mußte sein Verbündeter Frankreich in einem massierten Angriff außer Gefecht gesetzt werden ... denn Frankreich würde sicher nicht neutral bleiben, Deutschland wäre an zwei Fronten gebunden. Man meinte also, rasch handeln zu müssen, und erklärte Frankreich den Krieg - denn dort gab es auch längst Kooperationen (mit England), die man als Kriegsvorbereitungen deutete. Im Schliefen-Plan meinte Deutschland, den Krieg rasch beenden zu können - griff über Belgien an (das völkerrechtliche Unrecht würde man nach dem schnellen Sieg wieder gutmachen ...), Belgien wehrte sich wider Erwarten (man hatte nur einen blutschonenden Protest erwartet, zu chancenlos war das Kräftemessen), und damit hatte England seinen anständigen Kriegsgrund.

Alle diplomatischen Möglichkeiten waren mehr und mehr von militärischen Überlegungen erwürgt worden, und schließlich waren ja ohnehin alle überzeugt gewesen, daß irgendwann einmal ein Krieg losbrechen würde ... na dann halt gleich.

Alle, ausnahmslos, wollten den Krieg, zumindest unter der Hand: alle wollten endlich wissen, wie es wirklich stand, mit ihrer Autorität, mit ihrer Macht, ihrem Gewicht in Europa und in der Welt. Alle - bis hinunter zu den Bürgern und Arbeitern - waren nicht mehr zufrieden damit, welche Rolle sie zur Zeit spielten. Also konnte man riskieren, die Ordnung aufs Spiel zu setzen ... Nach dem Motto: mal schauen, was sonst kommt. Endlich diese unerträglichen Spannungen, endlich dieses Irrationale loswerden.

Wie dem Drogenabhängigen die erlösende Spritze, so senkte sich der Krieg über Europa, so enthusiastisch wurde er überall begrüßt.





*310708*

Mittwoch, 30. Juli 2008

Sein Land lächerlich gemacht

"Das Maß von Verachtung, welches uns als Nation im Ausland (Italien, Amerika, überall!) nachgerade - mit Recht! das ist das Entscheidende - entgegengebracht wird, weil wir uns dieses Regime dieses Mannes gefallen lassen, ist nachgerade ein Machtfaktor von erstklassiger 'weltpolitischer' Bedeutung für uns geworden. Jeder, der einige Monate lang die fremde Presse liest, muß das bemerken. Wir werden 'isoliert', weil dieser Mann uns in dieser Weise regiert und wir es dulden und beschönigen ..."

Max Weber über den für die deutsche Außenpolitik desaströs wirkenden Kaiser Wilhelm II. in einem Brief von 1906 an Professor Naumann.





*300708*

Groteske Überlegenheiten

Auffallend und zum Greifen, weil aus heutiger Sicht so übersichtlich, die unzähligen, im Ganzen grotesk irrationalen, phantastischen wie phantasievollen Einzeltheorien, die die Politik der europäischen Staaten in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg dominierten.

Umso bemerkenswerter, daß die heutige Weltpolitik bzw. die Politik der Staaten mit weltpolitischen Ambitionen von recht ähnlichen Auffassungen und Thesen bestimmt ist - am markantesten von jener, daß nur Weltmächte, und zwar: einige wenige, überleben würden, so daß die Staaten zu versuchen hätten, ihren Status als solche zu behaupten.

Die Rolle der Kolonien (speziell in Afrika) spiegelt dabei diese Synthese der Eigentümlichkeiten: KEIN Land Europas verdiente an ihnen, im Gegenteil, allen waren sie große Kosten- und (auch geistige) Ressourcenräuber. Wenn, dann profitierten jeweilige inländische Gesellschaften, wie jene, die Schiffe und Kriegsmaterial lieferten. Doch die Position des überlegenen Europäers, noch mehr: der überlegenen nordischen Rasse (Endländer, Niederländer, Deutsche, Amerikaner ...)





