Wie modern doch klingt, was Max Stirner vor hundertfünfzig Jahren schrieb. Es mag einem oft so vorkommen, als sei der Fortgang der Geschichte lediglich eine Abwandlung der sich immer wieder um ein nie ganz sichtbares Zentrum drehenden, einander an- wie abstoßenden Theorien und Ansichten - und wieviel mehr: der dahinterstehenden menschlichen Haltungen, also auch der gesellschaftlichen Bedingungen und Klimata, Bedingungen.
"Alle Wahrheiten unter mir sind mir lieb; eine Wahrheit über mir, eine Wahrheit, nach der ich mich richten müßte, kenne ich nicht. Für mich gibt es keine Wahrheit, denn über mich geht nichts." Greif zu und nimm, was du brauchst. Krieg aller gegen alle. Der Starke siegt. "Über der Pforte unserer Zeit steht nicht jenes apollinische: Erkenne dich selbst, sondern ein: Verwerte dich." Der Zauberkreis des Christentums ist gebrochen, wenn die Spannung zwischen mir, wie ich bin, und mir, wie ich sein soll, aufhört. Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß ich sie genieße und sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche.
Interessant ist, daß Stirner dies am Vorabend eines sich also erst im geistigen Grunde vorbereitenden neuen Staates, eines Zeitalters enormer gesellschaftlicher Bindungen dachte. Als Ausläufer der geistigen Bewegungen des Idealismus der Romantik, der inmitten völligen Zerfalls (sichtbar unter anderem in der Französischen Revolution) begriff, daß (im zerschlagenen Reich und in der Reformation) genau die zentrale Idee zerschlagen ist, die allem Einzelnen erst Leben und Kraft einhaucht, in Religion und Staat. So ging es also nun um einen neuen Staat, um eine neue Religion, die alles wieder vereinte!
Die heutige Reichsidee? Die EU. Als immer weitere Spange einer immer weiter auseinanderfallenden Kultur versucht.
Die Welt dreht sich um immer dieselben Fragen, und wo immer das Karussell stehenbleibt, sofern es überhaupt stehenbleibt, zeigt es das Gesicht der Moderne an der Einstiegsstelle.
*060809*