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Dienstag, 1. Juli 2014

Ein Schuß ins Knie (1)

Aufgelistet werden Beispiele in teilweise recht eigenwilligem Englisch: „Your nation is a nation of complete idiots.“ Das wurde offenbar in einem Medium mit moderierten Kommentaren geschrieben. Dahinter steht: „Nicht publiziert“. Oder: „Obama did shit his pants while talking about foreign affairs, how you can feel yourself psychologically comfortable with pants full of shit.“ Auch dieser Beitrag wurde nicht veröffentlicht. Im Anschluss gibt es Beispielsätze für Portale ohne Moderation, dort wurden alle Einträge freigeschaltet. Etwa: „Can you live in America without antidepressants? I think nooo.“

Das ist ein Kernstück eines Artikels in der FAZ, in dem die an dieser Stelle bereits besprochene Auffälligkeit, daß in den Zeitungsforen die pro-russischen Kommentare (schon gar im derzeitigen Konflikt mit der Ukraine) so deutlich überwiegen, als von Moskau gesteuerte Kampagne bloßgestellt wird.

Nun, mit solchen Diktionen läßt sich nicht weiterkommen. Sie sind nicht nur übliche Winkelzüge von Propaganda, sondern sie haben allesamt einen gewaltigen Kern an Wahrem. Und zwar nicht nur dort, wo - wie die FAZ "aufdeckt" - ganze russische Unternehmen dafür gegründet wurden, die Medienwelt der Welt zu unterminieren. Die Anzahl von Unternehmen, die sich nur der "Manipulation" öffentlicher Meinung widmen, ist wohl bereits beträchtlich, weltweit, und auf allen Seiten. Und wer als Konzern egal welchen Geschäftszieles meint, erfolgreich sein zu sollen, beschäftigt ganze Horden von "normalen Bürgern", die im Internet ihrer "Meinung" freien Lauf lassen.

Worin läge also hier Beweiskraft für oder gegen jemanden? Worin, ob eine Meinung richtig (= auf  Wahrheit aufbauend) oder falsch (= gezielt desinformierend) ist? Wer die Entstehung von Meinung als Haltung zu etwas generell betrachtet weiß außerdem, daß es so etwas wie eine "freie Meinung", die also autonom und autarkistisch entstanden ist, gar nicht gibt. Diesen Unsinn zu vertreten blieb den Kohlköpfen der Aufklärung und des Rationalismus vorbehalten. Der Mensch empfängt Sprache, empfängt damit Inhalte, und empfinge er sie nicht, hätte er gar keine. Seine Lebensaufgabe besteht also nicht darin, sich von diesem Empfangen abzukoppeln, sondern sie ob ihrer Übereinstimmung mit seinem Gewissen zu prüfen.

Die Beschwerde, daß es Meinungsmanipulatoren gibt, Leute, die das versuchten, ist also schlichtweg kindisch. Wenn die Politik der Demokratie heutigen Zuschnitts von der "Freiheit der Medien" als Grundbeindung faselt, so tut sie dies um die Manipulationswirkung einer bestimmten (leider meist nicht einmal gekannten) Minderheit zu schützen. Oder, wie es jemand einmal formulierte: "Die Freiheit der Medien ist die Freiheit einer kleinen Minderheit von 2-300 Leuten, ihre Meinung zu verkünden." Und dieser existentiellen Kraft einiger Herausgeber fügen sich dann Heerscharen von Journalisten. Das skizziert im wesentlichen die Medienlandschaft der Welt. Links wie rechts, Ost wie West, Rußland wie China oder USA oder Brüssel. Und der Sozialstaat ist überhaupt die effektivste Methode der Hörigmachung ganzer Bevölkerungen, die in "aufgeklärten Mediendemokratien" kritisieren soll, wovon sie abhängt. Das betrifft auch, ja vor allem besonders "radikale" Elemente, oder titelabhängige "Eliten", deren Radikalität höchst häufig in direkter Korelation zum Zähneknirschen steht, mit dem sie ganz zufällig existentielle Versorgtheit so hoch stellen, daß sie Freiheit und Mutlosigkeit gerne einmal niedriger bewerten. Aber - nicht einmal das wollen wir verurteilen. Mein Gott, der Mensch ist, wie er ist. 

Und wir sollten das Meinungsgeraäusch im Internet ohnehin sehr sehr niedrig relevant bewerten. Das davon lebt, daß allen eingeredet wird, es sei hoch wichtig. Was von den allermeisten ohnehin mit gewissem Grunderstaunen quittiert wird, weil ihre alltägliche Lebenserfahrung so gar nicht mit den Erkenntnissen, die die Medien vorkauen, übereinstimmen will.