 *300708*

Einzige Rechtfertigung von Eigentum

"... vernichtenden Kritik, welche die Grundbesitzer selber an dem Fortbestand ihres Privateigentums üben, durch das Verlangen, in Gestalt des Getreidemonopols und einer Kontribution ..., ihnen das Risiko, die Selbstverantwortlichkeit für ihren Besitz, seinen einzigen Rechtfertigungsgrund, abzunehmen."

Max Weber um 1900 zur Frage von Forderungen nach Subventionen und Schutzzöllen, die im damaligen Deutschland seitens der Landbesitzer (Junker) und Landwirte erhoben wurden.





*300708*

Die toten Augen

Eine nahezu vergessene Oper - mit einer phantastischen Geschichte. Die Oper von Eugen d'Albert wurde 1916 mit großem Erfolg in Dresden uraufgeführt, seither aber nur noch selten gespielt:

Eine blinde, wunderschöne Frau ist (zur Zeit Jesu) mit einem häßlichen, mißgebildeten und moralisch verkommenen römischen Hauptmann verheiratet. Als sie von Jesu Wirken hört, erreicht sie, daß man mit ihr zu ihm geht, damit er sie sehend mache. Jesus hört sie an, und sagt, daß er ihr wohl den Wunsch erfülle, weil sie es wolle. Aber sie müsse wissen, daß sie noch am Abend desselben Tages ihren Mann verfluchen würde - was sie nicht glauben kann.

Wirklich: sie wird sehend, und eilt heim. Der erste Mann, der ihr begegnet, ist aber der Freund ihres Mannes, denn jener ist außer Haus. Ein gutaussehender Mann, der sie heimlich schon lange innig liebt und begehrt, aber bisher nicht wagte, seinen Freund zu hintergehen. Als sie ihm aber um den Hals fällt, im Irrtum, in der Glückseligkeit, daß er ihr Ehegatte sei, übermannt ihn sein Gefühl für sie, und er beläßt sie in dem Glauben - und gibt sich der leidenschaftlichen Liebe mit ihr hin.

Da kommt der Gatte nachhause, entdeckt den Betrug der beiden, und erwürgt den Freund. Die Frau ist völlig verzweifelt, und das noch mehr, als sie erfährt, daß das häßliche Ungeheuer, das ihr ihr vermeintes Glück stahl und dann davonlief, ihr eigentlicher Gatte sei. Da verflucht sie ihn - und stellt sich in die Abendsonne, die sie so lange anstarrt, bis sie erneut erblindet.

Ihr Gatte kehrt zurück, und pflegt sie fortan hingebungsvoll.





*300708*

Wahnsinnig ob der Verdummung rundum

Es ist grotesk, daß ausgerechnet Nietzsche, der ob der Tatsache regelrecht verzweifelte, daß im aufwabernden Zeitalter des Nutzens, des Zwecks, des Erfolgs und der Macht Deutschland in Vermassung und -ismen verdummte, von manchen dieser Bewegungen als Beleg zitiert wurde. Golo Mann meint, daß es daran liegt, daß Nietzsche in seiner so persönlichen, emotionalen Polemik gegen diesen Tod des Geistes rund um ihn nicht nur Teil dieser Zeitströmung selbst war, sondern so tief involviert wenig mehr darauf achtete, ob seine Polemik nicht widerspruchsvoll war.





*300708*

Samstag, 26. Juli 2008

Das frustriert sogar Gott

"Im Grunde muß Gott verzweifelt und verwirrt sein! Ich stelle ihn mir vor, wie er dasitzt, verdutzt und verdattert, ratlos ... eben hat er gesagt, was er denkt, hat Gerechtigkeit widerfahren lassen. Da kam einer daher, ein Sozialarbeiter, ein Psychologe, und erklärte das, WAS er soeben getan hatte, zu etwas ganz anderem: das sei natürlichen Ursprungs, erklärbar aus dem und dem Grunde, das sei außerdem niemals so gemeint, und schon gar nicht von ihm getan, sondern vom Menschen verursacht, usw. usf. Schon gar dann jene, die meinen, er würde ohnehin niemals strafen. Die erklären, was seine Liebe sei - anders jedenfalls, als er sie versteht.

