Montaigne, schreibt Erich Auerbach, zielt bei der Erforschung des beliebigen eigenen Lebens auf die Erforschung der condition humaine überhaupt ab. Und er offenbart damit das heuristische Prinzip, dessen wir uns, bewußt oder unbewußt, in verständiger oder unverständiger Weise dauernd bedienen, wenn wir die Handlungen anderer Menschen zu verstehen und zu beurteilen bemüht sind, seien es die Handlungen unserer nächsten Umgebung oder ferner liegende, politische oder geschichtliche: wir legen an sie die Maßstäbe, die uns unser eigenes Leben und unsere eigene innere Erfahrung bieten; so daß unsere Menschen- und Geschichtskenntnis abhängig ist von der Tiefe unserer Selbsterkenntnis und der Weite unseres moralischen Horizonts.
Er ist sich selbst genug, schreibt Auerbach, Montaigne ist sich selbst Studiengegenstand, denn nichts kann er so gut kennen, wie sich selbst, alles andere ist unsicherer. Deshalb lehnt er auch jede abstraktive wissenschaftliche Methode ab, er hat kein Vertrauen zu ihnen.
Wenngleich seine Herangehensweise - das Ausleuchten aus beliebig auftauchenden Winkeln - genau deren Vorgehensweise ist. Aber Montaigne braucht keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sie nützen ihm nichts. Nur das Menschliche fesselt ihn. Wie Sokrates könnte er sagen, daß ihn der Baum nichts lehrt, aber der Mensch in der Stadt.
*011211*