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Donnerstag, 4. November 2010

Der rational Entwürdigte

Das Entsetzliche an der Meldung des NDR ist nicht eigentlich, was vorfiel. Und zwar hat da die Hamburger Sparkasse in ihren Unterlagen Kundenprofile auf der einen Seite entsprechende marketing- und Verkaufsmaßnahmen auf der anderen Seite gegenübergestellt. Ein paar Auszüge:

So heißt es beispielsweise, für den "Genießertyp" sei eine "weiche Wortwahl wichtig, um Phantasie und Genuss ins Spiel zu bringen". Beim "Bewahrertyp" dagegen sollten Bankberater - so wörtlich - "Ängste aufbauen", um bestimmte Versicherungsprodukte besser verkaufen zu können. Die Haspa-Berater werden sogar aufgefordert, private Bekanntschaften auszubeuten: "Befreundete Finanzberater haben leichtes Spiel!" Dem "Performer" soll der Haspa-Berater zum Beispiel folgendes Argument nahelegen: "Die Basis des Fonds sind die besten Unternehmen der Welt. Das bieten wir nur unseren Top-Kunden an."

Was an solchem Vorgehen anstößig sein soll, ist mir nicht übrigens nicht klar. Denn gute Verkäufer waren immer gute Menschenkenner, und die Grenze zu ziehen zwischen "Entsprechung" und "Manipulation" war immer ein Problem, das angesichts des Drucks, verkaufen zu sollen, oder (wegen der Provisionsabängigkeit der Saläre) zu müssen, den Beruf "Verkäufer" zu einem mit höchsten Fluktuationsraten gemacht oder: verdorben hat. Damit ist nämlich der Verkauf oft genug, ja oft ausschließlich, zu einem Wettkampf geworden, der einem Spießrutenlauf gleicht: wo erwischt der Verkäufer den Kunden doch noch mit einer Bananenschale.

Das Anstößige fand ich in einem anderen Satz, der nämlich begründen soll, warum solche Zielgerichtetheit anstößig sei: "Man versucht, indem man sich ins Gehirn hineinschleimt, Vertrauen zu finden und den Verbraucher zu beeinflussen in einer Weise, die nicht in seinem Interesse ist."

Gibt es also Beeinflussung, die im Interesse des Käufers ist? wir sprechen hier nicht von Kindern, wir sprechen hier von Erwachsenen, denen man nicht zu Unrecht "Geschäftsfähigkeit" zuspricht, die man dazu fähig wähnt, vernünftig zu entscheiden, weil ihr Horizont an Sachkenntnissen ausreichend ist. Von Tugendhaftigkeit, die ja eine Haltung wäre, die immer zum Guten greifen ließe, spricht man ja ohnehin nicht. Und das Laster ist nun einmal ein Anteil Unfreiheit, keinesfalls Genußsucht, wie man schönfärberisch oft meint.


Es geht um die Würde des Anderen. Nicht darum, ihn zu definieren, wo er wie und wann doch noch für sich, und wo er gegen sich entscheidet. Die Würde kann man nicht in zeitbedingten Gegebenheiten festmachen. Sie muß absolut sein.

Das kann sie aber nur sein, wenn sie in einer Verpflichtung einer Sphäre gegenüber veranktert wird, die nicht dem Menschen zugängig ist, die absolut bleibt, die niemals angetastet werden darf - der andere kann fehlen, er kann sündigen, er kann sich irren, er kann schwach werden. Aber niemals darf ich ihn bevormunden! Ich kann seiner Wahl Grenzen ziehen, ja, wo er andere über ein bestimmtes Maß beeinträchtigen könnte.

Was im übrigen die Schwäche eines Rechtssystems zeigt, die keine zwischenmenschlichen Abstufungen der Ächtung, der Bestrafung, der Korrektur über sozialen Druck, nachbarliche Zurechtweisung, etc. etc. (die deutschen Rechtsquellen sind voll von solchen minderen, aber oft sehr wirksamen Selbstreinigungsmechanismen) kennt. Ein "kleinerer" Betrug, wie er andauernd vorkommt, im übrigen, muß ja nicht beim Richter enden. Eine Ohrfeige, oder eine öffentliche Schande, am Pranger, sollte da reichen. Und dann sind auch alle gewarnt, und der Täter muß sich sein Vertrauen wieder mühsam erarbeiten.

Nein, heute geht das alles nicht mehr. Heute gibt es nur noch hopp oder tropp. Während genau diese vielen kleinen Korrekurmöglichkeiten, die der Fehleranfälligkeit des Menschen entsprechen, denn in jeder Richtung fehlt jeder des Tages 7 mal 70 mal, eine nach der anderen ausgerottet werden. Man den Menschen damit genau diese Möglichkeiten nimmt, ohne große Folgen, aber doch wirksam, soziale Probleme zu beheben.

Also brauchen wir zweierlei Gesetze - solche, die Verstöße ahnden, was immer hinterherhinkt und viel unwirksamer ist, weil viel unter den Tisch fällt, was aber nur aus technischen Gründen nciht verfolgt werden kann, und solche, die die Selbstregelungen unterbinden. Wenn man will ist auch das "Antidiskrinminerungsgesetz" genau so ein Gesetz, sind es die Wegweisegesetze, all die vielen vielen Regelungen und Gesetze, die in Organismen eingreifen, denen man ihr Leben nimmt, die man aufbricht, um bestimmte definierte Bausteine daraus zu verdammen, oder diktatorisch zu definieren.

Somit nimmt das Gesetz und das Rechtsempfinden mehr und mehr den Charakte einer Totalentmündigung an. Der Staat ist es, der in allem wissen muß und wissen soll, was gut und was schlecht für einen ist. Und um das zu erreichen, oder zu verhindern, ist alles erlaubt. Das gibt den Rahmen vor.

Damit wird der eigentliche Verstoß aber übersehen. Der Verstoß gegen die menschliche Würde, die auch der größte Narr, der Verbrecher ebenso wie der Naive, genießen können muß. Ja, der Würde opfert man zunmehmend alles. Was schiefgehen könnte wird ebenso "verhindert", wie definiert, wie die Menschen sich im Einzelnen verhalten sollen. Und weil das eigentlich nie wirklich definierbar ist, weil das Leben unendlich in seiner Vielfalt ist, erstickt das Gesetz an der Fülle von Regelungen, die an die Stelle des sozialen Lebens treten, das als Normierung und Persönlichkeitsbildungsinstanz aufhört, zu existieren.

Etwas nicht für gut heißen heißt noch lange nicht, dafür ein Gesetz zu wollen oder aufrichten zu müssen! Der Ruf nach dem Staat aber ist längst in aller Munde, und auf der Jagd nach Stimmprozenten hecheln die Politikerl hinterher, als - wie Burger es unlängst nannte - skurrilste NGO des Landes.

Ja, es ist nicht gut, wenn man bei der Hamburger Sparkasse damit rechnen muß, daß der Verkäufer geschickt auf einen "eingeht", und man von Emotionen überrant werden soll, die die Entscheidung der Vernunft aus der Hand schlagen. Gut. Aber was dann? Gar nichts! Gar nichts! Das war's.

"Der rationale Kunde ist tot," schreibt die Sparkasse in ihren Verkaufsunterlagen. Recht hat sie, so ist es. Was soll sie nun machen? Den Kunden erst vernunftfähig machen, und dann zum Verkaufsgespräch zu bitten?