Das muß ihn ziemlich frustrieren: Da schickt er schon die schlimmsten Katastrophen, eine nach der anderen, und keine bewirkt persönliche Umkehr, bestenfalls neue Verhaltensgesetze! Alles waren angeblich nur Sünden, die man gutmachen, die man vermeiden kann. Zuviel CO2, zuviel Öl, zuviel Stromverbrauch; zuwenig Bildung, zuwenig Wohlstand, zuviel väterliche Gewalt ... Und wo bleibt da er?" 


Roger Atlantov





*260708*

Fin de siècle

"Würde man mich fragen, was das bestimmendste Lebensgefühl der jüngeren Vergangenheit war, ja des ganzen 20. Jahrhunderts, so würde ich sagen: Die Angst, daß morgen nicht mehr geht, was heute noch geht; weshalb ich heute - und wenn es unvollkommen ist - alles ausreize, weil es morgen nicht mehr möglich sein könnte. Das ist die eigentliche Zukunftsangst, der ein Verhindernmüssen der Zukunft zugrunde liegt, das mit jedem Tag stärker notwendig wird: weil die Folgen mit jedem Tag schrecklicher werden könnten. Weil die Welt TROTZ ALLEM einfach so weiterzugehen scheint.

Daraus steigt etwas wie ein Zweifel an der Gerechtigkeit des Seins, Gottes: Warum läßt er einfach alles weiterlaufen? Das ist der eigentliche Grund für die heutige Abkehr von den Kirchen. Der Mensch glaubt eher an die Gerechtigkeit der Geschichte - als an eine Religion.

Daher kommt die Ungeduld unserer Jugend. Denn sie erfaßt das Gerechtigkeitssystem der Alten, und ein solches ist jede Religion, als im Zwiespalt mit dem, was sie selbst als Gesetz der Welt erleben. Sie erlebt Geduld und Tugend als Widerspruch zum aus eigenem Erleben Erwarteten. Sie versteht nicht, daß was sie tut keine greifbaren Folgen hat. Ein Universum aber, das nicht gerecht ist, ist sinnlos."

(Roger Atlantov)





*260708*

Da waren doch mal Gewinne? - Gewinne?

Aus einem Bericht des Deutschland-Radio: Etwa die Hälfte von Nordrhein-Westfalen ist durch den Bergbau der letzten 150 Jahre so verändert, daß der Mensch nie mehr dort wird wohnen können, ohne laufend Maßnahmen zu setzen, die eine Bewohnbarkeit gewährleisten: In erster Linie durch ein nunmehr erfolgendes allmähliches Absinken des Landes über den Bergwerken. Teilweise wären riesige Landstriche bereits heute überschwemmt, würde man nicht pausenlos pumpen.

13 Milliarden Euro müßten die Rücklagen der Bergwerke betragen, um "auf ewig" die Kosten für diese Maßnahmen bezahlt zu haben.

Der Kohle verdankt Deutschland seinen wirtschaftlichen Aufstieg, der beispiellos in der Wirtschaftsgeschichte der letzten 200 Jahre dasteht. Von einem Land mit 4/5 bäuerlicher Bevölkerung (1815) hat es sich binnen 100 Jahren (bis zum Ersten Weltkrieg) zur weltweit zweitstärksten Wirtschafts- und Industriemacht emporgewirtschaftet, damals mit gerade noch 1/5 landwirtschaftlichem Bevölkerungsanteil, und gleichzeitig verdreifachter Bevölkerung. Im 19. Jahrhundert ist Deutschland in jeder Hinsicht regelrecht "explodiert".

Erst durch die reichen Kohlevorkommen aber war die Erzverarbeitung und vor allem die elektrische Industrie (die beiden Hauptstandbeine) in dem Ausmaß aufzubauen möglich, wie es geschehen ist. Mit der Konjunkturlokomotive, der Eisenbahn. Das Eisenbahnnetz aufzubauen war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der eigentliche Entwicklungsmotor. Von diesen Gewinnen hat man Deutschland aufgebaut, hat man gelebt, hat man investiert, hat man (auch) Luxus geschaffen wie konsumiert.

