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Dienstag, 10. Juni 2014

Götter und Gewalten

Die Auflösung  kultureller Formen als Ordungssysteme der Allgemeinheit - in Institutionen, Verhaltensmaßregeln und nicht zuletzt religiösen Riten - bringt in einer Gegenbewegung das Bestreben an die Oberfläche, sich individuell zu verankern. Ganz auf sich geworfen, beginnt so klammheimlich die Selbstvergottung des Menschen, denn fallen die Riten und Ordnungen, fällt auch die Bedeutung der Ordnung als Ausdruck göttlichen Willens, als Analogie, Ähnlichkeit zu göttlichen Gesetzen fort. In der Profangeschichte kann man es mit "Cäsaropapismus" bezeichnen: Ohne weitere Verankerung im Vernünftigen, wenn auch mit leidlicher posthoc-Verankerung im Rationalen als (sprachlich gesehen: äquivoke, tautologische) Rechtfertigung, wird eine Person zur autonomistischen Quelle von Ritus und Ordnung.

Das heißt, daß mit dem Auflösen der Riten und Ordnungen die Welt ihr Heil als von sich abgeschlossen, das Transzendente als nicht mehr existent erlebt. Denn in den Riten, in den Ordnungen drückt sich der Wille Gottes aus. Das ist eine uralte Menschheitserfahrung, in der sich der Mensch gar nicht anders "sichern" kann denn durch die Einbettung in die kosmische Gesamtordnung, die sich wie in den Planetenbahnen, in der unfaßbaren Ordnung der Natur, so auch in der menschlichen Gesellschaft ausdrückt.

Also greift man auf Ersatzriten, auf Ersatzordnungen zurück, denen dasselbe eignet: sie suchen (mangels Vertrauen auf die Gegenwart Gottes in überlieferten Formen und Gestalten) neue Bezugspunkte, suchen eine neue Definition des Kosmischen, und fallen fast zwangsläufig darin auf das Individuum zurück, der, traditionslos und entwurzelt, nur noch sich selbst als Maßstab und Urteilenden hat.

Was nichts weniger bedeutet, als eben - Selbstvergottung. Weil diese Reaktion aber nicht erfolgen kann, ohne die Grundbewegung des Menschen als auf "Etwas" außerhalb seiner zu integrieren, ja: die Herkunft der Grundlage seiner Erkenntnis aus (bzw. in) der Autorität (die nun selbstgesucht ist) - als Gegebene sohin, denn gegeben sind auch dem Autonomen Menschen die ersten Grundlagen seines Erkennens und Urteilens - folgt mit gleicher Zwangsläufigkeit die Vergottung anderer.

In solchen Phasen einer Kultur treten die Messiase auf, die politischen unumschränkten Herrscher. Hier treten die Gurus auf, und die Rattenfänger. Denn diese Bewegung auf die Autorität hin muß wesensgemäß irrational sein.

Diese Quasi-Göttlichkeit läßt sich seit vielen Jahren und in den beiden letzten Jahrzehnten in immer deutlicherer Ausprägung in der Stellung der Päpste erkennen. Selbstverständlich nicht in dogmatischer Ausprägung, sondern eben - irrational, das heißt zwar real, aber nicht im Wort. Hier ist nicht nur eine immer raschere und lückenlosere Sanktifizierung der (verstorbenen) Päpste zu beobachten, sondern im letzten Jahrzehnt wuchs diese zeitliche Differenz - die Kirche hat früher nicht ohne Grund zwischen Heiligsprechung und Todeszeitpunkt einen oft langen Zeitraum verstreichen lassen - auf eine "Minuszeit." Schon bei Benedikt XVI. war die Tendenz zu bemerken, ehe sie sich in Papst Franziskus endgültig bahnbrach. Der noch kaum ein Wort gesagt hatte, und schon als "fraglos heilig" galt und gilt, ja mehr noch: als psychologische Tatsache (noch einmal: natürlich nicht dogmatisch ausgeprägt oder explizit so verbalisiert) wird dieser Papst bereits als Gott verherrlicht.

Das nährt sich noch aus eine weiteren Quelle, ja sie ist eine der Hauptquellen dieser psychologischen Bewußtseinsentwicklung, als die man es begreift. Diese "Minuszeit" wurde Wirklichkeitsausdruck im selben Maß, in dem die Heilsvermittlung mit dem Gottesvolk selbst zusammenwuchs. Die Distanz zum Altar, zum Opfer wurde nicht nur geringer, sondern in der Praxis sogar völlig eliminiert.

In einer Umdeutung des Missionarischen, an dem jeder Gläubige teilhat, wurde dieser Sendungsauftrag ("Allgemeines Priestertum") losgelöst von seiner Grundbedingung - der Heiligkeit. Was durch die Symbolik des Tuns selbst zwangsläufig die Folge hatte, daß sich die Gläubigen bereits als Heilige begreifen.

Weil aber damit kein reales liturgisches Geschehen mehr diese Gegenwart Gottes sinnenfällig verwirklicht (auch nicht dort, wo sie tradionalistisch-museal erstarrt ist), die Liturgie selbst zu einem Stehkonzert mit Wortspenden reichlichster Art reduziert wird, fehlt Menschen (wie Priestern!) die Realerfahrung des Göttlichen. Also - und das muß endlich einmal gesagt werden - wird die rein menschliche, irdische Gestik zum Ausdruck dieses Versuches, den transzendenten Gott, quasi in die Welt zu reißen, zu zwingen. 

Die Liturgie, die sich in einer Parallelentwicklung zu den gesellschaftlichen Organisationsformen (Staat) als therapeutische Erziehungsanstalt begriff, therapiert jeden der Teilnehmenden, wobei jeder jeden therapiert.* Die gegenwärtige** Liturgie ist die Gegenwärtigsetzung des Menschen, nicht mehr Gottes (auch wenn sie das im reduziertesten Kern natürlich noch ist, das, was man also "gültig" nennt), und sie ist seine Heiligsprechung als Postulat. So, wie die "Autoritäten" postulativ heiliggesprochen werden, das Wort vom "Heiligen Vater" einen neuen faktischen (und gewissermaßen wörtlichen) Sinn erhält. Die religiöse Praxis der Gegenwart erzeigt sich somit als Ausdruck der realen Erfahrung der Weltordnung aus dem gesellschaftlichen Leben heraus. Wie sollte es auch anders sein. Hier schließen sich die Kreise.





*Erst dieser Tage hat der VdZ an einer Sonntagsmesse teilgenommen, in der er wieder einmal einen Priester erlebte, dessen extrem übertriebene Gestik sich als verzweifelter Versuch verriet, diese Immanenz, in die der Mann - und das Gottesvolk - eingesperrt ist, gewaltsam zu durchbrechen.

**Wie sie in der Realität vorzufinden ist - auch hier natürlich: nicht dogmatisch, theoretisch so ausgelegt; zur schizoiden Zweiteilung von Wort und Inhalt sei auf den Artikel über die Er-innerungslose Erinnerung von voriger Woche hingewiesen



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