Zwar entspricht sie - fast neumodisch und aktuell - mit ihrer Vorgehensweise bei Fehlern Kriterien der ISO 9000f, also hochmodernen Qualitätssicherheitssystemen. Aber nur auf dem Papier. Wer liest denn heute noch den Denzinger? "Na wie man es halt im Studium liest," hat mir einmal ein (junger) Priester geantwortet. So mal drüber, damit man irgendwie auch gehört habe, was drinstehe, meinte er.
Das kann auch gar nicht anders sein, denn sonst würde sich nicht auch in der Kirche - trotz dieses an sich perfekten Qualitätssicherheitssystems - ständig alles wiederholen. Wer sich zum Beispiel die Geschichte Kirche: Montanismus ansieht, gewinnt den Eindruck. Doch vielleicht hätte es funktioniert, vielleicht ... denn eine definitive Verurteilung des Montanismus findet sich im Denzinger gar nicht! Diese "Schwärmerbewegungen" sind nicht einfach Häresien, zumindest nicht immer so einfach als solche zu identifizieren. Sie haben eben immer einen sehr subjektiv-persönlichen Zug. Übrigens fast immer auch sind sie stark in Frauen verankert beziehungsweise von solchen getragen, finanziert, verbreitet. Ja Knox meint sogar, daß die Geschichte der Schwärmerbewegungen sich streckenweise signifikant mit der Geschichte des Feminismus deckt.
Und tatsächlich: Der als Häresie implizit (von mehreren maßgeblichen katholischen Schriftstellern) verurteilte Prophetismus - der direkte Draht zu Gott - ist kaum je tot gewesen, was auf seine Wurzeln in grundsätzlichen menschlichen, charakterlichen Haltungen hinweist. Mit den in jeder Generation wieder aufstehenden Subjektivisten und Auserwählten, Eiferern, ist er immer wieder, mal mehr, mal weniger, aktuell. Und das hat mit seinem schwer zu fassenden Wesen zu tun, die eine Abgrenzung im Einzelfall so problematisch, ja fast unmöglich machen. Auch, weil ein Urteil über einen Menschen so unmöglich ist, sich Verteidiger dieser Richtungen aber sehr oft auf solche Haltungen beziehen. Nicht zuletzt - sie sind ja deren Vollzieher, damit heiliger als die Ankläger.
Dazu kommen und kamen die oft rasch wandelnden, oft von Person zu Person, von Ort zu Ort variierenden Inhalte oder Teilaussagen der Lehren. Der Hl. Bernhard hat es (angesichts der Vielfalt solcher Bewegungen, die im Mittelalter aufbrach) einmal so bezeichnet: Die Gesichter sind verschieden, aber an ihren Schwänzen hängen sie zusammen.
Das Überleben des Montanismus - in dem sich diese Haltungen erstmals so deutlich ausprägten - profitierte genau davon, und so hat er immer wieder neue Gesichter angenommen.
Die Charismatischen Bewegungen (wobei: wie deutlich hier, denn sie sind sämtlich Ableger aus dem Protestantismus, der ja fast perennierter Montanismusboden ist), und alle ihre Ableger, sind solche Gestalt: Fast lupenreiner Montanismus. Aber liest man Ronald A. Knox' hervorragende historiologische Untersuchung "Christliches Schwärmertum", gewinnt man den Eindruck: die kirchliche Gesamtbewegung seit dem 2. Vaticanum ist es generell! Insbesonders bei jenen, die vom "Geist des Konzils" sprechen, bei den Reformern also, usw. usw. Vergleicht man so viele Phänomene: die Parallelen sind verblüffend.
Sogar bis zum Umstand, daß die verkündete Moral nicht auf die Propheten selbst anzuwenden sei (man denke an die Vorfälle um den Gründer der "Legionäre Christi"), deckt sich so vieles.
Und es geht bis zum Verkennen der Mystik, die nicht aus Prinzip der Ekstase und dem Prophetismus zuzurechnen sich die Kirche (und die Heiligen) eingeschworen hat.
Einsam und allein versuchen historisch lediglich die päpstlichen lehramtlichen Grundsatzdokumente Platzhalter für den "echten", historischen, traditionellen Katholizismus zu spielen.
Und: auch hier in den letzten Jahrzehnten oft recht mangelhaft, zu spät, zu wenig deutlich. Beim letzten Papst Johannes Paul II. ließ es sich so gut beobachten. Ein Papst, der ständig seine eigenen Dokumente nachflicken mußte, sofern er selbst nicht kaum etwas anders tat als vergangene Aussagen (schwächer weil viel verquaster und verschwafelter, wie um sie vermeint spiritueller, dabei aber okkulter zu machen) zu wiederholen - er hat keine einzige originelle Aussage getroffen, die nicht längst in teils sogar expliziten kirchlichen Dokumenten festgelegt war?! Nur wiederholt.
Eingedämmt aber ist (und damit: wurde) gar nichts, der Wildwuchs ging munter weiter, auch was den Montanismus in der Kirche anbelangte. Ja, im Gegenteil: Die Stimmen sind zumindest lauter, die die Charismatik wie einen Teil des Katholizismus behandeln. Kirchenpolitik?
Auch im 2./3. Jahrhundert übrigens gab ja maßgebliche kirchliche Stimmen, die - mit denselben Argumenten! - eine Integration des Montanismus, der "formell keine Häresie sei", für möglich hielten, ja forcierten. Ja, in Tertullian trat sogar ein sogenannter "Kirchenvater" zum Montanismus über! Schließlich aber setzte sich die ablehnende Haltung durch. Daran sollte man vielleicht manche erinnern, die meinen, man müßte die alten Fragen neu aufrollen. Sie sind meist längst beantwortet.
Es ist aber eben so: Die Frage von "richtig oder falsch", aber auch von "gut oder böse", ist in vielem eine Frage des rechten Maßes, des "zuviel oder zuwenig". Und mit einem Mal wird aus einem vermeintlich nur graduellen Unterschied - ein prinzipieller: weil das fehlende Maß die Fehler der Prinzipien aufdeckt.
Der Grundfehler aber - die Berauschung an sich selbst als übergeschwappter Erkenntnisvorgang, wo man sich selbst als Quelle der Wahrheit, ja diese identitär eins mit sich, erlebt - ist zutiefst menschlich-allgemein.
*220509*