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Samstag, 3. Dezember 2011

Komplexe Klarheiten

Im Kurier findet sich das nur blöd zu nennende Unterfangen, in einer Photoserie zu beweisen, daß "google-maps" - das wahllose, systematisch-archivarische Ablichten der Welt, um Orte über Satellitennavigation und entsprechende Ortswahl anschaulich zu machen - viele "Kunstwerke hohen Ranges" aufweise. Nun giengen Fachleute daran, die Unmengen (noch einmal: wahlloser) Bilder zu sichten, und die Kunstwerke daraus auszusortieren.

An diesem offensichtlichen Unsinn, der jeden Begriff von Kunst und Künstler lächerlich macht, wird aber viel deutlich, allem voran, welche Irrtümer sich in der Betrachtung von Kunst bereits allgemein festgesetzt haben. Ich will auch nicht davonsprechen, daß sich die Art zu photographieren durch die Digitalisierung dem willkürlichen Verfahren von Google kaum noch unterscheidet. Ich will auch nicht davon sprechen, daß die Begriffsverwirrung bereits so total und allgemein ist, daß kaum noch jemand darauf Antwort geben könnte, und der Hinweis auf das Humanum in der Kunst ist auch selten mehr als bloße Willkür, als utilitaristischer oder romantischer Rettungsversuch - aber wovon? Zweck hat noch nie zur Schöpfung motiviert, Zweck ist Zwang, nicht freies Spiel, zwecklos, aber nicht sinnlos, denn der Sinn liegt im Menschen quasi verfleischlicht, ist immanenter Ausfluß seiner Tätigkeit.

Ich will also nur anreißen, was für eine Problematik darin liegt, daß sich ein Zeitungsredakteur nichts mehr dabei denkt, ein rein zufälliges Produkt einer Maschine - Kamera - zum Kunstwerk zu erklären.

Viel mehr sagt sich aus über Kunst und Reproduktion. Das Photo liefert ja lediglich eine Referenz zu einem realen Gegenstand, es hat für sich eine völlig anders gelagerte Wirklichkeit. Illustrativ wird es bei der Vorstellung, jemand stelle sich in Paris vor die Monalisa und mache davon eine Photoablichtung.

Ist es wirklich nur - wie Benjamin schreibt - die fehlende Echtheit? Ist es wirklich nur die Aura als quasi bloß psychisches Anhängsel an ein Ding, geboren aus soziokulturellen, psychosozialen Zusammenhängen?

Nein, es ist viel mehr. Und jeder, der obiges Experiment macht, wird es feststellen, soferne er noch halbwegs gesunde Reflexionskräfte und Wahrnehmungsfähigkeiten hat. Denn nur die Monalisa hat eine Wirklichkeit die "Monalisa" heißt. Nur das Original bringt eine Figur, eine Person zur Wirklichkeit, nur Leonardo da Vinci hatte die Wirklichkeit der Person als eigentlichen Darstellungsgrund erfaßt und umgesetzt.

Der Photograph, und selbst der bloße Kunstfälscher, greift bereits auf eine zweite Wirklichkeit zurück, auf eine abgewandelte Interpretation (wie der Maler), beide stellen nur noch das Bild dar, nicht mehr die Monalisa!

Die Photographie funktioniert überhaupt nur noch durch die direkte Referenz auf eine Wirklichkeit. Der Betrachter sieht also bei der unkünstlerischen Photographie - und ich gestehe, nach wie vor keinen Weg gefunden zu haben, wie Photographie Kunst sein kann - nur deshalb etwas, weil ihm das Dargestellte "bekannt" ist, er sieht durch Erinnern. Die Wirklichkeit aber, der er im Bild gegenübersteht, ist ganz anderer Natur, und sie ist keine Wirklichkeit der Darstellung, sodaß das Abgebildete wirklich "ist", eine Wirklichkeit ist, die hier, präsent vor mir hängt oder liegt.



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