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Sonntag, 4. September 2011

Nur als Märtyrer glaubwürdig

Luther hat doch eigentlich, schreibt Kierkegaard in seinen Tagebüchern 1954, unberechenbaren Schaden dadurch angerichtet, daß er nicht bereit war, Märtyrer zu werden. Stattdessen hat er seine Sache zu einer faden Angelegenheit bequemen Bürgertums gemacht, wo er sich mit zunehmendem Alter damit zufrieden gab, im Kreise seiner Bewunderer großmaulige Tischreden zu halten.

Damit aber hat er seine Sache so herabgemindert, daß in späteren Generationen "die Sache" immer schaler, dünner und immer schlechtere Nachäffung wurde. 

Dadurch, daß er stehenblieb, hat Luther den Münzfuß des Reformators auf die Hälfte gedrückt, und so in späteren Generationen dieses Gewimmel erzeugt, diesen Janhagel von raren, herzlichen Menschen, die auch so ein bißchen den Reformator spielen wollen; item er hat die Konfusion erzeugt, Reformator zu sein ist dadurch, daß man die Politik zu Hilfe ruft. Das Resultat ist geworden die tiefste Verwirrung in den höchsten Begriffen und die allergefährlichste Demoralisation, die natürlich ist, wenn etwa so Feines und Edles und Zartes wie der Begriff "Reformator" verfault.

Über eines aber hätte er um Gottes willen wachen müssen - daß nämlich der Reformator, der auf diese Weise Reformator ist, als das Niedrigere angesehen werden muß. Dadurch ist es für die Zukunft fast unmöglich gemacht, noch einen Reformator zu kriegen - alle werden meinen, daß dieser niedrige Preis genüge, und daß die Verbrüderung mit der Weltlichkeit geheimer Gewinn ist: der diese Aufgabe noch (und wie gerne!) zu Ansehen steigere, und damit das Verhältnis Kirche - Welt sogar umkehrt.

Steht es aber nicht christlich fest, daß das Martyrium das Höchste ist, das Wahre, daß gutes Davonkommen das Niedrigere ist, das durch Indulgenz eingeräumt werden kann: so ist Satan nicht bloß los, sondern er hat gesiegt.  

Denn so lautet die Aussage, daß die Welt ja ohnehin das Gute wolle, die Welt selber gar keine Reform brauche - sondern der Glaube ... und weil die Welt eben das Gute wolle, deshalb siegt auch der Reformator. Damit hat Luther durch sein späteres Leben die Mittelmäßigkeit akkreditiert. Dazu braucht es nämlich einen Heros! Und Luther war dieser Heros - der Mittelmäßigkeit. Und mit ihr ist der Protestantismus überreich gesegnet worden, schreibt Kierkegaard.

Luther hatte eine ungeheure Verantwortung: er stürzte den Papst, und setzte das Publikum auf den Thron.



*040911*