Schwachpunkt: der extrem hohe Anteil an Außenhandel, der die Wirtschaft Deutschlands seit je kennzeichnete und nicht unmaßgeblich und "nicht immer glücklich" die Außenpolitik bestimmte.

Einen weiteren Schwachpunkt nennt aber keine Wirtschaftsgeschichte: Die Kostenunwahrheit, die bei Folgeschäden wie im Bergbau nun erst zutage treten. Und künftige Generationen in einem Ausmaß belasten, wie wir es immer noch nicht glauben wollen.





*260708*

Jargon der medial konsumablen Tiefe

"Wir müssen lernen, daß es in jedem Augenblick etwas gibt, an dem wir uns erfreuen können."
Nehmen Sie noch eine Erdbeere zum Frühstück! Claudia Stöckl schenkt ihm Kaffee nach.
"Ah, wunderbar."

"Wenn man an etwas leidet, dann kann man sich immer fragen, was das Gute darin ist." (Vielleicht sollte er mal darüber meditieren, was "gut" ist - und was es ist, aus einem Mangel an Gut noch etwas zu profitieren.)

Steindl-Rast kam zum Interview von einem Seminar, das er vor Wirtschaftsmanagern hielt. Er lebt als Einsiedler in der Nähe von New York.

"Erst habe ich in der eigenen Tradition die Tiefe gefunden, die Regel der Benediktiner gesucht. Später bin ich zum Zen gestoßen." (Das hätte er kaum noch betonen müssen; denn der Weg des Zen ist eben, den Dingen ihre Eigentlichkeit zu nehmen, und sie durch Eliminierung zu "bewältigen" - Frei nach dem kindlichen Motto bzw. der spontanen Reaktion: wenn ich die Augen zumache, ist die Welt plötzlich weg ...)
Wie leben Sie heute, als Einsiedler?
"Mach Dir keine Regel, laß Dich vom Tag selbst inspirieren."
Ganz allein?
"Ach, ich habe Internet, gebe Seminare ... Das wichtigste ist, daß ich mich nach nichts halten muß. Ich kann so leben, wie ich es für richtig halte."

"Das mönchische Leben ist ein Training dafür, im Augenblick zu leben. Es schult durch die Gelegenheit, immer im Augenblick zu sein. Es gibt keine Ablenkung. Es ist sehr still." (Also gibt es doch ein Paradies auf Erden, wo wir aus der Geschichte, der erbsündlichen Verfaßtheit aussteigen können?)

"Wenn ich hier Tee trinke (er schlürft) dann begegne ich Gott." (Im Interview scheinbar nicht.)

"Erfahrungen mit Gott hat man immer durch andere. Oder durch sich selbst. Gott als mein innerstes Wesen." Welch Sammelsurium, das einen wunderbaren "Jargon der Tiefe" ergibt. Gerade recht für Manager.

David Steindl-Rast, "Mystiker" (lt. ORF-Ankündigung), Benediktiner, in den USA lebend.





*260708*

Was war das für ein Scheiß-Volk

"Als wir in Hitler's Wohnung in Berlin gekommen sind, haben sich die übrigen Soldaten um Devotionalien gekümmert - mich haben seine Bücher viel mehr interessiert. Und da waren Briefe, z. B. der Liebesbrief eines Teenagers, den hat er aufgehoben, oder das Treuebekenntnis von 1923 von Himmler, Göring usw. usw., ein ganzes Blatt. Da war auch die Gesamtausgabe von Karl May, natürlich. Mich hat interessiert, was war das für ein Mensch. Und es war ein ganz normaler Mensch. Die Wohnung war nett eingerichtet und irgendwas stimmte das nicht: wo war das größte Ungeheuer aller Zeiten? In dieser Wohnung war es nicht zu finden!"
Das Böse also ganz banal?
"Das Böse ist nicht banal. Die Bösen aber haben auch ein Gesicht, das banal ist, und hinter dem kaschiert sich das Böse. Himmler hat Kaninchen gezüchtet. Hitler hat sicher Kinder, oder seinen Hund geliebt. Kinder sind Ersatz für Gefühle, die man nicht hat oder haben darf. Aber wenn man das Wannsee-Protokoll liest, dann schaudert's einen, mit welcher Normalität hier über solche Dinge geredet wurde."

