In einem Interview mit der Presse meinte unlängst Julian Schutting, daß die Zeit der Romane längst vorbei sei. Die großen Geschichtenerfinder, wie die Russen, gebe es nicht mehr, alles was sich heuter noch Roman nenne, wäre nur noch autobiographisch.
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| Julian Schutting | Copyright Guenter R. Artinger | 
Nun, so eine Aussage läßt sich natürlich nur vor dem Hintergrund einer Kulturentwicklung machen und verstehen, in die eingebettet, auf die bezogen, aus der geboren auch der Künstler lebt. Sodaß Kultur als sozio-psychologische Außensicht verstanden wird.
Vielleicht trifft sich das mit meiner Beobachtung, daß der Schreibende heute fast nicht mehr freikommt davon, sich überhaupt erst zu den Voraussetzungen des Schreibens freizumachen. Sodaß sehr vieles, was heute publiziert wird, nur noch Freimachungsprozesse oder Zeugnisse davon sind. Wenn es überhaupt noch möglich ist, heute zum Werk zu kommen, so nur über völligen Rückzug ... bis nichts mehr nach einem greift, und das selbstische Steigen zur Ruhe kam. So ließe sich auch die Tendenz verstehen, daß die letzten großen Romane zunehmend einer Collage aus Fragmenten gleichen: wo Einzelnes den Betrachter so tief und ungelöst verstrickt, daß er nur durch radikale Brüche von einer Episode zur nächsten gehen kann. So, wie man im Sumpf stehend versinkt, und immer wieder seine Füße aus dem Untergrund zieht, mühsam und zäh, oft genug bleibt der Stiefel zurück, und man ist einfach heilfroh, dem Sumpf wieder entkommen zu sein, am Ende, ohnerachten aller Vorhaben, einen Organismus mit Anfang und Ende schaffen zu wollen: man stieg hinein, und trachtete mit der Zeit nur noch, zu entkommen ...
Aus den bekannten dokumentarischen Gründen bringe ich hier einige Passagen des Interviews:
Es gibt auch die Gefahr des Manierismus.
Man darf nie kostbare Wörter suchen. Das einzig Richtige für einen 
Autor ist, dass ihm alles, was er schreibt, ganz selbstverständlich und 
natürlich ist. Meinen Schülern habe ich immer gesagt, sie sollten 
aufhören zu dichten. Sie sollten stattdessen kühl etwas darlegen, ohne 
grässliches „Heutdeutsch“ hereinzulassen. Davor sind wir alle nicht 
gefeit. Auch sollte man die Bearbeitung nicht merken. Ich muss sehr oft 
nach Wörtern suchen, die sind aber ganz einfache, nicht gewählte. Die 
Kunst knapper Deskription, wie sie etwa Musil konnte, ist etwas ganz 
Hohes.
Sie haben Musil erneut erwähnt. Welche Autoren haben Sie am meisten beeinflusst?
Kleist war für mich am wichtigsten, als Beweis, dass man ein Dichter 
ist, wenn man eine unverwechselbare Satz-Architektur aufzuweisen hat, 
die einem eingeboren ist. Sicher auch Stifter, der mich zugleich von 
Jugend an gelangweilt hat, aber er war prägend in seiner Tendenz zu 
ritualisieren. Mittagessen, Zusammenkünfte in der Bibliothek wurden bei 
ihm zu Ritualen. Das liegt uns Österreichern. Benn habe ich immer sehr 
geschätzt, vor allem seinen Essay „Probleme der Lyrik“. Er fährt grob 
drüber, wenn altmodisch vor sich hin gedichtet wird. Vor allem aber auch
 Adornos „Ästhetische Theorie“.
Sind Sie also ein Dichter?
Also, erst einmal bin ich Schriftsteller. Wenn mir jedoch eine 
entsprechende Passage gelingt, denke ich mir heimlich: „Aber ein Dichter
 bin ich auch!“ Nicht immer, aber bisweilen.
Ist der Begriff des Dichters heute noch immer der Ausfluss des Genie-Gedankens?
Das muss man gar nicht sagen. Der Dichter behandelt eine bestimmte 
Sache wie etwas Heiliges, die Idee des Genies dürfte ihm gar nicht 
kommen. Dieser Begriff ist auch überholt. Man hat ein Maß an 
Originalität aufzuweisen, damit man nicht zu einem Epigonen seiner 
selbst wird. Thomas Mann ist mir ein Vorbild. Er war immer fähig, sich 
neuen Themen zu öffnen. Allein das Thema wirkt auch auf den Stil ein. 
Manie und Manieren gehören zusammen. Immer aber ist hoffentlich eine 
Überraschung für den Leser drin.
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