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Samstag, 12. Juli 2014

Wenn Medien sich instrumentalisieren

Vor etlichen Jahren gab es eine große Mediendiskussion: angesichts des explodierenden Internets überlegten Printmedien, wie sie Leser wieder binden könnten. Und der fast einhellige Tenor lautete, daß man dem Internetkonsumenten Orientierung dadurch bieten müsse, als man "Meinung" und Richtung anbiete. Eine Zeitung muß also, so das Fazit, Partei ergreifen. 

Was zuvor Kolumnen vorbehalten blieb und als Verstoß gegen den journalistischen Ethos angesehen wurde, wurde nun bei manchen Publikationen sogar zum erklärten Programm. Es sei nur erinnert, daß der Styria-Konzern, der mit den Zeitungen Kurier, Presse, Kleine Zeitung und Profil einen beträchtlichen Teil der österreichischen Medienkonsums abdeckt, definitiv beschloß, "die Welt besser" zu machen. Der Kurier-Chefredakteur ließ also ganz offen verlauten, was normalerweise gegen den Sinn von Zeitungen verstößt, jedes Medium sofort in die Anführungsstriche eines Parteiorgans stellt. Besonders brisant in einer Gesellschaft, in der es offizielle Medienförderung gibt, wo also die Medien von Steuergeldern - direkt, oder über Inseratentätigkeit - leben, sonst gar nicht existieren können. 

Entsprechend sind die Beißreflexe programmierte politische Reaktionen. Und haben sich nicht nur im gesamten "arabischen Frühling" oder im Syrien-Konflikt unverhüllt und als verhängnisvoller Beitrag zur Eskalation gezeigt, sondern auch im jüngsten Rußland-Konflikt. Hier stieß der Leser im gesamten deutschsprachigen Raum auf eine Einheitsfront der Rußland-Gegnerschaft. Und selbst wenn man berücksichtigt, daß gewiß auch Rußland die social media zu beeinflussen sucht, so ist die Haltung der Gegnerschaft gegen diese Einseitigkeit, die sämtliche Medien erlebt haben und die nun endlich gar niemand mehr bestreitet - eine Diskrepanz zwischen veröffentlicher und öffentlicher allgemeiner Meinung also -, nicht alleine darauf zurückführbar.

Eine der ganz ganz wenigen ausgewogenen Stellungnahmen zum Konflikt Ukraine-Rußland bietet der österreichische Standard dieser Tage. In einem Interview mit dem Wiener Professor für Medienwissenschaften Jürgen Grimm moniert dieser, daß die westlichen Medien (wieder einmal!) in Höchsttempo auf den Zug der Parteilichkeit aufgesprungen seien. Damit aber haben sie den Konflikt verschärft, ja zum Teil überhaupt erst so brisant gemacht. Denn man hat die Ukraine, die völlig pleite ist und war, zu einem Risiko ermutigt, das der Lage gar nicht angemessen war und Eskalation provoziert hat.

Dabei wurde aber sogar die EU in eine Lage gedrängt, in der sie sich offenbar gar nicht mehr fragt, ob sie dort überhaupt sein will. Denn die Ukraine einfach so auf EU-Ebene zu holen würde die EU gewaltig belasten: die Ukraine ist nicht nur pleite, sondern sie nach herkömmlichen Schemata "aufzubauen" würde enorme Geldsummen benötigen, die die EU ja selber gar nicht hat. 

Journalismus, der sich auf eine Seite stellt - in diesem Fall auf die der Ukraine - verliert die Fähigkeit zur distanzierten, objektivierten Betrachtung. Es geht ihm nur noch um (den nunmehr "eigenen") Sieg oder Niederlage, und dafür setzt er alle Mittel ein. Auch innerhalb der Ukraine verliert man Fähigkeit auf der Basis der eigenen Situation zu urteilen, und verfällt in ein (wie in dem Fall) einseitigen "Juhu, wir wollen in die EU!" Das hat die EU natürlich dazu verführt, das anzunehmen. Damit aber hat sie eine Auseinandersetzung mit Rußland riskiert, die nicht mehr von der Vernunft bestimmt war. 

Man kann aber, so Grimm, die Gegenwart nicht ohne Vergangenheit verstehen und lösen. Denn die heutigen Haltungen sind historisch bedingt. Es ist also zwar verständlich, daß die Ukraine aus den Erfahrungen mit dem Holodomor (der nahezu geplanten Ausrottung der ukrainischen Landbevölkerung unter Stalin in den späten 1920er Jahren mit geschätzt 10 Mio Toten durch Hunger und Exekution) einen Anti-Rußland-Effekt hat. Als eine Art "negativer Staatsgründungsmythos", der das Streben nach Unabhängigkeit vom einstigen Peiniger motiviert. Aber es genügt nicht, Gefangener der eigenen Geschichte zu bleiben. Man muß sie vielmehr durch distanzierte Betrachtung, die ein Zurück zur nüchternen, objektiven Einschätzung der Zukunft ist, zu überwinden suchen.



(Nachsatz: Wie weit eine manipulierte Medienlandschaftschaft wirken kann, ja Geschichte schreibt, hat sich etwa 1956 beim Aufstand in Ungarn gezeigt. Und es zeigt sich dasselbe Schema wie bei den sogenannten Revolutionen der letzten Jahre, mit einer Schlüsselrolle der Medien. Damals wurde verbreitet, daß die USA im Fall eines sowjetischen Einmarsches sofort von Westen her militärisch eingreifen würden. Wie dieser Irrglaube entstand ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Man kann lediglich davon ausgehehen daß seine Verbreitung durch Medien sehr im Interesse der Amerikaner lag. Aber die dachten natürlich nicht ernsthaft daran, einen Weltkrieg "wegen Ungarn" zu riskieren. Und so verbluteten tausende Ungarn, die sich mit Steinschleudern bewaffnet dem Goliath Warschauer Pakt entgegenstellten in der Meinung, es käme nur auf ein Aushalten an, denn die Amerikaner würden real zu Hilfe eilen.

Gerade internationale Politik findet nur dann statt, wenn sie unter nüchterner Berücksichtigung langfristister und damit objektiv tragbarer und akzeptierter Raumkonzepte stattfindet. Die angeblichen Rezepte wie aufgescheuchte Emotionalität und "Transparenz", die Internetbescheuerte aller Länder anbieten und anheizen, sind dabei Methodiken, den Doofen die Mittel aus der Hand zu nehmen, überhaupt Politik zu gestalten. Abstrakte Ebenen, die je langfristiger sie sind umso abstrakter werden müssen, niemals von "unten" gehandhabt werden. Zu komplex und notwendig kompromißbehaftet sind die realen Verknüpfungspunkte, die sie zusammenfassen. Die sogenannte Pluralität des Internet ist dabei lediglich eine höchst taugliche Waffe, dem gegenüberstehenden Staat sein Volk zu zerstreuen, ihn aufzulösen. Niemand weiß das besser als die USA! Ihre Praxis, das Internet lückenlos zu überwachen und damit nötigenfalls auch zu steuern, zeigt es.)




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