Die prophetische Weitsicht, die Dr. Edwyn Bevan, etwa 1930 in einem Brief an Arnold Toynbee, bewies, ist so beeindruckend, daß ich seine Aussagen ohne Kürzungen bringe. Bevan nimmt auf beeindruckende Weise in Grundzügen vorweg, was ... HEUTE in voller Gestalt zu beobachten und zu erwarten ist, und die Kontinuität der Gegenwart im Strom der Geschichte beweist. Natürlich sage ich dies vor dem Hintergrund der Tatsache, daß mich aus nahezu den fast deckungsgleichen Analysenresultaten heraus die Gedanken für Europa zu nahezu exakt gleichen Schlüssen geführt habe: auch für mich ist eine absehbar recht nahe Zukunft unweigerlich eine Zukunft (aus heutiger Sicht:) "rechter" Despotie. Und zwar als logische, aber schauderbare Notreaktion aufgrund der erfolgreichen Zerstörungsarbeit der Linken. Da hat Hegel völlig richtig das dialektische Wesen vieler Geschichtsprozesse durchschaut.
Gleichzeitig - drum der volle Text - zeigt Bevan aber auch eine Perspektive auf (und das ist der entscheidende Punkt, auch u. a. gegen Hegel, oder Fatalisten wie Spengler) ... und das ist der eigentlich entscheidende Punkt. Denn das (längst nahezu verschwundene) katholische Christentum ist die einzige Kraft, die Geschichte, die in Unfreiheit erstarrt, real zu durchbrechen und damit zu erneuern vermag. Aber nicht ... ohne das Blut des Martyriums. Denn der Irrtum der "Rechten" ist haargenau derselbe, wie der der Linken, wenn auch verständlicher: sie wird mit Technizismus antworten. (Das ist ja das, was man Faschismus nennt, dem der Zweck alle Mittel heiligt. Der aber genau an den untauglichen Mitteln - contradictionem in acjectione - scheitern muß. Weil alles dem Sein gemäß handelt - und nicht Ergebnis eines Prozesses, sondern einer Seinsverwandlung ist.)
"Ich meine nicht, daß die Gefahr, die vor uns steht, die Anarchie ist, sondern der Despotismus, der Verlust der geistigen Freiheit, der totalitäre Staat, vielleicht ein universaler totalitärer Weltstaat. Als eine Folge des Kampfes zwischen Nationen oder Klassen mag es örtliche und zeitweilige Anarchie geben, eine vorübergehende Phase. Anarchie [Anm.: längst haben wir es heute mit reinen Gewaltverhältnissen zu tun, das also, was Anarchie ist - da braucht es nicht einmal die Rachephilosophien amerikanischer Action-Schinken zum Beleg] ist von Natur schwach, und in einer anarchischen Welt könnte eine festorganisierte Gruppe mit rationaler Organisation und wissenschaftlicher Kenntnis ihre Herrschaft über den Rest ausbreiten. [Anm.: Man braucht nur die Vorgänge um Wahlen, Einfluß, Lobbyismus, Öffentlichkeitsarbeit als Wesen der Presse, usw. betrachten, um diese Prophezeiung erfüllt zu sehen, um zu begreifen, daß wir einen Streit ganz anderer als demokratischer Kräfte um die alleinige Macht haben. Und längst sieht sich die jeweils herrschende Macht ohne jeden Skrupel berechtigt, das Wertegefüge der Menschen durch "Erziehung" ihren Vorstellungen gemäß zu verändern; man denke nur an "Gender", "political correctness" ...]
Und die Welt würde den despotischen Staat als Alternative zur Anarchie bewillkommnen. [Anm.: Nachdem offizieller Geist, Gedankenwelt, herrschende Meinungsressentiments, immer weiter zur realen Weltwahrnehmung der Menschen auseinanderklafft, wird dieses Begehren sich irrational äußern, nicht unähnlich wie es 1933ff geschah.]
Dann könnte die Welt in eine Periode geistiger "Versteinerung" eintreten, in eine schreckliche Ordnung, die für die höheren Betätigungen des menschlichen Geistes der Tod wäre. [Anm.: Selbst in "Kunstbereichen" herrscht heute längst das Primat des Nutzens, der Techniken (auch individueller Weltzugänge), der ideologischen Veränderungsphantasien, hat die Poesie schon heute weitgehend verdrängt]
Die Versteinerung des Römischen Reiches und die Versteinerung Chinas [Anm.: Auf den Niedergang einer Kultur muß nicht zwangsläufig deren völliger Zerfall folgen, sondern sie kann sich offenbar - Rom, China, v.a. Ägypten sind Beispiele dafür - noch sehr lange, und seien es zweitausend Jahre wie bei Ägypten, tausend Jahre bei China, in Versteinerung aufrechthalten] würden weniger starr erscheinen, wie die herrschende Gruppe viel größere wissenschaftliche Machtmittel hätte. (Kennen Sie Macaulays Essay on "History"? Er argumentiert, daß die barbarischen Invasionen auf die Länge gesehen ein Segen waren, weil sie die Versteinerung durchbrachen. "Es kostet Europa tausend Jahre Barbarismus, dem Schicksal Chinas zu entgehen."
Es gäbe keine barbarischen Rassen, um einen zukünftigen totalitären Weltstaat zu zerbrechen.) [Anm.: Die Vereinheitlichung der technizistischen Lebensform heute, die ja eine Folge des inneren Auseinanderfallens unserer Kultur ist, macht diese Äußerungen zu einer regelrechten Elegie: denn tatsächlich gibt es heute gar kein Barbarentum mehr, sondern es ist abgelöst von proletarisiertem Banausentum.]
Es scheint mir möglich, daß in solch einem totalitären Staat naturwissenschaftliche Forschung mit kontinuierlichen neuen Entdeckungen weitergehen könnte, während Poesie und Philosophie darniederlägen. Für die griechische Naturwissenschaft war das Ptolemäerreich keine unkongeniale Umwelt, und ich meine, daß, allgemein gesprochen, die Naturwissenschaft unter einem Despotismus blühen könnte. Es liegt im Interesse der herrschenden Gruppe, das zu ermutigen, was ihre Machtmittel anwachsen lassen könnte. Das, nicht Anarchie, ist für mich der Nachtmahr, wenn wir keinen Weg finden, um unseren gegenwärtigen Bruderkrieg zu beenden.
Aber es g i b t da die christliche Kirche, ein Faktor, mit dem zu rechnen ist. Sie kann sich in dem zukünftigen Weltstaat des Martyriums zu unterziehen haben, aber sie könnte auch wiederum, wie sie den römischen Weltstaat am Ende dazu trieb, sich jedenfalls formell Christus zu unterwerfen, auf dem Wege des Martyriums den wissenschaftlich-rationalistischen Weltstaat der Zukunft erobern."
Dr. Edwyn Bevan
*061009*