"Mir hat das Photographieren geholfen, mit Dachau fertigzuwerden. (Anm.: Troller war einer der ersten Photographen in den befreiten KZ) Ich mußte filmen und photographieren, um der Erkenntnis standzuhalten. Wir haben das gesehen, und die Beschäftigung mit der Linse etc. hat uns die Möglichkeit gegeben, dem direkten Blick auszuweichen. Sonst wäre das unerträglich gewesen. Diese ausgehungerten Skelette, wie Wachspuppen, die da überall verstreut herumlagen, ich konnte einen Moment gar nicht glauben, daß das Menschen sind."

"Zum Teil stimmt es schon, was Simmel gesagt hat: was ist nicht alles geschrieben worden, wie wenig hat sich geändert. Zum Teil stimmt es aber auch gar nicht: Denn ich finde schon, daß sich seit 1945 wahnsinnig viel geändert hat. Was war das doch für ein Scheiß-Volk ... Das ist heute doch ganz anders. Und irgendwie haben wir dazu beigetragen. Auch ich, mit meinen Sendungen."

"Heimat läßt sich ebenso wenig wiederfinden wie die Kindheit. Das gilt für alle Emigranten. Es verändert sich alles, während man weg war. Das gilt gerade für uns Wiener, die wir unsere Stadt doch kannten und liebten - anders als die Deutschen, die von der Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm redeten, den sie möglicherweise noch nie gesehen hatten. Und es bleibt die Erinnerung: die Ungewißheit, ob nicht doch einer daherkommt und sagt: da, knie dich nieder, schrubbe den Gehsteig!"

Georg Stefan Troller im Interview; geboren in Wien, emigriert 1938, 1945 mit den Amerikanern zurückgekehrt; Journalist und Buchautor.






*260708*

Mittwoch, 23. Juli 2008

Auf Erden den Himmel

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten:
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
und wollen nicht mehr darben,
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für Jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

(Heinrich Heine)





*230708*

Medien hier, Leben dort

Bei Rückkehr nach längeren, ja langen Abwesenheiten (und Medienabstinenz) läßt sich staunend feststellen, daß man absolut nichts versäumt hat: Was auch immer die Zeitungen etc. mit Nachrichten über Inlandspolitik in den vergangenen Zeiträumen füllte - es muß irrelevant gewesen sein. Der Stand der Geschehen nämlich hat sich nicht verändert. Erkennbar auch am Gespräch mit Nachbarn und Bekannten - man ist um kein Yota Information im Hintertreffen. Oder bestenfalls bei Nebensächlichkeiten. Wer "dancing stars" gewann. Bei Themen wie Politik aber würde genügen, alle vier, fünf Jahre stichprobenartig aufzumerken.

So stellt man eine fast völlige Abtrennung der Mediendiskussionen vom Leben und Alltag fest. Eine eigene Welt, die gar keine Aufmerksamkeit mehr verdient, hat sich zunehmend verselbständigt von dem, was man "Leben" nennt. Das eine getriebene Menschheit zunehmend zu versäumen scheint oder mindestens fürchtet, und dem es von Morgen bis Abend unter Ablieferung der verlangten Scheingefechte, die nichts anderes abliefern sollen als Beweise der Teilhabe und Gemeinschaft, nachläuft.

"Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar," meint Antoine de Saint-Exupéry in Der kleine Prinz. "Das," so die Rose, "sieht man nur mit dem Herzen."





