Es sei ein großer Fehler, schreibt Franz von Sales einmal, die Gefühle von Liebe und Gott mit der Liebe selbst, und Gottes Anwesenheit, der Einigung mit ihm gleichzusetzen. "Die heilige Liebe ..., kraft deren wir der Einung unseres Geistes mit der Liebe Gottes zustimmen, ist fast unwahrnehmbar." Und dieses "fast" bezieht sich (Bremond setzt es in "Das wesentliche Gebet" so schön auseinander) nicht auf eine Aufweichung des "nicht", sondern auf Empfindungen, die in der Regel der Einung FOLGEN oder ihr VORANGEHEN, den Rückschlag der reinen Liebe in die Seelenkräfte.
Einzig der Glaube macht uns der göttlichen Liebe gewiß. Auch das göttliche Leben, das in uns kreist und uns vergöttlicht, ist durch kein Experiment erkennbar. Unter all den sehr konkreten, häufigen, erquickenden Erfahrungen, die uns den Glauben zu rechtfertigen und zu verstärken scheinen, ist nicht eine, die uns eine vollkommene Gewißheit verleiht. Franz von Sales schreibt deshalb: "Wir sind der Liebe nicht gewisser, wenn wir sie fühlen als wenn wir sie nicht fühlen." Tröstungen, "Süßigkeiten", Wonnegefühle "sind Güter, die uns nicht besser machen, denn, wie gesagt, die Frömmigkeit, das heißt, die Liebe besteht nicht darin."
Gott mit Gefühl gleichzusetzen, schreibt er an anderer Stelle, und er bleibt dabei nobel, ist schlicht Unwissenheit, und es sei eine große Gefahr darin, die strenge Philosophie der Heiligkeit zu verwässern oder gar zu verfälschen. "Wenn ich von dem heiligen Empfinden der göttlichen Gegenwart spreche, so meine ich nicht ein fühlbares Empfinden, sondern jenes, das in dem Gipfel, der höchsten Spitze des Geistes seinen Sitz hat, wo die göttliche Liebe herrscht und wirkt."
Er verachte zwar nicht die Gefühle, aber die Einung, die die habituelle (!) Gnade zwischen Gott und der "feinen Spitze" (der innersten Seele, Anm.) bewirkt, ist nicht ein "göttliches Genießen", nicht ein "religiöses Erlebnis", wie nicht nur das Volk, sondern auch viele geistliche Schriftsteller und fast alle Abhandlungen über Religionspsychologie zu glauben scheinen, schreibt dazu Bremond.
Zudem sei zuhöchst zu differenzieren: wer sage, der Zucker im Munde sei süß, könne nicht rückfolgern, daß er selbst oder sein Mund süß sei! Bestenfalls können wir sagen, daß die geistliche Süßigkeit gut sei. In dieser Gleichsetzung aber bestehe ein große Täuschungsgefahr. Außerdem ist Begehren (zu Gott) noch nicht Zustimmung, sondern nur eine Vorstufe dazu.
Gott selbst jedenfalls ist es, der die Vereinigung mit ihm bereits längst bewirkt hat: niemals würden wir uns ihm vereinen, wenn er sich uns nicht schon vereinigt hätte. Zwar hilft er uns zuweilen, zwar ist das Wirken einer geheimnisvollen Kraft in uns erfahrbar - wo er, den unsere Seele liebt, uns zu ihm zieht - aber dieses selbst bleibt unfühlbar, damit es umso wunderbarer für uns sei. (Franz von Sales) "So werden wir umso entschiedener bereit sein, uns seiner Güte zu vereinen, da wir nicht abgelenkt sind durch die Wahrnehmung der Anziehung."
Und ausgerechnet Franz von Sales weist auf die große Gefahr hin, die Gefühle auf diesem Weg überhaupt darstellen. Wir befinden uns auf der Gegenseite des Panhedonismus - "Freude, Tränen der Freude, Gewißheit ... Nein! Ungewißheit," sagt er. Auf üppigen Wiesen verfehlen die Hunde leicht die Spur, weil die Eindrücke zu vielfältig sind. "Die Liebe, die den Willen Gottes sucht, ist während der Tröstungen immer in Furcht, daß sie einer Verwechselung zum Opfer fällt. Sie fürchtet, anstatt des Wohlgefallens Gottes möchte sie den Genuß lieben, der in den Tröstungen enthalten ist."
Er wehrt sich auch vehement gegen die Sage, daß Menschen mit mehr (weltlichem) Gefühl "begabter" für Mystik seien, weshalb es ja oft auch heißt, Frauen seien begabter als Männer. "Die Heilige Liebe ist so weit von Fleisch und Blut entfernt, wie irgend möglich!" Gerade gefühlvollere Menschen unterlägen oft der Gefahr, irdischen Stufen anzuhangen, anstatt sich dieser göttlichen Spitze zuzuwenden. Die Wirkung der göttlichen Liebe ist ganz und gar übernatürlich. Persönliche Dispositionen - zarter oder herber - geben der Liebe nur je ein anderes Gesicht, die eine wird mutiger und fester sein, die andere vielleicht zarter. Gerade wem die natürliche Liebe abgehe, schreibt der Heilige, habe allen Grund, die übernatürliche umso mehr zu suchen.
Gott lieben und das Vergnügen der Liebe lieben, schreibt dazu Abbé Bremond, das sind zwei so verschiedene Verhaltungsweisen, daß, wenn das Vergnügen ausbleibt, viele die Liebe aufgeben.
*111110*