Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 3. Januar 2009

Einfach die Strategie gewechselt

Immer wieder erinnert sich in mir, wie ich beim Umräumen meiner Bücher ein schmales Bändchen aus früheren Zeiten zur Hand nahm, erst nur sentimental-belustigt darin blätterte, dann (erneut) las. 

Es war eine Schrift von Mao Tse-tung. 

  • Vier philosophische Monographien
  • Über die Praxis
  • Über den Widerspruch
  • Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke
  • Woher kommen die richtigen Ideen im Menschen

Die Schrift ist klug, weil Mao sehr klug war, das wird gerne unterschätzt oder vergessen. Oder glaubt man hierzulande wirklich - den Eindruck hat man manchmal - daß diese Menschen dumm waren oder sind? 

"Vier philosophische Monographien" behandelt ganz praktische Fragen politischen Handelns. Ich war perplex. Hatte ich doch ganz vergessen, was darin so offen stand, und was ich doch einmal (aber gewiß auch völlig anders, aber wie? ich weiß es nicht) gelesen hatte. Nun las ich es mit völlig anderen Augen. Nun las ich nämlich, was sich wie eine Niederschrift der politischen Handlungsstrukturen bei uns (!) las. Als wären wir der von Mao empfohlenen Strategie bis auf den letzten Buchstaben erlegen. Man muß es selbst gelesen haben.

Ähnliches ist mir bislang bestenfalls beim Lesen von Alexis de Tocqueville passiert - zu sehen, wie (sehr) lange zurückliegendes Wort aus präziser Analyse der Wirklichkeit gewonnen, sich buchstabengetreu der Prophezeiung gemäß erfüllt hat. Aber Tocqueville prophezeit eben aus Menschenkenntnis, als Beobachter, als Außenstehender. Seine Hellsicht ist besorgte Warnung.

Mao arbeitete Strategien aus - ebenfalls aus Menschenkenntnis. Seine exakte Analyse dient aber dem Erreichen eines politischen Zieles. Und, verdammt noch einmal, wer seine Schriften liest, könnte meinen, er hätte alles, wirklich alles erreicht.

Aber ist China nicht ... kapitalistisch geworden? Hat sich der Kommunismus dort nicht selbst aufgelöst?

So lautete doch die Mär bei uns. Gäbe es nicht ab und zu irritierende Nachrichten über grausame Vorgänge in China, mit denen aber ... niemand hier etwas anfangen kann? Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Denn die Widersprüche sind für uns nicht auflösbar. Es fehlt an einer erhellenden These, an einem gültigen Urteil über China. Das vergangene - die pöhsen pöhsen Kommunisten - darf man irgendwie nicht mehr anwenden, das ist ja nicht mehr gültig?

Gleich vorweg: China hat keineswegs den Kommunismus aufgegeben. Nach wie vor ist es ein kommunistisches Land und verheimlicht das nicht einmal. Könnte es aber nicht sein, daß man diese Mischung aus Konfuzianismus und Marxismus in seiner praktischen Wirkung schlichtweg gänzlich unterschätzt? 
Die Chinesen waren, anders als die Russen und Osteuropäer, keineswegs so dogmatisch verbohrt, dafür in der Umsetzung unvergleichlich konsequenter. Sie haben stets rasch Realitäten zur Kenntnis genommen, und sie haben auch keinerlei abendländische Skrupel hinsichtlich Wert und Würde des Einzelnen - worin sie vom Konfuzianismus ganz elegant getragen werden. Ihr System der Gehirnwäsche zeugt von einer beeindruckenden Kenntnis des Menschen. Da klingt "Archipel Gulag" fast steinzeitlich rückständig in seinen Methoden - als hätte der sowjetische Kommunismus immer noch einen Rest an abendländischem Dünkel vor dem Menschen bewahrt.

Die Chinesen haben stets viel rascher gelernt - weil sie schlicht lernbereiter waren und sind. Sie sind kühl pragmatisch, wie es bei uns bestenfalls die Römer waren. Und die haben es ja auch weit gebracht.

Die Chinesen haben vor 15 bis 20 Jahren einfach die Strategie gewechselt.

Worin der Strategiewechsel der Chinesen bestand? Nur Ewiggestrige, Verbohrte greifen die politischen Gestalten noch direkt an. Heute wird der Boden ausgetrocknet. Dann fallen die Bäume von selbst. Das Zaubermittel "Realismus" - in der paradoxen Intention - wirkt auch in begrenzten Systemen. Dazu braucht es keinen Gott, den Viktor Frankl ebenso treuherzig-berührend wie kantianisch reklamierte. Was hat ein Mitspieler zu verlieren, der eigentlich nur gewinnen kann? Entweder wird er reich und hat so die Macht, oder das Spiel bricht zusammen - ein Sieg (des Kommunismus) bedeutet (wie Sun Tsu in seiner Kriegstaktik sagt) letztlich nur, daß der Gegner mehr fällt als man selbst. Bei wem aber menschliche individuelle Würde ohnehin keine Rolle spielt - der kann (machiavellistisch gesehen) gar nicht fallen. Sieg verhält sich auch relativ zum Ziel. Man siegt dann am elegantesten, wenn man den Gegner dazu bringt, sich selbst zu lähmen. Zum Beispiel indem man ihn auf Phänomene fixiert, indem man sie ihm läßt, ja liefert - bis man ihn süchtig gemacht hat.

Gegenprobe? Nie konnte China mehr Phänomene kontrollieren als in den letzten Jahrzehnten, wo auch die wirtschaftliche Potenz dazu entstand, im Westen mitzumischen. Hat China aber sein Verhältnis zur menschlichen Würde geändert? Im Gegenteil: der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, seine Kapitalpotenz, die ohnehin nur auf das westliche System bezogen war und ist, baut auf genau jener Menschenverachtung. China hat ja nicht einmal Rohstoffe, wie die Sowjetunion sie hatte. China aber hat Asketen.

Die Sowjetunion ist genau daran gescheitert: es war wirtschaftlich ausgehungert, es ist strategisch dem Westen unterlegen, bis zum Todesstoß, dem SDI (Star Defense Initiative)-Programm.

China hat genau zu der Zeit umgeschaltet.

Nein, nein, der Marxismus ist keinesfalls tot, und ich habe das auch nie so gesehen, mich auch nicht vom "Mauerfall" täuschen lassen. Er ist nur viel schlauer, als der naive Abendländer es sich vorstellen kann, und er ist dabei, das Feld von hinten aufzurollen. Und wenn man sich "Vier philosophische Monographien" durchliest hat man den Eindruck, daß die westliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte darin vorweggenommen ist, ja präsentiert sich diese als Ergebnis politisch klugen Handelns, wie Mao es beschreibt. Präsentiert sich auch und vor allem in der Verlagerung des politischen Handelns hin zu moralischen Bewegungen (ich erwähne nicht zufällig die Grünen, aber auch die FPÖ etc.), die nämlich extrem geschickt weltanschauliche Diskussionen regelrecht ins Abseits stellen, zu grotesk-lächerlichen akademischen Ehrenrunden machen, als strahlender Sieger.

Es ist auch kein Wunder, denn der Marxismus spiegelt die Charakter- und Handlungsstruktur charakterloser Muttersöhnchen, denen es nicht um die eigene Würde geht: "Das Schwache macht das Starke schwach, damit die Schwäche Stärke wird." (Eberhard Wagner, in "Zwei Seelen - Keine Welt")

Nirgendwo übrigens, so hört man, ist die Familien- und Mutterbindung, ja die symbiotische Abhängigkeit der Jungen von den Alten, so hoch wie in ... China.




*030109*