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Montag, 16. Juni 2014

Aus dem Vollzug genommen

Nun ist die Welt ja  nicht eine Summe von Bäumen, Steinen, Kubikmetern Wasser, Lebewesen etc. Sondern das, was wir als Wald bezeichnen, ist das, was wir als umfassendere Wirklichkeit dieser hier stehenden Bäume bezeichnen. Und es ist mehr - es ist eine höhere Wirklichkeit, die sich auf die Bäume selbst bezieht, und diese wiederum auf sie, in untrennbarer Zweiseitigkeit. Deshalb läßt sich die Welt nicht in eine Summe von Funktionen auflösen, die als "chemische Reaktionen" oder "mechanische Wirkung" bezeichnen lassen, wie es die Wissenschaft tut, die sich ja nur auf diese Teile beziehen kann, insofern zwar Wissen schafft, aber dieses Wissen erhält nur Sinn und Bedeutung, wenn es in seinen höheren Bezügen gesehen wird.

Im alltäglichen Leben ist der Mensch (bzw. ist alles) als Vollziehendes aufgenommen wie aufgefaßt. Der Mensch hat es als gewissermaßen ersten, begegnenden Gegenstand mit  dem Baum zu tun, mit dem Kubikmeter Wasser. Die höhere Wirklichkeit, in die alles eingebunden ist, gleichfalls wahrzunehmen, gleichfalls in diese umfassendere Wirklichkeit (die, noch einmal, real ist, kein rein "gedachtes Ding", ohne das es auch ginge) ist das, was wir als Kultur bezeichnen. In die hinein deshalb ein Mensch erzogen werden muß, weil sonst die Kultur mit jeder Generation wieder abreißt, von vorne beginnen muß. Auf der Ebene des Baumes, sozusagen, gibt es nämmlich gar keinen Wald, auf der ersten Ebene der gegenständlichen Begegnung gibt es ihn überhaupt nicht.

Das Darstellen dieser Wirklichkeit ist nun die Aufgabe der Kunst, (die sich hier mit Religion berührt). Sie stellt die Dinge des Weltraumes, der uns umgibt, in ihrer gewisermaßen höheren Wirklichkeit dar, sie stellt diese Wirklichkeit selbst dar. Und damit macht sie sie zu einem "vollziehenden Ding" für den Betrachter. Sodaß er, auf einer höheren Ebene, damit umgehen kann. Darauf reagiert, damit hantiert, damit lebt, damit und auf es bezogen handelt.

Der Künstler muß damit zuerst die Dinge "zerschlagen", er muß sie in gewisser Weise entwirklichen, aus ihrem Realzusammenhang herausnehmen, um sie aus dem Vollziehenden herauszunehmen. (Es ist etwas anderes, eine Würstelbude vor sich stehen zu haben, die verkauft, oder eine Abbildung der Würstelbude zu sehen, die nur noch "virtuell" verkauft. Hier tritt etwas anders in das vollziehende Wahrnehmen (über die Sinne) - die höhere, ja eigentlichere, wirklichere Wirklichkeit, die damit zum Objekt der Erfahrung wird, und damit Gefühlswert erhält (und so den Menschen als Kulturwesen bereichert, formt). Das ist mehr als "Erkenntnis", die abstraktiv wieder nur in vollziehenden Gedanken abzulösen vermag. Und es ist der Quell des Denkens.

Dazu muß der Künstler sich selbst von diesen Dingen aber gelöst haben. Er darf sie nicht als die Objekte verwenden wollen, die sie im alltäglichen Vollziehen (bloß) sind. Er muß sie "entschärfen", sie werden zum bloßen Material einer darzustellenden höheren Wirklichkeit.

Und nun, um beim Beispiel zu bleiben, kann der Künstler "den Wald" zum Objekt der Erfahrung machen, und damit wird er als erkanntes Ding zum Objekt der Welt des Betrachters. Auch wenn dieser "Wald" "in den Bäumen" steckt. Je höher er in seinem Erkennen steigt, desto höher, umfassender wird deshalb auch die dargestellte Wirklichkeit als Erfahrungsgegenstand. (Worin, übrigens, das Phänomen begründet liegt, daß Künstler von ihrer Zeit nur selten verstanden werden, ihr immer voraus sind - weil sie die "nächste'" Zeit ... gründen.)

Weil aber diese dargestellte Wirklichkeit real ist, ist sie nicht einfach "hinzuzudenken", oder gar "zu erfinden". Der Geist des Menschen ist nicht einfach ein bliebiges Gedankenkonstrukt, ja er wird überhaupt erst zum Geist, wenn er in persönlicher, das heißt sich selbst in Freiheit vollziehender Gestalt auftritt.

Gleichzeitig ist es nicht "egal", anhand welcher Qualität der Darstellung der Gegenstände eine Wirklichkeit gezeigt wird, wie jüngst jemand meinte, als er es als gleichgültig bezeichnete, ob man "Liebe" durch einen mickrigen Blumenstrauß oder ein großartiges Bucket ausdrücke. Es ist nicht egal, wenn auch im Einzelfall komplex und erklärungsbedürftig. Aber versuche man die selbe Darstellung mit einem Strauß Disteln sich vorzustellen - und schon ist die dargestellte Wirklichkeit völlig anders, so gleich das Lachen im Gesicht des Gebers auch (trechnisch) sein möge. Diese Wirklichkeit hängt untrennbar mit den Gegenständen zusammen! Eine Ansammlung von Rumpelstilzchen wird kein "Wald" (bzw. bestenfalls im übertragenen, eingeschränkten Sinn.)

Diese Wirklichkeit kann nur GEfunden werden, nicht ERfunden, und nimmt im Sichtbarmachen automatisch die Formenwelt und (auch ästhetische) Charakteristik der Zeit an, weil auch der Künstler ja nur aus dieser Zeit heraus kommen kann (aus der er heraussteigt, sie somit - mehr als der Mensch des Alltags - erkannt und in letzter existentieller Kraft, die auch ihren Tod enthält, den der Vollziehende ja notwendig ausklammert, erfahren hat: dem Künstler muß alles gestorben sein, damit es vollkommen leben kann). Sonst wird das Objekt ("Kunstwerk", das aber dann gar keines mehr ist) zum bloßen Gegenstand einer ästhetisierenden Geste. (Der weil in jedem Fall so auch hier eine ethische, sittliche Haltung zugrundeliegt.) Und es wird durch die Kunst, deren Einfließen in und als Kultur damit deutlich wird, keine unreale Wirklichkeit geschaffen, sondern jene Wirklichkeit dem Menschen mehr und mehr erschlossen, in der er ohnehin lebt, der er sich aber nicht in Freiheit zuwenden kann, die ihn einfach beherrscht. Deshalb muß Kunst - wahr sein. Und Kunst, die solche ist, ist wahr, wenn in ihrer Reibung zum alltäglichen Vollzug auch nicht immer bequem.*




*Auf das Spezialgebiet "sakrale Kunst" wollen wir hier nicht näher eingehen. Die sich in vielem Grundsätzlichen ja gar nicht von "profaner" Kunst unterscheidet, aber etwa im Sakralraum oder liturgischen Dienst eine neue Ebene der Gesamtwirklichkeit betritt, die es noch einmal überhöht. Denn in der Liturgie, im Kult, wird die höchste, alles umfassende, göttliche Wirklichkeit dargestellt, IST diese Wirklichkeit. (Oder, wie im Heidentum, in allem Nicht-Katholischen, SOLL sie sein.)




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