Worüber also geht die Beschwerde? Geneigter Leser, der VdZ hat hier einen Verdacht. Es geht um die größere Geschicktheit, mit der die Russen offenbar - wenn - die westlichen Medien manipulieren. Denn wenn jemand den Amerikanern um die Ohren schmeißt, daß ihre Gesellschaft krank ist, weil sie ohne Psychopharmaka das Leben in diesem Land kaum noch erträglich sein läßt, so - hat das einen gehörigen Batzen Wahrheit. Wie bei oberflächlicher Recherche nachzuprüfen, steigt der Konsum von Antidepressiva in den USA derartig dramatisch, daß eine Aussage wie oben, die die FAZ als einen Höhepunkt der Perfidie anführt, als so wahr erscheinen läßt, daß man den Russen dankbar sein muß. Kein Kabarettist, kein Kritiker der Zeit könnte es klarer ausdrücken. Die Russen erfüllen also hiermit eine Aufgabe, ddie die Kunst in den USA kaum noch erfüllen kann. (Wobei: Wenn eines typisch ist für Amerikaner, so ist es ihre Selbstironie.) Da will ein Land der Welt das Glück vorschreiben, das sein eigenes Leben nur noch mit einer Fuhre Stimmungserheller erträgt. Das bereichert jede Lennox-Show, und gibt garantierte Lacher von Millionen, die sich erkannt sehen. Die ... zustimmen. Das sei wahr.

Das macht vielleicht die russischen Poster (wenn es sie denn, und in dieser Form, gibt, wobei: das will der VdZ sogar glauben, es stimmt zu sehr mit der heutigen Welt - überall - überein) so glaubwürdig. Sie scheinen etwas zu sagen, was mit der Wahrnehmung der Leute übereinstimmt. Wenn also den so überaus braven, objektiven Journalisten Welt-Medienlandschaften nicht geglaubt wird, so liegt das wohl eher nicht daran, daß die Menschen manipulierbar sind wie Ötkers-Pudding. Daran glauben nämlich nur bestimmte Menschen- und Meinungsgruppen. Sondern weil die Russen es verstehen, wahre Kerne anzusprechen.

Vielleicht, weil sie es leichter haben als die Amerikaner? Vielleicht, weil ihre Politik einen deutlichen Funken weniger widersprüchlich, aber einen gewaltigen Funken logischer ist? Wie glaubwürdig will eine EU sein, die, wie sich nun herausstellt, ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine längst in der Schublade liegen hatte, und unter Milliardenzahlungen die nun erst so richtig demokratisch (weil passender) gewählte Regierung dazu bringt, flux diese auch endlich zu unterzeichnen? Worüber will sich Brüssel da beklagen? Daß das nicht nur stinkt, sondern daß ihre Kampfposter in den Foren der Medien einen schweren Stand gegen die flockigen Kabarettisten der Russen haben, denen man es ziemlich leicht macht: weil die mit dem Rückenwind der Fakten agieren können?

Gewißheiten, geschätzte Leser, geneigte Spekulanten, entstehen ganz anders, als welke Medientheorien materialistischer Titelhamster (pardon: Akademiker, die gerne auf freies Denken verzichten, wenn sie durch Institiutionenkriecherei endlich, endlich jene Autorität erlangen, formell, deren sie kraft ihrer persönlichen Wesensbestimmung nicht in der Lage sind) einhämmern wollen. Gewißheiten sind ein äußerst seltsames Pflaster ... und sie sind in ihren Fundamenten streng genommen ... ein unmanipulierbare Kern jedes Menschen.

Man kann sie bestenfalls noch ... verleumden.

Aber den Menschen zu sagen, daß ihre verbalen Meinungsstrukturen empfangen sind - das heißt, Eulen nach Athen tragen. Das funktioniert nur, wenn man den Menschen gleichzeitig den rousseauschen Unsinn einbleut, jeder Mensch würde die Welt neu erfinden können und müssen. Deutungsbilder sind das Wesen der Tradierung, ohne die Kultur undenkbar ist. Vorsicht deshalb, auch an die FAZ gerichtet, sonst könnte der Schuß ganz schnell nach hinten losgehen, und ihre kulturbewahrende Funktion, die der Zeitung immer noch zugedankt werden muß, könnte sich in Nichts auflösen. Gerade der vor kurzem verstorbene und mit oft genug grotesken (weil von der Zeitung inhaltlich gar nicht  mehr gedeckten) Nachrufen bedachte Herausgeber Frank Schirrmacher, wußte nämlich um diese fundamentale Funktion seiner Zeitung. (Von österreichischen Zeitungen will man da ohnehin gar nicht mehr reden, die sind längst und ausnahmslos Afterdreck am Stecken der Zeit.)

Die Manipulation funktioniert nicht, WEIL Deutungsbilder weitergegeben werden! Kein Mensch deutet die Welt "aus sich". Sie funktioniert, wenn existentielle und identitäre Mechanismen dabei betätigt, werden, die eigene, auf der höchst subjektiven "kleinen" Welterfahrung beruhende Plausibilitätsprüfung ausschalten wollen. Es mag durchaus sein, und wäre verständlich, wenn im Westen erstaunlich hohe Bereitschaft vorherrscht, russischen Deutungsschemata zu folgen. Aber das wäre dann nicht mehr als eine Aussage über die Unglaubwürdigkeit des Westens.

Und Berichte wie die erwähnten, die durch sämtliche Medien geistern, sind dann nicht mehr als das Jammern der Muttersöhnchen, daß ihre eigene Manipulation nicht den Erfolg hat, der ihr doch formal zustünde.



Morgen Teil 2) Was sich aber noch viel mehr in der Affinität zu Rußland ausdrückt




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