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Freitag, 12. November 2010

Vom Nutzen der Sünde

Er hat sich zeitlebens so gewehrt gegen alle die Erbauungsschriften, die allesamt nur für Heilige verfaßt scheinen. "Nun aber," schreibt der heute völlig vergessene Franz von Clugny, der "Mystiker der Sünder", "wenn wir schon unten sind, so bleiben wir auch unten." Denn endlich ist nichts mehr da, was sich der Gnade widersetzt! Wieviel Nutzen bringt also das Gewicht der Sünde!

"Sicher ist nichts schlimmer als die Sünde, aber ich möchte sagen, daß es für einen Sünder nichts besser ist als das Gewicht der Sünde. Die Sünde ist eine Folge unserer Bosheit, aber das Gewicht der Sünde ist eine Wirkung der Liebe, die Gott uns doch bewahrt hat. 

Je mehr ein Sünder das Gewicht der Sünde spürt, je mehr ihm seine Sünden eine Last sind, je weniger ist für ihn Grund gegeben, zu verzweifeln. Fürchten müßte er nur, daß er sich an das Gewicht der Sünde gewöhnen könnte."

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"Ich denke, man wird mir nicht so Unrecht tun, zu glauben, daß ich der Sünde das Wort rede oder etwa empfehle, sich nicht durch die Sakramente heilen zu lassen.* Eine solche Absurdität kam mir nie in den Sinn. Ich will nur so viel sagen, daß ich nicht billigen kann, wenn Sünder aus übergroßer Liebe zu ihrer Gewissensruhe ihre Sünden ungeduldig abzuwerfen suchen und zum Beichtstuhl stürzen, immer wieder  beichten, nur um mit sich in Frieden zu sein. 

Ich fürchte, diese Unruhe enthält mehr Eigenliebe als Haß gegen die Sünde. Würden wir sie aufrichtig beklagen, so trügen wir ihr Gewicht in einer büßenden und abgetöteten Seele."

Es käme, meint Clugny, auf die Zerknirschtheit des Herzens an, die so viele gar nicht mehr aufkommen ließen. Nicht daß man beichtet tadelt er, sondern daß man zum Beichtstuhl kommt, wie man zum Zahnarzt läuft.

Deshalb übrigens hatte die Kirche früher sehr lange Probezeiten, die sie den Sündern auferlegte, um sie fest in der Sünde zu begründen: Denn der Sünder soll genau um die Last der Sünde wissen. Es ist einer der schwersten Mißbräuche der Gläubigen, direkt von der Sünde, nach Lossprechung, in den "Heiligenstand" springen zu wollen - im gräßlichen Hochmut, so Clugny, den sie selbst durch die Verzichte, die sie sich auferlegen, nähren. Deren Eitelkeit sich aber in Wahrheit mehr und mehr vergeistigt, feiner wird, und damit unkenntlicher. "Es wäre zu wünschen," meint dazu der Heilige Augustinus, "viele wären weniger "heilig", damit sie heiliger wären."

***

Gerade diese hochmütigen Bekehrungen aber, so Clugny, seien ja so häufig. "Kaum haben wir die Umkehr begonnen, da fangen wir schon an, uns als Heilige zu geben. Die gewöhnlichen Tugenden befriedigen uns nicht; wir suchen Außergewöhnliches. Wir brauchen Worte der höchsten Frömmigkeit, sprechen von "Losschälung", "passivem Gebet". Wir suchen für unsere zeitweilige Zurückgezogenheit die verborgensten Klöster auf. Ich weiß nicht, ob wir uns nicht zuweilen in die Wüste der alten Einsiedler wünschen."

Natürlich sagt man nicht selbst, man wäre heilig, das wäre zu plump. Nein, man erklärt sich natürlich zum "großen Sünder". Aber man tut es, weil man weiß, daß sich das so gehört. In Wahrheit herrscht "Hochmütige Demut!"

"Wäre man wirklich gewahr, daß man Sünder sei," so Clugny, "dann gäbe es keine Demütigung, die überhaupt noch eine wäre."

Wie viele aber geißeln sich lieber, und üben schwere aszetische Übungen, oder üben sich in geistreichen Wortspielen und "hohen Gedanken", um nur ja der einen wirklichen Übung, der Verdemütigung vor Gott, auszuweichen. Sie ernten sich selbst, im Hochmut, nicht Gnade.


*Nach Clugny sollten aber die Sünden der Gebrechlichkeit und unsere gewöhnlichen Schwächen nicht an der häufigen Kommunion hindern.
 
 
*121110*