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Sonntag, 2. August 2009

"Ich oder der Faschismus!"

Die Reaktionen waren eigentlich so absehbar, daß ich mir an dieser Stelle weitere Arbeit ersparte. Rudolf Mitlöhner hat nun in der Furche eine Replik auf Kehlmann's Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen dieses Jahres geschrieben, nein: Vielmehr eine Replik auf die Repliken. Der gar nicht so überwältigende Artikel genügt um zusammenzufassen, was über die Sache zu sagen sich lohnt. Denn die ganze Sache ist gar nicht so überwältigend ...

... Man mag auch daran Anstoß nehmen, daß Kehlmann ins Zentrum seiner Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen seinen Vater, mithin ein gutes Stück persönlicher Befindlichkeit, gestellt hat. Aber natürlich kennt Kehlmann auch genau den Wirkmechanismus der Personalisierung: daß sich Geschichten, die über konkrete Personen erzählt werden [...] [...] Die Worte des Autors wurden primär als Abrechnung mit dem Regietheater rezipiert, erwartungsgemäß als hoffnungslos reaktionär punziert und dementsprechend empört zurückgewiesen. Aber diese Sicht greift wohl doch ein wenig zu kurz. An den Schluss seiner Rede stellte Kehlmann ein überzeugendes Plädoyer für die Phantasie und für die Kunst. „Enthüllung“, „nicht Verstellung“ sei die Aufgabe des Schauspielers, heißt es dort unter Berufung auf Festspielgründer Max Reinhardt – und weiters: „Die Wahrheit auszusprechen also über unsere von Konvention und Gewohnheit eingeschnürte Natur, die Wahrheit über das eine kurze Leben, das wir führen. Und über die unzähligen Leben, die wir darüber versäumen und denen wir nirgendwo anders begegnen können als in unserer Phantasie und in der Kunst.“ Und von diesem Schluss her erhält dann seine zuvor mehrfach formulierte Kritik erst ihr eigentliches Gewicht: die Sorge, das Theater sei zum „Privatvergnügen einer kleinen Gruppe“ verkommen, „ohne Relevanz für Leben, Gesellschaft und Gegenwart“. Wo das Theater diese Relevanz – „die Berührung mit der existenziellen Wahrhaftigkeit“ – verloren habe, so formulierte Kehlmann, wiederum auf Reinhardt Bezug nehmend, „bleibe leeres Spiel und, schlimmer noch, blanke Langeweile“.

Der Schlüsselsatz der Rede ist indes ein anderer, und er kommt ganz schlicht daher: „… man darf selbstverständlich auch für die drastischste Verfremdung (von Theaterstücken durch die Regie; Anm.) eintreten, aber man sollte sich deswegen nicht für einen fortschrittlichen Menschen halten.“ Hier liegt die eigentliche Sprengkraft, die weit über den Bereich des Theaters hinaus reicht, und wohl auch der tiefere Grund für die gereizte Reaktion jener, die sich für die „fortschrittliche Intelligenzija“ halten. Entgegen der Lesart seiner Kritiker lehnt Kehlmann also nicht generell „das Regietheater“ ab, schon gar nicht plädiert er für konventionelle oder historisierende Inszenierungen. Er hält es nur für unzulässig, ästhetische Fragen gewissermaßen moralisch zu überhöhen.

Antifaschistischer Schutzwall

Damit trifft er freilich einen wunden Punkt der Linken. Denn sie bezieht seit jeher ihre Selbstlegitimation aus genau dieser Überhöhung, aus der Selbststilisierung zu einer Art fleisch- und geistgewordenem antifaschistischen Schutzwall. „Ich oder der Faschismus“ war der Sukkus der Botschaft etwa von Claus Peymann oder Gerard Mortier (um beim Theater zu bleiben), mit der sie ihre (kultur)politische Mission begründeten. Wobei sie wohl den „katholischen Klerikofaschismus“, wie sie es genannt haben könnten, für die größere Gefahr hielten und deswegen auch als liebsten Reibebaum erkoren.
An diesem liebgewordenen Selbstverständnis hat Daniel Kehlmann kräftig gerüttelt. Sanft im Auftreten, ist er den Hütern der politischen Moral kräftig auf die Zehen gestiegen, diese haben reflexartig „Aua“ und „Pfui“ geschrien – und fertig war die Debatte.

Fertig wäre wohl zu lesen als: Schluß damit, es ist genauso langweilig wie der kritisierte Gegenstand.




*020809*