Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 25. Februar 2011

Persönlichkeitsdiebstahl

Es gibt eine Persönlichkeitsstruktur, schreibt Adreij Swischtschenko in "Dumal by!", deren überproportionale Häufigkeitszunahme zu beobachten, und im Rahmen des Kulturverfalls zu sehen ist, der natürlich am unmittelbarsten ein direkter Verfall der  Persönlichkeitsstrukturen sei. Sie trage klar symbiotische Tendenzen, und sei theoretisch unbeschränkt vermehrungs- bzw. aufbaufähig.

Sie funktioniere aber nur beim Zusammentreffen von zwei bestimmten Persönlichkeitsbildern, auch wenn man davon ausgeht, daß solche Kuckucks-Identitäten - denn darauf laufe es hinaus - durchaus in Teilaspekten zum Tragen kommen.

Der eine Persönlichkeitstypus müsse dabei aufgrund hoher Begabungen, Fähigkeiten etc., besonders großzügig mit Leistungen und Erfolgen umgehen. Denn er weiß, daß er Einzelerfolge jederzeit wiederholen kann.  Dieses Selbstbild ist sehr begehrenswert, und genießt hohes Ansehen.

Der zweite, der an diesen herantritt, ist gekennzeichnet durch besonders ausgeprägte Selbstschwäche. In erster Linie, weil er kein Selbstvertrauen ausbilden konnte, sodaß ihm die Kraft, die Persönlichkeit ausmache - das Ertragen einer Spannung zwischen dem Selbstbild und der Umgebungsreaktion - fehle. Er braucht also die Umgebung, um eine Identität zu wirklichen, während diese Umgebung den Kitt der Credibilitas, der Glaubwürdigkeit enthält, das Grundelement von Persönlichkeit, die ja zugleich Kultur ist.

Nun passiert Folgendes, schreibt Swischtschenko: Der Schwache verbirgt sich zu Anfang hinter dem Starken, ordnet sich mehr oder weniger widerspruchslos (er verfügt ja über keinen Mut zum Eigenwillen) unter, und nimmt imitierend - oft in fremden Umgebungen erst, in die er sich wie ein Brückenkopf einnistet - dessen Erscheinungsformen an.

In der Zweisamkeit zwischen diesen beiden Personen, verschwimmt so die Unterscheidbarkeit mehr und mehr. Die Außenwelt meint, zwei wie ein Herz und eine Seele vor sich zu haben, weil sie natürlich nicht sieht, daß nur einer die "Seele" des anderen imitiert, in dessen Windschatten mitschwimmt. 

Was der Aufmerksamkeit des ersteren aber entgeht ist, daß der Zweite mehr und mehr die Außenbeziehungen regelrecht übernimmt, und ihm so seine Umgebungswelt, auf die sich seine Persönlichkeit ja bezieht, aus der Hand nimmt. Dies geschieht, indem er die Credibilität auf sich zieht, fast immer sogar "leicht", weil er eine Persönlichkeitsbild anbietet, dem es am Wesentlichen des Persönlichkeitsaufbaus, der "Gewalt", auch der Mühe des Ertragens (als Integrierens in die eigene Weltgeflechtung), das ja "Dehnschmerz" bedeutet, fehlt. Er (simpel dargestellt) wirkt einfach "netter", problemloser - während normalerweise Persönlichkeit ohnzweifelhaft "Probleme" bringt, ja: Persönlichkeit BEDEUTET Problem als Widerstand gegen Willfahrigkeit.

Und so gewinnt er nach und nach Verankerung und Autorität, die untrennbar mit dem Personskern verbunden bleibt, also mit dem Ich des Schwachen. Während der Starke (der Einfachheit halber sei es so genannt) diese Veränderungen meist erst zu einem Zeitpunkt wahrnimmt, wo er nichts mehr tun kann - weil Persönlichkeit nicht direkt "gewinnbar", schon gar nicht behauptbar ist.

Jemand schlüpft (auf diese Gleichung kann man es reduzieren) unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die begehrte Haut eines anderen, und läuft am Ende mit dieser - dessen! - Haut davon.

Die Folgen sind natürlich keineswegs auf den "Beraubten" beschränkt. Sondern sie zeigen sich in meist sogar dramatischem Wirklichkeitsverlust (mangels Fähigkeit zu realistischer Selbsteinschätzung) des Schwachen - völliger Selbstüberschätzung, mit aggressiver Schutzaktivierung, weil um die Gefährdung gewußt wird - einerseits (völlige Entwertung des Wirtes durch z. B., Verleumdung, mit dem Ziel der Vernichtung), während anderseits der ursprünlich "Starke" bar aller sozialen Felder - sich in einer real verächtlichen, schwachen Position wiederfindet, und an anderem Ort regelrecht von vorne beginnen muß. Denn seine alte Umgebung ist ihm verloren: versucht er, Eigentumsrecht an "sich" (Aussagen, Handlungen, Merkmalen etc.) zu behaupten, wird er zunehmend zum Plagiator abgestempelt, seine Glaubwürdigkeit ist also vernichtet. Was als eigener und zunehmend aggressiver Akt des Schwächeren ja in dem Maß dazukommt, als mit Vollendung des Persönlichkeitsdiebstahls die Angst vor dem ursprünglichen Träger wächst.

Swischtschenko verfaßt die Arbeit übrigens unter direktem Bezug zur "Generation Facebook". Die er als Tummelplatz genau solcher Schmarotzer-Identitäten sieht: Als Selbstbedingungskatalog von Persönlichkeitselementen, die immer von den Stärkeren, Ganzheitlichen, zu dem (mehrheitlichen) Schwachen wandern. Solche Vorgänge, schreibt der raketenhaft zum Psychologenstar der letzten 10 Jahre aufgestiegene 40jährige, können sich natürlich auch auf Teilbereiche erstrecken, ja dort sind sie bei weitem häufiger. Aus bekannten Gründen sei aber ein "Totaldiebstahl" immer häufiger, und unterwandere regelrecht die Struktur gesellschaftlicher Eliten.

***