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Montag, 5. September 2011

Im Vernünftigen verankert - I

Wo liegt der Unterschied zwischen der Mystik und dem Neuplatonismus? Das eine ist das Erfaßtwerden vom Unerschöpflichen - das andere ist der Schritt ins Irrationale. Die Mystik geht von einer ohnunterbrochenen Linie des Verstehbaren aus, das irgendwann begreift, daß es unendlich überstiegen wird, also am Nichtmehrverstehbaren endet, nein, beginnt. Aber es weiß, daß diese Unerschöpflichkeit in sich wiederum lauter Verstehbarkeiten erschließt - es ist nur die Verstehbarkeit unerschöpflich. Das höchste Erreichbare ist ja die Erkenntnis Gottes, als (indirektes) Werden "wie Gott". Indirekt, über die Teilhabe an der Wahrheit, die ein (ethisch verankertes) Zulassen der Wahrheit im Erkennenden ist. (Hier ist also der Anker zur Tugend, zur Sittlichkeit, der nicht primär ein Anker der Kasteiung o.ä. ist, sondern einer des Gemäßen, des Richtigen.)

Die Irrationalität der Esoterik bzw. des Neuplatonismus aber läßt aber auch Widersprüche zu, ist also im Grunde ein gewolltes, nur "zu glaubendes" System. Der Zugang zum Höchsten ist deshalb kein Fortschreiten im Vernünftigen, sondern ein quasi Komponieren (Zusammenstellen) von für-wahr-Gehaltenem. Deshalb kennt sie Methoden der "Erhöhung", des Höhersteigens, kennt Techniken etc.

Dazu muß man also auch das Menschenbild aufgeben, das die Vernunft als die dem Menschen gemäße (weil sich ja alles aus seiner höchsten Möglichkeit definiert, erst dort es selbst ist) Weise seines Erkennens und Handelns sieht. Der Neuplatonismus, und jedes System des Irrationalen, muß also (interessanterweise) das Menschsein selbst übersehen (wollen), um relevant zu sein.

Der Knackpunkt in der Unterscheidung liegt in der Deutung des Materiellen, des Dinghaften: während der Neuplatonismus alles aufzulösen trachtet, weil alles "Geist IST", somit das Geschöpfliche Gott (Allgeist) WIRD/IST (der Neuplatonismus ist also immer eine Form von Pantheismus!), ist für den Mystiker die Welt Symbol: Die Dinge erzählen von Gedanken Gottes, die in ihrer Gutheit - je mehr desto mehr - an der Gutheit und Schönheit und Wahrheit Gottes teilhaben, sie damit präsent machen. Die Dinge müssen also SIE SELBST SEIN, um in dieser Schönheit von Gott zu erzählen. Je mehr, desto mehr. Sie sind aber nicht DIREKTE Erzählung Gottes.

Natürlich ist es dazu hilfreich und interessant, den Neuplatonismus als System zu begreifen, das die gedankliche Brücke zum Polytheismus der griechischen Mythologie schloß! Denn in dem Stufenbau des Kosmos - von der Idee, dem Geist zum Materiellen herunter - spielen diese Götter (Kräfte) die Rolle der jeweiligen Transformatoren, Mittler zwischen den einzelnen Seinsstufen.

Anders im Christentum: wo Jesus zwar auch "Mittler" ist, aber über seine reale Präsenz in den Sakramenten im Symbol den geistigen Inhalt - der die Offenbarung BRAUCHT, denn das Symbol braucht das Erkannte, Bekannte, sonst wird es zur Magie - darreicht, gegenwärtig hält.

Im Pantheismus gibt es logischerweise keine Sakramente, es gibt nur den technisch-erlebnishaften "Rausch" (als Selbstverwandlung, bzw. der -entschränkung, dem Aussteigen aus dem Vernünftigen also) der Wanderung zwischen den Welten, der wirkliche Neuplatoniker hat also als höchstes Ziel den Eremiten, den völlig Herausgenommenen. Und das war in der Tat Pflicht des Priestertums in den betreffenden Epochen.

Nun bleibt natürlich die Frage - gehen wir das Thema von einer anderen Seite her an - warum denn überhaupt etwas IST, noch mehr: WIE etwas sein kann. Denn was ist, hat etwas mit "Sein" zu tun, und Sein ist das Eine, das alles umfaßt, was ist. (Es gibt nur etwas, das ist - also eint sich alles im Sein.)

Der Neuplatonismus sieht in allem, was ist, allem Seienden also, die direkte Äußerung des Seins. WARUM ist es? Weil dahinterstehende göttliche Kräfte (in abgestufter Hierarchie) es bewirken. (Daher: Polytheismus) Es gibt also Seiendes, das in geringen Spuren nur noch Sein enthält - aber prinzipiell sehen wir in allem Seienden, allen Dingen, DIREKT Gott, weil göttliche Kräfte.

Morgen: Wo sich der Kreis schließt - und wo er sich nicht schließt


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