*230708*

Wirklich ist vernünftig

Ein berückender Gedanke bei Hegel: Die Identität des Vernünftigen mit dem Wirklichen. Wirklich ist nur, was vernünftig ist. Rasch findet sich die Brücke zum "Göttlichen" als dem Logos, bei Hegel jedoch unpersönlicher Weltgeist. Alles Unvernünftige stirbt somit von selbst ab, welkt ab, fällt ins Nichts. Soweit zu ihrem fatalistischen Zug. Erst im Willen, der Vernünftiges will, konstituiert sich Moral - ja konstituiert sich Welt (hier klingt nicht nur Kant, sondern vor allem Schopenhauer und Nietzsche an).

Dann, auf den zweiten Blick, wird einem aber das Idealistische, ja Wirklichkeitsverleugnende der Hegel'schen Weltkonzeption klar. Nur das Vernünftige und mehr noch: nur das Gesunde ist wirklich.

Und man ahnt diese praktische Dimension der bösartigen Gewalt, wo allem anderen seine Daseinsberechtigung abgesprochen wird, das nicht dem Idealkonzept von "Paradies/Guter Welt" entspricht, in der Zweibeinigkeit aus Machbarkeit von Welt und dem Recht weil nämlich der Pflicht dazu.

Ja, und man ahnt den Spalt, der sich auftut, um der "normativen Kraft des Faktischen" ihren Raum zu geben. Wo sich die Geschichte, die immer Recht hat ihn dem was sich bewegt, ihren Weg ohne Telos sucht. Weil sie gar nicht anders denkbar ist als dieses Zueinander im in der Vernunft je neu zu sich kommenden, sich zur Weltpräsenz (in der Vernunft) entwickelnden Geist.

Damit fällt alles weg, was noch erkennbar machen würde, nach welchen Kriterien der Mensch in die Geschichte eingreifen könnte. Der Mensch fällt auf sich zurück. Marx erkannte, daß so eine Konzeption nicht mehr plausibel macht, warum sie (wie Hegel es noch tat) an einem Gott überhaupt festhalten sollte.





*230708*

Dienstag, 22. Juli 2008

Noch 8 Prozent Volk.

Golo Mann stellt in "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" die Frage, ob das alte Preußen nicht ein Staat war, der sein Volk gesucht hat. Um nicht zu sagen: dem es egal war, welches Volk er regierte.

Ähnliches könnte man sich fragen, liest man die Titelschlagzeile einer gestrigen Wiener Gratiszeitung: 92% der Unverheirateten Österreichs lehnen Ehe aus Angst vor den Folgen ab. Stellt man dem die Ergebnisse der Werteumfragen der letzten Jahre, ja Jahrzehnte gegenüber, so fällt auf, daß eine gelungene Ehe und Familie in den Wunschvorstellungen der jungen (unverheirateten) Menschen Österreichs an erster Stelle steht. Man damit am meisten den Wunsch nach einem gelungenen und glücklichen Leben verbindet.

Denn dann darf man sich fragen, welche Umerziehungsweltmeister da in den letzten Jahrzehnten am Werke waren, wenn sie genau das, was die Menschen am meisten wollen, so erfolgreich (um)gestaltet haben, daß es keiner mehr realisierbar sieht. Das gesagt, auch wenn man Aussagen wie genannte mit vielen "naja's" versehen kann.

In jedem Fall dürfen sich andere ebenfalls Weltmeister nennen - die Gelingen von Ehe und Familie immer noch, ja noch mehr denn je, fast ausschließlich mittlerweile, von subjektivem Moral- und Wertebemühen abhängig machen. Oder Gnade des Standes als Gutschein für Dauerwunder betrachten, sonst ist ihr Verhalten nicht nachvollziehbar.

Aber was kümmert's die Generationen der Beamten und Wohlstandseinbetonierten, daß mit so geringer Ehewilligkeit Verkaufsverhandlungen um diesen Staat und sonstige Institutionen geführt werden sollten, solange er noch was wert ist. Ohne Volk ist er's nämlich eines Tages nicht mehr.

Dann wird er sich ein nächstes Volk suchen, das ihn ernährt.





*220708*

Dienstag, 15. Juli 2008

Ohne Ausweg

In den Augen von Golo Mann war es einer der schwersten Fehler der Intelligenz der Zwischenkriegszeit (Weimarer Republik), zu kritisieren (wenn es auch noch so berechtigt war), OHNE eine Alternative anbieten zu können. Das hat in seinen Augen den Weg für Hitler am stärksten geebnet: der vorgab, eine Alternative zu sein, weil zu besitzen.





*150708*

Gleich im Neid

Eines der Charakteristika der Demokratie ist für Tocqueville, daß sie davon lebt, daß der Einzelne, "Gleiche", darauf hofft, eines Tages die übrigen zu diktieren. Weshalb er jene schwächt, um die Zentralmacht zu stärken, gleichzeitig den Zugang zu ihr zu beherrschen sucht, um ihn ihm gemäß zu gestalten.

Der Einzelne wird aus den staatlichen Zentralvorgängen regelrecht eliminiert, indem er durch Normierung, durch Zurückführung auf Abstrakta, ersetzt wird, die schließlich keinem mehr entsprechen, aber anders nicht administrierbar wären und dem Gedanken der Gleichheit widersprächen.





*150708*

Vorhersage

Es stockt einem der Atem, liest man, was Alexis de Tocqueville in "Über die Demokratie in Amerika" 1835 geschrieben hat. Denn die Zutreffendheit seiner Analysen sowie der Prognosen ist beeindruckend. Und sofort beängstigend, weil man sich fragt, ob denn das keiner gelesen habe. (Zumindest damals war T. ein Bestsellerautor.)

Bis man realisiert, daß Tocqueville's Prognosen nicht (mehr) als Zerfallserscheinungen gesehen, sondern als mögliche und legitime, ja gar gewollte Varianten der europäischen, ja weltweiten Kulturentwicklung betrachtet werden (was im übrigen auch die Haltung des Autors zu sein schien). Man schafft es, das aus dem Prinzipiellen heraus ableitbare als lediglich durch jeweilige kurzfristige historische Entscheidungen und Ereignisse hervorgerufen zu erklären. Ignoriert die Tatsache, daß es vorhergesehen war.

Womit sie neuerlich den Befund des Franzosen verifizieren.

Wie habe ich schon oft gesagt? Das Denken der meisten Menschen ist lediglich die Absicherung ihres Standortes ...





*150708*

Sonntag, 13. Juli 2008

Von Heidegger'schem Unsinn

"Die Studenten, wie ich sie in den Vorlesungen antraf - keiner hatte eine Ahnung, wovon Heidegger überhaupt sprach. Auch Heidegger selbst nicht. Ich fand es faszinierend, daß jemand, der so einen Unsinn verzapfte, so berühmt werden konnte." 

Filmregisseur Klaus Lemke über seine einzige Zeit an einer Universität: in einem Proseminar von Martin Heidegger in den 1960er Jahren.




*130708*

Faszination USA

"Wir waren fasziniert von der Maschinerie, wie sie die USA aufbieten konnte, wie sie in den Filmen von John Ford rüberkam. Wir wären am liebsten selber in Vietnam einmarschiert - und hätten dabei gleichzeitig dagegen protestiert. Die USA faszinierte uns, wir wollten daran teilnehmen." 

Klaus Lemke im Radio-Interview.





 *130708*

Terroristen oder Filmstars

Der Regisseur Klaus Lemke, der u. a. mit Uschi Obermaier, Ulrike Meinhoff etc. in den 68ern in einer Kommune zusammengelebt hatte, im Interview: "Eigentlich wollte Baader zum Film, aber da wollte ihn keiner. Und da war auch unsere wirkliche Gemeinsamkeit: im Reden über amerikanische Filme, die eigentlich als faschistisch galten, die keiner wollte, wir aber liebten - mit Wayne etc. Alles was da an politischen Statements daherkam, war doch bloß auswendig gelernt und heruntergebetet, dahinter stand nichts. Die Mao-Bibel unterm Arm, das war Dekoration zur Inszenierung."





*130708*